Sie sind hier

28.06.2012
Fachartikel

Eine einprägsame persönliche Erfahrung in Bezug auf Umgangskontakte

Zu Beginn meines Referats möchte ich eine kleine Szene schildern, die sich bereits vor vielen Jahren ereignete hat und mir dennoch ganz gegenwärtig ist.

Zu Beginn meines Referats möchte ich eine kleine Szene schildern, die sich bereits vor vielen Jahren ereignete hat und mir dennoch ganz gegenwärtig ist.

Ich befand mich als Kindertherapeutin zusammen mit einem 9-jährigen Jungen in dem Spielraum einer Beratungsstelle. Die Eltern dieses Jungen hatten sich gerade getrennt und es machte ihm sehr zu schaffen, dass er nicht mehr tagtäglich mit seinem Vater zusammen sein konnte. Ganz vertieft in Austausch und Spiel schreckten wir plötzlich auf, denn vom Flur her hörte man das bitterliche Weinen eines Kindes, das einem durch Mark und Bein ging. Kurz darauf brüllte es wie am Spieß, - als würde es körperlich misshandelt werden. Das Kind schien sich überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Zuerst versuchten der Junge und ich die Situation zu ignorieren indem wir weiterspielten und so taten, als würden wir von dem, was da draußen vor sich ging, nichts mitbekommen. Doch das funktionierte nicht, da man in Gedanken bei dem heftig weinenden Kind war. Schließlich brach der Junge das Schweigen und fragte mich ganz direkt: „Was ist denn da draußen los?“. Im Vorfeld hatte ich mitbekommen, dass es hier um eine „Kontaktanbahnung“ ging – offensichtlich gegen den erheblichen Widerstand dieses Kindes. Im Warteraum hatte ich zuvor ein kleines Mädchen in Begleitung einer Frau – wahrscheinlich seiner Mutter - gesehen. Dies erklärte ich dem Jungen, woraufhin dieser mir seine Missbilligung signalisierte, indem er seinen Kopf langsam hin- und herbewegte und sagte: „Und ich dachte, hier hilft man Kindern.“

Diese kurze Begebenheit zeigt, dass es in der Frage des Umgangs Grenzen gibt, die zu achten sind. Intuitiv hat dieser Junge sofort erfasst, dass man hier zu weit gegangen und die Achtung diesem Kind gegenüber auf der Strecke geblieben ist. Denn der menschlichen Würde widerspricht es, den Menschen zum Objekt zu machen und seine Subjektivität außer Acht zu lassen. Subjektivität bedeutet: Der Mensch von innen wahrgenommen, aus seiner eigenen Perspektive. D.h. es geht hier immer auch um die Perspektive der 1. Person Singular, denn die jedem Menschen innewohnende Würde ist unvergleichlich und einmalig. Angst beispielsweise ist ein seelischer Zustand, den im Kern nur derjenige erfährt, dessen eigener Zustand diese ist. Empathie und Mitgefühl vorausgesetzt, können wir uns jedoch dem Zustand fremder Angst annähern. Zwangsweise durchgeführter Umgang richtet sich potentiell gegen das Kind selbst, da Zwang in der Beziehung seine Angst- und Ohnmachtsgefühle aktiviert und es hilflos und wütend macht.

Das Bundesverfassungsgericht (BverfG, 1 BvR 1620/04) hat in einem Urteil vom 1.4.2008 zu Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Vater, der den Umgang mit seinen Sohn verweigert hatte - d.h. sich hierzu nicht hat zwingen lassen – deutlich gemacht, „dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines den Umgang mit seinem Kind verweigernden Elternteils zu unterbleiben hat, es sei denn, es gibt im konkreten Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dient.“Die Pflicht von Eltern zur Erziehung beziehe sich „nicht lediglich auf das Kind, sie besteht auch gegenüber dem Kind. Denn das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.“ BverfG, 1 BvR 1620/04 vom 1.4.2008, Absatz-Nr. 71, www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080401_1bvr162004.html Damit hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Urteilsbegründung das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt.

Denn die allgemein anerkannten Werte, wie: Achtung vor dem Leben, der Integrität, Recht und Gerechtigkeit, gelten auch und insbesondere für das Kind und sind ihm rechtlich zugesichert. Es ist vollwertiger Träger eigener Menschenwürde und hat als Grundrechtsträger Anspruch auf den Schutz des Staates.Zur Bindung des Elternrechts an das Kindeswohl siehe BVerfGE 24, 119, 144, FamRZ 1968, 578; Jestaedt, Art. 6 Rn 35, 146 ff.; zum Menschenbild des Grundgesetzes siehe Staudinger-Coester § 1666, Rz. 111.

Fußnoten

Das könnte Sie auch interessieren

Fachartikel

von:

Voraussetzungen eines Ausschlusses des Umgangs der leiblichen Eltern mit einem Pflegekind

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Ausschluss des Umgangs der Eltern mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Sohn. Die Eltern haben einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt.
Fachartikel

von:

Umgang bei Kindern im Kinderheim oder in der Pflegefamilie

Wie Trennungs- und Scheidungskinder haben natürlich auch Heimkinder und Pflegekinder ein Recht auf Umgang mit ihren Eltern, sowie die Eltern eine Pflicht und ein Recht zum Umgang haben. Bei diesen Kindern – und hier besonders bei Pflegekindern – ist es jedoch notwendig, dieses Recht des Umgangs auf eine mögliche Gefährdung des Kindes durch den Umgang selbst oder die Art und Weise des Umgangs zu überprüfen.
Fachartikel

herausgegeben von:

Umgangs- und Besuchskontakte - ein Konfliktfeld? Rechte – Pflichten – Rollen

Artikel des Jugendhilfeträgers context e.V. über seine Tätigkeit im Bereich der Besuchskontakte zwischen Kindern in Pflegefamilien oder Erziehungsstellen und deren Eltern.
Frage und Antwort

Kindeswohl bei Besuchskontakten

Unser Pflegekind ist nach den Besuchskontakten immer sehr erschöpft. Was könnte helfen?
Frage und Antwort

Unsicherheit in Besuchskontakten

Wie benehme ich mich denn als Pflegemutter oder Pflegevater im Rahmen eines Besuchskontaktes der Mutter oder dem Vater gegenüber, besonders dann, wenn das Kind zu mir kommt und nicht zu seinen leiblichen Eltern geht? Wenn es z.B. mit mir spielen will, sich von mir trösten lassen will etc. Was mache ich dann?
Fachartikel

von:

Verwirrende Besuchskontakte

Besuchskontakte zwischen Pflegekindern und ihren Eltern sind oft für die Kinder verwirrend und überfordernd. Die gilt besonders für jüngere Kinder, die ihre Befindlichkeiten häufig schon während der Kontakte, oft aber erst im Nachhinein in der Pflegefamilie durch ungewöhnliches Verhalten zeigen.
Fachartikel

von:

Besuchskontakte und ihr Potential - Forschung und Praxis

Besuchskontakte zwischen Pflegekindern und ihren Herkunftsfamilien sind ein wesentliches Element in Pflegeverhältnissen. Die Frage nach Reformbedarf bei Besuchskontakten in Pflegeverhältnissen soll in diesem Artikel vor allem unter Berücksichtigung der Sichtweise der Kinder, Pflegeeltern und Herkunftseltern beantwortet werden.
Fachartikel

von:

Begleitete Besuchskontakte

In der Gratwanderung der Umgangsregelung wird eine große Möglichkeit und Hilfe in der Begleitung der Besuchskontakte gesehen. Einerseits werden solche Besuchskontaktbegleitungen von Gerichten angeordnet (§ 1684 Abs. 4), andererseits veranlasst auch das Jugendamt direkt eine Begleitung der Kontakte.
Fachartikel

von:

Resümee

Miterlebte häusliche Gewalt weist wegen der anzunehmenden Schädigung und anhaltenden Folgewirkungen auf ein hohes Risiko für das Kindeswohl hin, so dass Umgangskontakte mit dem Täter grundsätzlich in Zweifel zu ziehen sind. Der Ausheilungsprozess von Traumatisierungen braucht wegen der sich um das Trauma gruppierenden schweren Folgewirkungen oftmals Jahre und ist für ein Kind ungeheuer schwer auszuhalten.
Fachartikel

von:

Besuchskontakte im Zeichen des Kindeswohls

in diesem Referat habe ich die Besuchskontakte einmal aus der Sicht der Kindeswohlbetrachtung in Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zusammengetragen. Hier hat es eine Entwicklung hin zum Kindeswillen und zur deutlichen Einzelfallbegründung gegeben. Zum Schluss des Artikels gehe ich auf die Chance von Besuchskontakten ein und wie sie gut vorbereitet und durchgeführt werden können.