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Bitte passen Sie auf sich auf!
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Was wird von Pflegeeltern erwartet – vom Jugendamt, von der Schule, von Nachbarn und Verwandten, aber auch von den Herkunftseltern?
Die meisten Personen um das Pflegekind herum wissen wenig über die Besonderheit seiner Lebensgeschichte. Sie sehen die Gegenwart und verstehen nicht, warum das Kind oft nicht ‚funktioniert‘. Sie machen die Pflegeeltern und deren Umgang mit dem Kind dafür verantwortlich. Sie halten die Pflegeeltern für zu streng oder zu weich, für zu kämpferisch oder für zu fordernd.
Die Erwartungen Anderer können einen ganz schön unter Druck setzen und zu einer deutlichen Last werden. Haben Sie als Pflegeeltern ein breites Kreuz oder fühlen Sie sich oft unter Druck? Übernehmen Sie die Erwartungen der anderen, oder was erwarten Sie von sich selbst?
Belastungen und Ressourcen halten sie die Waage
In einer Studie der Uni Siegen wurde über Belastungen von Pflegeeltern geforscht und besonders darauf geschaut, wie und wo Pflegeeltern sich Hilfen und Freiräume schaffen.
Als theoretischer Hintergrund wird die "Belastungs-Ressourcen-Balance" verwendet.
In einer idealtypischen Vorstellung besteht eine ausgeglichene Balance zwischen den Belastungen und den Ressourcen einer Person.
Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch Aufgaben und Probleme zu bewältigen hat. Das ist also erst mal nichts Besonderes, sondern gehört zu den allgemeinen Entwicklungsaufgaben einer Person.Die idealtypische Vorstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Belastungen und Ressourcen kann allerdings nicht dauerhaft bestehen. Die Waage befindet sich also in stetiger Bewegung: Spezifische Ereignisse und Veränderungen können die Waage aus ihrer Balance bringen.
Es gibt unterschiedliche Strategien, mit einem Problem umzugehen – die Lösung eines Problems ist nur eine idealtypische Form der Bewältigung. Um Aufgaben bewältigen zu können verfügt jeder Mensch über unterschiedliche Ressourcen (Kompetenzen, Fähigkeiten, Unterstützung durch andere usw.) Für die konkrete Bewältigung eines Problems sind jeweils spezifische Ressourcen notwendig.
Das Modell der Belastungs-Ressourcen-Balance hat auch ein praxisrelevantes Potential. So können damit Prozesse der Selbstreflexion zugänglich gemacht werden: Ich werde mir klar, was mir das Leben schwer macht und was mir hilft
Pflegeeltern brauchen Respekt für ihre besondere Persönlichkeit
Was genau ist mit einer "besonderen Persönlichkeit" gemeint?
Viele Menschen können sich weder vorstellen, dass die Aufnahme eines behinderten Kindes überhaupt funktionieren kann, noch verstehen sie, warum es Menschen gibt, die sich für solche Lebensentwürfe und Tätigkeitsfelder entscheiden:
"Solche Pflegeeltern gibt es? Warum tut man sich denn so was an? Ich könnte mir das nicht vorstellen."Für Behörden, Institutionen, Fremde, sogar Familie und Freunde sind das Engagement, der Lebensentwurf und die persönlichen Wertvorstellungen teilweise nicht zu begreifen. Die Bereitschaft der Pflegeeltern hängt mit ihren inneren Überzeugungen und Einstellungen zusammen. Diese sind ein reichhaltiger Schatz und eine wichtige Quelle für die Entwicklung der Kinder.
Sinnkonstruktionen
Sinnkonstruktionen sind Erklärungen und Überzeugungen, mit denen Menschen ihrem eigenen Leben und Handeln einen Sinn zuschreiben. "Was macht mein Leben sinnvoll?"
Die Idee und Motivation, dass es sinnvoll, richtig und wichtig ist, einem Kind mit einer Behinderung einen Platz in der eigenen Familie zu geben, beruht auf Überzeugungen der Pflegeeltern, die sich mit ihrem eigenen Lebenssinn befassen.Ein Pflegevater drückt dies so aus:
"Dass das wirklich eine Berufung ist. Dass man das kann. Dass man die Fähigkeit hat, so ein Kind, irgendein Kind zu sich zu nehmen und das wirklich lieb zu gewinnen, so als wenn es das Eigene wäre oder in manchen Situationen vielleicht noch mehr. Weil es viel schwieriger ist, als normale Kinder in Anführungsstrichen. Wenn man die Berufung nicht hat, dann schafft man das nicht. Dann sagt man irgendwann: ‚Nee, ich habe die Nase voll. Ich will doch meine Ruhe haben.’ Und ich hoffe, dass wir auch in zwanzig Jahren noch nicht so weit sind und unsere Ruhe haben wollen. [...] Ohne unseren Glauben, weiß ich nicht, dann wäre es ein Beruf. Und mit unserem Glauben ist es eher Berufung. Ohne, dass die uns aufgedrängt wurde, das ist ganz komisch. Also bei Berufung, denkt man ja, das muss man machen. Könnte man jetzt denken, das muss man machen, weil irgendeiner gesagt hat: ‚Du machst das jetzt.‘ Sondern das ist irgendwie von innen heraus. Das macht uns ja auch Spaß. Es ist schön. Es gibt mehr schöne Seiten als schlechte Zeiten und das ist gut. Es hat uns als Familie gestärkt und es bringt uns viel, über uns selbst nachzudenken."Bewältigungsstrategien
Bewältigungsstrategien sind verhaltensorientierte oder intrapsychische Anstrengungen zur Überwindung einer Belastung. "Wie kann ich eine Belastung überwinden? Was kann ich tun, um handlungsfähig zu werden?"
Die Pflegeeltern richten ihre Bemühungen und ihr Handeln auf übergeordnete Ziele aus. Für sie ist es wichtig, dass es den Mitgliedern ihrer Familie (Partner, Kinder, Pflegekinder) und ihnen selbst gut geht. Außerdem sind ihre Bemühungen darauf ausgerichtet – auch in durchaus widrigen Umständen – handlungsfähig zu sein und zu bleiben.Umgang mit Emotionen
Pflegeeltern sind besonders glücklich und zufrieden, wenn die Entwicklung des Pflegekindes einen positiven Verlauf nimmt und das Pflegekind emotional positiv auf sie reagiert.
Eine Pflegemutter beschreibt dies folgendermaßen:
"Dann kommt noch das Highlight, dass er Fahrrad fährt. ‚Der Junge wird nie Fahrrad fahren. Da brauchen Sie sich gar keine Gedanken machen.’ Wir haben ein Fahrrad gekauft. Mein Mann hat das vom Trampeln her leichter gemacht. Dann hat er sich Pfingsten mit ihm hier hingestellt und Fahrradfahren geübt – die ganze Straße hat applaudiert – der fuhr, von jetzt auf gleich. Das war ein absolutes Highlight."Der Wunsch nach einer positiven Entwicklung des Pflegekindes wird selbstverständlich nicht immer erfüllt, was von den Pflegeeltern zum Teil als schmerzliches Erlebnis beschrieben wird. Pflegeeltern müssen zu recht kommen mit einem "Wechselbad der Gefühle". Enorme Freuden über Entwicklungsfortschritte stehen im harten Gegensatz zu Trauer und Verzweiflung bei gesundheitlichen Rückschritten des Pflegekindes.
Pflegeeltern brauchen diverse Netzwerke
Die Betreuung eines Pflegekindes ist eine zeitlich und emotional äußerst anspruchsvolle Tätigkeit. Die Pflegeeltern kümmern sich täglich umfassend um die Belange und Bedürfnisse ihrer Pflegekinder. Bei Kindern mit einer schweren Erkrankung oder einer Behinderung steigt das Ausmaß der Betreuungszeit zum Teil erheblich. Einige Pflegeeltern, die ihre Pflegekinder beim Sterben begleiten, berichten von besonders emotionalen Belastungen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es neben den persönlichen Aspekten äußerst wichtig ist, über die Unterstützung von privaten und professionellen Netzwerken zu verfügen. Dann gelingt es den Pflegeeltern nicht nur ihr Leben und ihre Tätigkeit in einer Pflegefamilie zu organisieren und die unweigerlich auftretenden Probleme zu bewältigen, sondern darüber hinaus den besonderen Reiz und die besonderen Freuden ihres eigenen Lebensentwurfs zu genießen. Welche Unterstützung erhalten die Pflegeeltern aus ihrem Umfeld?
Unterstützung im Rahmen der Familie
Für viele Pflegeeltern ist die eigene Partnerschaft die wesentliche Grundvoraussetzung für ihre Tätigkeit und den eigenen Lebensentwurf. Das gegenseitige Vertrauen, die verlässliche Unterstützung im Alltag und in besonders schwierigen Situationen sowie der vertrauliche und regelmäßige Austausch zwischen dem Pflegeelternpaar werden betont. Außerdem ist die Partnerschaft für viele Pflegeeltern ein Garant für Ausgleich und Regeneration. Gesicherte Zeiträume der Zweisamkeit, in denen die eigenen Belange und nicht die der Kinder im Vordergrund stehen, sind nicht selbstverständlich, aber nötig
Deutlich wird, dass die Paare Freiräume für sich selbst brauchen, um sich um ihre Partnerschaft kümmern zu können. Auch die Gruppe der "Alleinerziehenden" Pflegemütter benötigen Freiräume für sich selbst (Regeneration, Aufbau und Erhalt von Freundschaften und Partnerschaft)
Leibliche Kinder der Pflegeeltern
Die leiblichen Kinder spielen in den Überlegungen der Pflegeeltern eine wesentliche Rolle. Sie können das Pflegeverhältnis stabilisieren, wenn sie von Beginn an in die Entscheidung ihrer Eltern einbezogen wurden, ein Pflegekind in der Familie aufzunehmen. Werden sie hinsichtlich dieser Entscheidung nicht berücksichtigt, besteht die Gefahr, dass sie das Pflegeverhältnis boykottieren. Die Pflegeeltern betonen in diesem Zusammenhang die herausragende Entwicklung der sozialen Kompetenzen ihrer leiblichen Kinder.
Eine Pflegemutter erzählt:
"Da kommen immer wieder Bestätigungen, dass wir es bis jetzt richtig gemacht haben. Vor allen Dingen, wenn ich sehe, wie toll die Großen sich durch die zwei Kleinen entwickelt haben. Also, die haben denen ganz viel beigebracht. Und die wären auch nicht so, wenn unsere Pflegekinder nicht wären. Und wie hundertprozentig die dahinter stehen. Ja, das beeindruckt mich immer wieder."Gegenseitige emotionale Beziehung
Für Pflegeeltern ist es wichtig, dass sie zu ihrem Pflegekind eine gegenseitige emotionale Beziehung entwickeln. Positive emotionale Rückmeldungen des Pflegekindes sind für die Pflegeeltern außerdem bedeutsam, auch wenn die Möglichkeiten des Pflegekindes aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung und seiner biografischen Erfahrungen zum Teil eingeschränkt sind.
Weitere Verwandte und Freunde
Weitere Verwandte der Pflegeeltern sind hilfreich, wenn sie Verständnis hinsichtlich der Entscheidung für das Pflegeverhältnis zeigen und die Pflegeeltern eventuell sogar unterstützen. Die Aufnahme des Pflegekindes in den weiteren Kreis der Familie ist den Pflegeeltern wichtig. Unverständnis gegenüber den Pflegeeltern sowie offen zur Schau gestellte Abneigung gegenüber dem Pflegekind belasten die Pflegeeltern.
Unterstützung von Freunden
Im privaten Umfeld der Pflegeeltern spielen langjährige Freunde und befreundete Pflegeeltern eine entscheidende Rolle. Hier finden viele Pflegeeltern einen stabilen Rückhalt, Verständnis und zum Teil auch verlässliche Unterstützung (Unterstützung bei der Betreuung des Pflegekindes; Austausch mit anderen Pflegeeltern und Selbsthilfegruppen; themenunspezifischer Austausch mit Nachbarn).
Die leiblichen Eltern des Pflegekindes
Eine Sonderrolle zwischen privatem und beruflichem Kontext übernehmen die leiblichen Eltern des Pflegekindes. Sie werden als Ressource erlebt, wenn sie das Pflegeverhältnis akzeptieren und unterstützen und dies auch nach außen formulieren. Außerdem können sie hinsichtlich der biografischen Arbeit des Pflegekindes teilweise wichtige Informationen zur Verfügung stellen.
Unterstützung durch ein professionelles Fachteam
Im professionellen Umfeld der Pflegeeltern übernehmen die zuständigen Mitarbeiter(Red.: hier im Rahmen der Studie der Zentralen Fachdienstes der Diakonie Düsseldorf) eine äußerst wichtige Rolle. Betont werden vor allem die permanente Erreichbarkeit und Verlässlichkeit sowie das persönliche Engagement des Einzelnen. Außerdem sind die Pflegeeltern überzeugt von den spezifischen pädagogischen Kompetenzen der Fachkräfte und ihrem breiten Expertenwissen. Auch die Pufferfunktion bei Auseinandersetzungen zwischen den Pflegeeltern und einer dritten Institution (Schule, Jugendamt, Krankenkassen, etc.) wird hervorgehoben
Pflegeeltern brauchen gesellschaftliche Anerkennung
Was den Pflegeeltern hingegen wichtig ist: Die Anerkennung ihrer besonderen Situation und ihrer besonderen Bedürfnisse. Damit ist nicht nur eine Anerkennung im Sinne von Wertschätzung gemeint, sondern auch die Anerkennung auf politischer und rechtlicher Ebene. Hervorzuheben ist ein grundlegendes Bedürfnis nach einem transparenten und kindorientierten Rechtssystem. Darüber hinaus sind Angebote für spezifische Weiterbildungen, Informationsangebote sowie der organisierte Austausch in Selbsthilfegruppen wichtig. Auch die solidarisch finanzierte medizinische Versorgung sowie eins unbürokratische Bewilligungsverfahren im Bedarfsfall ist im Hinblick auf die Bedürfnisse der Pflegekinder wichtig. Außerdem benötigen die Pflegefamilien für ihre Arbeit leistungsfähige, engagierte und kooperationsfähige Behörden und Soziale Dienste.
Auszug aus einem Referat von Dirk Schäfer.
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Belastungen werden zur Last
Für Pflegeeltern kann das Pflegeverhältnis hingegen zu einer Belastung werden, wenn sie der Überzeugung sind, dass die Bedürfnisse ihrer leiblichen Kinder unzureichend berücksichtigt werden und dass sie unverhältnismäßigen Zumutungen ausgeliefert sind, die deren Entwicklung negativ beeinflussen. Dann machen sich die Pflegeeltern große Sorgen um ihre leiblichen Kinder und etwaige Zumutungen innerhalb der Familie (zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit, Konfrontation mit schweren Schicksalen). Dies scheint ein Hauptgrund zu sein, dass Pflegeverhältnisse von den Pflegefamilien abgebrochen werden.
Dirk Schäfer: Eine sehr belastende Erfahrung machen die Pflegeeltern mit Freunden und Familienmitgliedern, die sich von ihnen zurückziehen, weil sie sich in ihren Gewohnheiten und in ihrem unbeschwerten Leben durch das Pflegekind und dessen Probleme gestört fühlen. Bsp: Das Sterben eines Kindes scheint ein absolutes Tabuthema zu sein. Eine Pflegemutter berichtet: "Darüber kannst du mit fast niemandem sprechen."
Zu dem sonstigen professionellen Netzwerk, das übrigens viele Belastungen und unangenehme Auseinandersetzungen für die Pflegeeltern bereithält, gehören neben dem medizinischen Sektor auch die Bereiche: Bildung (Schule), Betreuung (Kindergarten), Beratung (Jugendamt).Auseinandersetzungen mit Schule, Kitas, Krankenkassen etc. Hier wird die Unterstützung des Pflegekinderdienstes sehr gewünscht und geschätzt".
Für viele belastend war der Umgang mit der Herkunftsfamilie. Besonders die Frage der Besuchskontakte war immer wieder ein Thema der Last und selten eine Freude. Pflegeeltern können eben nur so gut arbeiten, wie man sie arbeiten lässt – und da spielt die Herkunftsfamilie eine große Rolle