Sie sind hier
Aufnahme eines Pflegekindes
Themen:
Wir wussten, dass sich Pflegeeltern, die regelmäßig die Gruppe besuchten, um ein weiteres Pflegekind beworben hatten. Auch diesmal kamen sie, wirkten aber irgendwie bedrückt und verwirrt. Ich fragte anfangs bei den Gruppentreffen immer, wer heute etwas erzählen wollte. Wir hatten uns darauf geeinigt, damit jeder die Chance bekommen würde, auch etwas sagen zu können und sich nicht vielleicht von Vielrednern zur Seite geschoben zu fühlen. Der Pflegevater meldete sich sofort und begann auch gleich. Erst berichtete er leise, dass er und seine Frau gestern ein Kind in einem Kinderheim besucht hätten, das vom Jugendamt als mögliches Pflegekind bei Ihnen vorgesehen wäre. Dann wurde die Stimme noch leiser und er erzählte stockend, dass ihnen ein kleiner Junge gezeigt wurde, der im Garten spielte. Als er diesen Jungen sah, war er voller innerer Abwehr und Ablehnung dem Kind gegenüber. Er glaubte, dass dies doch nicht sein könne und er sicherlich auf etwas anderes im Umfeld entsprechend reagieren würde. Seine Frau reagierte auf den Jungen erfreut, aber als sie ihn ansah und fragen wollte „was meinst du?“ blieb ihr der Satz im Hals stecken, denn ihr Mann war kreidebleich. Er starrte das Kind an, schüttelte immer wieder den Kopf und bat darum, den Kontakt abzubrechen. Das tat die sie begleitende Sozialarbeiterin des Pflegekinderdienstes auch sofort. Sie fuhr mit den Pflegeeltern in ihr Büro zurück. Dort begann sie vorsichtig ein Gespräch, fragte nach, wie es ihnen ginge und was sie meinten. Der Pflegevater gestand, dass er sich die Aufnahme dieses Jungen nicht vorstellen könne. Er wüsste nicht, warum das so sei – es ginge einfach nicht. Er wirkte erschrocken und fassungslos. Seine Frau trug seine Entscheidung natürlich mit und so sagten sie die mögliche Aufnahme dieses Kindes ab.
Das berichteten die Pflegeeltern nun in der Gruppe und er konnte es über sich bringen und sagen, dass er sich für diese Ablehnung so schrecklich schämen würde. Dass er so etwas nie von sich geglaubt hätte, dass er immer davon überzeugt davon war, jedem Kind helfen zu wollen. Seine Frau erzählte dann noch, dass die Sozialarbeiterin sich bei der Verabschiedung für die Offenheit und Ehrlichkeit bedankt habe und ihnen versichert hätte, dass dies in keinem Falle dazu führen würde, dass sie nun nicht mehr als mögliche Pflegeeltern berücksichtigt würden. Das erleichterte den Pflegevater ganz besonders, denn er befürchtete, dass seine unerklärbare Abneigung dem Kind gegenüber ihn untauglich zur weiteren Aufnahme eines Kindes gemacht hätte.
Dies war mal wieder eine typische Gruppensituation, in der Pflegeeltern eigentlich nur mit anderen – ihnen gut bekannten – Pflegeeltern etwas Spezifisches ansprechen konnten. Hier erwartete sie Verständnis, Trost, Ideen, Mut machen. Und genau so geschah es auch an diesem Abend.
Drei Monate später kam ein strahlendes Pflegeelternpaar in die Gruppe. Sie hatten „ihr“ Kind gefunden!