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Aufbewahrungsfristen von Pflegekinderakten
Das Recht des Pflegekindes auf Informationen über seine Herkunft
Kinder die in eine Pflegefamilie vermittelt werden können sind überwiegend sehr jung. Für diese Kinder bedeuten die Herausnahme aus der Herkunftsfamilie ein Abbruch und gleichzeitig ein Neubeginn einer Familie.
Zum Teil bleibt der Kontakt zu den leiblichen Eltern oder Geschwistern bestehen. Bei einigen Pflegekindern ist das nicht der Fall. Auch wenn Kontakt in Form von Besuchskontakte zwischen dem Pflegekind und seiner Herkunftsfamilie stattfinden, bedeutet dies nicht gleichzeitig, dass das Kind über seine Biographie ausreichend informiert ist. Subjektive Wahrnehmungen könnte das Kind bei den leiblichen Eltern erfragen, jedoch nicht die aktenkundigen Tatsachen.
Informationslücken der eigenen Biographie sind für jeden Menschen belastend und besonders für Pflegekinder, die zwei Familiensysteme aufweisen- die Herkunftsfamilie und die Pflegefamilie. Deshalb sollten bis zum Eintritt in die Schule einem Pflegekind alle relevanten Informationen über seine Herkunft und seine Geschichte altersentsprechend vermittelt bekommen haben. Beispielsweise könnte ein Lebensbuch mit dem Kind gemeinsam angefertigt werden.
Spätestens in der Pubertät ist der Zeitpunkt gekommen an dem sich jeder Mensch Fragen zu seiner Herkunft stellt. Wenn unbeantwortete Fragen über Vergangenes erst in der Pubertät aufkommen ist es meist viel schwieriger für das Pflegekind diese zu verarbeiten. Denn es ist die Zeit der Identitätsfindung, wo bereits viele andere „Baustellen wegen Umbauarbeiten geschlossen sind“ bei jungen Menschen. Die Pubertät ist eine schwierige und kritische Zeit für alle Heranwachsenden und für alle Beteiligten. Spätestens „Pubertisten“ brauchen wahre Antworten auf ihre Fragen, um ihre eigene Persönlichkeit zu finden, sich selbst anzunehmen, sich wertzuschätzen und zu wissen wer man ist. Antworten an die Pflegekinder müssen wertschätzend und authentisch beantwortet werden.
Wünschenswerter ist es, nicht bis zur Pubertät zu warten und das Pflegekind frühzeitig und altersgerecht aufzuklären bevor es in diese Entwicklungsphase kommt. Denn dann muss der „Rucksack“, den jedes Pflegekind mitbringt nicht auf einmal ausgepackt werden. Zur Identitätsfindung ist die Information über Herkunft ein gravierender Punkt, der die weitere Entwicklung der Persönlichkeit beeinträchtigt.
Die Frage ist, wie man solche Information für das Pflegekind sichern kann, damit Pflegeeltern und Fachkräfte Zugang dazu haben. Hierbei spielen die Akten der Pflegekinder, die durch die Jugendämter geführt werden eine entscheidende Rolle. Jugendamtsakten sollten den gesamten Lebensverlauf des Pflegekindes beinhalten. Hierzu gehören Genogramme der Herkunftsfamilie, der Pflegefamilie, der Grund der Unterbringung und der Vorgeschichte, Hilfeplanprotokolle und biographisch relevante Aktenvermerke. Die Akte liefert bei der Biographie Arbeit eine bedeutende Grundlage, die Subjektivität weitgehend ausschließen kann.
Allerdings kommt es im Pflegekinderwesen zu häufigen Wechsel der Zuständigkeit. Die Vorgeschichte befindet sich meist in den Akten des Jugendamtes- Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD)- in dieser Zeit hat das Kind noch bei den leiblichen Eltern gelebt. Nach Vermittlung in eine Pflegefamilie wechselt die Zuständigkeit meist in einen Fachdienst: dem Pflegekinderdienst (PKD). Ist das Kind außerhalb der eigenen Kommune des ASD/PKD untergebracht worden, dann kommt es nach zwei Jahren zum Wechsel der Zuständigkeit zur ortsansässigen Kommune in der das Pflegekind lebt (§86.6 SGBVIII). Zudem kann es zum Zuständigkeitswechsel intern im Jugendamt kommen, z.B. wenn Jugendamtsmitarbeiter wechseln, was zunehmend der Fall ist. Auch ein Umzug der Pflegefamilie in eine andere Stadt führt zwangsläufig zum Zuständigkeitswechsel. Weiter kann es durch den Umzug der leiblichen Eltern zu einem Wechsel der Zuständigkeit für die leiblichen Eltern und ggf. der Geschwisterkinder kommen, wo weitere Informationen der Herkunftsfamilie nochmals bei einer anderen Behörde liegen.
Denkbar sind viele verschiedene Kombinationen- ein Dschungel von Zuständigkeitsmöglichkeiten.
Für das Pflegekind biographisch wichtige Informationen gehen dadurch oft verloren. Bei einem Wechsel zwischen verschiedenen Jugendämtern oder bei einem internen Wechsel, sollte darauf geachtet werden, dass grundsätzlich die gesamte Akte übermittelt wird. Der Gesetzgeber sieht es aber vor, dass die fallzuständige Fachkraft und die wirtschaftliche Jugendhilfe entscheidet was „notwendige Unterlagen“ sind, die zu übermitteln sind. Hierbei darf die biographische Komponente nicht vergessen werden.
Die Sicherung dieser biographischen Informationen für das Pflegekind findet ihre rechtliche Grundlage mittlerweile im Artikel 8 der UN-Kinderrechtskonvention. Dieser besagt, dass sich alle Vertragsstaaten dazu verpflichten, dass das menschliche Grundrecht auf Identität für die Betroffenen sichergestellt werden muss. Dazu gehört, dass Informationen bezüglich der Herkunft festgehalten werden müssen. Festgehalten werden diese sicherlich, aber bei der jeweiligen Stelle die für diese Zeit zuständig war.
Folglich müssten Akten auch unter dem Gesichtspunkt des Identitätsrechtes übermittelt werden wenn wir von „notwendigen Unterlagen“ sprechen. Wenn der Zeitpunkt der „offenen Fragen“ gekommen ist und diese Informationen nicht übermittelt worden sind, dann sind Jugendamtsmitarbeiter bemüht Aktenunterlagen nachzufordern. Damit eröffnet sich dann ein anderes rechtlich ungeregeltes Problem: Aufbewahrungsfristen von Pflegekinderakten.
Gesetzliche Vorgabe über die Aufbewahrungsfristen von Pflegekinderakten gibt es nicht. Es existieren teilweise bundeslandabhängige Vereinbarungen an die sich rechtlich nicht gehalten werden muss. Überwiegend existieren bundeslandintern aber auch keine Vereinbarungen. Jede Kommune legt dies selbst fest. In der gängigen Praxis findet man Archivierungsvorschläge von 10- 30 Jahren- je nach Kommune- für Pflegekinderakten. Bedeutend für die Aufbewahrungsfrist ist auch, ab wann die Jahre gezählt werden. Sie können ab dem Zeitpunkt der Unterbringung oder ab dem Zeitpunkt der Volljährigkeit gerechnet werden. Dies wird kommunal ebenfalls unterschiedlich gehandhabt.
Bei ASD Akten (Vorgeschichte) handelt es sich nicht um Pflegekinderakten, sodass bei der Suche einer Pflegekinderdienstmitarbeiterin nach biographische Unterlagen des Pflegekindes nochmals eine Grenze gesetzt wird. ASD Akten werden meist nach 10 Jahren vernichtet und stehen dann auch nicht mehr zur Verfügung.
Alle Fachkräfte sollten darauf achten, dass bei Zuständigkeitswechsel bereits identitätsrelevante Unterlagen als notwendige Unterlagen mit übermittelt werden. Genogramme sollten als Standard in der Datenübermittlung beinhaltet sein. Zusätzlich der Grund der Unterbringung und der Vorgeschichte des Kindes in der Herkunftsfamilie.
Pflegeeltern sollten erfragen, ob ausreichende Unterlagen zur Biographiearbeit weitergegeben wurden. Natürlich unter den Datenschutzbestimmungen gegenüber Dritten (z.B. leibliche Eltern) betrifft.
Der seit 20 Jahren bestehende Artikel 8 der UN- Kinderrechtskonvention wurde erst vor einiger Zeit in den Blick genommen. Begonnen hatte die tatsächliche Umsetzung mit der Diskussion der anonymen Samenspenden vor einiger Zeit. Damit wurde im Grunde genommen seit 20 Jahren gegen dieses Recht der Identität verstoßen. Weiterreichend hat es Auswirkung auf alle Menschen, denn Jeder hat ein Recht darauf zu wissen wer ihre/seine Verwandten sind und wieso sie nicht bei ihrer leiblichen Familie aufwachen konnten. Es ist ein Menschenrecht.
Artikel 8 der UN- Kinderrechtskonvention
(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.
(2) Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.
Landesjugendamt Bayern:
1. Aktenaufbewahrung
Nach Beendigung der Hilfe sollen relevante Inhalte der Akte im Jugend amt archiviert und aufgrund der Nachweispflicht zehn Jahre aufbewahrt werden. Die Aufbewahrungsfristen beginnen mit Ablauf des Jahres, in dem das letzte Schriftstück zum Akt geschrieben wurde (vgl. „Empfehlung über die Aufbewahrung von Akten der Jugendämter“, AMS VI 5/7273/1/03 vom 26.4.2004).
Maßgebliche Norm für die Aufbewahrung von Akten und Dokumenten freier Träger der Jugendhilfe ist § 61 Abs. 3 SGB VIII: „Werden Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen, so ist sicherzustellen, dass der Schutz der personenbezogenen Daten bei der Erhebung und Verwendung in entsprechender Weise gewährleistet ist.“. Gemäß dieser Grundlage soll durch Vertrag, Nebenbestimmung im Bescheid o. ä. sichergestellt werden, dass ein den datenschutzrechtlichen Vorschriften des SGB VIII entsprechender Schutz bei den freien Trägern eingehalten wird.
Da es eine darüber hinausgehende gesetzliche Regelung für freie Träger der Jugendhilfe nicht gibt, gilt hinsichtlich der Löschung von Daten der Jugendhilfe freier Träger die Regelung des § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB X entsprechend: Sozialdaten sind zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden.In diesem Zusammenhang kann eine Aufbewahrung der Akten der hilfedurchführenden Einrichtung noch einige Zeit, ggf. sogar Jahre nach Abschluss einer Jugendhilfemaßnahme, sinnvoll und geboten sein, sofern damit zu rechnen ist, dass auf die Akte noch einmal zurückgegriffen werden muss.
Auszug aus: "Empfehlungen über die Aufbewahrung von Akten der Jugendämter" des Bayerischen Landesjugendamtes von 2004
Für die Akten des Jugendamtes werden folgende Aufbewahrungsfristen empfohlen:
- Akten über Adoptionsverfahren: 60 Jahre (Anmerkung der Redaktion: Seit 26.11.2015 ist gesetzlich vorgeschrieben, Aufzeichnungen und Unterlagen über jede einzelne Vermittlung über den Zeitraum von 100 Jahren ab Geburtsdatum des Kindes aufzubewahren. Danach sind die Akten zu vernichten (§ 9b Abs.1 AdVermiG).)
- Akten über Vormundschaften und Pflegschaften. für minderjährige Kinder: 30 Jahre
- Urkunden, die vom Jugendamt nach § 59 SGB VIII erstellt worden sind: 30 Jahre
- Akten über Beistandschaften: 10 Jahre
- Akten über Leistungen nach dem UVG: 10 Jahre
- Akten über Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII und über die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII: 10 Jahre
- Akten über die Mitwirkung in Verfahren vor den Vormundschafts- und den Familiengerichten (§ 50 SGB VIII): 10 Jahre
- Akten über Jugendgerichtshilfe: 5 Jahre - jedoch mindestens bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der betroffenen Person
- Sonstige haushaltsrelevante Akten des Jugendamtes, die der Rechnungsprüfung unterliegen: 6 Jahre
- Alle übrigen Akten der Jugendämter: 3 Jahre
https://www.blja.bayern.de/service/bibliothek/ministerielle-bekanntmachungen/aktenaufbewahrung.php