Sie sind hier
Pflegekinder verstehen - 3
Themen:
In dieser Rubrik beschreiben Pflegeeltern Verhaltensweisen ihrer Pflegekinder, welche sie nur 'verstehen' konnten, weil sie von den Lebensbedingungen des Kindes in der Herkunftsfamilie wussten.
Tim
Tim, 2 Jahre alt, wird vom Jugendamt aus dem I-Kindergarten in Obhut genommen und in einer Bereitschaftsfamilie untergebracht. Nach Klärung des Sorgerechts ( 2,5 Jahre später!), nach Umänderung unserer Bereitschaftspflegestelle in Dauerpflege und nach einem einjährigem Aufenthalt in einem Regelkindergarten sollte Tim nun in einen anderen integrativen Kindergarten. Als der Bus für ihn kommt, reagiert Tim panisch, klammert und bekommt Schreiattacken.
(Tim hat Angst, dass er nicht wieder zurück in die Pflegefamilie kommt. Er glaubt nicht, dass der Bus, der ihn abholen und nach Hause bringen soll, dies auch so macht. Er ist der Meinung, dass er wieder in einer anderen Stelle untergebracht werden soll. )
Es gelang uns, Tim zu bewegen, doch den Bus zu nehmen, und am Ende des ersten Tages und der glücklichen Rückkehr zu der Pflegefamilie war die Angst weg.
Mareike
Mareike ist 3 Monate alt als sie zu uns kommt. Sie schläft nur auf dem Arm ein und nur, wenn es absolut ruhig ist. Das kleinste Geräusch lässt sie aufschrecken. Dieses Verhalten änderte sich erst im Alter von 3 Jahren langsam.
(Mareike kommt aus einer Familie in der der Vater Trinker ist und laut und aggressiv brüllt.)
Louis
Louis, 8 Jahre alt, kann kein Geld in seinen Taschen ertragen. Es „brennt“ und er muss es ausgeben. Sind die Geschäfte geschlossen, passt das Taschengeld auch in den Kaugummiautomaten. Hauptsache es ist weg. Bekommt er nur Centbeträge bei seinen Einkäufen zurück, landet das Geld im Mülleimer weil „er das nicht mehr brauchen kann“.
(In Louis Herkunftsfamilie war das Geld am Anfang des Monats schon ausgegeben und die Mutter „bediente“ sich am Gesparten des Kindes.)
Sebastian
Sebastian 14 Jahre, verlässt das Haus nicht im Dunkeln. Wenn er im Dunkeln nach Hause muss, will er abgeholt oder begleitet werden.
(Sebastian hat als 6-7 jähriger regelmäßig gemeinsam mit seinem Vater TV- Sendungen wie „Aktenzeichen XY“ gesehen. Der Vater war der Ansicht, dass sein Sohn mit diesen Sendungen wichtige Bildungsimpulse erhält und „etwas lernen“ konnte. Sebastian wittert hinter jedem Strauch Mörder und Gangster.)
Marita
Marita 17 Jahre, schläft nur bei sehr heller Beleuchtung, schreckt bei jedem Geräusch schreiend auf.
(Marita wurde als 5jährige vom Vater sexuell missbraucht. Der Vater schlich sich im Schutz der Dunkelheit in ihr Zimmer.)
Nicole
Nicole, 15 Jahre alt, kann nur mit größter Überwindung, bestimmter Beleuchtung und Ausstattung des Bades, ohne jegliche Geräuschkulisse (Lüftung z.B. muss ausgeschaltet sein) und vertrauter „Wachperson“ vor der Tür die Toilette benutzen oder duschen.
(Nicole wurde bis zum Alter von 12 Jahren von ihrem Vater regelmäßig im Bad vergewaltigt.)
Sabrina
Sabrina 3 Jahre, setzt sich bei jedem Fremden sofort auf den Schoß, schmust und küsst denjenigen, hat keinerlei Berührungsängste.
(Sabrina wurde in der Herkunftsfamilie herumgereicht, jeder war für die Versorgung und Erziehung des Kindes zuständig, Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten, Nachbarn, Freunde usw.)
Gernot
Gernot 7 Jahre, gerät in Panik wenn sich eine Fliege im selben Raum wie er befindet. Dann rennt er schreiend und um sich schlagend weg.
(Gernot stammt aus einer Familie in der Lebensmittel nicht ordnungsgemäß gelagert wurden, sodass sich Schwärme von Fliegen darauf niederließen.)
Ramon
Ramon, 2,5 Jahre, zeigt demonstrativ sein Geschlechtsteil, kneift sich, uriniert, d.h. „markiert“ wie ein Hund mit wenigen Tropfen Urin, zeigt erfreut seinen aufgerichteten Penis, versucht die Pflegemutter zu einer Reaktion zu bewegen. Gleichzeitig zeigt er deutliche Angst beim Wickeln, Baden etc.
(Ramon hat in seiner Herkunftsfamilie sexuellen Missbrauch erlebt.)
Mike
Mike 14 Jahre, provoziert seine Umwelt mit drastischen sexuellen Anspielungen, sein Frauenbild ist negativ geprägt, seine Zukunftspläne spielen im Rotlichtmilieu, er will ein Bordell eröffnen, die Frauen dafür „besorgt“ er sich in Rumänien.
(Mike hat als 5-7 jähriger in seiner Herkunftsfamilie häufig Pornofilme angeschaut.)
Manuela
Als Einzelvormund lud ich Manuela, die in einer Wohngruppe lebte, öfter zu mir ein. Ich hatte mich immer gut vorbereitet und den Kühlschrank gefüllt. Ich konnte es jedoch nie richtig machen, immer quengelte Manuela an dem was ich gekauft hatte herum. Nachdem mir das zweimal passiert war, ging ich nicht mehr vorher einkaufen, sondern erst mit ihr zusammen, nachdem ich sie von der Wohngruppe abgeholt hatte. Wir kauften im Wesentlichen das Gleiche, was ich vorher allein auch gekauft hatte, aber nun war alles super und sie war an dem Wochenende äußerst zufrieden mit Essen und Trinken.
(Manuela lebte bevor ich ihr Vormund wurde in einer Pflegefamilie. Dort wurde sie sehr vernachlässigt und misshandelt. Sie fühlte sich dort so verwirrt und ausgeliefert, dass wir sie zuerst als geistig behindert ansahen, was sie nicht war. Nun wollte sie die Kontrolle über alles haben und es bedeutete für sie einen riesengroßen Unterschied zwischen einfach so hinnehmen, was ich gekauft hatte oder Sachen selbst ausgesucht zu haben oder mit mir darüber einig geworden zu sein.)