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Wir sind so leicht zu verunsichern
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Sonja kam in die Pflegefamilie als sie knapp 2 Jahre alt war. Sonja war das dritte Kind in der Familie- es gab Marc, den damals 7jährigen leiblichen Sohn und Vera, die damals 5-jährige Adoptivtochter. Vera war ebenfalls als Pflegekind in die Familie gekommen, konnte aber bald adoptiert werden. Sonja war die Tochter einer sehr jungen Mutter, die ein paar Monate probiert hatte, mit sich und dem Kind zurande zu kommen, dann in eine Mutter-Kind-Heim ging, dort das Kind ließ und verschwand. Ein paar Tage sorgten die Angestellten des Heimes für das Kind. Dann kam Sonjas Mutter wieder. Ein paar Wochen später verließ sie das Mutter-Kind-Heim, ging zum Jugendamt und vereinbarte dort, dass Sonja in einem Kinder-heim untergebracht wurde, da sie sich nun verselbständigen wollte und das Kind später zu sich nehmen würde.
Anfangs besuchte die Mutter Sonja noch häufig, dann wurden die Besuche immer seltener.
Schließlich stimmte die Mutter dem Vorschlag des Jugendamtes zu, das Kind in einer Pflegefamilie unterzubringen.
Auch hier gab es anfänglich einige Besuchskontakte. Diese wurden dann auch immer weniger, bis sie letztendlich ganz aufhörten. Die Mutter hatte weiter das gesamte Sorgerecht für Sonja. Sie kann in den ersten 2 Jahren zu den Hilfeplangesprächen ins Jugendamt, dann tat sie dies nicht mehr und die Sozialarbeiterin versuchte, diese Gespräche mit ihr allein zu Hause zu führen.
Schließlich war Sonja fünf Jahre in der Pflegefamilie. Sie war Kind in der Familie geworden, voll integriert und sah die Pflegeeltern als ihre Eltern an. Die Pflegeeltern fühlten sich sicher in der Überzeugung, dass Sonja bei ihnen erwachsen werden könnte.
Dann wechselte die Sozialarbeiterin des Pflegekinderdienstes. Die neue Fachkraft stelle sich nach und nach bei ihren Pflegefamilien vor und besprach mit ihnen die zukünftigen Wege und Ziele der Betreuung. Bei Sonjas Pflegeeltern erwähnte sie, dass sie nicht verstehen könne, warum Sonja keinen Kontakt zur Herkunftsmutter habe, und dass sie eigentlich gerade diesen Kontakt für ein Pflegekind wichtig fände. Außerdem käme Sonja jetzt langsam in das Alter, wo sie sich mit ihrer Herkunft auseinandersetzen würde, und da wären Kontakte zu den leiblichen Eltern einfach hilfreich. Manche Jugendlichen würden dann sogar zeitweise oder auf immer wieder zurück wollen und das ginge ja nur, wenn sie ihre leiblichen Familien auch kennen würde. Sie würde also daher Wert darauf legen, dass die leibliche Mutter wieder ihr Besuchsrecht wahrnehmen könnte und würde auch gern mit Sonja dahingehend sprechen wollen.
Die Pflegeeltern fühlten sich total verunsichert. Sie hatten das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Sie erklärten, dass nicht sie sondern die leibliche Mutter die Besuche beendet hätte und äußerten Bedenken gegen neue Kontakte. Die Sozialarbeiterin versucht sie zu beruhigen, indem sie ihnen erklärte, dass ja nun ein paar Jahre ins Land gegangen wären, die leibliche Mutter ja wohl erwachsener und reifer geworden sei, und dass sie ihr eine neue Chance geben wolle. Sie würde natürlich auch sehen und auch anerkennen, dass Sonja ein Kind der Pflegefamilie sei, aber schließlich sei sie als Pflegekind auch ein Kind ihrer leiblichen Mutter und man hätte intensiver auf diese Mutter einwirken müssen, damit diese weiterhin Interesse an Sonja hätte zeigen können. Sie wolle jetzt mit der Mutter daran arbeiten.
Die Pflegeeltern verstanden die Welt nicht mehr. Sie waren hochgradig erregt und interpretierten die Worte der Sozialarbeiterin für sich so, dass diese alles unternehmen würde, um das Kind zu seiner Mutter zurück zu führen und dass die angepeilten Besuchskontakte die ersten Schritte dazu sein würden.
Die Beruhigung durch andere Pflegeeltern in der Pflegeelterngruppe und auch die Erklärungen, dass dies doch nach einer so langen Zeit des Aufenthaltes in der Pflegefamilie nun wirklich nicht so gehen könnte, konnten die Erregung kaum dämpfen. Die Pflegeeltern waren so irritiert und voller Trennungsängste, dass sie sich immer wieder damit beschäftigten und ihre Unruhe und Sorgen natürlich auch ihren Kindern nicht verborgen blieben, obwohl sie sich sehr bemühten, „die Kinder nichts merken zu lassen“.
Die Sozialarbeiterin bemühte sich, Kontakt zur Sonjas leiblicher Mutter herzustellen. Als sie bemerkte, wie ungeheuer verunsichernd ihr Handeln auf die Pflegeeltern wirkte, versuchte sie, diese zu beruhigen, indem sie ihnen erklärte, was und warum sie es tat und das dies doch gut für Sonja sein würde.
Nach einigen Monaten Bemühungen war die Sozialarbeiterin schließlich davon überzeugt, dass Sonjas Mutter kein wirkliches Interesse am Kind selber habe, sondern sich deren Mitarbeit im Gerangel um Termin und Ort der Hilfeplangespräche erschöpfte. Wollte die Sozialarbeiterin Konkretes, dann stand sie trotz Voranmeldung vor der geschlossenen Tür.
Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin wollte sie jedoch nicht die Angelegenheit damit auf sich beruhen lassen. So teilte sie der Mutter mit, dass sie vorhabe, beim Familiengericht einen Antrag auf Entzug des Sorgerechtes zu stellen, wenn sie sich in der Zukunft nicht bereit fände, an den Hilfeplangesprächen konstruktiv mitzuwirken. Schließlich seien von den Personensorgeberechtigten Entscheidungen für das Kind zu fällen und die Mutter könne nicht weiter auf ihrem Elternrecht bestehen, wenn sie nicht auch die Pflichten, die sich daraus ergäben wahrnehmen würde.
Die Mutter reagiert nicht. Daraufhin stellte die Sozialarbeiterin den Antrag und der Richter entzog der Mutter das Sorgerecht und übertrug die Vormundschaft auf das Jugendamt.
Zu Anfang verfolgten die Pflegeeltern diese Aktion mit Unglauben und großer Skepsis. Die eindeutigen Handlungen der Sozialarbeiterin überzeugten sie jedoch. Sie konnten es auch nachempfinden, als die Sozialarbeiterin ihnen erzählte, dass sie von dem Verhalten der Mutter schon sehr enttäuscht sei, denn sie sei wirklich der Überzeugung, dass Kontakte zwischen leiblicher Mutter und Kind für Sonja wichtig seien. Sie wolle aber nicht, dass Sonja und die Pflegeeltern so stark verunsichert seien, sondern wolle für alle Beteiligten Klarheit erwirken.
Inzwischen besteht gegenseitiges Vertrauen und Akzeptanz zwischen Pflegeeltern und Sozialarbeiterin. Beide können sich in ihren Positionen darin wieder finden zu sagen: wenn Sonja zu ihrer leiblichen Mutter Kontakt aufnehmen möchte, wird die Sozialarbeiterin versuchen, die Mutter wieder für ihr Kind zu interessieren.
Die Pflegeeltern sind davon überzeugt, dass sie unter diesen Umständen nicht mehr so schwer verunsichert reagieren werden, da das Zustandekommen der Kontakte ja dann vom Wunsch und Willen Sonjas getragen würde.