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Bericht einer Sozialarbeiterin
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Da ist es wieder, was wir am meisten fürchten – ein totes Kind in Hamburg. Und da ist auch wieder mein schlechtes Gefühl. Ich schließe die Bürotür auf und setze mich an meinen Schreibtisch. Vor mir liegen neue Konzepte zum Fallmanagement, Eingangsmanagement, Netzwerkmanagement und zur sozialpädagogischen Diagnostik. Und der neue 20-seitige Kinderschutzbogen zum Ausfüllen im Gefährdungsfall.
Über mir schwebt die Anweisung, allen Gefährdungsmeldungen umgehend nachzugehen. Ich muss jederzeit Erreichbarkeit gewährleisten – denn „Hamburg schützt seine Kinder“. Ich rufe meine E-Mails auf und höre meinen Anrufbeantworter ab. Die Aufträge stapeln sich. Auf meiner Mailbox ist wieder die junge Mutter. Sie weint. Sie sagt, sie fühle sich überfordert. Sie habe diesen Monat kein Geld mehr und wisse nicht, wie sie ihre drei Kinder versorgen solle. Sie habe keine Kraft mehr, fühle sich leer und allein. Sie bittet um Rückruf und einen Termin.
Ich gucke in meinen Kalender und stelle fest, dass ich in den nächsten drei Wochen so gut wie keinen Termin frei habe. Dann fällt mir siedend heiß die Meldung vom Tag zuvor ein. Ein Junge (8), der in der Schule mehrmals gesagt hat, er möchte nicht mehr leben. Ich rufe die Schule an. Eine Meldung löst die nächste ab. Der Tag rast vorbei und ich, ich hetze hinterher. Am Ende des Tages fällt mir der Anruf der Mutter ein. Ich schreibe die Bitte um Rückruf auf einen Zettel und lege ihn zu den vielen unerledigten Anfragen. Ich habe ein schlechtes Gefühl, wie jeden Abend, wenn ich meine Bürotür hinter mir schließe.
Am nächsten Tag erwarte ich eine Mail, mit dem Auftrag, ein Formular zu jeder Pflegefamilie in meiner Zuständigkeit auszufüllen – höchste Priorität – damit kein weiteres Kind stirbt. Auch heute werde ich es nicht schaffen, die Mutter zurückzurufen und abends werde ich wieder mein Büro verlassen – mit einem schlechten Gefühl.
Verpflichtung zu Fortbildungen für Familienrichter