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Wie Hilfe ankommen kann - Fonds Sexueller Missbrauch
"Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein ganzes Leben lang aushalten".
Diesem Satz von Jean Paul, einem deutschen Dichter, kann man nur zustimmen, aber nicht jedes Kind bekommt solch eine existentielle Lebensgrundlage mit auf seinen Lebensweg.
So erging es dem heute 17 jährigen Marcel. Er lebte bis zum 8. Lebensjahr bei seiner Mutter und ihrem Lebenspartner, mit dem sie noch weitere Kinder bekam. Marcel wurde nach dem Unterricht in der 2.Klasse am Bahnhof durch aufmerksame Bürger aufgegriffen, als er von Zuhause flüchten wollte. Wohin war ihm nicht klar, bloß nicht wieder nach Hause. Das war sein Ziel. Er wurde in Obhut genommen.
Es gab Verdachtsmomente auf schwere Kindesmisshandlung, jedoch ein Täter wurde nie ermittelt. Auch der Verdacht auf sexuellen Missbrauch stand im Raum. Marcel war voller Ängste, Todesängste. Er gab sich die Schuld an allem, was geschehen war und nun weiterhin passierte und zeigte schwere neurotische Störungen. Nach dem Krankenhausaufenthalt kam er zu Pflegeeltern, die in der Kindererziehung erfahren waren. Während des Aufenthaltes in der Pflegefamilie befand er sich in ambulanter und stationärer therapeutischer Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort wurde der Verdacht des sexuellen Missbrauchs nochmals geäußert. In der Pflegefamilie zeichnete sich sein musikalisches Interesse ab. Irgendwann begann er mit dem Musizieren.
Vier Jahre lebte er bei den Pflegeeltern. In Zusammenhang mit der Aufnahme eines weiteren, jüngeren Pflegekindes nahm das Schicksal für Marcel wiederum eine negative Wendung. Mehr und mehr konnten und wollten die Pflegeeltern das Verhalten des Marcel, welches sie für sich als beängstigend empfanden, nicht mehr ertragen. Marcel beschrieb aus seiner Sicht, dass die Liebe zu ihm durch das neu aufgenommene, viel jüngere Pflegekind, verloren gegangen sei. Bis dahin hatte er in der Familie nichts vermisst. Er kam in ein Kinderheim. Der damalige Wechsel war eine weitere Katastophe in seinem Leben. Durch aufmerksame, ihm liebevoll zugewandte Menschen im Heim und in seinem Umfeld hat er es geschafft, sich auf seine neue Situation schweren Herzens einzulassen.
Die entscheidende Unterstützung kam jedoch vom Fonds Sexueller Missbrauch. Durch Zufall erfuhr ich, dass es diese hilfreiche Unterstützung mit Sitz in Berlin gab und gibt. Weil die Musik für Marcel Balsam für die Kinderseele war, lag es nahe, zu seiner Freude und damit insbesondere zu therapeutischen Zwecken, sein musikalisches Talent weiter zu fördern. Im Heim und im Jugendamt gab es dafür keine finanziellen Möglichkeiten. Die Bewilligung der Zuwendung aus dem Fonds hat Marcel "das Leben gerettet". Das kann ich heute mit gutem Gewissen sagen. Die Möglichkeit der Anschaffung des Musikinstrumentes, die Möglichkeit des regelmäßigen Unterrichtes bis er ein anerkanntes, sehr beliebtes Orchestermitglied werden konnte, war für seine Entwicklung sehr, sehr wertvoll. Durch die Musik, durch das gemeinsame Musizieren, durch individuelle Auftritte bei Veranstaltungen, fand er seine persönliche Therapie. Im Orchester wird großen Wert auf Rücksichtnahme und Wertschätzung gelegt. Alles was er auch brauchte, um die Vergangenheit zu verarbeiten und stark zu werden für die Zukunft. Marcel ist ein sehr interessierter junger Mann. Er hat persönliche und berufliche Ziele, an denen er festhält. In einigen Monaten wird er seine Wunschberufsausbildung beginnen. Vorher kann er seinen PKW-Führerschein erwerben, weil auch hierfür der Fonds für ihn die Kosten übernommen hat. Ohne die Mittel aus dem Fonds wäre dies alles nicht möglich gewesen.
Obwohl Marcel allen Grund hätte auf sich und seine Entwicklung stolz zu sein, ist er doch meistens sehr bescheiden, zögerlich und unsicher. Er benötigt immer wieder Zuspruch und Streicheleinheiten. Zu tief sitzen seine Verletzungen immer noch. Wahrscheinlich wird er nie ganz frei davon werden.
Schade, dass der Fonds in unserer Region so selten genutzt wird. Ich habe ein weiteres, nunmehr volljähriges Mädchen mit Mitteln aus dem Fonds zu einer speziellen Therapie verhelfen können. Die Antragstellung macht ein wenig Arbeit, aber die Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung, die der Fonds den Betroffenen eröffnet sind einmalig.
Natürlich müssen, neben der Bereitstellung der finanziellen Mittel, immer wieder auch Menschen da sein, die die Betroffenen aktiv unterstützen. Das kann ich im Fall des Marcel bestätigen. Aus diesem Grunde sagt er heute:" Das Heim und das Orchester sind sein Zuhause geworden". Das ist doch ein schöner Dank für die kleine Mühe der Antragstellung.
Ein Beistand von Marcel
Erläuterung der Redaktion:
Der Aktivverbund e.V. Pflegeeltern für Pflegekinder in Berlin berät bundesweit die Sorgeberechtigten von betroffenen Pflegekindern. Vormünder – Amts- Vereins- Berufs – und ehrenamtliche Einzelvormünder- können sich an den Aktivverbund wenden und sich beraten lassen, ob, wie und für welche Leistungen sie Anträge für ihr Mündel stellen können. Mögliche Beispiele : Reittherapie, Fahrkosten und Komplementärtherapien.
Zur Beratung rufen Sie bitte den Aktivverbund e.V. an. Die Nummer des Service-Telefons der Geschäftsstelle erfahren Sie auf dessen Webseite: