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25.05.2008
Erfahrungsbericht

Erfahrungsbericht über die Adoption älterer Kinder

Von einer Adoptivmutter haben wir einen ausführlichen Erfahrungsbericht über die Adoption ihrer "älteren Kinder" bekommen. Die Geschwister waren zum Zeitpunkt der Adoption vier und acht Jahre alt. Sie lebten in einem Kinderheim in Krasnodar in Südrussland.

Von einer Adoptivmutter haben wir einen ausführlichen Erfahrungsbericht über die Adoption ihrer "älteren Kinder" bekommen. Die Geschwister waren zum Zeitpunkt der Adoption vier und acht Jahre alt. Sie lebten in einem Kinderheim in Krasnodar in Südrussland.

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes haben wir alle Namen geändert. Gern stellen wir für einen Erfahrungsaustausch Kontakt zur Autorin her.

Da ihr an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sehr gelegen ist, steht sie auch für Diplom- oder Doktorarbeiten als Interviewpartnerin zur Verfügung.

Das Kennenlernen

Wir hatten uns um die Adoption eines Geschwisterpaars aus Russland beworben. Mein stiller Wunsch war, dass es ein Junge und ein Mädchen sein mögen.

Im August 2005 war es für uns endlich so weit, wir durften nach Krasnodar in Südrussland fliegen, um unsere Kinder kennen zu lernen.

Sonntags kamen wir an, wurden am Flughafen abgeholt und auf dem Weg ins Hotel mit den aktuellen Informationen versorgt. Für Montag Abend war unser Termin beim Jugendamt in Krasnodar angesetzt und Dienstag sollte unser erstes Zusammentreffen mit unseren Kindern sein. Sonntag machten wir einen Ausflug durch die Stadt auf eigene Faust, Montag einen begleiteten Stadtrundgang, bis endlich unser Termin beim Jugendamt statt fand.

Dann endlich war es Dienstag und wir wurden in Begleitung einer Übersetzerin zum Kinderheim gebracht. Dort wurden wir in ein großes Besucherzimmer geführt und warteten nun auf das Eintreffen der Kinder. Wir unterhielten uns mit der Übersetzerin bis sie uns sagte „da kommen die Kinder“.

In der Tür standen ein kleines Mädchen (4 einhalb) und ein etwas größerer Junge (8), beide hübsch herausgeputzt. Das Mädchen schüchtern und ein bisschen unsicher, der Junge ... sein Gesichtsausdruck hat sich in meiner Erinnerung und in meinem Herzen eingebrannt ... sein Gesichtausdruck zeigte eine gewisse Scheu und auch große Zuversicht und in seinen Augen stand die Erwartung: nehmt ihr uns jetzt mit?

Auf dem Vorbereitungsseminar war uns gesagt worden, dass die Kinder zumeist ein Gedicht oder Lied vortragen werden. Ich wartete also einen Augenblick – singen sie jetzt? Anscheinend nicht. Also breitete ich meine Arme aus und sagte „Kinder kommt“. Und Marija rannte los in meine Arme und einen Wimpernschlag später rannte Andrey und dann hielt ich beide Kinder in den Armen und umarmte sie und dann umarmte Hans uns drei. Ich heulte Rotz und Wasser. Die Kinder hatten uns in diesem Augenblick adoptiert.

Hans hatte für jedes Kind ein Ei aus Vollgummi dabei, sah aus wie ein echtes Hühnerei.
Hans übergab es Andrey, ließ es aber dabei - scheinbar versehentlich – fallen. Das Ei hopste kreuz und quer und das Staunen und der Jubel bei den Kindern war groß, ganz besonders, weil Marija auch gleich ihr eigenes Gummi-Ei bekam. Andrey führte uns gleich vor, wie toll er mit dem Ei köpfen konnte und forderte dann seinen Papa auf, mit ihm zu spielen.

Dann tollten die Kinder mit uns durch das Spielzimmer und den Garten. Die Kinder führten uns alle Spielsachen im Spielzimmer vor, erklommen im Garten jedes Spielgerät. Andrey kletterte auf Bäume und zeigte uns, wie schnell er Mama und Marija auf dem kleinen Karussell drehen kann. Und er führte Fußball-Kunststückchen vor. Beide hielten uns ganz schön auf Trab. Wir hatten kaum Zeit mit der Ärztin zu sprechen, die uns versicherte, dass die Kinder gesund seien. Die Unterhaltung mit einer Erzieherin übernahm die Übersetzerin, die uns später auf der Rückfahrt informierte.

Zwischendurch wurden auch noch die Geschenke ausgepackt. Die Memory-Spiele wurden kurz betrachtet und wieder in die Schachteln zurück gelegt. Die Kinder kannten das Spiel nicht und wären auch zu aufgeregt gewesen, um es zu spielen. Die Knetmasse wurde kurz angeknetet und dann zur Seite gelegt. Etwas interessanter waren das Schulheft und die Buntstifte für jedes Kind, im Heft ein Foto von uns und Flugzeugbilder.

Natürlich fragte uns Andrey auch, ob wir ihn jetzt mitnehmen nach Deutschland. Wir mussten ihm leider sagen, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis alle Dokumente für ihre Reise da seien, wir sie aber bei unserem nächsten Besuch abholen würden.

Später wurde mir klar, dass sich unsere Kinder mächtig angestrengt hatten um uns zu zeigen, was für prima Kinder wir mit ihnen bekommen.

Ich glaube, Andrey spürte oder es war ihm sogar bewusst, dass wir die Chance auf Familie, auf Eltern und auf das Verlassen des Heims waren.

Zum Abschied erbat Andrey sich jeweils etwas Persönliches von uns. Hans Umhängetasche hatte es ihm angetan, ebenso mein Schlüsselanhänger. Wir gaben ihm beides.

Abends bestätigten wir bei unserer russischen Adoptionsvermittlerin schriftlich, dass wir Andrey und Marija adoptieren werden.

Am nächsten Tag durften wir unsere Kinder vor unserem Heimflug nochmals für zwei Stunden sehen.
(Bis zur zweiten Reise und dem Adoptionstermin vergingen dann noch 4 Monate.)

Tipps und Empfehlungen für die erste Reise und das Kennenlernen:

  • Für den Besuch beim russischen Jugendamt ist auf den Dresscode achten, also Anzug, Hemd und Krawatte bzw. Kostüm oder entsprechende DOB. In Russland bezeugt man damit seinen Respekt vor dem Amtsträger – das wird von Adoptionsbewerbern erwartet.
  • Für die Kontaktaufnahme mit einem älteren Kind Aktionsspielzeug mitnehmen. Das Gummi-Ei war eine gute Idee (auch Frisbi-Scheibe, Hüpfball o. ä. ist geeignet). Kein teures Spielzeug, denn es ist nicht sicher, dass das Kind das Spielzeug lange hat. Auch Spielsachen, die eine große Aufmerksamkeit erfordern, sind nicht geeignet.
  • Etwas Persönliches in Benutzung haben, was man dem Kind überlassen kann. (z. B. Kappe, Umhängetasche, Schlüsselanhänger, Haarbürste ...)
  • Die Anschrift des Kinderheims am besten elektronisch geben lassen, damit man Briefumschläge adressieren und dem Kind während der Wartezeit bis zur Abholung Post schicken kann.
  • Es ist auch einen Versuch wert, adressierte und mit russischen Marken frankierte Briefumschläge mitzubringen. Vielleicht darf das Kind Bilder malen und sie herschicken.

Die Wartezeit

Welch eine Freude, wir hatten nun unsere Kinder kennen gelernt, zwei muntere kleine Wesen, ein hübscher „großer“ Junge von 8 Jahren und ein süßes kleines Mädchen von gut 4 einhalb Jahren.

Es war Ende August. Wir befanden uns auf der Rückreise, jedoch stand uns eine lange Wartezeit auf den Adoptionstermin bevor. Wie lange, nämlich 4 Monate, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Unsere Adoptionsunterlagen in Russland waren eingegangen und bearbeitet worden, bevor eine schreckliche Nachricht weitere Adoptionsvorhaben vorerst auf Eis legte. Ein Adoptivkind aus der Region Krasnodar war von seinen amerikanischen Adoptiveltern erschlagen worden.

Auf der Flugstrecke Moskau – Frankfurt waren bei mir alle Schleusen geöffnet. Ich heulte!
Aus Freude über die Kinder, aus Stolz, dass wir trotz aller vorangegangenen Schwierigkeiten so weit gekommen waren ... Ich weinte über die vielen Jahre der Sehnsucht nach Kindern ... über die Demütigungen, die ich bei unserem Spießrutenlauf durch die Behörden empfunden hatte...

Wir hatten noch ein paar Tage Urlaub, in denen wir unterwegs waren. Lieber hätte ich zu Hause schon begonnen, das Kinderzimmer zu gestalten. Auch auf unserer Reise hatten wir nur ein Thema: unsere Kinder.

Endlich zu Hause war in unserer Freizeit das Kinderzimmer unser Betätigungsfeld.
In unserem Haus haben wir viel Platz – allerdings verteilt auf zwei Stockwerke. Hätten wir von Anfang an für jedes Kind ein eigenes Zimmer vorgesehen, so hätte ein Kind in einem anderen Stockwerk schlafen müssen. Das erschien uns für die Eingewöhnungszeit nicht sinnvoll, wir gestalteten also ein gemeinsames Kinderzimmer für beide, direkt neben unserem Schlafzimmer gelegen. Es sollte sich zeigen, dass dies eine gute Entscheidung war – Andrey hält es bis heute nicht aus, mehr als 10 Minuten allein in einem Zimmer liegen zu müssen.

Nach 14 Tagen erbat ich von unserer russischen Adoptionsbetreuerin die Anschrift des Kinderheims in elektronischer Form. Von einem Kollegen ließ ich ein kleines Briefchen an die Kinder übersetzen, aufmunternde Worte zum Geduld haben und Durchhalten und die Zusicherung, dass wir sie ganz bestimmt abholen werden. Dann schickte ich jeden 2. Tag ein Briefchen – zwar immer mit demselben Text, aber jedes mal waren neue Bilder beigefügt.

Wie nett wäre es gewesen, wenn wir aus Russland Briefmarken mitgebracht hätten. Dann hätten wir unseren Briefen einen frankierten und adressierten Rückumschlag beigelegt. Vielleicht hätten die Kinder uns dann auch Bilder geschickt. Einen Versuch wäre es Wert gewesen.

Im September meldete ich Marija zum (Halbtags-) Kindergarten und Andrey zur Schule an.
Noch war ich optimistisch – Marija sollte im November beginnen, Andrey nach den Herbstferien im Oktober in die erste Klasse gehen.

Mit der Schulleiterin war vereinbart, dass wir Andrey in den ersten Wochen seines Schulstarts jemanden zur Seite stellen, der übersetzen kann.

Ich habe einige Tage grübeln und im Internet surfen müssen, bis ich hierzu die passende Idee hatte. Bei uns in der Stadt gibt es die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Über diesen Kontakt lernten wir nach der Heimkehr mit unseren Kindern eine ganz liebe junge Frau kennen, die in Deutschland Germanistik studierte, in der Ukraine bereits ein Lehramtsstudium abgeschlossen und als Au-pair-Mädchen auch Erfahrung im Umgang mit Kindern gesammelt hatte. Ein Glückstreffer!

Uns war klar, dass unsere Adoptionsbetreuerin auf die Dauer der Wartezeit keinen Einfluss nehmen konnte, daher hielten wir uns zurück, fragten nur selten nach, ob es etwas Neues gäbe. Für die Abholung der Kinder hatten wir unseren restlichen Urlaub aufgespart.

Im November fragte ich bei unsere Adoptionsbetreuerin nach, ob wir Marija zu ihrem 5. Geburtstag im Dezember im Kinderheim besuchen dürften. Wir bekamen positive Rückmeldung und sie fragte sogar nach, ob wir auf unser Risiko unsere Reise so planen wollten, also läge zu diesem Zeitpunkt die Freigabe vor und der Adoptionstermin sei angesetzt. Natürlich wollten wir dieses Risiko eingehen und reservierten für den Rückflug bereits auch Plätze für die Kinder. Ebenso wurde der Flug Krasnodar-Moskau-Krasnodar bereits reserviert.

Und siehe da, das kleine Wunder geschah – eine Woche vor unserem Abflug kam der Bescheid, dass die Freigabe erteilt sei und dass für uns der Gerichtstermin am Geburtstag unserer Tochter vereinbart sei.

Übrigens, bei der Gerichtsverhandlung wurde es sehr wohlwollend aufgenommen, dass wir schon während der Wartezeit uns liebevoll um die Kinder gekümmert hatten, allein durch unsere Briefe.

Tipps und Empfehlungen für das Warten auf ältere Kinder:

  • Die Anschrift des Kinderheims am besten elektronisch geben lassen, damit man Briefumschläge adressieren und dem Kind während der Wartezeit bis zur Abholung Post schicken kann.
  • Es ist auch einen Versuch wert, adressierte und mit russischen Marken frankierte Briefumschläge mitzubringen. Vielleicht darf das Kind Bilder malen und sie herschicken.
  • Bei Geschwistern ist es durchaus sinnvoll, dass die Kinder in der Eingewöhnungszeit (ca. ein Jahr) ein gemeinsames Zimmer haben. Gerade in der ersten Zeit in der neuen fremden Umgebung hilft es den Kindern, den vertrauten Menschen in der Nähe zu haben.
  • Frühzeitig Kontakt zu Kindergarten / Schule aufnehmen.
  • Eine sprachkundige Vertrauensperson suchen. Sie hilft, über die Startschwierigkeiten in der Familie und in der Schule leichter hinweg zu kommen.
  • Versicherungsschutz überprüfen: spätestens jetzt eine Privathaftpflichtversicherung abschließen und evtl. auch prüfen, ob eine Glasbruchversicherung im Rahmen der Hausratversicherung wirtschaftlich sinnvoll ist.
  • Nichts auf später verschieben im Glauben, dass man nach Ankunft der Kinder dafür Zeit hätte.

Sind die Kinder erst da, hat man dafür keine Zeit, auch wenn man nicht berufstätig ist.
Also, wenn die Küche mal wieder einen Anstrich bräuchte, oder ein Stapel Unterlagen abgelegt werden müsste, erledige das in der Wartezeit. Danach ist dafür lange Zeit keine Zeit.

Die erste Woche als Familie

Vorbemerkung

Ein aufregendes Jahr liegt hinter uns, in dem unsere Familie prima zusammengewachsen ist. Wir sind "alte" Eltern mit "älteren" Kindern. Unsere Kinder Marija (geb. 2000) und Andrey (geb. 1997) sind beide putzmunter und sehr lebhaft. Beide sind gesund. Sie hatten und haben (wie nicht anders erwartet) Entwicklungsdefizite, die sie jedoch in großen Schritten aufholen. Bei Marija sieht man das auch äußerlich, sie ist in einem Jahr 13 cm(!) gewachsen.

Marija ist eine Schönheit mit dunklem langem Haar, türkisblauen Augen, einer rauchig-dunklen Stimme, zu allermeist vergnügt und mit einem ausgeprägten eigenen Willen ausgestattet (man könnte das auch Dickkopf nennen ;-)). Sie hat viele Freundinnen, geht gerne in den Kindergarten, springt schon vom 3-Meter-Brett und kommt in diesem Jahr in die Schule.

Andrey ist ein hübscher Junge, dunkelblond und blauäugig, er ist Schlawiner und Charmeur zugleich. Mädchen interessieren sich bereits für ihn – und er sich für Mädchen. Andrey stieg mitten ins erste Schuljahr ein und besucht mittlerweile die 2. Klasse. Er geht gerne in die Schule, wenn ihm auch der Lehrstoff durchaus zu schaffen macht. In Sport wird er von seinen Klassenkameraden bewundert – wegen seiner Verwegenheit, Geschicklichkeit und Kraft. Sprung vom 3-Meter-Brett? Abgehakt! Wo ist das 5-Meter-Brett?

Beide haben in diesem einen Jahr unseres Zusammenseins Enormes geleistet.

Bereits im Verlaufe des 4. Monats waren wir auf dem Wege zu einem harmonischen Zusammenleben. Seit Sommer betrachte ich uns als normale Familie. Mittlerweile ist unser Familienleben so, wie ich es mir vor der Adoption immer erträumt habe. Unser Zusammenleben läuft schon so weit reibungslos, dass ich mir die Zeit nehmen kann, Erlebnisse mit unseren Kindern aufzuschreiben und Beiträge ins Forum einzustellen. Das war nicht immer so.

Unsere Entscheidung, zwei ältere Geschwisterkinder zu adoptieren, haben wir nie bereut (auch nicht in der heißen Phase der ersten beiden Monate).

Die Adoption

Es ist Samstag, wir befinden uns auf dem Direktflug Frankfurt-Krasnodar, sind beladen mit riesigem Übergepäck. Darin befinden sich nicht nur die Grundausstattung unserer Kinder für eine Woche sondern 16 Ausgehkleidchen für kleine Mädchen, Spitzenstrumpfhosen und was man sonst noch so braucht, um kleine Madamchen „fein“ zu machen. Das Kinderheim hatte sich ausdrücklich Ausgehkleider für kulturelle Veranstaltungen gewünscht und ich habe mich sehr bemüht, etwas dem russischen Geschmack Entsprechendes zu finden.

Noch dabei: zwei Tickets für die Kinder und die Tickets für Hans Flug nach Moskau zur deutschen Botschaft.

Am Flughafen werden wir schon von unserem Fahrer und unserer Adoptionsbetreuerin erwartet. Große Wiedersehensfreude! Auf der Fahrt ins Hotel erfahren wir Details zum Ablauf am Montag und werden auch für die Gerichtsverhandlung vorbereitet.

Sonntag ist frei, wir machen einen Stadtbummel.

Montag Vormittag werden wir abgeholt. Den Dresscode haben wir selbstverständlich eingehalten, sind ausstaffiert mit Anzug und Kostüm. Nochmals erzählt man uns, wie wir uns bei Gericht zu verhalten haben. Dann findet endlich unsere Verhandlung statt. Alles verläuft glatt. Wir sind erleichtert und glücklich – nach Dokumentenlage sind wir nun Eltern.

Mit den Adoptionsdokumenten und der Geburtsurkunde geht es für Hans gleich weiter zur Passstelle. Ein kleines Wunder wird in Auftrag gegeben: die Kinderpässe sollen am Mittwoch fertig sein.

Wir werden nochmals ins Hotel gebracht, dürfen uns umziehen und alles für die Fahrt zum Kinderheim zusammen packen. Und endlich, endlich ist es so weit: wir fahren ins Kinderheim! Die Heimleiterin erhält ein Dokument, dass uns die Kinder übergeben werden dürfen und nun sind nur noch wenige Minuten zu warten.

Wir stehen am Fenster und schauen in die Dämmerung hinaus. Endlich sehen wir eine Frau mit zwei Kindern kommen. Welch ein Jubel bricht aus! Mama kullern – schon wieder – die Tränen.
Andrey hat sich die Tasche umgehängt, die er bei unserem Kennenlernen seinem Papa abgebettelt hat. Darin die Briefe, die wir den beiden in der Wartezeit geschrieben haben.

Lachend und jauchzend packen die Kinder ihre neuen Kleider aus und ruck zuck haben sie die Sachen aus dem Kinderheim ausgezogen und mit ihnen das alte Leben abgestreift. Nur zum Wechseln der Unterwäsche verziehen sich beide in eine verschwiegene Ecke. Dann schnell die neuen Sachen angezogen und das neue Leben kann beginnen.

Die Heimleiterin drückt die beiden noch mal an ihr Herz – und los geht es. Kein Blick mehr zurück.

Draußen wartet der Fahrer und verstaut uns Adoptiveltern, die Übersetzerin und unsere beiden Kinder im Auto. Auf der Fahrt schauen beide Kinder still aus dem Fenster.

Es ist Montag, der 19.12.2005, Marijas Geburtstag.

Worauf wurden wir im Vorbereitungsseminar auf die Zeit nach der Ankunft der Kinder in ihrer neuen Familie vorbereitet?

Zur Erinnerung!
Phase 1: Das Kind ist angepasst, sehr zurückhaltend, will nichts „falsch“ machen.
Phase 2: Die neuen Eltern werden „ausgetestet“, die Kinder wollen feststellen, ob die Eltern auch zu ihnen halten, wenn sie sich nicht vorbildlich benehmen.

Um es vorweg zu nehmen – Andrey und Marija haben Phase 1 schlichtweg gestrichen!

Eine Woche im Hotel „Prestige“ in Krasnodar – Chaos pur

Wir sind in einem gemütlichen, etwas „plüschigem“ Hotel untergebracht. Die ganze Familie übernachtet in einem Zimmer, die Kinder schlafen auf dem ausgeklappten Sofa.

Wir kommen zur Abendessenszeit im Hotel an. Wir zeigen den Kindern das Zimmer und ich schnappe mir zwei kleine Geschenke und eine Kerze in Form einer Fünf, dann gehen wir ins Restaurant mit den pompös gedeckten Tischen. Wir feiern heute Abend Marijas 5. Geburtstag mit Kerzchen.

Etwas Zurückhaltung bei Tisch hätte ich mir von den beiden Kindern schon gewünscht und auch mehr Umsicht beim Personal. Eine diskrete Reduzierung der Tischdekoration wäre sinnvoll gewesen. Leider konnten wir uns nicht verständlich machen – nicht auf Deutsch und nicht auf Englisch. Nach unserem Abendessen sah der Tisch jedenfalls aus wie ein Schlachtfeld – verfleckte Tischdecke, umgestoßene Gläser, ausgeschüttete Pfefferstreuer und abgeleckte und ausgelutsche Salzstreuer ... Peinlich berührt schnappten wir die Kinder und verließen fluchtartig das Restaurant.

Auch morgens – leider – wieder aufwendig gedeckte Tische ...

Mittag- und Abendessen nahmen wir nun immer auf dem Couchtisch im Zimmer ein. Auch hier aßen die Kinder wie die Schweinchen, aber das war uns nicht mehr peinlich. Mit jeden Tellerchen, das leer gegessen war und mit jedem leer getrunkenen Glas rannten die Kinder los in die Hotelküche. Sie aufzuhalten gelang uns nicht, zumindest einer von beiden entwischte immer.

Abends im Zimmer – reinster Terror. Marija fand Lichtschalter toll – ein, aus, ein, aus ... wenn nicht das Deckenlicht, dann die Stehlampe oder die Beleuchtung im Bad. Und das Telefon ... prima, wie sich die Knöpfe drücken ließen ... Derweil hatte Andrey sich zum Herrn der Fernsehfernsteuerung ernannt. Wenn wir ihm die wegnehmen wollten brach Gebrüll aus: „multik, muuultik ...“ (Zeichentrickfilm) ertönte es im Chor oder im Kanon. Entnervt gaben wir bald auf. Die Kinder konnten und wollten uns nicht verstehen – und umgekehrt.

Das Einschlafen war ein besonderes Kapitel. Toben bis zur Erschöpfung – Erschöpfung bei uns Eltern, die Kinder hatten viel mehr Ausdauer. Bis weit nach Mitternacht war noch nicht an Schlaf zu denken. Gegen 2 Uhr nachts fing es an zu schneien. Bald reflektierte die Außenbeleuchtung vor dem Fenster die Helligkeit des Schnees. Wir waren noch nicht eingeschlafen, da war Andrey schon ganz aufgeregt, zeigte nach draußen und sagte „utra“. Er glaubte, es sei Morgen / Tagesanbruch. Er ließ nun nicht locker, wollte sich anziehen und ließ sich durch uns nicht beirren. Schließlich beschlossen wir, den Kindern zu zeigen, dass es noch nicht Tagesanbruch war. Wir zogen uns alle an und gingen mit den Kindern nach draußen. Wir wanderten mit ihnen einmal um den Häuserblock. Kein Mensch, kein Auto auf der Straße, die Häuser dunkel. Irgendwo bellte ein Hund. Jetzt gingen die Kinder eng an unserer Seite. Schneeflocken rieselten auf uns nieder ... Zurück im Hotel fanden wir endlich ein paar Stunden Schlaf.

Der abendliche Terror wiederholte sich regelmäßig.

Es war uns auch nicht gelungen, die Kinder von der Minibar fernzuhalten. Alle Fläschchen waren geöffnet, wenn auch glücklicherweise nicht alle ausgetrunken. Wann sie das gemacht haben, war mir allerdings ein Rätsel.

Tagsüber war ich mit den Kindern immer draußen. Es hatte geschneit und so ließ sich draußen gut toben und wir kamen recht gut miteinander aus. Hans war oft mit der Übersetzerin unterwegs, sodass ich mit den Kindern allein war.

Andrey hat mir recht bald zu verstehen gegeben, dass er gut auf sich aufpasst. An Straßenübergängen wollte ich immer beide Kinder an der Hand nehmen. Andrey ließ das nicht zu, zeigte mir mit einer Geste, ich solle mich nicht aufregen, er sei vorsichtig.

Mittwoch erhalten wir die Kinderpässe. Donnerstag Mittag fliegt Hans nach Moskau, um gleich am Freitag Morgen wegen der Visa für die Kinder auf dem deutschen Konsulat zu sein. Die Übersetzerin hat das den Kindern wohl gut erklärt.

Donnerstag schlafen die Kinder mit mir zusammen in Papas Bett. Wir kuscheln.
Wir erwarten Papa am frühen Abend des Freitag zurück, denn Samstag geht der Direktflug zurück nach Deutschland.

Beim Abendessen am Freitag streicht Marija ihrem Papa jedenfalls ein Stück Brot ganz dick mit Butter und stellt den Teller für Papa auf das Fensterbrett. Sie hütet diesen Teller wie ihren Augapfel.
Wegen des starken Schneefalls wurde Hans Rückflug am Nachmittag gestrichen. Aber wir haben Glück, es gibt noch eine Maschine am späten Abend und weit nach Mitternacht ist Hans mit den Visa wieder zurück im Hotel. Ihm bleiben noch wenige Stunden Schlaf.

Papas Butterbrot weist nun deutlich tiefe Rillen auf – Marija schmeckte die Butter wohl doch zu gut.

Samstag Morgen beginnt unsere Rückreise. Auf bewährte Weise werden wir wieder zum Flughafen begleitet und prima unterstützt. Großer Abschied von unserem zuverlässigen Fahrer und unserer Übersetzerin.

Bei der Zollabfertigung gibt es noch einen Zwischenfall: der Zöllner will die Dokumente der Kinder sehen, will sicherstellen, dass alles Rechtens ist. Das ist sicher ein legitimes Vorgehen, aber meine Nerven liegen blank, ich habe Angst um meine Kinder. Und wieder rollen Tränen ...

Hans legt den ganzen Berg Dokumente vor – alles ist in Ordnung. Wir dürfen durch.
Die Kinder sind aufmerksam und verhalten sich unauffällig.

Im Flugzeug gibt es nur ein bisschen Theater, Marija will sich nicht anschnallen lassen.
Ansonsten sind die Kinder während des Flugs ruhig und artig.

Wir landen pünktlich in Frankfurt. Klaus, mein stets hilfsbereiter Bruder, erwartet uns und begrüßt die Kinder auf russisch. Es ist Samstag, der 24.12.2005, Heilig Abend.

Tipps und Empfehlungen für die Woche im Hotel:

Die Übersetzerin bitten, im Hotel Anweisungen zu hinterlassen oder im Bedarfsfall die Übersetzerin mit dem Hotelmanager telefonieren lassen:

  • Minibar ausräumen lassen
  • Fernsteuerung für die Klimaanlage entfernen lassen
  • Dekorationsgegenstände aus dem Zimmer entfernen lassen
  • Um einen schlicht und kindgerecht gedeckten Tisch bitten
  • Ggf. Fernseher aus dem Zimmer entfernen lassen

Die folgenden Wochen - ein hartes Kontrastprogramm

Um das wesentliche vorweg zu nehmen:

1. Da muss man durch!
Die knallharte Phase dauerte etwa 3 Monate (bis März 2006), danach ging es immer weiter aufwärts!

2. Alles wird gut!
Nach etwa einem halben Jahr zeichnete sich schon deutlich ab, dass unsere Familienleben sich so entwickeln würde, wie ich es mir immer erträumt hatte. Nach einem Jahr kann ich es guten Gewissens bestätigen.

Erkenntnisse der Adoptionsforschung - real erlebt

Aus der Adoptionsforschung wussten wir, mit welchen Verhaltensauffälligkeiten wir zu rechnen hatten – und vieles traf zu: Aggressivität bei Andrey und Trotz bei Marija, Schlafstörungen, Geschwisterrivalität, Distanzlosigkeit.

Am meisten zu schaffen machte uns anfangs Andreys Aggressivität. Im nachhinein betrachtet, hatte sie immer einen Grund und beruhte zumeist auf der Tatsache, dass wir uns nicht verständigen konnten. Manchmal brauchte ich Tage, um eine Erklärung für sein Verhalten zu finden, manchmal begriff ich erst viele Monate später ...

Ein kleines Beispiel:

die Betten der Kinder waren mit neuer Bettwäsche bezogen worden. Abends wurde gebadet und es ergab sich, dass auch die Unterwäsche frisch aus der Verpackung kam. Der Schlafanzug, den Andrey anziehen sollte, war zwar frisch gewaschen, hatte aber bereits die ersten Wochen der Benutzung hinter sich. Den wollte Andrey nicht anziehen, er durchwühlte den Wäscheschrank. Ich wollte ihn daran hindern, wollte, dass er den vorgelegten sauberen Schlafanzug nahm. Aber nein, Andrey suchte und wühlte weiter. Ich wurde ärgerlich, er wurde ärgerlich. Er fand dann eine Verpackung mit langer Skiunterwäsche, die er sofort aufriss. Ich wollte ihm erklären, dass das kein Schlafanzug sei. Es half nichts, Andrey wurde wütend und randalierte, als ich ihm die Skiunterwäsche wegnehmen wollte. Er setzte sich durch und zog also auch noch die neue Skiunterwäsche an. Zwei Tage später begriff ich: nagelneue Bettwäsche, nagelneue Unterwäsche, da gehörte für ihn einfach auch ein nagelneuer Schlafanzug dazu.

Hier eine weitere „Kostprobe“ aus unserem Kindertagebuch: 24.01.2006

Mama will ihr Auto zur Werkstatt bringen - TÜV ist fällig. Klaus soll sie abholen und Papa Marija zum Kindergarten bringen.

Andrey soll allein zur Schule gehen - macht er auch, aber viel zu früh - 7:30 Uhr. Hilft nicht, ihm das zu sagen, er haut ab. Ein paar Minuten später klingelt es, Andrey zuckt mit den Schultern: „noch zu“. Klaus geht raus, lässt sein Auto an und kratzt das Eis von den Scheiben. Andrey, erfreut über die Abwechslung, folgt ihm, macht die Türen auf, drückt die Knöpfe runter und macht die Tür wieder zu. Klaus schreit NEIN aber Andrey lässt sich nicht stören. Klaus hat die Scheiben frei gekratzt, steht vor dem Auto und kommt nicht mehr rein. Schlüssel steckt, Motor läuft, Zweitschlüssel im Handschuhfach. Klaus verfolgt wütend Andrey und kündigt an, ihm eine zu scheuern. Andrey, entsetzt von dem sonst so freundlichen Klaus und der vorwurfsvollen Reaktion von Mama und Papa, wirft sich in der Garageneinfahrt zu Boden und schmollt. Mama will rausfahren - Andrey liegt und macht sich besonders schwer. Papa schleift ihn mit Gewalt aus dem Weg. Mama fährt zur Werkstatt, Papa bringt Marija zum Kindergarten und Andrey stolpert beleidigt zur Schule. Papa folgt zur Schule - Marija hat sich verabschiedet. Die Schultür ist noch zu, aber Galina wartet schon. Galina wird Andrey in der Pause erklären, warum der sonst so geduldige Klaus heute ausgerastet ist.

Der ADAC erscheint nach 45 Minuten und knackt das Auto in einer Minute.

Abends: Andrey macht sich im Bett von Mama breit und singt mit ihr Gutenachtlieder. Marija wird massiv mit Tritten verjagt.

Ganz schlimm war das Schlafengehen. Wir Eltern hatten uns vorgestellt, die Kinder um 20 Uhr zu Bett zu bringen und dann noch ein wenig Zeit für uns zu haben. Davon waren wir viele Monate weit entfernt. Die Kinder hatten uns schon bald so weit, dass wir um 20 Uhr in Schlafanzügen unterwegs waren um die Kinder zum Schlafen zu animieren. Beide prügelten sich darum, bei wem sich Mama ins Bett mit dazu legen musste, Papa war als „zweitbeste Lösung“ allenfalls geduldet. Meine Erklärung, dass ich zwei Seiten hätte, an die sich je ein Kind ankuscheln konnte, akzeptierten sie nicht, versuchten, sich gegenseitig mit Tritten zu vertreiben. Jeder wollte Mama für sich allein haben. Ich sang Schlaflieder bis ich heiser war – jeden Abend. Mit viel Glück und dem vollem Unterhaltungsprogramm schliefen die Kinder gegen 21:30 Uhr, oft auch erst gegen 23:00 Uhr.

Tagsüber hatten wir überwiegend viel Spaß miteinander. Seit vielen Jahren hatte sich in unserer Region endlich wieder nennenswert viel Schnee eingestellt, also war ich mit den Kindern öfters beim Schlittenfahren, was uns allen viel Freude bereitete. Auch die Hallenbäder der Region lernten wir in den ersten Wochen gründlich kennen. Und bei fast jedem Wetter spielten die Kinder draußen.

Unverzichtbar – unsere Übersetzerin

Nach den Weihnachtsfeiertagen kam Galina, unsere Übersetzerin, ein rettender Engel! Galina hatte in der Ukraine ein Lehramtsstudium abgeschlossen, kam als Au-pair nach Deutschland und hat dann Germanistik studiert. Welch ein Glücksfall! Den Kontakt zu Galina hatte uns die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland vermittelt.

Sie übersetzte in akuten Erziehungssituationen, begleitete uns zu Ärzten, brachte den Kindern die ersten deutschen Redewendungen bei, übte mit Andrey die deutschen Zahlen.

Sie begleitete Andrey in den ersten Wochen zum Unterricht., saß auf einem kleinen Stühlchen neben ihm und übersetzte und erläuterte und machte nachmittags mit ihm auch die Hausaufgaben. Mittlerweile ist Galina eine gute Freundin der Familie geworden.

Kindergarten ...

Marija durfte und musste mit weniger Unterstützung zurecht kommen. Bereits Anfang Januar 2006 brachte ich sie in den Kindergarten. Es gefiel ihr dort von Anfang an gut und sie fand sich schnell zurecht. Uns machte es Spaß, morgens ein vergnügtes Mädchen in der Kindergarten zu bringen, das sich mittags freute, uns wiederzusehen.

Andrey war äußerst beunruhigt, dass wir seine Schwester in den Kindergarten brachten und er noch zu Hause bleiben sollte, weil er erst Mitte Januar eingeschult werden sollte. Immer wieder fragte er nach ihr, bis ich mit ihm zum Kindergarten ging, ihn durchs Fenster schauen ließ und er sich davon überzeugen konnte, dass alles in Ordnung war.

Einige Monate später erzählte uns Andrey, dass er als älteres Kind im Kinderheim sich um zwei jüngere Kinder zu kümmern hatte, um seine Schwester und um einen anderen kleinen Jungen. Die Älteren mussten für die Jüngeren das Bett machen und ihnen beim Waschen und beim Anziehen helfen. Andere Adoptiveltern haben uns bestätigt, dass ältere Kinder in den Kinderheimen diese Aufgaben übertragen bekommen.

Marija fand im Kindergarten recht schnell Freundinnen und Freunde, wird gerne zum Spielen und zu Geburtstagen eingeladen und die Freundinnen kommen auch gerne zu uns auf Besuch.

... und Schule

Andrey tat sich mit der Schule deutlich schwerer. Er stieg nach den Weihnachtsferien mitten in das laufende erste Schuljahr ein. Die Schule erwartete, dass Andrey vor seinem Schulstart die Zahlen bis 10 verstehen und schreiben lernen sollte. Das haben wir mit Galina geübt. Ich wollte ihm einige Tage vor seinem ersten Schultag die Schule von innen zeigen, aber Andrey weigerte sich, den Schulhof zu betreten. Gutes Zureden bewirkte nur, dass er schließlich weinend davon rannte. Er weinte, weil ihm bewusst war, dass er niemanden verstehen und von niemandem verstanden würde. Galina half ihm über diese erste schwere Zeit gut hinweg.

In den ersten Wochen kam Andrey so erschöpft aus der Schule nach Hause, dass er gleich nach dem Mittagessen einschlief und wir mit den Hausaufgaben erst gegen Abend beginnen konnten.
Von den Klassenkameraden wurde er in den ersten Wochen ignoriert. Es dauerte drei Monate, bis die erste Verabredung zum nachmittäglichen Spielen kam.

Ab April, nach vier Monaten also, wollte Andrey auch mit Galina nur noch Deutsch sprechen.

Andrey kann dem Schulunterricht mittlerweile recht gut folgen. Die ersten Tests, bei denen es erstmals richtige Schulnoten gab, wurden mit 3 benotet. Dafür haben wir aber auch fleißig geübt! Auch an seiner Konzentrationsfähigkeit müssen wir noch arbeiten.

Aufholjagd in Riesenschritten

Wie angekündigt und nicht anders erwartet, hatten beide Kinder Entwicklungsdefizite. Besonders augenfällig war die geringe Aufmerksamkeitsspanne. Die Konzentrationsfähigkeit haben wir bei beiden schon gut steigern können, aber im Vergleich zu Gleichaltrigen besteht noch Nachholbedarf.

Einen Tag vor ihrem 6. Geburtstag konnte Marija plötzlich ihren Namen schreiben, zuvor hatte sie am Üben noch kein Interesse gezeigt. Wenige Wochen zuvor fing sie an zu rechnen. Nach einigen ersten erfolgreichen Additionsaufgaben war sie selbst ganz erstaunt und kommentierte ihren Erfolg mit „cool!!! – Ich kann rechnen!“. Mittlerweile kann sie Zahlen bis 100 lesen und entdeckt überall die Buchstaben aus ihrem Namen. Um ihre Einschulung mache ich mir keine Sorgen.

Im ersten Jahr ist Marija 13 cm gewachsen – wahrscheinlich durch ihre selbst gewählte Spezialdiät: Würstchen, Eier und Obst!

Andrey isst von Anfang an ebenfalls mit großem Appetit und ich muss mir bereits Gedanken machen, wie ich ihn unauffällig bremsen kann, denn sein Körper setzt dies nicht in solchem Maße in Längenwachstum um wie Marijas.

Andreys Konzentrationsfähigkeit hat sich gesteigert, nicht zuletzt durch puzzeln, gemeinsames Spielen wie Memory, Mikado, Kartenspiele ... und sportliche Aktivitäten wie Trampolin springen, Fußball, Volleyball, Schwimmen.

Dennoch – bei Übungen in der Schule, wenn die Kinder Aufgaben selbstständig ausführen müssen, klinkt Andrey sich mitunter noch aus und löst nur einen kleinen Teil der Aufgaben – sehr zum Verdruss seiner Lehrer!

Vertrauen

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Die Osterferien verbrachten wir mit Wohnmobil an der Nordseeküste in Neuharlingersiel. Für die Kinder das reine Vergnügen: stets Kinder zum Spielen in der Nähe und Mama und Papa jederzeit greifbar. Besonders genossen sie die räumliche Nähe – einfach von einem Bett ins nächste klettern und schon ist man bei Mama und Papa!

Andrey fasste so viel Vertrauen zu uns, dass er uns von seinem älteren Bruder Michail erzählte.
Sein Ausspruch: „Ihr habt vergessen, Michail aus Russland mitzunehmen“ und „gute Idee, schreibt Brief nach Russland, Michail soll kommen“ ging uns unter die Haut.

Aber das, unser Bemühen um die Adoption des leiblichen älteren Bruders unserer Kinder, ist eine eigene Geschichte, deren Ausgang noch völlig ungewiss ist.

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Tiefergehende Information

Adoption aus Russland

Russland ist ja bekannt für´s Trinken, viele deutsche Ehepaare adoptieren Kinder aus Russland, sind voller Freude über den Nachwuchs. Leider werden viele davon später enttäuscht, wenn es klar wird, dass ihr Kind doch nicht gesund ist, sondern an FAS leidet. Ein Artikel von Ann Gibson
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Selbsthilfe von Eltern ausländischer Adoptivkinder

Eltern, die ein Kind aus dem Ausland adoptiert haben, sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, die sie - auf sich allein gestellt - oft nur schwer bewältigen können.
Hinweis

Internationale Adoption aus Rumänien

Adoptiveltern berichten auf einer sehr informativen eigenen Webseite, welche Überlegungen sie angestellt und welche Schritte sie gegangen sind, um zwei Kinder aus Rumänien zu adoptieren.
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Das zentrale Dokument: Der Eignungsbericht

Das zentrale Dokument während des Bewerbungsverfahrens ist für die Adoptionsbewerber/innen der sogenannte Adoptionseignungsbericht. Er enthält die persönlichen Daten der Bewerber/innen, ihre persönlichen und familiären Umstände, ihren Gesundheitszustand, ihr soziales Umfeld und die Beweggründe für die Adoption.
Geänderte Rechtslage

Adoptionshilfegesetz

Am 1. April 2021 treten mit dem Gesetz zur Verbesserung der Hilfen für Familien bei Adoption (Adoptionshilfegesetz) wichtige Änderungen des Adoptionsvermittlungsgesetzes und des Adoptionswirkungsgesetzes in Kraft. Diese sind auch für die Adoption von Kindern aus dem Ausland von Bedeutung. Das gilt etwa, wenn Adoptiveltern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland ein Kind aus dem Ausland adoptieren möchten.
Hinweis

Informationen zu Fragen der Auslandsadoption

Das Bundesamt für Justiz nimmt neben anderen Aufgaben im internationalen Familienrecht auch die Funktion der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption wahr. Jetzt wurde auf der Webseite des Bundesamtes eine umfassende Zusammenstellung von Fragen, Rechtlichem und anderen Informationen zu allen Bereichen einer Auslandsadoptionen erstellt.