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Beispiele von Verhaltensweisen des Pflegekindes während der Integration des Kindes in der Pflegefamilie
Themen:
mit Ratschlägen zu möglichen Reaktionen
Vor allem die heftigen Verhaltensweisen vieler Pflegekinder während der Phase von Konflikten (Übertragungsphase) fordern die Pflegeeltern in extremer Weise. Daher haben wir einige typische Verhaltensweisen beschrieben und mögliche Reaktionen der Pflegeeltern erläutert:
Provokation
Ein Kind provoziert den Pflegevater in extremen Maße. In der Auseinandersetzung setzt es immer noch eins drauf. Der Pflegevater hat das Empfinden, dass das Kind es darauf anlegt, von ihm geschlagen zu werden.
Bleiben Sie ruhig und nehmen Sie das Verhalten nicht persönlich. Ihr Empfinden als Pflegevaters ist völlig korrekt. Ein gewalterfahrenes Kind geht davon aus, dass der Vater zuschlägt. Das ist sein Bild von Vater. Die Logik des Kindes funktioniert folgendermaßen: Du bist mein Pflegevater, also musst du auch so handeln wie Väter eben handeln. Da du noch nicht zugeschlagen hast, liegt deine Zuschlag-Schwelle vielleicht höher. Also muss ich dich dahin bringen, das du mich schlägst. Dann weiss ich, dass du ein Vater bist.
Die Chance für Kind und Pflegevater besteht nun darin, dass dieses Bild eben nicht bestätigt wird. Der Pflegevater macht durch eine andere Reaktion auf die Provokation des Kindes deutlich, dass Gewalt keine Antwort ist und dass es andere Antworten und anderes Väterverhalten gibt.
Urlaub
Gerd ist das erste Mal mit seiner Pflegefamilie in Urlaub gefahren. Als die Familie wieder nach Hause kommt werden die Sachen aus dem Auto geräumt usw. Gerd steht im Flur herum, geht staunend durch die Zimmer. Nach einer ganzen Weile zupft er seine Pflegemutter am Ärmel und sagt leise: „Ihr habt mich ja wirklich wieder mit zurück genommen“.
Natürlich sind Sie erst einmal tief erschrocken und ungläubig, wenn Sie von Ihrem Pflegekind so etwas hören. Hat Gerd wirklich gemeint, er würde zurückbleiben? Sie würden ihn nicht wieder mitnehmen? Ja und Nein – Gerd hatte gehofft, Sie würden ihn wieder mitnehmen, aber sicher war er sich nicht. Gerd war durch den Urlaub und die damit verbundene starke Veränderung des Alltages sehr verunsichert und irritiert. Vielleicht war darauf auch manches kaum verständ-liche Verhalten im Urlaub zurück zu führen. Er glaubt Erwachsenen noch nicht wirklich, hat immer noch Ängste.
Es hat nun keinen Sinn groß mit ihm darüber zu debattieren, dass es doch völlig klar gewesen sei, dass Sie ihn wieder mit zurückgenommen hätten etc. etc.
Akzeptieren Sie einfach, dass es nicht klar für ihn war. Nehmen Sie ihn in den Arm und versichern Sie ihm, dass er doch nun zu Ihnen und Ihrer Familie gehört und dass Sie ihn nicht allein lassen werden.
Abends ein Gläschen
Norma ist abends schon im Bett. Der Pflegeeltern haben sich ein Glas Bier eingeschenkt und Flasche und Gläser stehen auf dem Couchtisch. Da kommt Norma wieder ins Wohnzimmer. Die Pflegeeltern wollen deutlich machen, dass sie das nicht gut finden, und achten nicht auf das Kind. Als sie aber nach einer Weile hinschauen, steht Norma dort kreidebleich, zitternd und starrt auf den Couchtisch. Die Pflegeeltern sind erschrocken und die Pflegemutter geht nun doch zu Norma hin. Sie bückt sich und nimmt das Kind in den Arm. Norma macht sich ganz steif und ist nicht ansprechbar.
Eindeutig hat Norma Erfahrungen mit Alkohol trinkenden Personen, mit größter Wahrscheinlich fühlte sie sich von diesen Personen ( normalerweise ihren Eltern) bedroht, wenn diese getrunken hatten. Das kann man aus der Reaktion von Norma schließen. Versuchen Sie, mit den Augen des Kindes den Couchtisch ansehen und erkennen und spüren Sie die Angst und das Entsetzen von Norma.
Versuchen Sie Norma in den Arm zu nehmen und während der Eine das Kind tröstet, könnte der Andere ja ruhig Flaschen und Gläser vom Tisch abräumen damit das Kind einen anderen Blick bekommt. Norma muss sich erst einmal beruhigen, aus der Starre herauskommen. Dabei helfen keine großen Erklärungen, vielleicht aber ein leises Sprechen und Beruhigen. Wenn Norma weicher wird können Sie ihr sagen, dass ihr bei Ihnen nichts passieren wird und sie dann wieder zu Bett bringen. Bleiben Sie dann bei ihr, sie braucht Sie jetzt.
Am nächsten Tag wenn Sie Zeit haben und Norma gut drauf ist, reden Sie mit ihr und versichern ihr, dass nicht das noch einmal passieren wird, was sie bisher in ihrer ersten Familie erlebt hat. Wenn Sie nicht schon viel wissen wäre es wichtig, noch einmal Informationen über die Vorgeschichte von Norma einzuholen. Vielleicht wird es zur Beruhigung von Norma auch nötig sein, dass Sie eine Zeit lang Ihr Trinkverhalten ändern müssen.
Erschrecken
Die Pflegemutter wirbelt in der Küche herum. Sie erwartet Gäste und ist nervös, weil es nicht so klappt, wie sie es sich vorgestellt hat. Sie schimpft rum, es fällt ein Topf herunter, es ist ziemlich laut und chaotisch. Plötzlich fällt ihr Blick auf ihr Pflegekind Lisa. Lisa sitzt zusammengekrümmt auf dem Boden und hält die Hände abwehrend über ihrem Kopf.
Hier ist etwas geschehen, was immer wieder im Alltag einer Pflegefamilie passieren kann: das Kind erleidet eine Retraumatisierung durch eine eigentlich ganz normales Geschehen.
Trotz aller Vorsicht, ist dies nicht auszuschließen. Nun kommt es darauf an, so zu reagieren, dass das Kind aus seinem Schrecken herauskommt. Es also erst einmal zu beruhigen, es in den Arm zu nehmen und zu warten, bis es wieder ruhiger und ansprechbarer wird. Denn nicht das Geschehen allein macht das Trauma sondern die gesamte Situation – also das eigentliche Geschehen und die Reaktion auf das Geschehen. Diskutieren Sie nicht sofort mit dem Kind, dass es doch keine Angst zu haben braucht etc.etc. Das bringt jetzt gar nichts, denn das Kind hat Angst und dies muss erst einmal respektiert werden. Also: beruhigen, trösten, ruhig bleiben, es aus seinem Schrecken herausholen. Sprechen Sie dann mit dem Kind über das Geschehene, wenn Sie Zeit haben und das Kind darüber sprechen möchte.
immer nachfragen
Das Kind fragt immer mehrere Familienmitglieder, wenn es etwas wissen will. Es hört nicht zu, wenn ihm etwas gesagt wird. Es antwortet, ohne das, was es sagt wirklich zu meinen.
Nehmen Sie dies nicht persönlich. Verstehen Sie, dass das Kind Verlässlichkeit und Ernstgenommen-Werden nicht gewöhnt ist. Es glaubt nicht, dass das, was Sie sagen, Konsequenzen hat. Zeigen Sie dem Kind Verlässlichkeit. Versorgen Sie es und gehen Sie dabei auf seine Wünsche ein. Kann das Kind die Versorgung annehmen, dann wird es auch eine zunehmende Abhängigkeit von Ihnen zulassen. Manchmal ist es auch sinnvoll, eine Sache, bei der es sich bisher nur auf sich selbst verlassen hat, als Pflegeeltern selbst zu übernehmen und es daher ein wenig in Abhängigkeit zu bringen, z.B. ein Kind, das sich bisher morgens selbst geweckt hat, nun zu wecken. Lässt es dies zu, lernt es zunehmend sich auf Sie zu verlassen.
Anfragen bei Nachbarn
Das Kind erzählt bei Nachbarn und Lehrern, dass es von den Pflegeeltern nichts zu essen bekommt.
Die Nachbarn sind irritiert. Einerseits halten sie dies für nicht möglich, so wie man die Nachbarn kennt, andererseits .... man weiß ja nie. Sie beginnen, dem Kind Essen oder Süßigkeiten zu geben und ringen sich schließlich durch, darüber mit den Pflegeeltern zu sprechen. Manche rufen auch das Jugendamt an.
Reaktion der Pflegeeltern: Sprechen Sie mit dem Kind darüber, dass sie verstehen, warum es das sagt. Dass es früher Hunger gelitten hat und noch nicht so richtig weiß, ob Sie es denn auch wirklich auf Dauer versorgen werden, und dass es sich deswegen andere Quellen verschafft und warm halten will. Versichern Sie ihm, dass Sie sorgen werden und dass es irgendwann dies mal glauben wird und dann keinen anderen mehr ansprechen muss.
Sprechen ist gut, handeln ist jedoch besser. Das Kind muss erfahren, dass die Pflegeeltern absolut zuverlässig sind und dass es immer zu bestimmten Zeiten Essen gibt.
Vernachlässigte Kinder werden unruhig und unsicher, wenn sie sich nicht auf bestimmte Zeiten verlassen können und wenn sie nicht jederzeit an Essen können. Dies bedeutet, dass für das Kind auch nachts etwas zu trinken und zu essen erreichbar sein muss. Eine Flasche Wasser, Knäckebrot, Obst neben seinem Bett gibt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit und angenommen werden.
Mit den Nachbarn und den Lehrern müssen Sie sprechen und ihnen das Nötigste aus der bisherigen Lebensgeschichte des Kindes erzählen, damit sie verstehen. Sie sollten auch mit ihnen vereinbaren, dass das Kind von ihnen nur etwas zu essen bekommt, wenn es "eingeladen" wird und die Pflegeeltern zugestimmt haben. Ansonsten wird das Kind in seinen Bedürfnissen auf die Pflegeeltern verwiesen, die ihm alles geben werden.
Natürlich müssen Pflegeeltern damit rechnen, dass Nachbarn, Lehrer, Freunde beobachten und hinschauen und das es notwendig und nötig ist, eine "offene" Familie zu sein.
Angst haben
Das Kind erklärt den Pflegeeltern, dass sie es hungern lassen, es allein lassen, es gar nicht haben wollen etc. etc.
Fühlen Sie sich nicht angegriffen. Es meint nicht Sie, es spricht die Ängste aus, die es hat. Nehmen Sie das Kind in die Arme, zeigen und sagen sie ihm, dass Sie es verstehen, dass es Schlimmes durchgemacht hat und kein Vertrauen mehr besitzt. Sagen Sie ihm und zeigen Sie ihm, dass Sie sich sehr bemühen, damit es wieder glauben und seine Ängste vermindern kann.
Das Kind spricht nicht über seine Ängste, drückt sie aber durch sein Verhalten aus: Es isst ohne Maßen, hortet Essen in seinem Zimmer oder sonst wo, kontrolliert die Pflegeeltern, fragt immer und immer wieder nach, provoziert, etc.etc.
Nehmen Sie nichts persönlich. Erklären Sie sich sein Verhalten mit dem Wissen um seine Geschichte und bemühmen Sie sich, die Bedürfnisse ihres Pflegekindes herauszufinden und zu verstehen. Zuverlässig und konsequent sein. Einmal Gesagtes gilt und wird nicht nach genügend Gequängel zurück genommen. Das Kind will schwache Eltern inszenieren, aber starke Eltern erleben.
wichtig sein
Das Kind läuft immer wieder weg, versteckt sich irgendwo oder droht mit Weglaufen.
Nicht persönlich nehmen. Verstehen Sie, dass es erfahren will, ob es wichtig genug ist um von Ihnen gesucht zu werden. Suchen Sie ihr Kind und malen Sie ihm die Suchaktion aus. Zeigen Sie, wie große Sorgen Sie sich gemacht haben und machen Sie deutlich, dass Weglaufen gefährlich ist. Überlegen Sie sich Maßnahmen, die das Weglaufen verhindern könnten. Z.B. nachts die Haustür abschließen, es nicht allein irgendwo hinlassen, Nachbarn, Polizei informieren...
Siehe auch: Leben mit traumatisierten Kindern im Schwerpunktthema: Traumatisierte Kinder