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Staatliche Verantwortungsübernahme bei der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch
Einleitung des Positionspapiers
Seit den Veröffentlichungen der Missbrauchsgutachten insbesondere in den Erzbistümern Köln sowie München und Freising ist die Diskussion über die Verstärkung staatlicher Verantwortungsübernahme bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs insbesondere im kirchlichen Kontext voll entbrannt.
Unterschiedlichste Forderungen stehen im Raum. Einige fordern die Einsetzung einer staatlichen „Wahrheitskommission“, andere, dass die Staatsanwaltschaften endlich keinen Halt mehr vor den Pforten und den Geheimarchiven der Bistümer machen. Viele fordern ein verstärktes „Eingreifen“ des Staates. Immer wieder wird völlig zurecht formuliert, dass den Kirchen die Aufarbeitung der massenhaft in ihren Zuständigkeitsbereichen begangenen Taten sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht allein überlassen bleiben darf. Kirchen könnten Vertuschung, Leugnung und ihr eigenes Versagen nicht selbst aufarbeiten.
Da „der Staat“ bei der strafrechtlichen Verfolgung der noch nicht verjährten Sexualstraftaten im kirchlichen Kontext uneingeschränkt in der Pflicht steht - und die Kirchen kein verfassungsrechtlich verankertes „Sonderprivileg“ im Vergleich zu anderen Institutionen haben (eine häufig geäußerte Fehlvorstellung) - ist es wichtig, die aktuelle Rechtslage im Umgang mit noch nicht verjährtem sexuellen Missbrauch im kirchlichen Kontext (als einen Teil staatlicher Aufarbeitung) genauer zu betrachten.
Zugleich werden mit diesem Positionspapier die bisherigen staatlichen Aktivitäten bei der Aufarbeitung bereits verjährten sexuellen Missbrauchs aufgezeigt, wie auch die sich aktuell eröffnenden Perspektiven für einen künftig viel stärkeren staatlichen Beitrag bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nicht nur im kirchlichem Bereich, sondern in sämtlichen institutionellen Kontexten wie zum Beispiel dem organisierten Sport, den Schulen oder auch der Kinder- und Jugendhilfe.
Für die ebenso dringende Frage nach Strukturen und Konzepten für die Aufarbeitung familiärer sexueller Gewalt und die insoweit bestehende Verantwortung des Staates – zu der bereits intensive Fachdiskussionen stattfinden und mit der sich die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs bereits befasst - wird in diesem Positionspapier noch kein Vorschlag unterbreitet, aber darauf hingewiesen, dass auch hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Die Verpflichtung des Staates zu einer stärkeren Verantwortungsübernahme bei der Aufarbeitung institutioneller und familiärer Gewaltkonstellationen gegen Minderjährige ergibt sich maßgeblich daraus, dass das staatliche Wächteramt zum Schutz betroffener Kinder und Jugendlicher oft nicht ausgeübt wurde, weshalb die gesetzlich vorgesehene Abwendung von Kindeswohlgefährdungen, die Bereitstellung und Gewährung von Hilfen und Unterstützungmaßnahmen, aber zum Beispiel auch polizeiliche Ermittlungen und somit auch strafrechtliche Aufarbeitung oft nicht stattgefunden haben. Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend haben ein Recht auf staatlich unterstützte Aufarbeitung.
Schwerpunktthemen
- Wie ist die aktuelle Rechtslage bei nicht verjährtem sexuellen Kindesmissbrauch?
- Wie sieht das bisherige staatliche Engagement bei verjährtem sexuellen Kindesmissbrauch aus?
- Welche weiteren Schritte wurden bei der Aufarbeitung schon gegangen?
- Welche nächsten Schritte sind jetzt erforderlich?
Jetzt handeln!
Stärkere staatliche Verantwortungsübernahme bei der Aufarbeitung verjährten sexuellen Kindesmissbrauchs:
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die politische Weichenstellung und Ausgestaltung künftig gestärkter unabhängiger Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland. Von der Regierungsmehrheit im Deutschen Bundestag sollte dazu schnell ein breiter politischer Diskurs in Gang gesetzt werden und es sollten so schnell wie möglich Berichterstatter:innen benannt werden, um für diese gesellschaftspolitisch und ressortübergreifend höchst relevanten Fragen konkrete Ansprechpersonen im Bundestag zu haben.
Gemeinsam sollten Bundestag und Bundesregierung mit den zu beteiligenden Strukturen einen ersten Referentenentwurf noch in der ersten Hälfte des Jahres 2022 erarbeiten und öffentlich zur Diskussion stellen.
Spätestens im Jahr 2023 sollte die in diesem Positionspapier beschriebene Perspektive für eine mit starken Rechten ausgestattete - aktuell bis Ende 2023 befristet beauftragte - Aufarbeitungskommission gesetzlich normiert sein.