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05.10.2015
Erfahrungsbericht

Wie sehen eigentlich Läuse aus?

Erfahrungsbericht einer Pflegemutter nach der Aufnahme ihrer ersten Pflegekinder.

Der Beginn unseres Lebens mit Pflegekindern stellte alles bisher Dagewesene auf den Kopf. Der Begriff „Feierabend“ bekam eine völlig neue Bedeutung. Ja: Wir fingen innerlich an zu „feiern“, wenn alle Kinder schliefen. Ja, es war dann auch sicher später Abend, wenn alles Nötige erledigt war. Wir fielen dann todmüde und entkräftet ins Bett, um am nächsten Morgen noch völlig müde und mit nur wenig neuer Energie in den Tag zu starten. In dieser Zeit ist der Sonntag für uns immer eine willkommene Auszeit. Seit Beginn unserer Ehe ist das unser „Feiertag“. Vormittags findet mit der gesamten Familie der Kirchgang statt. Dann gibt es ein entspanntes gemeinsames Mittagsessen. Von der Küche aus findet jeder schnell seinen Weg ins eigene Zimmer zur Mittagspause. Das ist für mich die entspannendste Stunde der Woche! Auf dem Sofa liegend, wissend, dass alle Kinder gut versorgt und zufrieden ihre Ruhe genießen, kann auch ich einmal so richtig relaxen. Zwischendurch bekomme ich im Halbschlaf mit, dass mein Mann unseren jüngsten Pflegesohn (15 Monate alt) aus seinem Bettchen holt und sich um ihn kümmert. Wie herrlich! Solche Stunden gibt es zum Glück auch, obwohl man die Verantwortung für sechs Kinder hat. Der kleine Sascha wohnt seit drei Wochen bei uns, zusammen mit seinem siebenjährigen Bruder. Die Mutter ist mit den Kindern und ihrem neuen Lebensabschnittsgefährten aus den neuen Bundesländern zu uns gezogen und muss sich hier erst ein wenig orientieren, bis sie in der Lage sein wird, ihre Kinder selbst zu versorgen. Deshalb sind die beiden Brüder zur Zeit bei uns und wir integrieren sie in unsere Familie, so gut es geht. An diesem Sonntag liege ich nun schlafend auf unserem Sofa. Da dringen Worte in mein Unterbewusstsein und ich höre meinen Mann sagen: „ Du Schatz, sag mal: Wie sehen eigentlich Läuse aus?“ AAAAAAGGGGRRRRR!!!!!

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Kerzengerade sitze ich innerhalb 1/3 Sekunde, hochgeschreckt aus meinen himmlischen Träumen, auf dem Sofa. Mit geweiteten Augen starre ich auf meinen Mann und hoffe im selben Moment, dass die Frage nur ein Scherz war. Doch mein Mann sieht ganz konzentriert in die blonden Locken des kleinen Sascha. Dabei steckte er, wie immer, wenn er hoch konzentriert ist, seine Zungenspitze ein kleines bisschen aus seinem Mund heraus. Jetzt weiß ich: Er hat es ernst gemeint. Also antworte ich auch erst: „Das weiß ich doch nicht! Und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen!“ Tja, leider besitzen wir auch keine Bücher über das Thema „Kopfläuse“. (Und zu diesem Zeitpunkt ist das Internet noch nicht im Wohnzimmer anzutreffen.) Wir kennen nur die Flöhe unseres Hundes. Vielleicht hat sich ja das Ungeziefer auf unser Pflegekind verirrt? Es wäre natürlich möglich. Da kommt meinem Mann die Idee, doch einmal den großen Bruder zu befragen. Dieser kommt bereitwillig zu uns in Wohnzimmer, und auf unsere Frage, ob er schon einmal Läuse gehabt habe, guckt er zunächst etwas verlegen. Doch als wir versuchen, in unsere Stimme ganz viel Selbstverständlichkeit hineinzulegen und so tun, als wären Läuse etwas vollkommen Alltägliches, sagt er ganz entspannt mit leuchtenden Augen und voller Stolz: „Also einmal, als ich bei Oma gewohnt habe, da hatte ich ganz kurze Haare. Und da hatte ich keine Läuse!“ Wir freuten uns mit unserem Tristan und schauten dann auch einmal bei ihm in die Haare. Welch Erlebnis! Jetzt können wir sagen: Wir wissen, wie Läuse aussehen. Und nicht nur das. Wir lernen auch gleich die unterschiedlichen Entwicklungsstadien vom Ei zum erwachsenen Tier. Unsere Oma sagte schon: Man lernt nie aus. Wie recht sie hatte. Doch die Fortpflanzung von Läusen gehört definitiv zu den Dingen, die wir eigentlich nicht mehr lernen wollten. Wir hatten nun schlagartig das Gefühl, irgendetwas Gewaltiges bricht über uns herein. Was jetzt bei uns (an unserem heiligen Sonntagnachmittag) beginnt, kann sicher jeder nachvollziehen, der diese ungeliebten Tiere kennt. Mein Mann und ich laufen auf Hochtouren. Zuerst werden alle Kinder ins Wohnzimmer zur Kopfkontrolle geholt. Ergebnis bei sechs Kindern: Unsere beiden Pflegekinder sind mehr Laus als Kind. Da hilft nur Radikalschnitt. Unsere Tochter ist leicht befallen. Nein, ihre sehr langen Haare werden nicht abgeschnitten. Unser dreijähriger Sohn ist auch nur leicht verlaust und hat zum Glück sowieso einen kessen Jungs-Haarschnitt. Unsere beiden großen Jungs sind beide Laus frei. Also gut. Ich kürze zunächst den beiden Pflegekindern im Bad die Haare auf vier mm. Dabei überlege ich mir, wie ich beim nächsten Besuchskontakt der Mutter erkläre, dass aus ihrem blondgelockten Engel nun ein halb abrasierter Punk geworden ist. Aber irgendwie ist das gerade mein kleinstes Problem.

Mein Mann ist in der Zeit losgezogen, um in der Notdienst-Apotheke das allseits bekannte Mittel gegen Läuse zu kaufen. Hätten wir zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass die Läuse nach der Behandlung noch fröhlich pfeifend durch die Haare rennen werden, hätten wir uns viel Geld gespart. Doch das Erlebnis meines Mannes in der Apotheke möchten wir nicht missen: Direkt hinter ihm steht die Frau seines direkten dienstlich Vorgesetzten und verfolgt mit viel Interesse, als mein Mann sagt: “Sechs Flaschen Goldgeist, bitte! Wir haben sechs Kinder und Läuse!“ Mit diesem Wissen ausgerüstet eröffnet die nette Dame nun ein lautes Gespräch im gesamten Verkaufsraum der Apotheke, und bindet alle anwesenden Kunden mit ein. Nun wissen wir auch, wer alles in unserem Dorf und drum herum schon Läuse hatte, und dass man es überlebt. Vielen Dank!

Zu Hause wird nun zwischen "entlaust" und "noch kontaminiert" klar getrennt. Berge von Wäsche und Kuscheltieren, Kissen und Decken werden in den Waschkeller gebracht. Zum Glück können die nicht waschbaren Dinge eingefroren werden. Die Waschmaschine und der Staubsauger laufen die nächsten Tage heiß. Zwischendurch frage ich mich, ob Läuse wohl die Kellertreppe herauf laufen können, oder ob die kleinen Tierchen unten brav warten, bis sie an der Reihe sind, ausgewaschen zu werden. Bis heute habe ich darauf jedenfalls leider noch keine Antwort. Aber dafür bekomme ich eine Antwort einer mir bekannten Pflegemutter, die ich um Rat frage, weil die Familie die Erfahrung mit Läusen auch schon gemacht hatte. Sie ist ernüchternd: "Ach," sagt sie "Läuse sind gar nicht so schlimm. Immer, wenn sich einer bei uns im Haus mal etwas öfter kratzt als sonst, bearbeite ich ihn dann mit Goldgeist. Dann geht es wieder eine Zeitlang. Ich habe das Zeug immer als Vorrat im Schrank stehen. Es ist wirklich prima."

Das Gespräch hätte ich mir also sparen können. So kann ich nicht leben. Obwohl ich bisher noch keine Laus auf meinem Kopf finden konnte, juckt es mich ständig. Nachts wache ich, von Alpträumen geplagt, schweißgebadet auf. Das muss alles ein Ende finden.

Als Familienmensch kommt mir dann schnell die rettende Lösung: Ich rufe meine Mutter an. Im Telefonat berichte ich ihr unser Elend und sage ihr, dass ich vor Arbeit nicht mehr ein noch aus weiß. Sie tröstet mich mit den Worten: "Ach Kind. Das ist ja schrecklich. Da komme ich euch jetzt lieber nicht besuchen, damit wir uns nicht auch noch Läuse holen." Ja, ich mag meine Mutter auch.

Nachdem ich mich von der verantwortungsbewussten Antwort meiner Mutter erholt habe, rufe ich beim Gesundheitsamt an und schildere einem sehr netten Herrn meine Situation. Ich berichte ihm schonungslos vom täglichen Duschen meiner Kinder, dem Einsatz des Nissenkammes, den täglichen Putz- und Waschaktionen im gesamten Haus und der Tatsache, dass ich das Gefühl habe, bald wahnsinnig zu werden. Der nette Herr hat viel Zeit, hört mir geduldig zu und spricht mir nach gefühlten zwei Stunden Mut zu. Lächelnd sagt er: "Sie machen das toll. In spätestens 14 Tagen haben Sie es geschafft und die Läuse sind ganz bestimmt ausgerottet. Halten Sie durch!" - Zum Glück hatte er Recht.

Unser nachhaltigster Lernerfolg (obwohl wir ja eigentlich nichts lernen wollten) ist aber nun doch, dass wir zukünftig bei der Ankunft eines neuen Kindes als erstes nach dem Duschen unauffällig nach Läusen auf dem Kopf suchen. Das vermindert nicht nur die Ausbreitung der Läuse ungemein, sondern reduziert auch den anschließenden Arbeitsaufwand erheblich. Und ich habe gelernt, dass Unterstützung manchmal sehr gut tut, auch wenn sie vom Gesundheitsamt kommt.

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