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Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit
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Eigenverantwortliches Handeln hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Von erwachsenen Menschen – auch von Menschen mit Behinderungen – wird erwartet, dass sie ihr Leben selbst gestalten und so über ihre Teilhabe mitbestimmen können.
Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit sind eng miteinander verbunden. Denn wer eigenverantwortlich handeln will, muss die Erfahrung gemacht haben, dass er mit seinen Handlungen erfolgreich ist und dadurch seine Zukunft selbst gestalten kann. Eigenverantwortung kann nur übernehmen, wer der Überzeugung ist, dass er sein Leben unter Kontrolle hat und positiv beeinflussen kann. Diese Überzeugung wird auch mit dem Begriff Selbstwirksamkeit beschrieben.
Selbstwirksamkeit spielt in allen Bereichen unseres Lebens eine wichtige Rolle, sie prägt die Gestaltung unseres Lebensentscheidend mit. Wer Kinder und Jugendliche stärken möchte, sollte die entsprechenden Prozesse kennen – und selbst eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung haben.
I Was bedeutet Selbstwirksamkeit?
Der Begriff „Selbstwirksamkeit“, eine Übersetzung des englischen „self-efficacy“, wurde durch den Psychologen Albert Bandura geprägt. Die „Selbst-Wirksamkeit“ eines Menschen bezieht sich darauf, dass er „selbst wirksam“ werden kann. Damit wird beschrieben, dass und wie man aus eigener Kraft, dank individueller Fähigkeiten, etwas bewirken und somit etwas erreichen kann.
Diese Wirksamkeit bezieht sich auf die Handlung selbst, ist dabei aber zugleich auf das angestrebte, erwünschte Ergebnis bzw. Ziel ausgerichtet. Denn Ziele und Ergebnisse sind oft der Ausgangspunkt einer Handlung: Wir wollen etwas erreichen. Wie wir dies erreichen, hängt dann nicht nur von unseren eigenen Fähigkeiten ab, sondern auch von den äußeren Umständen.
Damit Selbstwirksamkeit einen Einfluss auf unser Handeln haben kann, ist entscheidend, dass sie bewusst wahrgenommen (perceived self-efficacy) wird:
Wir wissen um unsere Selbstwirksamkeit und glauben an uns. Dieser Glaube an die eigenen Fähigkeiten umschreibt hier unsere Erwartungen, Einschätzungen, Überzeugungen oder Urteile im Zusammenhang mit unserem Handeln.
Wir sind davon überzeugt, dass wir – aufgrund unserer Fähigkeiten und Kompetenzen – Handlungen so planen und ausführen können, dass wir – auch in Zukunft – neue und schwierige Situationen meistern können.
Die Einstellung, mit der eine Person an ihr Handeln herangeht, wird auch als Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) bezeichnet. Sie bezeichnet die eigene Erwartung, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können.
Selbstwirksamkeit steht somit im Spannungsfeld von
- individuellen Überzeugungen (der Glaube an sich selbst),
- einer angemessenen Einschätzung der momentanen Situation und
- individuellen Vorstellungen der Ziele bzw. Ergebnisse.
Warum ist Selbstwirksamkeit wichtig?
Selbstwirksamkeit, vor allem die Erwartung unserer Selbstwirksamkeit, hat einen großen Einfluss darauf, wie wir unser Leben gestalten (können) und welche Möglichkeiten wir im Leben haben.
Sie kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn neue Herausforderungen oder schwierige Situationen bewältigt werden müssen. Ereignisse, die nicht alltäglich sind, sondern unerwartet auftreten, können uns herausfordern – und gegebenenfalls auch überfordern. Wir können nicht auf bewährte Mechanismen zurückgreifen und uns nicht an unsere Routine halten. In diesen Momenten hilft es, wenn wir an unsere Selbstwirksamkeit glauben.
Dazu zählt, dass wir überzeugt sind, auch in schwierigen oder neuen Situationen etwas leisten zu können. Wir „erwarten“ von uns selbst, dass wir ein Problem lösen können. Nicht nur, weil wir unsere Fähigkeiten richtig einschätzen können, sondern auch, weil wir die äußeren Umstände richtig einschätzen können und wissen, welche Ziele wir erreichen möchten.
Selbstwirksamkeit beschreibt dementsprechend nicht den allgemeinen, grundsätzlichen Glauben an sich selbst (Selbstvertrauen), sondern bezieht sich auf einzelne Situationen und Bereiche.
Selbstwirksamkeit bezieht sich dabei auch auf eine realistische (aber positive) Einschätzung der eigenen Fähigkeiten – und steht so auch im Gegensatz zur Selbstüberschätzung.
Selbstwirksamkeit im Prozess
Bevor wir in einer spezifischen Situation handeln, geschieht viel in unserem Kopf: Wir analysieren (bewusst oder unbewusst) die Bedingungen, unsere Wünsche und Ziele und schätzen darauf bezogen unsere Fähigkeiten und Kompetenzen ein. Schließlich wollen wir ein bestimmtes Ziel oder Ergebnis erreichen. Dementsprechend planen wir unsere Handlung. Wir denken (bewusst oder unbewusst) über unsere nächsten Schritte nach. In dieser Phase motivieren wir uns für eine Handlung.
Dazu gehört auch, dass wir abwägen:
- Wie kann ich mein Ziel erreichen?
- Führt diese Handlung zu diesem Ziel?
- Habe ich die Fähigkeit, diese Handlung
- durchzuführen? Passen auch die äußeren Umstände?
In dieser Phase der Motivation kommt unsere Selbstwirksamkeitserwartung ins Spiel. Sie entscheidet, ob wir uns eine Handlung zutrauen oder nicht. Glauben wir daran, dass wir unser Ziel erreichen können? Erst im Anschluss an diese Vorüberlegungen und Entscheidungen handeln wir – oder auch nicht.
Durch die Erfahrung unserer Selbstwirksamkeit werden unser Fühlen und Denken, unsere Selbstmotivation und das daraus resultierende Handeln in einer spezifischen Situation bestimmt.
Sind diese Erfahrungen positiv, erleben wir das Gefühl, durch das eigene Handeln etwas bewirken oder ändern zu können. Auf diese Weise beeinflusst unsere Selbstwirksamkeitserwartung auch unser Handeln.
Der Einfluss der Selbstwirksamkeitserwartung
Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt anschaulich, wie unsere inneren Einstellungen, Haltungen und Überzeugungen einen Einfluss auf unser Verhalten und unsere Handlungen haben. Die Einstellung, die eine Person zur Wirksamkeit ihres Handelns hat, wirkt sich stets auf das Ergebnis ihres Handelns aus.
Auch Kinder und Jugendliche, die sich selbst nicht viel zutrauen, sind unsicher und bremsen sich selbst in ihrem Handeln. Sie sind davon überzeugt, dass ihr eigenes Handeln keine (positiven) Auswirkungen hat – und verhalten sich entsprechend.
"Tina würde gerne ihre Freundin besuchen, dazu müsste sie mit dem Bus und dem Zug in die nächste größere Stadt fahren und dabei zweimal umsteigen. Sie glaubt nicht, dass sie das allein schafft. Also bleibt sie lieber zu Hause."
Kinder und Jugendliche dagegen, die an sich selbst glauben, sind mutiger und selbstbewusster. Allein durch diese (innere) Einstellung gelingen ihnen viele Sachen besser. Nicht zuletzt, weil sie davon überzeugt sind. Sie haben die Überzeugung, dass sie das, was sie gerade machen wollen, auch wirklich machen können.
"Tinas Freundin dagegen ist sich sicher, dass sie das kann. Schließlich war sie schon oft genug mit ihren Eltern zu Besuch bei Tina und kennt den Weg. Unterwegs muss sie zwar den Busfahrer fragen, ob das der richtige Bus ist und wo sie aussteigen muss, aber sie kommt sicher bei Tina an."
Das heißt nicht, dass Tinas Freundin wirklich besser mit Bus und Bahn fahren kann. Es bedeutet nur, dass sie an sich glaubt. Bereits der Glaube an uns und unsere Wirksamkeit hat einen starken Einfluss auf unseren tatsächlichen Erfolg. Die Antwort auf die Frage: „Schaffe ich das?“ entscheidet mit darüber, ob unser Handeln erfolgreich ist oder nicht. Und zwar viel mehr, als unser Erfolg von unseren tatsächlichen Fähigkeiten abhängt.
Wer denkt: „Das geht bestimmt schief!“, wundert sich nicht, dass es tatsächlich schiefgeht – das nennt man dann auch eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“. Kinder, die wie Tina davon überzeugt sind: „Das schaffe ich nicht!“, behindern sich dadurch selbst. Sie haben eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung und sind deshalb auch der Überzeugung, dass sie mit ihren Fähigkeiten und ihrem Verhalten nicht viel bewegen können.
Wer dagegen optimistisch an eine schwierige Aufgabe herangeht („Das schaffe ich schon!“), hat eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Er ist überzeugt, dass er selbst etwas bewirken kann. Dieses Vertrauen in die eigene Stärke und das eigene Leistungsvermögen ist dabei auch ein wichtiges Merkmal der (kindlichen) Resilienz. Resiliente Kinder zeigen eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung.
Entscheidend ist allerdings auch die Angemessenheit der Selbstwirksamkeitserwartung: Eine hohe SWE bedeutet nicht, dass man sich alles zutraut und so sich und seine Fähigkeiten überschätzt, sondern dass man eine Situation realistisch einschätzt.
(Aus-)Wirkungen einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung
Untersuchungen und Beobachtungen zeigen, dass die Selbstwirksamkeitserwartung in ganz unterschiedlichen Bereichen Auswirkungen auf den Erfolg des Handelns hat. So haben Menschen, die über einen starken Glauben an die eigene Kompetenz verfügen, größere Erfolge in Ausbildung und Berufsleben, im Sport und in der Freizeit. Denn Selbstwirksamkeit beeinflusst Leistungs- und Motivationsprozesse.
An dieser Stelle zeigt sich, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Einstellung und dem Handlungserfolg besteht. Wer mit einer positiven Einstellung an neue und schwierige Aufgaben herangeht, kann sich leichter motivieren und ist dadurch motivierter. Bereits die Überzeugung „Ich schaffe das!“ erhöht die Arbeitsbereitschaft. Wer mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung an eine Aufgabe herangeht, ist bereit, sich anzustrengen.
Dies hat weitreichende Auswirkungen, zum Beispiel dass
- Aufgaben mit größerer Ausdauer bewältigt werden (Durchhaltevermögen),
- die Arbeit/Aufgabe gründlicher erledigt wird (Gründlichkeit),
- anspruchsvolle Ziele gesetzt (und auch erreicht) werden,
- die Arbeitszeit effektiv genutzt wird,
- weniger Angst vor schwierigen Aufgaben existiert,
- Probleme flexibel gelöst werden können, ...
Diese Faktoren tragen wiederum dazu bei, dass die individuellen Erfolgschancen steigen.
Wer dagegen mit negativen Gedanken („Das ist zu schwierig für mich!“, „Das schaffe ich in der Zeit doch nie!“) an eine Aufgabe herangeht, gibt dagegen im Vergleich eher auf und zeigt weniger Initiative.
Auswirkungen der Selbstwirksamkeitserwartung auf unsere Gesundheit
Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung haben nicht nur größere Erfolge in ihren Handlungen, es zeigen sich noch weitere Auswirkungen.
So fühlen sich Personen mit einer höheren Selbstwirksamkeitserwartung insgesamt wohler. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit geht es psychisch und physisch besser. Sie sind belastbarer und widerstandsfähiger (resilienter). Untersuchungen verweisen darauf, dass sie über eine kompetentere Selbstregulation und über bessere Möglichkeiten zur Stressbewältigung (Coping) verfügen. Außerdem zeigen sich bei ihnen geringere Ängstlichkeit und Depressivität. Entsprechend sind Angststörungen und Depressionen mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung verbunden. Personen mit Depressionen und Ängsten glauben nicht, dass sie mit ihrem Handeln etwas bewirken können.
Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung
Die innere Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten ist durchaus veränderbar und kann auch von außen beeinflusst werden. Auf diese Weise kann die Selbstwirksamkeitserwartung erhöht werden. Sie kann aber auch – zum Beispiel durch negative Kritik – gesenkt werden. Wird der Glaube einer Person an ihre eigenen Fähigkeiten bestärkt, verändert sich damit das jeweilige Arbeitsverhalten sowie das Herangehen an eine Aufgabe. Die Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung kann zudem zu einer Verbesserung der Gesundheit führen.
II Selbstwirksamkeit in der kindlichen Entwicklung
Säuglings- und Kleinkindalter
Das Erleben von Selbstwirksamkeit beginnt verhältnismäßig früh. Es steht im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Objekten und der Ausbildung der Ich-Wahrnehmung, der Entwicklung des kindlichen Selbst-Bewusstseins. Schon kleine Kinder können ihre Umwelt differenziert wahrnehmen. Bereits in den ersten Lebensmonaten können Babys ihren Körper von äußeren Objekten unterscheiden und abgrenzen.
7. und 12. Lebensmonat
Zwischen dem 7. und 12. Lebensmonat beginnt die Entwicklung des Kausalverständnisses.
Dabei kommt es zu ersten Anzeichen für das Nachdenken über Ursache und Wirkung: Kinder stellen fest, dass es einen Zusammenhang zwischen einer Handlung (Ursache) und einem Ereignis (Wirkung) gibt: „Wird die Rassel geschüttelt, dann macht sie ein Geräusch.“ Zudem beginnen sie, ihren Körper als „eigenes Selbst“ wahrzunehmen. Ein erstes, noch unreflektiertes Selbstempfinden entsteht.
18. und 24. Lebensmonat
Daraus entwickelt sich zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat das Ich-Bewusstsein. Ein Zeichen dafür ist, dass Kinder jetzt ihr Spiegelbild erkennen.
Diese Prozesse sind entscheidend dafür, sich als selbstwirksam zu erleben. Erst dann kann ein Kind erkennen, dass es selbst Einfluss auf Veränderungen in der Umwelt hat. Es erlebt, dass es selbst Auslöser eines Ereignisses sein kann: „Wenn ich die Rassel schüttle, dann macht sie ein Geräusch.“
2 - 4 Jahren
Im Alter von zwei bis vier Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass sie selbst nicht nur etwas bewirken können, sondern dabei auch etwas leisten können. Auf diese Weise machen sie einerseits die Erfahrung, dass sie Ziele erreichen können, wenn sie sich anstrengen. Dabei lernen sie andererseits auch Erfolg und Misserfolg kennen und beginnen damit, die Wirkung ihrer Handlungen auf die Umwelt zu bewerten. Dabei ist es in diesem Alter typisch, Erfolg wie Misserfolg auf die eigene Leistung zu beziehen: Kann ein Ereignis durch eine eigene Handlung erreicht werden, empfinden Kinder das als persönlichen Erfolg. Ebenso empfinden sie es aber als persönlichen Misserfolg, wenn sie scheitern und die gewünschte Wirkung ausbleibt.
In der Regel gehen Kinder mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung an ihre Handlungen heran: Sie sind optimistisch und glauben an den Erfolg ihrer Handlungen. Auch wenn dies natürlich nicht immer realistisch ist. Aber sie sind neugierig und wollen Neues ausprobieren. Schließlich rufen neue Handlungen neue Wirkungen hervor. So müssen Kinder ausprobieren, was passiert, wenn...
Ab dem 4. Lebensjahr entwickeln Kinder ein Bewusstsein ihrer eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten, die für ihr Selbst eine wichtige Rolle spielen. („Ich kann schon schwimmen.“) Deshalb finden in dieser Zeit auch vermehrt Vergleiche mit anderen Kindern statt. Darüber versichern sich Kinder ihrer eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen.
Schulalter
Bis Kinder etwa acht/neun Jahre alt sind, besitzen sie oft eine naive Selbstwirksamkeitserwartung. Sie sind davon überzeugt, dass sie mit genügend Anstrengung alle angestrebten Ziele erreichen können. Dabei schätzen sie ihre eigenen Fähigkeiten größtenteils positiv ein.
Je älter Kinder werden, desto realistischer wird jedoch die Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten. Sie entwickeln sich weiter, ihre kognitiven Fähigkeiten verbessern sich und damit verändert sich auch ihre Art, ihre Umwelt zu sehen.
Zwischen acht und 12 Jahren (3.-6. Klasse) entwickeln die meisten Kinder eine realistischere Selbstwirksamkeitserwartung. Sie beginnen, die Schwere einer Aufgabe mit ihren eigenen Fähigkeiten in Verbindung zu setzen. Sie haben schon gelernt, dass sie nicht alles erreichen können. Deshalb wird mit der Zeit die Selbstwirksamkeit in verschiedenen Bereichen unterschiedlich empfunden: „Ich bin gut im Fußball, aber ich kann kein Mathe...“
In der mittleren und späten Kindheit lernen Kinder auf diese Weise, mit Enttäuschungen umzugehen. Dabei hat ihr Umfeld großen Einfluss darauf, wie sie auf Enttäuschungen reagieren. Denn die Selbstwirksamkeitserwartung steht in einem engen Zusammenhang mit den bisherigen (Miss-)Erfolgen und dem Vergleich mit anderen Kindern.
Mit zunehmendem Alter haben diese beiden Aspekte (der Vergleich mit anderen sowie schulische Erfolge/Misserfolge) einen großen Einfluss auf die individuellen Überzeugungen.
Kinder, die schulisch wenig Erfolg haben, die negative Erfahrungen gemacht haben, bilden eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung aus. Im Laufe dieser Entwicklung besteht die Gefahr, dass sie ihre Motivation, zu lernen und Neues auszuprobieren, verlieren.
Achtung
Selbstwirksamkeit kann in diesem Alter auch leicht zu Anpassungsfähigkeit werden. Kinder, die sich anpassen, erfahren Selbstwirksamkeit. Sie werden gelobt, während sie etwas tun, das gesellschaftlich erwartet wird. Verhalten sie sich jedoch unerwünscht, werden sie negativ beurteilt.
Pubertät und Adoleszenz
Die Zeit der Pubertät spielt eine große Rolle im Leben, dies gilt auch für die (Weiter-)Entwicklung der Selbstwirksamkeit. In der Zeit der körperlichen und psychischen Reifung prägen die gemachten Erfahrungen unser Selbstbild. Viele junge Menschen bilden ihre eigene Identität aus und entwickeln ein Bild von sich selbst. Sie haben den Drang, sich dabei in vielen Bereichen auszuprobieren. Typischerweise überschätzen sich viele in dieser Zeit. Sie trauen sich alles zu und haben oft kein realistisches Selbstbild. Auf diese Weise machen sie vielfältige, positive wie negative Erfahrungen, die auch die zukünftigen Vorstellungen über die eigene Selbstwirksamkeit formen.
Für Eltern ist es in dieser Zeit oft schwierig, Einfluss auf ihre Kinder zu nehmen. Pubertierende Kinder müssen sich von ihren Eltern abgrenzen und wollen (und können) deshalb nicht auf ihre Eltern hören. Freunde, die Peergroup, nehmen einen wichtigeren Stellenwert ein. Trotzdem können (und müssen) Eltern ihre Kinder immer noch unterstützen – und in ihrer Selbstwirksamkeit stärken. Indem Eltern ihren Kindern vertrauen und an ihre Kinder glauben, können auch ihre Kinder an sich glauben.
Selbstwirksamkeit und Geschlecht
Mit Ausbildung der Identität und der körperlichen Entwicklung nehmen sich Kinder auch verstärkt über ihre geschlechtliche Rolle wahr. Heute ist die Zuschreibung zu geschlechtertypischen Rollen nicht mehr ganz so ausgeprägt wie früher, „untypisches“ Geschlechterverhalten wird eher akzeptiert und Mädchen wie Jungen werden insgesamt mehr Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Interessen gegeben.
Dennoch zeigen sich immer noch Unterschiede bei Jungen und Mädchen, auch bezogen auf ihre Selbstwirksamkeit und Überzeugungen. Generell lässt sich beobachten, dass Mädchen den Erfolg ihrer Handlungen eher fremden Einflüssen zuschreiben (Fremdattribution), während sie sich selbst Schuld an einem Misserfolg geben (Selbstattribution).
Bei Jungen ist es häufig umgekehrt: Erfolg schreiben sie sich selbst zu. Wenn eine Handlung jedoch nicht gelingt, dann haben äußere Faktoren dazu beigetragen.
Einflüsse in der Entwicklung
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass die Entwicklung einer angemessenen Selbstwirksamkeitserwartung eng verbunden mit der kindlichen Entwicklung ist. Dabei gibt es viele Faktoren, die diese positiv oder negativ beeinflussen können. Selbstwirksamkeit entsteht dabei nicht von selbst, sondern ist eingebunden in Erfahrungen und abhängig von der Umwelt und ihren Bedingungen. Diese Rahmenbedingungen können förderlich oder hinderlich sein. Sie können das Erleben von Selbstwirksamkeit konstruktiv unterstützen, aber auch bremsen.
Die folgenden Faktoren können dazu beitragen, dass sich Selbstwirksamkeit entfalten kann:
- 1) Unmittelbare, eigene Erfahrungen
- 2) Lernen von Vorbildern (Lernen am Modell)
- 3) Soziale Unterstützung
- 4) Körperliche Zustände (physiologisch, emotional)
- 5) Wissen auf der Metaebene: Bewusstsein über die Entwicklung der eigenen Vorstellungen und Gedanken – Wissen über angemessene Selbsteinschätzung
Darüber hinaus beeinflussen verschiedene Lebensbereiche die Selbstwirksamkeit, dazu gehören die Familie, der Freundeskreis (die sogenannte Peergroup), die Schule bzw. der Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, aber auch Institutionen im Freizeitbereich (Vereine, Clubs und weitere Freizeiteinrichtungen). Entsprechend ist die Erfahrung der Selbstwirksamkeit eng mit dem Verhalten der Umwelt verbunden. In der frühen Kindheit haben Eltern einen großen Einfluss auf ihr Kind. Je nachdem, wie sie auf ihr Kind reagieren, können sie die Entwicklung seiner Selbstwirksamkeit unterstützen oder hemmen.
Bei älteren Kindern spielt das weitere Umfeld eine große Rolle. Schulische Erfahrungen beeinflussen die Entwicklung der Selbstwirksamkeit ebenso wie die sozialen Kontakte zu anderen Kindern und Erwachsenen in der Schule, der Freizeit, im Verein. Dieses Verhalten hat vor allem dann Auswirkungen, wenn die kindliche Entwicklung verzögert ist.
Entwicklungsstörungen oder Entwicklungsverzögerungen können sich auf die Selbstwirksamkeit auswirken. Kinder, die in ihrer Entwicklung langsamer sind und nicht so schnell lernen, erfahren unter Umständen auch ihre Selbstwirksamkeit nicht so früh. Vergleiche in der Kindheit mit anderen – gleichaltrigen (aber nicht gleich starken) – Kindern und Misserfolge in der Schule können darüber hinaus zu einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung führen.
Gerade für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und Lernbehinderungen ist es deshalb wichtig, dass sie darin unterstützt werden, eine angemessene Selbstwirksamkeitserwartung
zu entwickeln.
III Praktische Unterstützung - Selbstwirksamkeit im Alltag
Je jünger Kinder sind, desto wichtiger sind ihre Eltern. Aus der Beziehung zu ihren Eltern ziehen Kinder ihr Selbstwertgefühl und Selbst-Bewusstsein. Mutter, Vater, Geschwister, Großeltern und Verwandte beeinflussen die kindliche Entwicklung durch ihr Verhalten und ihre Interaktion mit dem Kind. An ihrem Beispiel lernen Kinder. An ihrem Verhalten orientieren sie sich. Ihre Eltern sind dabei nicht nur Vorbild, sondern prägen so auch mit ihren Rückmeldungen das Verhalten ihres Kindes. Durch ihre Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung können sie ihr Kind stärken und auf diese Weise zur Entwicklung der kindlichen Selbstwirksamkeit beitragen. Eltern können ihre Kinder in den oben beschriebenen Bereichen unterstützen.
Beobachten und Lernen an Modellen
Jeder Mensch lernt nicht nur durch eigene Erfahrungen, sondern auch durch Beobachtung seiner Umgebung. Zuerst prägt ihn vor allem das Verhalten von Eltern und Geschwistern, später das von Freunden, Lehrkräften und Betreuern in der Freizeit. Das gilt nicht nur für Kleinkinder, sondern auch noch für Erwachsene. Selbst wenn sie dies nicht bewusst übernehmen, so orientieren sie sich doch an Aktionen und Reaktionen ihrer Vorbilder. Auf diese Weise macht jeder auch „stellvertretende Erfahrungen“.
Praktische Unterstützung
Wenn Eltern eine Herausforderung, eine schwierige oder unangenehme Situation meistern, hat dies Vorbildcharakter für ihr Kind. Es verinnerlicht ihre Strategien und Herangehensweisen. Durch Beobachtung hat es erfahren, dass auch Schwierigkeiten bewältigt werden können.
Wenn die Mutter ganz entspannt eine Spinne entfernt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr Kind später auch einen entspannten Umgang mit Spinnen hat. Kreischt sie dagegen los und ruft nach dem Vater, wird das Kind in Zukunft ähnlich reagieren.
Auch aus diesem Grund sollten Eltern eigenen Schwierigkeiten nicht ausweichen, sondern sich ihnen stellen. Auf diese Weise lernen Kinder Strategien kennen, wie man mit Problemen umgehen kann. Wenn die Eltern dagegen das Gefühl haben, dass ihr Handeln wenig bewirkt und sie nichts verändern können, können sie auch ihre Kinder nicht in deren Selbstwirksamkeitserfahrung stärken.
Eigene Erfahrungen
Die eigenen Erfahrungen spielen eine entscheidende Rolle für das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit. Wer bereits eine schwierige Situation gemeistert hat, hat die positive Erfahrung gemacht, dass er Herausforderungen bewältigen kann. Diese unmittelbaren, persönlichen Erfahrungen tragen dazu bei, dass man sich selbst als Experten betrachten kann. Entsprechend wichtig sind persönliche Erfolgserlebnisse. Einem Kind, das noch nie ein Erfolgserlebnis hatte, fehlen diese entscheidenden Erfahrungen.
Praktische Unterstützung
Kleine Kinder sind neugierig und aktiv. Sie wollen neue Dinge ausprobieren und das machen, was die anderen auch machen. Dieses Interesse und den Wunsch „mitzumachen“ können ihre Eltern aufgreifen. Auf diese Weise können Kinder ganz spielerisch ihre ersten positiven Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und dabei Neues lernen: Sie sammeln erste persönliche Erfahrungen.
"Julia beobachtet, wie ihre Schwester sich selbst Jacke, Mütze und Handschuhe anzieht. Jetzt möchte sie sich auch selbst anziehen. Eigentlich haben sie nicht viel Zeit, weil Julia in den Kindergarten muss. Trotzdem lässt sich ihre Mutter darauf ein und lässt ihr die Zeit. Julia darf ihre Jacke selbst zuknöpfen. Das klappt ganz gut. Julia kann stolz verkünden, dass sie ihre Jacke jetzt „selber zumachen“ kann."
Gerade bei vielen Kindern mit Lernbehinderungen lässt die Neugier auf Neues mit der Zeit nach. Dann können Eltern ihre Kinder weiter ermuntern, neue Dinge auszuprobieren. Dinge, von denen sie sicher sind, dass ihr Kind positive Erfahrungen damit machen kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch der Umgang mit negativen Erlebnissen. Einem Kind kann nicht immer alles gelingen – ein „Scheitern“ ist immer möglich und auch wichtig. Denn man kann tatsächlich aus Fehlern und Misserfolgen lernen. Sie helfen beispielsweise dabei, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte besser kennen zu lernen und so zu einer realistischen Selbsteinschätzung zu gelangen.
Eine Mutter erzählt: „Wenn etwas nicht gut gelaufen ist, sprechen wir darüber. Ich mache keine große Sache daraus, jeder macht mal etwas falsch. Zusammen überlegen wir, wie sie es das nächste Mal besser machen kann oder warum es schief gegangen ist. Wenn es in der Schule Schwierigkeiten gibt, suche ich sofort das Gespräch mit den Lehrern. Meine Tochter darf bei Gesprächen immer dabei sein. Vor kurzem hatten wir wieder eine schwere Zeit in der Schule. Es gab ein Gespräch zwischen ihr und einer Lehrerin, die sie sich „ausgesucht“ hatte. Gemeinsam haben sie sich etwas überlegt, seitdem ist sie wie ausgewechselt und geht wieder gerne in die Schule.“
Deshalb hilft es weder, Misserfolge zu ignorieren, noch sie einfach zu akzeptieren. Entscheidend ist, darüber zu sprechen und zu überlegen, warum etwas nicht gleich gelungen ist. So können für die Zukunft Lösungen gefunden werden.
Wenn Kinder sagen: „Ich kann das halt nicht!“, sollten Erwachsene mit ihnen genauer anschauen, warum sie das – in dieser konkreten Situation – nicht konnten. Sonst führen Misserfolge zu Verallgemeinerungen und einem negativen Selbstbild: „Ich kann doch gar nichts!“
Dieser Entwicklung können Erwachsene entgegenwirken, indem sie ihre Kinder daran erinnern, was sie können. So können Eltern ihre Kinder an ihre Fähigkeiten und Ressourcen erinnern, die auch in dieser Situation helfen können.
"Julia will jetzt auch ihre Stiefel selbst zubinden. Das ist schwieriger und gelingt ihr nicht gleich auf Anhieb.Schuhe und Jacke fliegen in die Ecke. Julia weint und will sich wieder von ihrer Mama anziehen lassen. Darauf lässt sich ihre Mama aber nicht ein: „Die Jacke kannst du doch selbst anziehen. Außerdem sind die Stiefel aber auch wirklich schwer! Deine Schwester hatte früher ja andere Schuhe!“ Julias Mutter holt diese alten Schuhe aus dem Keller – Schuhe mit Klettverschluss. Damit hat Julia kein Problem. Sie strahlt wieder und zieht ihre Jacke auch wieder selbst an. In den nächsten Wochen üben sie zusammen, Schleifen zu binden: Beim Geschenke einpacken, beim Puppen anziehen, mit dem Bademantelgürtel..."
Erwachsene können kindliche Selbstwirksamkeitserfahrung zusätzlich unterstützen, indem sie konkret an gute, positive Erfahrungen erinnern und diese Erfolge hervorheben. An dieser Stelle zeigt sich, dass das soziale Umfeld auch die persönlichen Erfahrungen mitprägt.
Die Überzeugung, selbst etwas bewirken zu können, basiert nicht nur auf eigenen Erfahrungen, sondern auch auf den Rückmeldungen aus dem Umfeld.
Soziale Unterstützung und Überzeugung
Der direkte Umgang mit einem Kind entscheidet mit darüber, wie gut sich seine Selbstwirksamkeitserwartung entwickeln kann. Ohne die bedingungslose und positive Zuwendung von seinen Eltern kann ein Kind wenig Selbstwirksamkeit entwickeln: Eltern, die selbst davon überzeugt sind, dass ihr Kind etwas kann, können sein Selbstvertrauen stärken. Eltern, die ihrem Kind zeigen, dass sie an es glauben, unterstützen die Entwicklung seines Selbstbewusstseins. Eltern, die ihrem Kind seine Fähigkeiten und Ressourcen zeigen, unterstützen sein Wissen darum. Eltern, die ihr Kind überzeugen, dass es etwas kann, unterstützen den kindlichen Glauben an sich selbst.
Praktische Unterstützung
Konkrete, mündliche Überzeugungen sind hier ebenso wichtig wie das entsprechende, dazu passende elterliche Verhalten. Denn Kinder wollen, dass ihre Eltern stolz auf sie sind. Sie wollen anderen eine Freude machen und akzeptiert werden – so, wie sie sind. Durch Rückmeldungen können Eltern ihre Kinder er- oder entmutigen. Sie können zeigen, dass ihr Kind ihnen wichtig ist. Sie können ihrem Kind deutlich machen, dass sie es so annehmen, wie es ist und dass sie toll finden, was es macht und schon kann.
Wenn ein Kind sich eine Aufgabe nicht zutraut, können die Eltern es ermuntern und ermutigen. So können sie ihm verbale Unterstützung geben.
Eine Mutter erzählt: „Wenn ich meine Tochter an frühere Situationen, die sie geschafft hat, erinnere, sieht man in ihrem Gesicht ein Aufleuchten. Oft packt sie die aktuelle Herausforderung dann an. Einmal sind wir eine in ihrer Vorstellung schwere Situation durchgegangen, das hat ihr sehr geholfen.“
Darüber hinaus kommt es auf Glaubwürdigkeit und Authentizität des elterlichen Verhaltens an. Eltern müssen hinter ihrer verbalen Unterstützung stehen. Kinder spüren Widersprüche zwischen dem Verhalten und den Erklärungen ihrer Eltern. Das irritiert sie, vielleicht glauben ihre Eltern doch nicht an sie?
"Julia will jetzt auch mit dem großen Messer schneiden. Ihr Vater hat Angst, dass sie sich verletzt, trotzdem lässt er sie damit arbeiten. Julia spürt seine Unsicherheit – und wird selbst unsicher. Jetzt will sie es doch nicht ausprobieren. Ein paar Wochen später darf Julia dann mit einem kleineren Messer Käse schneiden. Das gelingt ihr gut. Sie ist sehr geschickt damit. Bald darauf schneidet sie auch Gurken und anderes Gemüse. Schritt für Schritt steigert sie sich. Bis sie ganz selbstverständlich auch mit dem großen Messer schneidet."
Physiologische und emotionale Zustände
Gefühle und damit verbundene körperliche Reaktionen beeinflussen die menschlichen Handlungen stark. Positive Emotionen und Reaktionen des Körpers können den Prozess der Selbstwirksamkeit unterstützen. SchlechteLaune, Traurigkeit, Frust, Stress, aber auch Krankheit können bremsen.
Praktische Unterstützung
Kinder lernen dann am besten, wenn die äußeren und inneren Bedingungen stimmen. Auch sie selbst müssen in der richtigen körperlichen und emotionalen Verfassung sein.
"Wenn Julias Mama hektisch ist und Julia anbrüllt, sie soll sich jetzt endlich beeilen, sie kommen sowieso schon zu spät, dann knöpft Julia ihre Jacke mit Sicherheit nicht gleich richtig zu. Wenn Julia gerade traurig oder krank ist, kann sie mit ihrem Papa auch keine neue Bastelarbeit ausprobieren."
Lob und Umgang mit Misserfolg
Lob und Kritik haben eine wichtige Funktion bei der kindlichen Entwicklung und den Selbstwirksamkeitserfahrungen. Das kindliche Selbstbild hängt stark von der Bewertung der Erfolge und Misserfolge des Kindes ab. Konstruktives, gezieltes Lob ist deshalb unverzichtbar für das kindliche Selbstbewusstsein. Ein Lob zeigt dem Kind, dass sein Handeln erkannt und anerkannt wird – und dass es also selbst etwas bewirken kann.
Entscheidend ist dabei jedoch eine realistische Einschätzung der Situation sowie der Fähigkeiten des Kindes. Lob (wie Kritik) muss sich auf die Leistung des Kindes beziehen und ihr entsprechen. Überschwängliches Lob wirkt ebenso unglaubwürdig wie unspezifisches Lob. Kinder spüren schnell, wenn Erwachsene zu dick auftragen („Mama findet eh alles toll.“). Wenn sie nur grundsätzlich gelobt werden, können sie dieses Lob auch nicht mit einem bestimmten Erfolg verbinden. Hinzu kommt, dass übermäßiges Loben schnell zu Selbstüberschätzung führen kann. Entscheidend ist also: Konkrete Dinge ansprechen, die gut gelungen sind.
Vergleichbares gilt beim Umgang mit Misserfolg. Hierbei ist es ganz entscheidend, ein Kind nicht pauschal zu bewerten. Zielführend ist dagegen, die Gründe für den Misserfolg zu erkennen und zu benennen. So wird ein Scheitern auch nicht der eigenen Persönlichkeit zugeschrieben, sondern kann im Kontext der Handlung, im Umfeld und in den Möglichkeiten betrachtet werden. Diese Sichtweise hilft, Misserfolg nicht zu pauschalisieren („Ich kann doch gar nichts.“), sondern ihn auf eine bestimmte Zeit einzugrenzen („Das ist mir früher/ bisher noch nicht gelungen.“). So kann Misserfolg auch als notwendiges Element auf dem Weg zum Erfolg angesehen werden. Gute, hilfreiche Kritik ist sachlich und nicht persönlich sowie einfühlsam und nie verletzend.
Freiräume erhöhen
Eigene Entscheidungen treffen können, ist ein wichtiger Schritt ins Erwachsenenleben. Um das zu lernen, muss ein Kind zuerst einmal den dazu notwendigen Freiraum haben, allein etwas auszuprobieren. Nur so erfahren Kinder, dass ihnen allein, ihnen selbst etwas gelingt. Für Eltern ist es in dieser Situation nicht einfach, das richtige Abwägen zwischen Unterstützen und „Machen lassen“ zu finden. Kinder brauchen einerseits die Sicherheit, dass ihre Eltern für sie da sind, wenn sie Hilfe brauchen. Andererseits müssen Kinder auch spüren, dass ihre Eltern ihnen etwas zutrauen. Nur auf diese Weise können sie ihre eigenen, persönlichen Erfahrungen machen.
Eine Mutter erzählt:
„Meine Tochter wird immer selbstständiger. Wenn sie etwas erledigen muss, gehe ich mit, lasse es sie aber allein machen. Ich ziehe mich also so weit wie möglich zurück. So wird meine Hilfestellung dann immer kleiner: Ich lasse sie immer erst selbst überlegen und greife auf, was kommt. Dabei darf sie auch Fehler machen, daraus lernt sie, selbst einen anderen Weg zu finden. Vor kurzem hat meine Tochter Semmelknödel gekocht. Sie wollte ein Essen wie im Praktikum servieren. Also sind wir zusammen einkaufen gegangen. Dann hat sie gekocht. Dabei habe ich oft die Küche verlassen. Vieles hat sie allein gemacht. Sie dekoriert sehr gern und sehr gut. Deshalb war es ihr besonders wichtig, dass ich beim Dekorieren nicht dabei bin, denn sie wollte uns überraschen.“
Auf diese Weise lernen Kinder auch, dass jede Entscheidung Folgen hat – die positiv oder auch negativ sein können. Selbstverständlich müssen Eltern ihre Kinder nicht mit negativen Konsequenzen allein lassen oder dabei gar das kindliche Verhalten negativ bewerten („Ich habe es dir doch gleich gesagt...“). Aber sie können feststellen, welche Probleme entstanden sind und Lösungswege aufzeigen.
"Julias große Schwester Karin wollte zum gemeinsamen Wanderausflug unbedingt ihr neues Lieblings-T-Shirt und ihre Puppen mitnehmen. Ihr Vater weist sie darauf hin, dass ihr Rucksack, den sie selbst tragen muss, viel zu schwer wird. Letztendlich lässt er aber Karin die Entscheidung. Als sie nach drei Stunden Wanderung nicht mehr kann, ermuntert er sie: „Du bist doch schon groß und stark, du schaffst das noch ein Stück.“ Zwischendurch nimmt er ihr den Rucksack auch mal ab, aber nur für eine halbe Stunde, danach muss Karin ihn wieder selbst tragen."
Wie kann Selbstwirksamkeit gefördert werden?
1. Kleine Schritte gehen
Große Herausforderungen werden kleiner, wenn sie Schritt für Schritt angegangen werden. Es hilft also, wenn nicht ein großes Ziel erreicht werden soll, sondern zuerst ein „Nahziel“ gesetzt wird. Das heißt, ein Kind muss nicht gleich komplexe Aufgaben erledigen, sondern kleine Einheiten:
- Julia muss nicht gleich ihre Schuhe perfekt binden. Zuerst übt sie das Prinzip „Schleifen binden“ mit größeren, dickeren Bändern, wie dem Bademantelgürtel oder dickem Geschenkband.
- Der Tisch muss nicht ganz gedeckt werden, sondern zuerst ist Julia nur für das Besteck zuständig.
- Karin muss nicht alle Einkäufe auf einmal erledigen, sondern geht zuerst zum Bäcker und kauft ein Brot. Später dann Brot und Brötchen...
2. Gezielte Rückmeldungen
Erfolgreiche Handlungen sollten gezielt gelobt werden. Auf diese Weise können Erfolgserlebnisse ebenfalls in kleinen Einheiten vermittelt werden:
- „Du hast ja deinen Schreibtisch schön aufgeräumt: Alles ist gut sortiert, jetzt finden wir die Schere ganz schnell.“
3. Bewältigungsmodelle bereitstellen
Führt eine Handlung nicht zum erwünschten Erfolg, ist das kein Grund, aufzugeben. Dabei hilft es, sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren, auf Teile, die schon gut gelingen.
- So würde Julias Mutter sagen: „Eine schöne Schleife zu binden ist wirklich schwierig. Ich musste auch ganz lange probieren, bis ich das konnte. Der Knoten klappt ja schon richtig gut. (= Diesen Teil hast du schon geschafft.) Jetzt üben wir einfach weiter. (= Dann schaffen wir die Schleife auch noch.)“
4. Gewissheit der eigenen Ressourcen
Einem Kind hilft es dabei auch, wenn es an seine Ressourcen erinnert wird.
- So kann ihre Mama Julia daran erinnern, dass sie ihren Bademantel schon selbst zumachen kann: „OK, die Schleife für den Stiefel ist noch zu schwer für dich. Aber der Bändel ist auch ganz dünn und glatt. Aber schau mal, du kannst Schleifen schon binden, deinen Bademantel machst du ja auch schon allein zu.“
IV Selbstwirksamkeit in der Freizeit
Wenn Kinder zu Jugendlichen werden, bekommen soziale Kontakte außerhalb der Familie einen immer größeren Stellenwert. Auch in der Freizeit, in Vereinen und Jugendgruppen können sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Ihre Betreuerinnen und Betreuer können sie dabei ebenfalls unterstützen.
Angebote für Gruppen unterscheiden sich von familiären Unternehmungen in mehrfacher Hinsicht. Während sich Eltern gut auf die Bedürfnisse und Interessen ihrer Kinder einstellen können, kommen in Jugendgruppen viele, ganz unterschiedliche Typen zusammen. Die Jugendlichen müssen lernen, sich zu arrangieren und sich auf andere einzulassen. In diesen Gruppenprozessen können sie viel Selbstwirksamkeit erfahren – vorausgesetzt, diese werden entsprechend gesteuert. Jugendbetreuer und -betreuerinnen stehen vor der Herausforderung, den Jugendlichen individuell in der Gruppe gerecht zu werden.
Dabei hilft es, jeden Einzelnen im Blick zu haben:
- Sind für jeden positive Erfahrungen möglich?
- Stimmen die Anforderungen für alle?
- Kann jeder seine Ressourcen aktivieren? (Kenne ich ihre Ressourcen überhaupt?)
- Sind für alle positive Ergebnisse möglich?
- Erhält jeder ein Feedback, das angemessen ist?
- Wird jeder gezielt und angemessen gelobt?
- Wie kann Kritik geübt werden?
- Wer braucht wann welches Feedback?
- Wer erlebt gerade einen Misserfolg?
- Wie kann er das bewältigen?
- Braucht er dabei Unterstützung?
- Wie fühlt sich jeder im Moment?
- Gibt es Spannungen, Missstimmungen?
- Wer hat gerade Probleme oder Schwierigkeiten?
Darüber hinaus müssen erwachsene Begleiter auf die Besonderheiten der Gruppe eingehen. Die einzelnen Angebote und Programmpunkte sind einerseits so gestaltet, dass jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin an etwas Spaß finden kann. Die Aktivitäten geben Spiel- und Freiräume für alle. Dadurch hat jeder Beteiligte die Gelegenheit, seine Stärken und Fähigkeiten zu entdecken, sie zu zeigen und so seine eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren. Andererseits erlebt sich die Gruppe als eine Einheit, die positive Grundstimmung in der Gruppe schließt alle mit ein.
Auch auf diese Weise entstehen Selbstwirksamkeitserfahrungen:
- Aufgaben, die in der Gruppe zu bewältigen sind, stärken das Gemeinschaftsgefühl. Der Zusammenhalt einer Gruppe macht deutlich, dass jeder einzelne wichtig ist und gebraucht wird.
- Aufgaben, die bekannt sind, stärken die Sicherheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen und bestätigen sie in ihrer Selbstwirksamkeit („Das kann ich, das habe ich schon einmal geschafft“).
- Unbekannte Aufgaben, neue Herausforderungen tragen zu neuen Erfahrungen bei.
- Aufgaben, die jeder für sich bewältigen muss, zeigen, dass man etwas auch allein – ohne Hilfe – schaffen kann.
- Bei gemeinsamen Aktivitäten haben Jugendliche Zeit und Gelegenheit, durch die Beobachtung anderer zu lernen. Danach können sie das Beobachtete selbst ausprobieren.
- Dazu gehört auch, dass alle ausreichend Raum und Zeit haben, Dinge über eine längere Zeit auszuprobieren und zu üben.
Rolle der Erwachsenen
Wer Kinder und Jugendliche als Individuen achtet, beachtet und ihnen Aufmerksamkeit und Anerkennung zukommen lässt, der lernt sie auch mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen kennen und kann sie entsprechend stärken. Für Betreuerinnen und Betreuer, für Fachkräfte gilt dasselbe wie für Eltern, Freunde und weitere Begleiter.
Als Vorbilder sollten sie sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst sein – aber auch bereit sein, Schwächen und Fehler zuzugeben. Denn wer Kinder und Jugendliche so motivieren und unterstützen möchte, dass aus ihnen selbstwirksame Erwachsene werden, sollte vor allem authentisch und glaubwürdig sein.
Ein ehrliches Interesse, verbunden mit ernst gemeinten Rückmeldungen und Ermunterungen, stärkt Kinder und Jugendliche am besten. Sie müssen so angenommen werden, wie sie sind – mit ihren Stärken und Schwächen.
Quelle: LERNEN FÖRDERN Heft 4 / 2014
Autorin Martina Ziegler, M.A.
Die Hefte LERNEN FÖRDERN erscheinen als Publikationen des Bundesverbandes zur Förderung von Menschen mit Lernbehinderungen.
von:
Gemeinsames Lernen mit qualifizierter Schulassistenz