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Das Ringen um die Pflegekinderhilfe in Hamburg
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Der Tod eines Kindes ist immer eine Tragödie. Der Tod eines Pflegekindes ist neben der Tragödie auch noch tiefgehender Schreck und Fassungslosigkeit. Ein Kind in öffentlicher Obhut kommt ums Leben? Das darf doch nicht sein. Wir wollten es doch beschützen – und nun das. Es werden Schuldige gesucht und nach Gründen gegraben, die dieses verstörende Ereignis aus dem Bauch in den Kopf, und damit wieder unter Kontrolle, bringen sollen.
In Hamburg ist nach dem Tod des Pflegekindes Chantal ein wirrer, verwirrender und sich überschlagender Aktionismus ausgebrochen. Verantwortliche wiegelten erst ab, verloren dann ihre Posten. Der Senat bat zur Anhörung, ein Untersuchungsausschuss verrichtete seine Arbeit. Alles begleitet von einer wachen Presse. Die Entwicklung ging in eine Richtung, durch die sich Institutionen aufgerufen sahen, Stellungnahmen und Klarstellungen zu veröffentlichen.
Es zeigte sich, dass das Ringen in Hamburg über die Grenzen von Hamburg hinaus bedeutsam wurde. Die Kinderschutzzentren, das Kompetenzzentrum Pflegekinder e.V., die Forschungsgruppe der Universität Siegen, Bundesverbände der Pflegefamilien waren nur einige, die sich äußerten und deren Stellungnahmen wir sowohl im Rahmen unserer news auf moses-online veröffentlichten als auch hier in diesem Magazin noch einmal zusammen tragen.
Ich hatte daher durchaus das Empfinden, dass wir das Geschehen aufmerksam begleiteten und entsprechend informierten würden, aber Weiteres (noch) nicht nötig wäre.
Diese Entscheidung änderte sich für mich sehr klar, als ich die letzte Ausgabe des ‚Blickpunktes‘ Nr. 2-12 mit dem Titel: "Nach Chantals Tod: Wohin steuert Hamburgs Pflegekinderhilfe" in der Hand hatte.
Hierin gab es den Artikel einer Hamburger Pflegeelterngruppe, die beschrieb, was Pflegeeltern nach dem Tod von Chantal, besonders durch Politik und Behörde, erlebten und wie sie dies alles empfanden. Dieser Text wurde später zur Grundlage einer Resolution, die die Pflegeeltern von PFIFF e.V. – Freier Träger, der in der Pflegekinderhilfe in Hamburg tätig ist – in einer Vollversammlung verabschiedeten und an Hamburgs Sozialsenator geschickt haben. In dieser Resolution fordern die Pflegeeltern, auch weiterhin frei zwischen der Begleitung durch ein Jugendamt oder durch einen freien Träger wählen zu dürfen.
Weiterhin beschrieben Pflegeeltern wie absurd und grenzwertig manche Maßnahmen waren.
Besonders betroffen machte mich die Beschreibung zweier Pflegeväter. Beim ersten Pflegevater meldete sich ASD und Abteilungsleiter zur Stichprobe an und arbeiteten mit ihm den Kinderschutzbogen ab, der sonst bei akuter Kindeswohlgefährdung angewandt wird (!?)
Der zweite Pflegevater sollte den nun erforderlichen Drogentest über sich ergehen lassen. Mangels 6cm langer Kopfhaare wurde er zum Urintest eingeladen. Hierbei fühlte sich der Pflegevater wie ein Krimineller.
Während der Hausbesuche des ASD kam es beim „Abarbeiten“ einer vorgegebenen Tabelle zum Teil zu grotesken Situationen - besonders beim Punkt Suchtgefahr.
Manche Pflegeeltern kritisierten die neue Art und Weise kontrollierender Maßnahmen mit engen Fristsetzungen und besonders den Umgangston der Abteilungsleitung.
Alle Akten der Pflegefamilien mussten von den öffentlichen und freien Pflegekinderdiensten zur Überprüfung an den ASD überreicht werden.
Freundlicherweise stellten uns die Autoren und die Redaktion von Blickpunkt Pflegekinder die Artikel zur Verfügung. Sie können Sie hier im Magazin lesen.
Geht das nicht alles zu weit?
Pflegeeltern und Fachkräften ist völlig klar, dass es zum Schutz von Kindern auch Kontrollen und Schutzmechanismen geben muss. Die Aktionen in Hamburg wurden jedoch eindeutig als übergriffig und übertrieben angesehen. Es geht offensichtlich nicht darum, DASS man es macht, sondern WIE man es macht. Natürlich dürfen Drogenabhängige keine Pflegekinder aufnehmen, daher muss diese Möglichkeit ausgefiltert werden – aber es darf dabei nicht der Eindruck entstehen, dass man alle Pflegeeltern oder Bewerber erst mal für Drogenabhängige hält. Zwischen dem Erwecken eines Verständnisses für eine kontrollierende Maßnahme zum Schutz eines Pflegekindes und dem ‚sich Fühlen müssen wie ein Krimineller‘ besteht doch wohl eine große aktionsreiche Handlungsspanne der Pflegekinderhilfe.
Es sind nicht die Vorgaben wie Drogentest, erweitertes Führungszeugnis, intensive Vorgespräche etc. die gewissermaßen „abschrecken“, denn sonst hätten sich nach den vielen Diskussionen und Veröffentlichungen nicht so erstaunlich viele Personen für die Aufnahme eines Pflegekindes gerade in Hamburg interessiert.
Pflegeeltern müssen Menschen sein, denen wir alle Vertrauen schenken können und müssen. Kontrolle kann Vertrauen nicht ersetzen. Beides ist notwendig. Pflegeeltern müssen Kontrolle verstehen und ertragen. Sie müssen sich öffnen und bereit sein, ihr Leben - an dem ja ein Pflegekind teilnimmt – einsichtig und bewertbar zu machen. Eine Gradwanderung für eine private Familie.
Was Pflegeeltern wirklich nicht ausstehen können – und was sie auch wirklich nicht ausstehen müssen – ist eine Art der Behandlung, die sie als herablassend , unangemessen und unpartnerschaftlich empfinden.
Henrike Hopp
Zehn Gedanken zum Fall Chantal und seinen Folgen