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16.11.2022

Änderungen und Auswirkungen der Vormundschaftsreform

Ab Januar 2023 gelten neue Vormundschaftsregelungen. Diese betreffen natürlich auch im besonderen Maße Mündel, die in Pflegefamilien wohnen und deren Pflegeeltern. Einige Änderungen werden hier aufgeführt und eine erfahrene Berufsvormündin nimmt mit Sicht auf die Praxis Stellung dazu.

Nachfolgend wurden Änderungen des Vormundschaftsrechtes ab 1. Januar 2023 mit besonderem Blick auf die Situation von Pflegekindern und deren Pflegekindern ausgesucht und in ihrer Auswirkung auf die Praxis eingeschätzt. Die Einschätzung erfolgt von Ute Kuleisa-Binge, die seit vielen Jahren in einer Bürogemeinschaft als Berufsvormündin, Verfahrensbeiständin, Ergänzungspfleger etc. tätig ist.

§ 1776 Zusätzlicher Pfleger 

§ 1776 Zusätzlicher Pfleger

(1) Das Familiengericht kann bei Bestellung eines ehrenamtlichen Vormunds mit dessen Einverständnis einzelne Sorgeangelegenheiten oder eine bestimmte Art von Sorgeangelegenheiten auf einen Pfleger übertragen, wenn die Übertragung dieser Angelegenheiten dem Wohl des Mündels dient. Die Übertragung ist auch nachträglich möglich, wenn der Vormund zustimmt.

(2) Die Übertragung ist ganz oder teilweise aufzuheben, 1. wenn sie dem Wohl des Mündels widerspricht, 2. auf Antrag des Vormunds oder des Pflegers, wenn der jeweils andere Teil zustimmt und die Aufhebung dem Wohl des Mündels nicht widerspricht, oder 3. auf Antrag des Mündels, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, wenn Vormund und Pfleger der Aufhebung zustimmen. Die Zustimmung gemäß S. 1 Nummer 2 und 3 ist entbehrlich, wenn ein wichtiger Grund für die Aufhebung vorliegt.

(3) Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Pflegschaft für Minderjährige entsprechend. Neben einem Pfleger nach § 1809 oder § 1777 kann ein Pfleger nach Abs. 1 nicht bestellt werden. 

Nur für den ehrenamtlichen Einzelvormund eines Mündels (bei einem Pflegekind häufig die Pflegeeltern) sieht das neue Vormundschaftsrecht eine Regelung vor, die diesem ehrenamtlichen Vormund gewissermaßen einen Helfer an die Seite geben könnte in Angelegenheiten, die der Vormund für notwendig und hilfreich hält. Dies kann bereits zu Beginn der Übertragung der Vormundschaft als auch während einer Vormundschaft erfolgen, also auch dann, wenn eine neue Situation dies erforderlich macht. Es kann immer dann eintreten, wenn es Entscheidungen zu fällen gibt oder Handlungen zu erledigen sind, die den ehrenamtlichen Vormund möglicherweise überfordern oder die ihm/ihr zu viel sein könnten. Ich denke da z.B. an finanzielle Verwaltungen von Erben, Versicherungsauszahlungen und ähnlichem oder auch an spezielle Fragen von Behinderungen, Ausbildung, Hilfen etc. 

Einschätzung: Sehe ich problematisch. Bedeutet dass mehrere Personen für ein Mündel zuständig sind und sich verständigen müssen. Kann für das Kind/ Jugendlichen weitere Probleme mit sich bringen.

 

§ 1778 Auswahl des Vormunds durch das Familiengericht

§ 1778 Auswahl des Vormunds durch das Familiengericht

(1) Ist die Vormundschaft nicht einem nach § 1782 Benannten zu übertragen, hat das Familiengericht den Vormund auszuwählen, der am besten geeignet ist, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen.

(2) Bei der Auswahl sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. der Wille des Mündels, seine familiären Beziehungen, seine persönlichen Bindungen, sein religiöses Bekenntnis und sein kultureller Hintergrund,

2. der wirkliche oder mutmaßliche Wille der Eltern und

3. die Lebensumstände des Mündels.

Einschätzung: Ist zu begrüßen, insbesondere der Wille des Mündels. Hier sehe ich Probleme in der Umsetzung, z.B. Kennenlernen von Mündel und Vormund vorab.

 

§ 1779 Eignung der Person; Vorrang des ehrenamtlichen Vormunds

§ 1779 Eignung der Person; Vorrang des ehrenamtlichen Vormunds

(1) Eine natürliche Person muss nach

1. ihren Kenntnissen und Erfahrungen,

2. ihren persönlichen Eigenschaften,

3. ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie

4. ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen an der Erziehung des Mündels beteiligten Personen geeignet sein, die Vormundschaft so zu führen, wie es das Wohl des Mündels erfordert. 

(2) Eine natürliche Person, die geeignet und bereit ist, die Vormundschaft ehrenamtlich zu führen, hat gegenüber den in § 1774 Abs. 1 Nummer 2 bis 4 genannten Vormündern Vorrang. Von ihrer Eignung ist auch dann auszugehen, wenn ein zusätzlicher Pfleger nach § 1776 bestellt wird. 

Einschätzung: 

Ist zu begrüßen, fraglich wer überprüft die Eignung und wie wird diese überprüft. Wer berät kompetent? Es können in einer Vormundschaft Situation auftreten, die bisher noch unbekannt waren Erbe, Straftaten, Schulabstinenz etc.

 

§ 1780 Berücksichtigung der beruflichen Belastung des Berufs- und Vereinsvormunds

§ 1780 Berücksichtigung der beruflichen Belastung des Berufs- und Vereinsvormunds

Soll ein Berufsvormund oder ein Vereinsvormund bestellt werden, ist seine berufliche Arbeitsbelastung, insbesondere die Anzahl und der Umfang der bereits zu führenden Vormundschaften und Pflegschaften zu berücksichtigen. Er ist dem Familiengericht zur Auskunft hierüber verpflichtet.

Einschätzung: Ist zu begrüßen, Fallzahl von 50 sehe ich als sehr hoch an.

 

§ 1781 Bestellung eines vorläufigen Vormunds

§ 1781 Bestellung eines vorläufigen Vormunds

(1) Sind die erforderlichen Ermittlungen zur Auswahl des geeigneten Vormunds insbesondere im persönlichen Umfeld des Mündels im Zeitpunkt der Anordnung der Vormundschaft noch nicht abgeschlossen oder besteht ein vorübergehendes Hindernis für die Bestellung des Vormunds, bestellt das Familiengericht einen vorläufigen Vormund.

(2) Der Vormundschaftsverein überträgt die Aufgaben des vorläufigen Vormunds einzelnen seiner Mitarbeiter; § 1784 gilt entsprechend. Der Vormundschaftsverein hat dem Familiengericht alsbald, spätestens binnen zwei Wochen nach seiner Bestellung zum vorläufigen Vormund mitzuteilen, welchem Mitarbeiter die Ausübung der Aufgaben des vorläufigen Vormunds übertragen worden sind.

(3) Das Familiengericht hat den Vormund alsbald, längstens aber binnen drei Monaten ab Bestellung des vorläufigen Vormunds zu bestellen. Die Frist kann durch Beschluss des Gerichts nach Anhörung der Beteiligten um höchstens weitere drei Monate verlängert werden, wenn trotz eingeleiteter Ermittlungen des Familiengerichts der für den Mündel am besten geeignete Vormund noch nicht bestellt werden konnte

(4) Die Bestellung des Jugendamtes oder eines Vereinsmitarbeiters zum Vormund ist auch erforderlich, wenn das Familiengericht das Jugendamt oder einen Vormundschaftsverein zuvor als vorläufigen Vormund ausgewählt hat.

(5) Mit der Bestellung des Vormunds endet das Amt des vorläufigen Vormunds

In der Praxis der Pflegekinderhilfe erleben wir immer wieder, dass es lange Zwischenzeiten gibt zwischen der Unterbringung nach einer Inobhutnahme bis zur Klärung einer endgültigen Unterbringung oder der Rückkehr in die leibliche Familie. Besonders Entscheidungen der Gerichte ziehen sich hin. Aus der Sicht des Kindes entstehen so lange Aufenthalte in der Bereitschaftspflegefamilie, in denen es dann häufig zu neuen Bindungen kommt und es wieder Trennungserfahren für das Kind gibt, wenn es dann endlich einen Gerichtsbeschluss gegeben hat. Ob hier die Lösung eines Übergangsvormundes hilfreich sein kann, bleibt abzuwarten. Die Möglichkeit des vorläufigen Vormundes erleicht jedoch möglicherweise die Suche und Bestellung eines dauerhaften ehrenamtlichen Vormundes. 

Einschätzung: 

Sehe ich als die problematischste Veränderung an. Es ist nachzuvollziehen, dass insbesondere durch den § 1778 Zeit benötigt wird für die gute Auswahl des Vormunds. Auf der anderen Seite sind gerade zu Beginn einer Vormundschaft viele Dinge einzuleiten. Der vorläufige Vormund muss somit schon eng mit dem Mündel zusammenarbeiten und dann erfolgt ein Wechsel. Für Mündel unschön und auch für den dann folgenden Vormund. Es sind dann bereits Maßnahmen erfolgt, die der Vormund nicht mittragen kann. (Eigene Erfahrung) zB. Unterbringung von Geschwisterkindern in verschiedenen Einrichtungen und weit auseinander liegenden Orten (Bundesländern). Eine erneute Verlegung der Mündel wäre aber ebenfalls bedenklich. Anträge sind zu stellen mit der Unterschrift des vorläufigen Vormunds, diese müssen dann erneut gestellt werden, da nun eine andere Person zuständig ist z.B. bei Krankenkassen, Konten, Behördenanträge etc.

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