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09.07.2008
Fachartikel

Besuchskontakte bei Pflegekindern und Adoptivkindern

Die Gestaltung der Besuchskontakte bei Pflege- und Adoptivkindern ist ein wichtiger Faktor für das Gelingen oder Scheitern eines Pflegeverhältnisses oder auch eines offenen Adoptiv-verhältnisses. Das bei der Inkognitoadoption übliche völlige Ausgrenzen der Herkunftsfamilie hat sich nicht in jedem Fall bewährt , aber bei vielen Adoptivverhältnissen als großes Problem bei dem Finden einer eigenen Identität herausgestellt.

Autor: Paula Zwernemann

I. Einleitung

Die Gestaltung der Besuchskontakte bei Pflege- und Adoptivkindern ist ein wichtiger Faktor für das Gelingen oder Scheitern eines Pflegeverhältnisses oder auch eines offenen Adoptivverhältnisses. Das bei der Inkognitoadoption übliche völlige Ausgrenzen der Herkunftsfamilie hat sich nicht in jedem Fall bewährt, aber bei vielen Adoptivverhältnissen als großes Problem bei dem Finden einer eigenen Identität herausgestellt.
Diese Abschottung gegen die Herkunftsfamilie hat sich jedoch in den letzten Jahren in vielen Ämtern in das Gegenteil verkehrt. Besuchskontakte werden generell eingefordert, unabhängig, ob diese Besuchskontakte diesem konkreten Kind gut tun oder nicht.

Besuchskontakte werden vielfach zu einer Ideologie erhoben, die dem einzelnen Kind nicht gerecht werden kann. Kinder werden oftmals als „Trost“ für die leiblichen Eltern gebraucht. Da das Kind nicht zurück kann, soll den Eltern als ausgleichende Gerechtigkeit Besuchskontakt gewährt werden, auch dort, wo das Kind sich gegen diese Kontakte wehrt.

Eine Studie der Universität Bamberg aus dem Jahr 2001 über Pflege und Adoptivkinder, die in Heimen leben, belegt, dass das Scheitern des Pflege- oder Adoptivverhältnisses nicht auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden kann, sondern auf das Zusammenwirken mehrer Bedingungen. Es gibt Schutzfaktoren, die dem einzelnen Kind helfen, die Risikofaktoren zu mindern, gleichfalls gibt es bei dem Fehlen von geeigneten Schutzfaktoren für dieses Kind Risikofaktoren, die ungleich schwerer die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.

Besuchskontakte und die Rahmenbedingungen unter denen sie stattfinden, haben erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung eines Pflege- und Adoptivkindes. Besuchskontakte sind immer abhängig von der Lebensplanung für dieses Kind und von dem Bewusstsein, dass das Kind nicht hilflos einem mehr oder weniger bekannten Amtsträger ausgeliefert ist, sondern wie in allen anderen Fragen des täglichen Lebens auch die Möglichkeit der Einwirkung und der Gestaltung hat.

Schon ein Säugling kann sehr genau signalisieren, was Angst auslöst und was Freude macht. Diese Signale haben im Normalfall Auswirkungen auf das elterliche Verhalten. Eltern werden ihr Baby z.B. nicht bei einer Betreuungsperson lassen, wenn es heftige Abwehrhaltung und Angst zeigt. Mit zunehmendem Alter gelten die Bestimmungen allgemein in der Erziehung, die in § 1626 (2) BGB formuliert sind. Wörtlich heißt dies:“ Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln.“ Dieses vom Gesetzgeber vorgesehene sensible Eingehen auf den Willen des Kindes unter Berücksichtigung des Kindeswohles, gilt generell in der Erziehung. So ist diese Bestimmung bei der Gestaltung der Besuchkontakte entsprechend zu beachten.

Das BGB bestimmt in § 1631, dass Gewalt in der Erziehung unzulässig ist. Dies gilt auch für die Gestaltung der Besuchskontakte. Hier ist eine interessante Entwicklung festzustellen,. Die elterliche Gewalt hat sich im Jahr 1980 in die Elterliche Sorge gewandelt. Es gab seither ein zähes Ringen im Parlament um die Formulierung eines Gewaltverzichtes gegen Kinder.

Im FGG ist nach heutigem Stand in § 33 FGG festgeschrieben, dass Gewalt gegen ein Kind zum Zwecke des Umgangs nicht angewandt werden darf. Im jetzt vorliegenden Referentenentwurf zum FGG ist an diesem Inhalt nichts geändert worden.

Trotz geltendem Recht und all der Grundsatzbeteuerungen ist es immer noch an der Tagesordnung, dass gegen Kinder körperliche und psychische Gewalt ausgeübt wird, wenn es um die Durchsetzung des Umgangs geht. In solchen lockeren Sätzen wie zum Beispiel : „ Da muss das Kind einfach durch. Das kann man ihm nicht ersparen. Das ist nun einmal das Schicksal eines Pflegekindes“, zeigt sich der Mangel an Empathie dem Kind gegenüber und das Unverständnis, was Gewalt dem Kind gegenüber bedeutet.

Wenn Kinder in Notsituationen in einer Kurzzeitpflege untergebracht werden müssen, weil z.B. die betreuende Bezugsperson krank wird und aus der Nachbarschaft und Verwandtschaft im Ausnahmefall niemand für die Betreuung des Kindes in Frage kommt, wird das Kind Sehnsucht nach der geliebten mütterlichen/väterlichen Bezugsperson haben. Es wird die Besuche genießen und Trennungsschmerz, je nach Alter und Empfinden, auch schmerzlich zum Ausdruck bringen. In diesen Ausnahmefällen ist es wichtig, dass von Anfang an häufige Besuche bei der mütterlichen/ väterlichen Bezugsperson stattfinden. Das Alter des Kindes ist zu berücksichtigen.

Was ist jedoch, wenn das Kind von Vater oder Mutter vernachlässigt oder misshandelt wurde und schwere Ängste entwickelt hat? Was hat das Kind erlebt und erlitten, wenn es von wechselnden Bezugspersonen betreut wurde und damit keine sicheren Bindungen entwickeln konnte? Wenn keine sicheren Bindungen an eine Bezugsperson entstehen, sondern vielmehr krankmachende Bindungen oder was die Entwicklung eines Kindes am meisten schädigt, überhaupt keine Bindungen entstehen, sind diese Kinder mit hohen Risiken behaftet und es bedarf der Ausbildung eines Systems von Schutzfaktoren, die es dem Kind ermöglichen, einen Teil der Entwicklungsbeeinträchtigungen zu mildern.

II. Risiko- und Schutzfaktoren bei Besuchskontakten

Bei einem Kind, das mit einem hohen Entwicklungsrisiko belastet ist, bedarf es besonders sorgfältiger Planung der Besuchskontakte. Was das eine Kind ohne besondere Belastungen verkraftet, stürzt das andere in eine tiefe Krise. Neben den persönlichen Risiken eines Kindes gilt es bei der Planung von Besuchskontakten auch allgemeine Schutz- und Risikofaktoren zu beachten.

Bei der Planung der Besuchskontakte hat sich die Fachkraft mit folgenden Fragen auseinander zu setzen:

  • wurden die Pflegeeltern genügend auf ihre Aufgabe vorbereitet
  • stehen die Pflegeeltern Besuchskontakten grundsätzlich positiv gegenüber
  • spüren Pflegeeltern, wenn Besuche das Kind emotional stark belasten
  • ist im Hilfeplan genau festgelegt, was in welcher Zeit geschehen muss, um die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so zu verändern, dass das Kind zurück kehren kann. Ein Säugling hat keine Zeit. Das natürliche Bindungsbedürfnis bestimmt die Entwicklung. Auch die Bereitschaftspflege hat sich diesem biologischen Bindungsbedürfnis des Kindes unter zu ordnen. Bei einem Säugling ist die Bereitschaftspflege auf wenige Wochen zu beschränken. Die oft vorgebrachte Frist von 2 Jahren, die aus § 86.6SGB VIII abgeleitet wird, beruht auf einem Missverständnis und hat bei der Beurteilung der Bindungssituation eines Säuglings nichts zu suchen.
  • falls diese Rückkehr in einem dem kindlichen Zeitbegriff entsprechenden Rahmen nicht möglich ist, ist die Frage nach der dauerhaften Lebensperspektive klar beantwortet ?

Es gibt Fälle, wo die Perspektive von Anfang an klar ist, weil sich die Erziehungsbedingungen für dieses Kind in einem angemessenen Zeitrahmen nicht verändern lassen. Hier muss auch danach konsequent gehandelt werden.

  • besteht zwischen Herkunftsfamilie, Pflegefamilie und Fachbehörde Einigkeit über den Lebensmittelpunkt des Kindes oder werden Doppelbotschaften gesendet?
  • weiß das Kind, wo es zu Hause ist?

Risikofaktoren, die auch zum Scheitern des Pflegeverhältnisses führen können.

  • Vor der Unterbringung des Kindes wurden die Pflegeeltern nur mangelhaft informiert über die bisherige Entwicklung des Kindes, über die bisherigen Erziehungseinflüsse, wer hat für das Kind eine positive oder negative Bedeutung
  • Es besteht vor der Unterbringung des Kindes in der Pflegefamilie kein Hilfeplan, oder

es fehlen im Hilfeplan Aussagen darüber, was sich in welchem Zeitraum bei den Eltern in welcher Weise verändern muss, damit das Kind zu den Herkunftseltern zurück kann Das Alter des Kindes und der jeweilige Entwicklungsstand müssen sorgfältig beachtet werden.

  • Die Ängste des Kindes werden nicht erkannt und nicht benannt
  • Bei Besuchen wird entweder von den Gerichten, den Ämtern, den Herkunftseltern oder Pflegeeltern psychische oder gar körperliche Gewalt ausgeübt.. Die Gefühle und die Angst des Kindes werden nicht beachtet.
  • Die Besuche dienen der „sanften Umgewöhnung“ des Kindes mit dem Ziel der gegen den Willen des Kindes angestrebten Rückführung zu den Herkunftseltern
  • Die Fachbehörde nimmt die Beobachtungen der Pflegeeltern nicht ernst sondern unterstellt bei, von außen nicht nachvollziehbaren Widerständen des Kindes gegen Besuche, dass dies auf die Haltung der Pflegeeltern zurück zu führen ist
  • Das Alter des Kindes und der Entwicklungsstand, insbesondere die Trennungsangst des Kindes findet nicht die gebührenden Beachtung. Ein gesunder Säugling und Vorschulkind kann eine Trennung von der Bindungsperson nur eine eng begrenzte Stundenzahl unter besonders günstigen Umständen verkraften (s. Großmann / Großmann 2005) )Je mehr Risiken ein Kind mitbringt, umso geringer sind seine Verarbeitungsmöglichkeiten.

Bei einem gesunden Säugling ist die Bindungsperson, bei der er Schutz sucht, das Zentrum seiner Welt. Die Kehrseite der Bindung ist Trauer (Großmann/Großmann 2005, S. 74). Hat ein Kind eine Bindung zu einer bestimmten Bindungsperson aufgebaut, was ab 4 bis 6 Monaten der Fall ist, so wird es bei einer Trennung von ihr leiden. Kommt es zu einer längeren Trennung oder gar zu einem Verlust, so zeigen alle Kinder eine typische Sequenz aus

  1. Betäubtsein
  2. Protest und Sehnsucht (Trennungsangst und starkes Bemühen um das Wiedererlangen der Person
  3. Verzweiflung und Desorganisation (Kummer, Trauer und evtl. Realitätsverlust)

Folgende Gefühle sind während der drei Phasen zu erwarten:
Sehnsucht nach der Rückkehr der verlorenen Person,. Verzweifelte Hoffnung, das wunderbarerweise die Person plötzlich wieder da sein wird, Wut, im Stich gelassen worden zu sein, zornige Vorwürfe gegen alle, die mit diesem Verlust in Verbindung gebracht werden können. Die vierte Phase führt im Kindesalter zur Entfremdung und Ablösung von der Bindungsperson, was im Erwachsenenalter einer Reorganisation entspricht (Bowlby, 1973/1976, S. 45).

Aus den Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt ergibt sich, dass Übernachtungen bei Kleinkindern und Säuglingen bei Besuchskontakten in der Herkunftsfamilie ein nicht abzuschätzendes Risiko bedeuten. Das Kind hat keine Möglichkeit, bei Verlustängsten zu der vertraten Bezugsperson zu fliehen.

Schutzfaktoren, die zum Gelingen der Besuchskontakte beitragen

1. Die Pflegeeltern wurden sorgfältig die Aufnahme eines Pflegekindes vorbereitet.

Die prägende Wichtigkeit der Biografie des Kindes und die Veränderung des eigenen Familiensystems wurden reflektiert, gegenseitige Erwartungshaltungen wurden bedacht und die Notwendigkeit der Offenheit und Wertschätzung der Herkunftsfamilie wurden erkannt. Die Pflegeeltern stehen Besuchskontakten positiv gegenüber.
Neben Einzelgesprächen haben sie an einem Vorbereitungsseminar teilgenommen. Die in der Familie bereits lebenden Kinder sind in die Entscheidung mit einbezogen.

2. Die Pflegeeltern erhalten umfassende Informationen über das Pflegekind vor der Aufnahme des Kindes.

Nur so ist es möglich, dass das passende Kind auf die passenden Pflegeeltern trifft. Und die Pflegeeltern realistisch einschätzen können, ob sie den zu erwartenden Belastungen gewachsen sind.

Wichtig ist, dass bereits im Vorfeld Vertrauen zwischen der Fachkraft und den Pflegeeltern besteht, damit die Pflegeeltern auch rational nicht zu begründende Gefühle und Abneigungen oder Abwehr gegen Verhaltensweisen, z.B. sexualisiertes Verhalten eines sexuell missbrauchten Kindes oder gegen alkoholkranke Herkunftseltern äußern können, ohne als ungeeignete und nicht belastbare Pflegeeltern abgestempelt zu werden.

Es ist wichtig, dass nicht nur über vorhandene Informationen, sondern auch über die Informationslücken gesprochen wird und festgelegt wird, wer welche Informationen besorgt (z.B. medizinische Untersuchung, Abklären eines Verdachtes auf sexuellen Missbrauch oder körperliche oder seelische Misshandlungen, mögliche Behinderungen, Erziehungsverhalten der bisherigen Betreuer, Wechsel in den Bezugspersonen, gibt es Spielsachen, Gegenstände, Gerüche, Bettdecken, Kissen, die dem Kind lieb sind).

Der oft zitierte Datenschutz greift hier nicht, weil diese Informationen für die Pflegeeltern erforderlich sind, damit sie das Kind verstehen können um damit den Erziehungsalltag bewältigen zu können und dem Kind keine unnötigen Stresssituationen zumuten.

3. Im günstigen Fall lernen sich die Erwachsenen ohne Beteiligung des Kindes kennen

Gemeinsame Gespräche zwischen Pflegeeltern, Sozialarbeiter und Herkunftseltern haben das Ziel, im Interesse des Kindes zu erarbeiten, was für das Kind jetzt und für die Zukunft wichtig ist. Fragen, was die Herkunftseltern jetzt tun müssen, damit das Kind auf das Alter des Kindes bezogen, verändern müssen, damit das Kind zurück kommen kann. Falls die Erziehungsbedingungen nicht in dem für dieses Kind angemessenen Zeitrahmens verändert werden können oder das Kind traumatisiert wurde, ist eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive von Anfang an zu erarbeiten.

Die Herkunftseltern müssen über den kindlichen Zeitbegriff umfassend informiert werden. In der Praxis geschieht dies auch heute noch oft nicht, weil die Unterschrift unter den Antrag „Hilfe zur Erziehung“ leichter zu erhalten ist, wenn die Mutter von der irrigen Annahme ausgeht, dass sie das Kind unabhängig von den Bindungen, die es an die Pflegeeltern eingegangen ist, wieder zu sich nehmen kann. Wenn hier der beschwerlichere, aber ehrlichere Weg gegangen wird, erspart dies allen Beteiligten, nicht zuletzt der Mutter, viele Belastungen und Vertrauensbrüche

In vielen Fällen, insbesondere bei Misshandlung und Vernachlässigung des Kindes verbunden mit dem Mangel an Einsicht bei den Eltern, kann dieses Kennenlernen vor der Aufnahme des Kindes nicht stattfinden.

Wenn die Eltern den Verbleib des Kindes nicht akzeptieren können, ist der Sozialarbeiter gefordert, klare Strukturen aufzuzeigen. Erst dann sind Besuchskontakte mit dem Kind möglich.

4. Das Kind muss auf den Besuch vorbereitet werden

Wichtig ist, dass der betreuende Sozialarbeiter ein Vertrauensverhältnis zum Kind aufbauen kann. Dazu sind fachliche Standards der Vermittlungsstelle erforderlich.

Die Fachkräfte der Pflegekinderdienste brauchen eine spezialisierte und fundierte Fortbildung nicht nur in den theoretischen Grundlagen des Pflegekinderwesens, sondern auch im Umgang mit Kindern, im Besonderen mit bindungsgestörten und traumatisierten Kindern.

Neben der kontinuierlichen Fortbildung und Spezialisierung im Pflegekinderbereich ist die Kontinuität des Sozialarbeiters für das Kind wichtig. Nicht „das Jugendamt“ sondern Frau Müller oder Herr Mayer vom Jugendamt sind Vertrauenspersonen. Das Kind muss wissen, dass seine Interessen, seine Wünsche, Ängste und Erwartungen von der Fachkraft ernst genommen werden. Das Kind muss auch erleben, dass es Schutz erwarten kann und die Sozialarbeiter ein positives Verhältnis zu seinen Bezugspersonen, im Besonderen zu den Pflegeeltern, haben. Die Praxis, dass das Kind auf das Amt bestellt wird zum Gespräch, damit es unbeeinflusst von den Pflegeeltern seine Meinung sagen kann, ist Zeichen eines mangelnden Vertrauensverhältnisses zu den Pflegeeltern und bewirkt beim Kind Unsicherheit und auch Angst. Der Sozialarbeiter kann im Spiel bei kleinen Kindern in dem eigenen Kinderzimmer mehr über das Kind erfahren als bei einer angeblich neutralen Befragung auf dem Amt.

Dort, wo der Sozialarbeiter in ein spezialisiertes Pflegekinderteam eingebunden ist, besteht eine gute Chance, dass das Fachwissen in dieser Abteilung gebündelt wird und allen Beteiligten zum Nutzen gereicht. Bei einer geeigneten Struktur der Abteilung und nicht zuletzt, wenn der Pflegekinderdienst regelmäßig gesellige Zusammenkünfte mit den Pflegefamilien pflegt, ist dem Kind, den Herkunftseltern und den Pflegeeltern nicht nur ein einzelner Mitarbeiter, sondern zumindest zwei oder drei Fachkräfte bekannt.

5. Die ersten Besuche sind immer durch den zuständigen Sozialarbeiter zu begleiten

Nur so kann er sich ein eigenes Bild über die Möglichkeiten und Grenzen der Besuchskontakte machen. Es ist wichtig, dass der Sozialarbeiter die Reaktionen vor und nach den Besuchen beobachtet. Die Pflegeeltern sind die einzigen, die z.B. die Nacht nach dem Besuch erleben und darüber berichten können. Diesen Berichten ist Beachtung zu schenken.

Nur wenn die Sozialarbeiterin nahe am Kind ist, kann sie die Ängste und Sehnsüchte des Kindes beurteilen. Vom Schreibtisch aus geht das nicht

Die Praxis geht oft dazu über, begleitete Besuche an Honorarkräfte zu vergeben. Hier nimmt sich der zuständige Sozialarbeiter eine einmalige Gelegenheit, eine sorgfältige eigene Einschätzung der Situation des Kindes zu verschaffen. Eine Arbeitsersparnis bedeutet dies in der Anfangsphase nicht, weil die Vorbereitung und die Nachbesprechung der Besuche bei Konflikten sehr zeitaufwendig ist. Wenn der Sozialarbeiter die Situation selbst miterlebt, kann er im Vorfeld manchen Konflikt entschärfen oder er erlebt, dass das Kind mit der Situation tatsächlich überfordert ist.

6. Das Grundbedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit ist bei fast allen Pflegekindern verletzt.

Da diese existentiellen Grundbedürfnisse nach sicherer Zugehörigkeit, ausgenommen bei der Vermittlung eines Neugeborenen, zu den geliebten Bezugspersonen verletzt wurde und wenig Verarbeitungsmöglichkeiten in Stresssituationen bestehen muss mit Trennungserfahrungen und Stresssituationen besonders sorgfältig umgegangen werden. Dies ist durch die Hirnforschung belegt.

Bei Säuglingen und Vorschulkindern ist der wichtigste Schutz der Kinder, dass sie bei Besuchskontakten nicht weggegeben oder mitgegeben werden, sondern dass Pflegefamilie und Herkunftsfamilie gemeinsame Unternehmungen machen. Bei etwas Phantasie können Situationen geschaffen werden, die von vornherein Spannungen vermindern. So kann ein Besuch im Zoo, einem Wildgehege, einem Grillplatz und anderen Möglichkeiten, die bei genauem Nachdenken immer gefunden werden können, eine entspanntere Atmosphäre schaffen. Das Kind hat die Möglichkeit, wenn es beunruhigt ist oder Trost sucht, zu der schutzgewährenden Pflegeperson zu gehen. Auf der anderen Seite hat es die Möglichkeit, das Spiel mit der Herkunftsfamilie zu suchen.

Solange keine Einigkeit über den Lebensmittelpunkt des Kindes besteht und das Kind durch Bemerkungen und Andeutungen über eine bevorstehende Trennung von der Pflegefamilie verängstigt wird, sind diese lockeren Besuche nicht möglich, d.h. der zuständige Sozialarbeiter muss einen solchen Besuch so vor- und nachbereiten, dass Klarheit darüber besteht, dass die Besuche nur fortgeführt werden können, wenn sich die innere Haltung dem Kind gegenüber verändert und der Lebensmittelpunkt des Kindes in der Pflegefamilie akzeptiert wird. Die Praxis zeigt, dass durch diese Klarheit des Sozialarbeiters Veränderung möglich ist.

Ein Beispiel:
Die sehr junge Mutter hat im Mutter und Kind Heim das Kind in einer Überforderungssituation mit ca. 3 Monaten misshandelt und schließlich verlassen. Die Mutter war selbst über einen längeren Zeitraum in einem Kinderheim wegen Überforderung ihrer leiblichen Mutter untergebracht. Die junge Mutter konnte dahin geführt werden, dass sie den Verbleib des Kindes in einer Pflegefamilie akzeptieren konnte und damit waren schon in der Säuglingszeit gemeinsame Besuche zusammen mit den Pflegeeltern an einem neutralen Ort möglich. Die Schwierigkeit kam, als die Großmutter Rechte anmeldete und bei dem ersten Besuch in Anwesenheit des Kleinkindes keine Gelegenheit versäumte zu sagen, dass sie nicht zulasse, dass die Pflegeeltern ihr Enkelkind für sich beanspruchen und dieses mit Sicherheit nicht bei ihnen groß werden würde. Die Sozialarbeiterin beendete daraufhin den Besuch und lud Mutter und Großmutter zu klärenden Gesprächen ein, bevor der Großmutter ein weiterer Besuch gestattet werden konnte. Da die Großmutter die klare Haltung der Sozialarbeiterin erlebte und bei der Pflegemutter jemanden fand, der den Schmerz der Großmutter verstehen konnte, waren Besuche mit gemeinsamen Unternehmungen, die von der Pflegemutter geplant wurden und daher auch für den Jungen interessant waren, über nunmehr 14 Jahre ohne besondere Belastungen möglich

7. Rechte und Pflichten gehören zusammen

Die Verantwortlichkeit der Pflegeeltern muss im Interesse des Kindes gestärkt werden. Der Gesetzgeber hat den Pflegeeltern gem. § 1630 Abs. 3 BGB das Antragsrecht für Teile des Sorgerechtes eingeräumt und in § 1887 BGB bestimmt, dass der Amtspfleger/Vormund zu entlassen ist, wenn ein geeigneter Einzelvormund zur Verfügung steht. Die gesetzlichen Vorgaben sind klar, die Praxis jedoch ist weit davon entfernt, diese gesetzlichen Vorgaben zu verwirklichen.

III. Welche Bedingungen führen zum Gelingen, welche zum Misslingen der Besuchskontakte

Gelingen und Misslingen von Besuchskontakten hängt von allgemein gültigen Bedingungen und von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen, der Geschichte der Kinder und deren Familien ab.

Ich beziehe mich auf eine Fallanalyse von 178 Pflegekindern (3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens: Zwernemann S.239 ff.). Einfach ist es, wenn Zahlen genannt werden können. So ist festzustellen, dass an diesem Stichtag die Häufigkeit der Besuchskontakte zu den Eltern/einem Elternteil wie folgt waren

  • 24 % dieser Kinder hatten mindestens monatlich einen Kontakt
  • 21 % haben weniger als 6 Kontakte im Jahr
  • 39 % hatten keinen Kontakt
  • 16 % der Mütter waren verstorben

Bei den 30 Kindern, die im Alter von 0 bis 8 Monaten in die Pflegefamilie untergebracht wurden, hatten 6 Mütter /Eltern noch nach Jahren monatlichen Kontakt zu ihrem Kind, 7 hatten weniger als 6 Kontakte im Jahr und bei 15 Kindern war kein Kontakt zwischen Eltern und Kind. Dazu kamen 2 Kinder, deren Eltern/Mütter verstorben war.

Im Laufe der Kindheit können ursprünglich geplante Besuche unmöglich werden und anfänglich nicht mögliche Besuche können möglich werden und für alle Beteiligten gut sein.

Als Beispiel bleibe ich bei den 30 Kindern, die im Alter von 0 bis 8 Monaten untergebracht wurden.

Bei einem Jungen, der als Neugeborener von den Eltern bei Bekannten untergebracht wurde und dort ein gutes Zuhause fand, hatte bis zum Alter von 12 Jahren häufige Besuche. Er ging zu den Geschwistern und hatte keine Probleme mit der Herkunftsfamilie, bis diese mit 12 Jahren die Rückkehr einforderten. Ab diesem Zeitpunkt verweigerte er heftig jeden Kontakt mit der Herkunftsfamilie. Ein anderer Junge, der wegen der schweren Erkrankung der Mutter ebenfalls als Neugeborener in die Pflegefamilie kam, hatte unbeschwerten Kontakt zu der Herkunftsfamilie. Die beiden Familien waren sich freundschaftlich zugetan. Der Einbruch kam, als die Besuchskontakte bei dem Vorschulkind mit dem Ziel der Rückführung ausgedehnt wurden. Der Junge verstand die Absicht der leiblichen Eltern und reagierte mit heftigen Ängsten. Besuche waren nur noch mit Zwang möglich, was zu noch heftiger Abwehr des Kindes geführt hat.(s. S. 269 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens). Bei einem Mädchen, das zunächst Besuche ohne Widerstände annahm, führte die aggressive Haltung der leiblichen Mutter gegenüber den Pflegeeltern zu einer völligen Verweigerungshaltung der inzwischen jungen Frau, die bis heute anhält.

Fünf Kinder, die als Neugeborene bis zum Alter von 8 Monaten in die Pflegefamilie kamen, sind behindert und wurden deshalb von den Eltern abgelehnt. Zwei dieser Kinder waren durch Misshandlungen der Eltern behindert.
Zwei Mütter, die beide seit vielen Jahren in Kliniken bzw. in Wohngemeinschaften für psychisch Kranke leben, können sich nicht entschließen, Kontakt zu ihren Kindern aufzunehmen, weil sie Angst haben, während dem Besuch könnten die Wahnvorstellungen durchbrechen und sie könnten den beiden Mädchen schaden.
Bei zwei Elternteilen, die ebenfalls psychisch krank sind und keine Krankheitseinsicht haben, wurden die Besuche durch Gerichtsbeschluss untersagt.
Drei Mütter verabschiedeten sich von den Kindern und verzogen in weit entfernte Städte.

Bei Kinder, die im Schulalter untergebracht werden mussten, war die Situation unterschiedlich. Ich denke da an vier Kinder, die zunächst von ihren Müttern gut versorgt wurden und dann von den neuen Lebenspartnern der Mutter abgelehnt und teilweise misshandelt wurden Diese Mütter hatten sich den Partnern untergeordnet und waren trotz der Bemühungen des Sozialarbeiters auch nicht zu Besuchen bereit. Diese Kinder litten sehr darunter, dass die Mutter sich nicht um sie kümmerte. Therapeutische Hilfen konnten etwas Hilfe bringen, aber der tiefsitzende Schmerz und später auch die Wut konnte nicht aufgelöst werden.

Eine Mutter aus der Praxisanalyse lehnte das Kind, das aus einer Vergewaltigung stammte, heftig ab. Sie konnte im Laufe von einigen Jahren die Probleme aufarbeiten und gelegentliche Besuche wurden für alle Beteiligten möglich und gut. Zwei Mütter, die unter einer Psychose leiden, konnten mit therapeutisch/medizinischer Hilfe soweit hergestellt werden, dass die Besuche für die Kinder wenig Belastung brachten. Ein Mädchen, dessen Mutter sich bis zum Alter von ca. 14 Jahren nicht interessiert hatte, nahm auf Wunsch des Mädchens den Kontakt auf. Nach zunächst heftiger Zuneigung zwischen leiblicher Mutter und dem Kind ist eine Ernüchterung eingetreten, weil das Mädchen den Lebensstil der leiblichen Mutter nicht akzeptieren kann. Gelegentliche Besuche finden weiterhin statt.

Bei den über Jahre gut gehenden Besuchskontakten gibt es besonders günstige Voraussetzungen.

  1. Bei den Kindern, die als Säugling in der Pflegefamilie untergebracht werden, ist eine sichere Bindung zwischen Pflegefamilie und Kind entstanden.
  2. Die Kinder erleben, dass die Pflegeeltern mit den leiblichen Eltern zusammen Spaziergänge und gemeinsame Unternehmungen machen.
  3. Es bestand Einigkeit über den Lebensmittelpunkt des Kindes.. Die Grundbedürfnisse des Kindes werden altersgerecht beachtet, im Besonderen das Bedürfnis nach sicherer Zugehörigkeit, Geborgenheit und Liebe. Die Erkenntnisse der Trauma- und Bindungsforschung werden von allen Erwachsenen beachtet. Die Fachkraft hat die Aufgabe, die Wichtigkeit dieser Erkenntnisse für das Kind deutlich zu machen.
  4. Der zuständige Sozialarbeiter bringt sich besonders in der Anfangsphase des Pflegeverhältnisses intensiv ein und hilft den Herkunftseltern bei der Verarbeitung der Trennung von dem Kind, der Verarbeitung der Schuldgefühle und den Pflegefamilien bei der Verarbeitung der Veränderungen in ihrer Familie und bei der Bewältigung von auftretenden Problemen.
  5. Sowohl der Sozialarbeiter wie auch die Pflegeeltern bringen den Herkunftseltern als Person, unabhängig davon, ob sie ihr Handeln billigen können, Wertschätzung entgegen. Die Herkunftseltern akzeptieren die Pflegeeltern als soziale Eltern, bei denen das Kind groß werden darf.
  6. Es wird, auch nicht von Jugendamt und Gericht, Druck und Zwang ausgeübt. Der Wille des Kindes findet Beachtung. Dies zeigt sich schon dann, wenn ein Säugling oder Kleinkind von den Herkunftseltern nicht geküsst werden will. Falls dies die Herkunftseltern nicht erkennen können, hat die Fachkraft die Aufgabe, diese zur Haltung der Achtung vor dem Willen und den Gefühlen des Kindes zu führen.
  7. Das Kind wird nicht in Trennungsängste gestürzt. Der bei negativ verlaufenden Besuchskontakten mit Druck und Zwang oft zu hörende Satz, da muss ein Pflegekind einfach durch, findet bei keinem Beteiligten (Fachkräfte, Gericht, Pflegeeltern und Herkunftseltern) Raum.
  8. Die rechtliche Situation ist geklärt. Rechte und Pflichten liegen möglichst nah beieinander.
  9. Die Bedürfnisse des Kindes in den verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen finden Beachtung. Die Fachkraft hat hier genügend Kapazität für die Beratung zu haben. Die unterschiedlichen individuellen Risikofaktoren des Kindes werden ergründet und beachtet. Die Beobachtungen der Pflegeeltern finden Beachtung. Wenn das Kind Ängste entwickelt, werden diese von allen Erwachsenen sehr ernst genommen, auch wenn diese für Erwachsene manchmal nicht nachvollzogen werden können.
  10. Das Kind hat keine Traumatisierung erfahren. Misshandlungen, sexueller Missbrauch und Vernachlässigung werden nicht geleugnet oder bagatellisiert.

Fazit:

Besuchskontakte haben dem Kind zu dienen. Wenn ein Kind Widerstände gegen Begegnungen mit der Herkunftsfamilie zeigt, so hat dies seine Vorgeschichte, die wir nur unvollständig kennen. Es ist nicht von Bedeutung, was die Erwachsenen verstehen, sondern das, was das Kind signalisiert. Das Kind hat ein Recht auf Schutz. Zwang, sei es psychisch oder gar körperlich ist unzulässig und steht im Widerspruch zu geltendem Recht.

Die Beobachtungen der Pflegeeltern nach Besuchskontakten müssen Beachtung finden. Das Mitgeben oder Abgeben des Kindes ist nicht vertretbar. Pflegeeltern und Herkunftseltern, evtl. auch begleitet, müssen etwas zusammen unternehmen können, sonst ist kein Kontakt möglich. Voraussetzung ist die Akzeptanz des Lebensmittelpunktes des Kindes.

Pflegekinder können nicht mit den Kindern aus geschiedenen Ehen verglichen werden. Die Situation von Scheidungs- und Pflegekindern ist grundverschieden und Vergleiche sind unzulässig. Im Normalfall haben Kinder aus geschiedenen Ehen zu beiden Elternteilen eine gewachsene Bindung. Zu einem Pflegekind wird ein Kind nur dann, wenn seine Bedürfnisse nicht erkannt wurden und wenn es tiefgreifende Verlusterlebnisse hatte die sein Urvertrauen erschüttert haben.

Jedes Pflegekind bringt Risiken mit sich, die einen erhöhten Schutz einfordern Längere Trennungen bei Säuglingen und Vorschulkindern bedeuten für die Entwicklung des Kindes ein hohes Risiko. Deshalb sind Übernachtungen auszuschließen.

Dort, wo keine gemeinsamen Unternehmungen zwischen Pflegefamilien und Herkunftsfamilien möglich sind, ist ein Besuchskontakt nicht möglich. Begleitete Besuchskontakte sind in der Regel ebenfalls nicht im Interesse des Kindes, was nicht ausschließt, dass für eine Übergangszeit fachlich begleitete Besuche in Anwesenheit der Pflegeeltern heilsam sein können. Dabei muss die Zielsetzung

Das Festlegen der Besuchskontakte ist ein ständiges Verändern, ein stetes Anpassen an die sich verändernden Bedürfnisse des Kindes, es ist nicht das einfache Abhaken eines Termins für alle Beteiligten. Die Erwachsenen müssen reflektieren.

Das Kind hat ein Recht darauf, dass es nach all den Verletzungen, die es erfahren musste, ein Recht auf Normalität und ein Recht auf Selbstbestimmung hat.

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von
Karin Grossmann, Klaus E. Grossmann

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