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Sozialversicherung für Pflegepersonen
Bei der dauerhaften Aufnahme von Pflegekindern in den eigenen Haushalt schlägt zunehmend bemerkbar zu Buche, dass es sich um Kinder mit erheblichen Belastungen handelt. Für Pflegepersonen i.S.v. § 44 SGB VIII bedeutet das häufig, dass eine geregelte Erwerbstätigkeit mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist. Wenngleich sie in diesen Fällen häufig auch eine erhöhte finanzielle Anerkennung für ihren erzieherischen Aufwand erhalten, ist dies einerseits mit einem Erwerbseinkommen nicht vergleichbar und werden andererseits Sozialversicherungsleistungen nur in so bescheidenem Umfang übernommen, dass das Risiko der Altersarmut für diese Personen deutlich erhöht ist.
Es stellt sich die Frage, warum, ob bzw. wie Verbesserungen in dieser Frage durchgesetzt werden können.
I. Notwendigkeit von Verbesserungen
Der Einsatz als Pflegeperson i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VIII ist in finanzieller Hinsicht als ehrenamtliches Engagement ausgestaltet. Auch wenn die Pflegeperson eine fachspezifische Ausbildung mitbringt und/oder die Hilfe durch den Einsatz eines begleitenden Pflegekinderfachdienstes professionalisiert wird, so wird für eine Leistung, die auf den Rechtsgrundlagen von § 33 S. 2, § 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII der § 113 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX durch eine Pflegeperson i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VIII erbracht wird, kein Entgelt für einen erwerbsmäßigen Einsatz gezahlt, sondern eine finanzielle Anerkennung, die nach Art und Höhe eher einen ehrenamtlichen Einsatz berücksichtigt (vgl. umfassend Schindler, Inklusive Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe, https://www.dialogforum-pflegekinderhilfe.de/fileadmin/upLoads/projekte/Expertise_Rechtsgutachten_f%C3%BCr_eine_inklusive_Pflegekinderhilfe__2018__.pdf).
Wenngleich dies für die Pflegeperson eine steuerliche Bevorteilung nach § 3 Nr. 10 oder Nr. 11 EStG zur Folge hat, so kompensiert dies auch bei erhöhten Leistungen in aller Regel fehlende bzw. ungenügende Sozialversicherungsleistungen nicht. Der gesetzlich geregelte hälftige Beitrag für eine angemessene Alterssicherung wird von Praxis und Rechtsprechung so ausgelegt, dass Anspruch regelmäßig nur auf die Mindestversicherung besteht, mit der sich das Risiko der Altersarmut kaum kontrollieren lässt(vgl. unter III.1.a.).
Die Risiken Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Erwerbslosigkeit werden im Rahmen des Pflegegeldes nach § 39 Abs. 4 SGB VIII gar nicht berücksichtigt. Die Ausgestaltung der Vollzeitpflege richtet sich in der Praxis nach wie vor nach einem Einverdienermodell, das unmittelbar den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entsprungen scheint. Es wird daher regelmäßig vorausgesetzt, dass zur Absicherung des Risikos Krankheit und Pflegebedürftigkeit eine Familienversicherung des erwerbstätigen Pflegeelternteils vorhanden ist und sich das Risiko Erwerbslosigkeit von vornherein in diesem Kontext nicht realisiert.
Das Modell erscheint nicht nur aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit überholt, sondern bildet auch im Übrigen die Vielfältigkeit der Pflegekinderhilfe längst nicht mehr ab. Aber auch die Belastungen der potentiellen Pflegekinder und der damit einhergehende zeitliche Bedarf an Zuwendung und persönlichem Einsatz ihrer Pflegeeltern werden nur unzureichend berücksichtigt.
Im Ergebnis zeigt sich, dass zwar der Bedarf nach kompetenten, liebevollen und belastbaren Pflegepersonen hoch ist und weiter wächst, für diese mit Übernahme der Aufgabe jedoch ein unkalkulierbares Risiko besteht, wie sich die Aufnahme eines Pflegekindes nicht nur auf ihre allgemeine finanzielle sondern auch auf ihre spezifisch soziale Absicherung auswirkt. Gleichzeitig zeigt sich in den letzten Jahren auch eine erhöhte Wahrnehmung potentieller Pflegepersonen für die besonderen Risiken bei Aufnahme eines Kindes, dessen Belastungen zunächst gar nicht absehbar sind. Besteht bei Aufnahme eines Säuglings zunächst noch der Plan, in absehbarer Zeit in die Erwerbstätigkeit zumindest auf Teilzeitbasis zurückzukehren, kann diese Vorstellung zur Sicherstellung des Kindeswohls eines besonders belasteten Kindes oft scheitern. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Leistungsträger in diesen Fällen häufig keineswegs verantwortlich fühlen, sondern dies als Privatproblem der Pflegeperson ansehen. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Pflegekinderhilfe für Kinder mit Behinderungen, die nach § 113 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX (bislang § 54 Abs. 3 SGB XII) untergebracht werden.
Für die Pflegekinderhilfe bedeutet diese Bestandsaufnahme, dass die Akquise von geeigneten Pflegeeltern zunehmend schwer oder gar unmöglich wird. Aus fachlicher Sicht erscheint das sogar begrüßenswert, denn wer möchte schon ein Kind Pflegeeltern anvertrauen, die sich völlig naiv auf umfangreiche, unkalkulierbare finanzielle Risiken einlassen?
II. Lösungsoptionen
Die vorgenannte Bestandsaufnahme führt in der Praxis einiger Bundesländer dazu, dass die qualifizierte Pflegekinderhilfe für besonders belastete Kinder vorrangig als Hilfe nach § 34 SGB VIII ausgestaltet wird. In diesem Fall werden Pflegepersonen i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VIII (BVerwG, 1.9-2011 – 5 C 20/10, juris) als Angestellte bestmöglich abgesichert, während die Last der mit dieser Ausgestaltung einhergehenden erheblichen arbeitsrechtlichen Risiken von ihren Anstellungsträgern geschultert wird. Aber nicht allein diese arbeitsrechtlichen Risiken sprechen gegen eine regelmäßige Ausgestaltung der Vollzeitpflege in Form der „Heimerziehung“, sondern mit ihr geht auch die Besonderheit der Pflegekinderhilfe verloren, die gerade darin liegt, dass es sich bei der Pflegefamilie um eine „ganz normale“ Familie handeln soll, die auch nicht in einem Haushalt lebt, der nach dem Maßstab von Betriebserlaubnissen geführt werden muss.
Will man dennoch mehr Sicherheit für Pflegepersonen schaffen, so ist eine angemessene soziale Absicherung ein wichtiger Baustein. Dabei kommt es vor allem auf Verbindlichkeit an. Bei Aufnahme eines Kindes, dessen Belastung bereits bekannt ist und bei dem zu diesen Zeitpunkt schon allen Beteiligten bewusst ist, dass seine Pflege und Erziehung ein langfristig außerordentlich intensives Engagement erfordert, lassen sich Bedingungen häufig individuell so aushandeln, dass sich die Pflegeperson auf ein kalkulierbares Risiko einlässt. Tauchen Belastungen oder Behinderungen jedoch erst im Laufe der Zeit auf bzw. wirken sich ihre Folgen schwerwiegender aus als zunächst angenommen, so kommt es zu Problemen, die sich zur zusätzlichen Belastung für den Lebensweg des Kindes entwickeln können, wenn das Pflegeverhältnis zu scheitern droht oder sich Pflegeeltern schlicht ausgenutzt vorkommen.
Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende Forderungen zur verlässlichen Absicherung der Pflegekinderhilfe nach §§ 33, S. 2, 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII und § 113 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX festhalten:
III. Forderungen zur sozialen Absicherung von Pflegepersonen i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VIII
1. Alterssicherung
a. Höhe der finanziellen Leistungen zur Alterssicherung
Auf gesetzlicher Grundlage besteht derzeit Anspruch auf Erstattung der hälftigen nachgewiesenen Aufwendungen zu einer „angemessenen Alterssicherung“ der Pflegeperson. Es soll dadurch sichergestellt werden, dass eine Pflegeperson, die auf eine (vollzeitige) Erwerbstätigkeit verzichtet, um ein Pflegekind bzw. mehrere Pflegekinder zu betreuen und infolgedessen keine oder bei einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit nur reduzierte (gesetzliche) Anwartschaft erwirbt, gleichwohl im Alter über eine gewisse finanzielle Absicherung verfügt (Wiesner/Schmid-Obkirchner, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 39 Rn. 32d). Was für die Praxis also erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnen könnte (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten zur Erstattung nachgewiesener Aufwendungen für Beiträge zu einer Unfallversicherung und zu einer angemessenen Alterssicherung bei allgemeiner Familienpflege (§ 39 Abs. 4 S. 2 SGB VIII), https://www.dijuf.de/files/downloads/2010/projekte/DIJuF-GutachtenfuerDV-ErstattungfuerUnfallversicherungundAltersvorsorgebeiFamilienpfleg.pdf), wird bislang überwiegend restriktiv ausgelegt.
So wird die Frage der Angemessenheit in aller Regel nicht nach dem notwendigen zeitlichen Engagement der Pflegeperson bewertet, sondern es wird den hälftigen Anteil des Mindestbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung abgestellt und damit eine Erstattungshöhe von aktuell 42,53 EUR monatlich für einen Pflegelternteil pro Pflegekind angesetzt (Wiesner/Schmid-Obkirchner, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 39 Rn. 32f).
b. Formen der Alterssicherung
Ebenso restriktiv wird die Frage gehandelt, was als Alterssicherung akzeptiert wird. Auch hier wird die Sondersituation von Pflegepersonen kaum berücksichtigt. Insbesondere der Erwerb eines Eigenheims wird regelmäßig nicht als Alterssicherung akzeptiert, obwohl sich viele nicht zuletzt mit Blick auf das Pflegekind für diese Variante entscheiden. Auch alle übrigen Geldanlagen, die aktuell wohl jede*r Finanzberater*in als sinnvolle Alterssicherung bewerten würde, werden von den Kostenträgern ausgeschlossen. So werden regelmäßig nur Geldanlagen als Alterssicherung anerkannt, die bis zum Eintritt in das Rentenalter verbindlich festgelegt sind (BVerwG, 23.02.2010 - 5 C 29.08; OVG NW, 20. Juli 2015 – 12 A 1693/14 – juris, Rn. 55; OVG SL, 23.02.2010 – 3 A 345/09 –, juris). Während der Staat also grundsätzlich zunehmende Eigeninitiative von seinen Bürger*innen in der Altersvorsorge verlangt, legt er sich an dieser Stelle auf Vorgaben fest, die eine sinnvolle Alterssicherung erheblich beschränken.
c. Anerkennung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung
Bislang führt die Aufnahme eines Pflegekindes nicht zur zusätzlichen Anerkennung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung. Dies ist nur dann anders, wenn eine Pflegeperson gleichzeitig Anspruch auf Berücksichtigung von Kindererziehungszeit nach § 56 SGB VI hat oder das Pflegekind einen Pflegegrad nach dem Recht der Pflegeversicherung hat.
2. Anpassung an Lebenslagen
Nicht nur in der Alterssicherung bedarf es einer besseren Berücksichtigung spezifischer Lebenslagen von Pflegepersonen. Wie eingangs geschildert begünstigt das bisherige Modell das Einverdienermodell. Die Konstruktion macht den Einsatz von allein erziehenden Pflegepersonen fast unmöglich und führt für Pflegepersonen, die sich trennen oder bei denen ein*e Partner*in verstirbt schnell neben der persönlichen Belastung auch zur finanziellen Katastrophe.
In diesen Fällen muss nicht nur die Alterssicherung eine geeignete Anpassung erfahren, sondern ist bedarf es auch eines Anspruchs auf die Übernahme der Kosten der Krankenversicherung zu regeln. Auch wenn weiterhin in der überwiegenden Zahl der Pflegeverhältnisse eine Absicherung über die Familienversicherung besteht, sollten gerade Sondersituationen in der Kinder- und Jugendhilfe nicht unberücksichtigt bleiben.
IV. Gesetzlicher Änderungsbedarf
Wenngleich sich viele wichtige Verbesserungen in der sozialen Absicherung von Pflegepersonen bereits auf der geltenden gesetzlichen Grundlage realisieren ließen, zeigt ein Blick in die Praxis, dass sich finanziell wirksame Leistungen selten gegen den Widerstand des Leistungsträgers realisieren lassen. Eine Pflegeperson ist damit ganz und gar von Wohl und Wehe des Leistungsträgers abhängig. Dass dies mit einer progressiven Pflegekinderhilfe nicht gut vereinbar ist, versteht sich von selbst.
Um den großen Bedarf gerade an qualifizierten Pflegeverhältnissen verlässlich decken zu können, erscheinen gesetzliche Änderungen geboten. Dabei sollten insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden:
• Anpassung der finanziellen Leistung für die Alterssicherung an einen Betrag, der das dauerhafte zeitliche Engagement der Pflegeperson berücksichtigt
• Erweiterung der Anlagemöglichkeiten der Beträge für die Alterssicherung
• Einführung der Anerkennung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung
• Normierung eines Anspruchs auf Übernahme von Beiträgen für eine erforderliche Krankenversicherung
Gila Schindler Rechtsanwältin, Fachanwältin für Sozialrecht - KASU Kanzlei für soziale Unternehmen HKS Heyder, Klie, Schindler Rechtsanwaltspartnerschaft mbB