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Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege - Pflegefamilie als „Leistungserbringer“ und „Privatfamilie“
Themen:
Zentrale These:
Die alltägliche Balance in der Pflegefamilie zwischen öffentlichem und privatem Leben gelingt, wenn die Vollzeitpflege für das Pflegekind durch einen leistungsfähigen Pflegekinderdienst begleitet wird.
Im Leistungskatalog der Hilfen zur Erziehung nimmt die Vollzeitpflege, als ein Angebot das durch geeignete Pflegepersonen geleistet wird, eine gewünschte Sonderstellung ein. Pflegepersonen sind in der Regel keine professionellen Kräfte, die in ihrem privaten Wohn- und Lebensumfeld, Vollzeitpflege leisten.
Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, sollen die Chance erhalten, in einer anderen Familie zu leben und aufzuwachsen.
Steuerungsverantwortliche Stellen im Jugendamt wünschen sich Pflegefamilien häufig als „omnipotentes professionelles Angebot“ die offene Planungsperspektiven über einen langen Zeitraum mit intensiven Kontakten der Kinder zu ihren Eltern kostengünstig anbieten.
Elternrecht und Kindeswohl erscheinen dabei im Widerstreit familiengerichtlicher Auseinandersetzungen und Hilfeplanverfahren. Entscheidungsträger sind hier gefordert für diese Kinder Lebensperspektiven zu entwickeln, Entscheidungen zu treffen und nachhaltig durchzutragen.
Leben die Kinder bereits in Pflegefamilien werden Auseinandersetzungen häufig auf dem Rücken der Pflegefamilie ausgetragen. Eine dauerhafte Absicherung des Zusammenlebens der Pflegekinder in deren Pflegefamilie ist rechtlich nicht geregelt.
Im ungünstigen Fall sind Qualitätsstandards in den sozialen Diensten nicht verbindlich geregelt. Pflegefamilien werden zufällig mal gut mal schlecht vorbereitet. Bedarfssituationen der Pflegekinder sind unvollständig erfasst und oder schlecht kommuniziert. Fachberatung findet nur in Krisensituationen statt.
Die Pflegefamilie wird zum Spielball zwischen den beteiligten professionellen Kräften und wechselnden Fallzuständigkeiten.
Der qualitative Ausbau der Vollzeitpflege in Pflegefamilien ist im Leistungsangebot der Hilfen zur Erziehung in den vergangenen Jahren nicht in notwendiger Weise befördert worden und an den Rand gedrängt. Sonderformen in Erziehungsfamilien, sonderpädagogischer Pflegefamilien u.a. mit professioneller Ausstattung konnten sich an den Rändern familiärer Hilfeformen weiter entwickeln.
Die Wirksamkeit der Hilfe in Vollzeitpflege ist nachweislich gegenüber anderen stationären Hilfeformen deutlich erhöht und lässt sich nach meiner Auffassung weiterhin verbessern, wenn die Pflegekinderdienste auf den Wissenstand der Forschung gestellt, ausreichend ausgestattet werden und Pflegekinderhilfe bedarfsgerecht angeboten werden kann.
Zur Unterstützung der Akquise geeigneter Pflegefamilien bedarf es öffentlicher Wertschätzung und Anerkennung der Leistung von Pflegefamilien durch Politik und Gesellschaft.
Die Zusammenarbeit der beteiligten Fachkräfte aus Allgemeinem Sozialdienst, Pflegekinderdienst und Vormundschaft ist grundsätzlich „familienverträglich“ zu regeln und einvernehmlich im Hilfeplanverfahren zu vereinbaren.
Professionelle Kräfte sollten ein gemeinsames Verständnis dazu entwickeln, was eine Pflegefamilie ist und leisten kann, deren Grenzen akzeptieren, Unterstützungsleistungen zur Verfügung stellen, und dabei die Autonomie privaten Lebens in der Pflegefamilie beachten und wertschätzen.
Die Öffnung und Einbindung des Pflegekindes ist das private Leben der Pflegefamilie, die Zugehörigkeit und Einmaligkeit der Personen und Beziehungen kennzeichnen das Alltagsleben und befördern die Integration und Identitätsbildung des Pflegekindes.
Pflegeltern und Pflegekinder sind zufrieden, wenn sie die Herausforderungen im Alltag bewältigen können, ohne dass die Pflegefamilie die innere Balance verliert. Belastungen der Pflegekinder sind auch Belastungen für die Pflegeeltern.
Fingerspitzengefühl und pädagogischer Takt der Fachberatung zur Achtung jeweiliger Eigenheiten, Gewohnheiten, interner Regelungen der Pflegefamilie, um z.B. mit Problemen fertig zu werden, ermöglicht den Zugang zur vertrauensvollen Zusammenarbeit.
Aufgabe der Fachberatung ist es, eine konstante und vertraute Beratungsbeziehung zur Pflegefamilie und dem Pflegekind aufzubauen. Die Fachberatung sollte die Moderation und „Pufferfunktion“ mit dem beteiligten professionellen Helfersystem übernehmen.
1. Normalität für Pflegekinder in Pflegefamilien ermöglichen
Die Forschungsgruppe Pflegekinder der Universität Siegen befasste sich unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Wolf mit dem Forschungsschwerpunkt „Forschung zum Aufwachsen in Pflegefamilien“.
Ein häufig geäußerter Wunsch der befragten Pflegekinder war es, in ihrer Pflegefamilie mit ihren sozialen Eltern ein normales Leben führen zu können.
Pflegekinder beschrieben, dass sie durch verlässliche und vorhersehbare Alltagsstrukturen innerhalb ihrer Pflegefamilie einen erheblichen Zugewinn an Sicherheit erlebt haben. Der geregelte Familienalltag bot ihnen die Möglichkeit, wieder „Kind sein“ zu können.
Viele Pflegekinder schilderten, dass sie es genossen haben, in ein Familiengefüge zu kommen, in dem die Strukturen so eindeutig waren , dass es möglich war, sich als Kind daran anzupassen, während die Pflegeeltern gleichzeitig dazu imstande waren, flexibel auf die Bedürfnisse des Pflegekindes zu reagieren und einzugehen (vgl. Leuchtturm-Projekt PflegeKinderDienst, 2011, S. 72).
Ein zentrales Ergebnis war, dass wiederholte Ortswechsel und Beziehungsabbrüche, Instabilität und Unsicherheit über den zukünftigen Lebensmittelpunkt gravierende Belastungen darstellen, die deutlich dazu beitragen, dass das kindliche Wohlergehen sowie die Entwicklungsaussichten der Kinder sich erheblich verschlechtern und einschränken.
Daraus ergab sich die zentrale Forderung, formale, strukturelle und personelle Rahmenbedingungen in der Pflegekinderhilfe den wachsenden fachlichen Anforderungen anzupassen.
Pflegefamilien benötigen einen gut ausgestatteten Pflegekinderdienst, der die Ressourcen anbieten kann, die bedarfsgerecht zum Gelingen der Vollzeitpflege beitragen.
2. Privatheit der Pflegefamilie
Pflegemütter und Pflegeväter sind hoch engagierte Menschen, die aus unterschiedlichen Motiven heraus gute Entwicklungsbedingungen für ein Pflegekind in ihrer Familie schaffen. Damit erklären sie sich bereit, eine „öffentliche Familie“ zu werden. Pflegepersonen sind Privatpersonen, zumeist ohne pädagogische Ausbildung, die ihr privates Leben öffnen und Vollzeitpflege für das ihnen anvertraute Pflegekind leisten.
Pflegefamilien haben gleichzeitig ein Recht auf Normalität im Privatleben, was eine besondere Achtsamkeit beteiligter sozialer Dienste verlangt.
So wenig im Interesse des Kindes/Jugendlichen eine auf längere Zeit angelegte Fremdbetreuung als „reine Privatangelegenheit“ zwischen abgebenden und pflegenden Eltern angesehen werden kann, ebenso wenig kann die Pflegefamilie, die als Familie den Schutz der Familienautonomie nach Art. 6 GG genießt, als „öffentliche Einrichtung“ bzw. Institution der JHilfe“ begriffen werden, die jederzeitiger Kontrolle zugänglich ist. ( s. § 33 SGB VIII Kommentar Wiesner RN 24, 2011)
Die Einmaligkeit der sozialen Beziehungen in der Pflegefamilie, die Individualität der Pflegepersonen, die Dauerhaftigkeit der Hilfe u.a.m. ermöglicht soziale Identität und damit die Integration des Pflegekindes in diese Familie.
Bei länger andauernden Pflegeverhältnissen genießen die Familienbande in der Pflegefamilie aufgrund der wachsenden Bindung zwischen Pflegekind und seinen Pflegeeltern verfassungsrechtlichen Schutz (Art. 6 Abs.1 GG).
Das Private der Pflegefamilie ist zu achten und verdient eine verbindliche Wertschätzung, die gekennzeichnet ist durch Anerkennung, Aufmerksamkeit, Unterstützung, Entlastung und Schutz der Familie.
Die alltägliche Balance in der Pflegefamilie zwischen öffentlichem und privatem Leben gelingt, wenn die Hilfeleistung für das Pflegekind durch einen leistungsfähigen Pflegekinderdienst begleitet wird.
„Je leistungsfähiger ein Dienst ist, desto umfassender respektiert er das Eigenartige des privaten Lebens und den Eigensinn seiner Adressaten.“ …
„Beim Dienstleistungsmodell ist nicht die Professionalisierung des privaten Lebens das Ziel, sondern um das private Leben wird ein Unterstützungsnetzwerk der Professionellen entwickelt, das die Menschen nutzen können“ (Wolf, Klaus: Professionelles privates Leben? Zur Kolonialisierung des Familienlebens in den Hilfe der Erziehung, Zeitschrift für Sozialpädagogik, 2012).
3. Wie werden professionelle Fachkräfte aus Sicht der Pflegekinder wahrgenommen?
Dazu liegt eine wissenschaftliche Dokumentation aus dem zweijährigen „Leuchtturm-Projekt PflegeKinderDienst“, (2011, S. 76 – 84) der Uni Siegen vor.
Das Pflegekind Olivia erinnert sich:
„Ich hab das aber auch nie so als Ansprechpartner für mich wahrgenommen, glaub ich. Also erst viel später … also ich dachte immer: Ja, ist so ein Amtsding halt. Die sind halt da und kontrollieren, ob alles gut läuft … Ich hatte eh immer das Gefühl, dass die auf Oma und Opas Seite waren.“
Belastung:
Hier wurde die zuständige Fachberatung von Olivia nicht als möglicher Ansprechpartner erlebt, sondern nur als Ansprechpartner der Großeltern wahrgenommen.
Robert beschreibt in seinem Interview eine wichtige Ressource:
„Es war bei mir immer so, dass ich da so die Wahrheit auspacken konnte. Weil da einfach eine neutrale Person vielleicht dabei war. … Und wo man vielleicht auch noch so ein bisschen den Schutz hatte, wo dann Frau Z. natürlich gesagt hat, „Vorgeschichte“ so halt, ein bisschen diplomatischer das angegangen ist. Und das war dann immer so auch für mich so eine Befreiung, konnte ich alles erzählen.“
Ressource:
Die Fachberaterin weiß um die Biographie des Pflegekindes und kann diesem in besonderer Weise Wertschätzung entgegenbringen.
Sie beantwortet Fragen des Pflegekindes zur Lebensgeschichte und Herkunft.
Die Fachberaterin bietet Unterstützung an, um Probleme mit den Pflegeeltern besprechen zu können, sie fungiert als „neutrale Unterstützerin“ und Mediatorin.
Es gibt die Möglichkeit zu Einzelkontakten, sowohl für das Pflegekind als auch für die Pflegeeltern.
4. Was braucht das Pflegekind?
Die Fachkraft sollte zu einer konstanten und vertrauten Ansprechperson für das Pflegekind werden können:
- als Informationsquelle und Erklärer
- auch als Ansprechpartner nur für das Pflegekind
- als Garant für Partizipation
- als konkreter Unterstützer.
Dazu gehört:
- auf ein umfassendes Wissen zur Vorgeschichte des Pflegekindes, der Herkunftsfamilie nebst Geschwisterkindern zurückgreifen zu können,
- den Zugang zu diesen Informationen zu bewahren, dem Pflegekind nach Entwicklungsalter zu helfen, diese besser zu verstehen und einzuordnen,
- das Vieraugengespräch zu suchen, wodurch die Möglichkeit geschaffen wírd, z.B. Probleme innerhalb der Pflegefamilie in einem geschützten Rahmen zu thematisieren,
- Partizipation zu ermöglichen, z.B. im Hilfeplangespräch, eine altersentsprechende Beteiligung sicher zu stellen,
- Unterstützung anzubieten, z.B. bei der Wiederaufnahme der Kontakte zur Herkunftsfamilie, in der Vor- und Nachbereitung von Besuchskontakten.
5. Was braucht die Pflegefamilie?
Die Fachberatung sollte zwischen Pflegeeltern und Pflegekind sowie der Herkunftsfamilie vermitteln können, um mögliche Probleme und kritische Themen zu besprechen:
- als Person mit vorausschauendem Blick für relevante Themen
- als Person mit offenem Ohr und als Unterstützer
- als Vermittler und Koordinator.
Dazu gehört:
- Information und Beratung zu allen Themen, die für das Pflegekind relevant sein können, z.B. Verhaltensweisen des Kindes erklären und Handlungsstrategien mit den Pflegeeltern entwickeln können,
- Verständnis bei den Pflegeeltern zu Reaktionsweisen und Verhaltensmustern entwickeln und diese in die Lage versetzen, situationsgerecht die Beziehung zum Pflegekind auszugestalten,
- ein Gespür dafür entwickeln, welches Beratungssetting hilfreich ist, um mit Pflegeeltern, dem Pflegekind, Pflegegeschwistern und Eltern Erwartungen, Kontaktwünsche, Konfliktthemen etc. offen ansprechen zu können.
6. Zugänge zum Ausbau der Verwandten- und Netzwerkpflege
Der Zugang zu den Verwandten- und Netzwerkpflegefamilien ist ein anderer als zu den nicht verwandten Pflegefamilien. Die Expertenschaft der Pflegeeltern, ihr Alltagswissen um die Verhältnisse und Lebenssituation des Kindes ist zu akzeptieren. Hier gilt es eine Brücke zwischen der Autonomie privaten Lebens und dem öffentlichen Auftrag der Verwandtenpflegestelle zu schlagen und dabei den Informations- und Deutungsvorsprung der Verwandten, als eine wesentliche Voraussetzung für Zugang und Beratung, zu akzeptieren.
Es geht darum, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das die Privatheit respektiert und den öffentlichen Auftrag der Jugendhilfe berücksichtigt.
Dazu gehört auch Wertschätzung für den von der Familie gefundenen Lösungsvorschlag.
Die Fähigkeit der Fachberatung, von sich aus Probleme zu erkennen, sowie das Entstehen eines vertrauensvollen Arbeitsbündnisses fördern seitens der Verwandten- und Netzwerkpflegeeltern die Bereitschaft an erweiterten oder neuen Lösungen mitzuarbeiten.
Hinderlich wäre die Haltung der Fachberatung: als „Experte“ weiß ich es besser und sage euch, was zu tun ist.
Die unterschiedlichen Zugänge bedürfen neuer konzeptioneller Überlegungen und Ausgestaltung.
Grundlage für diese besondere Form der Vollzeitpflege ist die Würdigung einer bestehenden Bindung oder Beziehung des Kindes zu einer verwandten oder bekannten Person. (s. Königswinterer Erklärung, LVR, 2008).
Die frühzeitige Einbeziehung des Pflegekinderdienstes durch den ASD ist erforderlich, wenn eine Hilfe für das Kind außerhalb der Familie in einer anderen Familie zu finden ist.
Die Netzwerkanalyse zur Aktivierung von Ressourcen im Netzwerk der Familie ist einzusetzen, wenn stationäre Hilfen in Betracht zu ziehen ist, bevor das Kind in eine andere Familie gewechselt ist.
Die Netzwerkanalyse sollte Aufgabenstellung des Pflegekinderdienstes werden und bedarfsgerecht im Vorfeld der Pflegestellenprüfung erfolgen.
7. Zusammenarbeit beteiligter Fachkräfte
Die professionellen Kräfte in der Pflegekinderhilfe stehen in der gemeinsamen Verantwortung, das Kinderwohl des jungen Menschen durch eine kooperative und konstruktive Zusammenarbeit zu fördern.
Die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes und Pflegekinderdienstes sowie ein beteiligter Vormundschaft sind im Hilfeplanverfahren durch gute Absprachen dazu aufgefordert, „familienverträgliche“ Vereinbarungen und Regelungen abzustimmen.
Die Ausgestaltung der Vollzeitpflege in Pflegefamilien bedarf bezüglich der Rolle und Aufgaben sowie der Kontaktwünsche der „Professionellen“ klarer Absprachen, die eine Pflegefamilie nicht überfordern.
Schnittstellenbeschreibungen allein genügen nicht. Das Private der Pflegefamilie ist zu achten, und eine Rollenklärung beteiligter professioneller Fachkräfte ist vorzunehmen.
Hoch arbeitsteilige Systeme behindern den Aufbau vertrauensvoller und auf persönlichem Kontakt beruhender Beziehungen zu den Pflegefamilien und Pflegekindern (Leuchtturm-Projekt Pflegekinderdienst 2011, S. 89).
Aufgrund höchst unterschiedlicher Ausgestaltung der örtlichen Dienste bedarf es den örtlichen Begebenheiten angepasster Regelungen und Absprachen.
Pflegekinder und Pflegefamilien benötigen von Beginn an eine verlässliche, kontinuierlich verfügbare und vertraute Ansprechperson in der Pflegekinderhilfe. Diese Rolle ist Aufgabe der Fachberatung des Pflegekinderdienstes.
Häufige personelle Wechsel sollten Pflegefamilien nicht zugemutet werden und sind nach Möglichkeit strukturell zu vermeiden.
8. Fachaufsicht und Kinderschutz
Gelingt es der Fachkraft des Pflegekinderdienstes oder des Fachberatungsträgers, eine konstante und vertraute Beratungsbeziehung zur Pflegefamilie aufzubauen, können Krisen, die Auslöser von Überforderung und Vernachlässigung sein können, frühzeitig erkannt, beraten sowie Lösungen und Entlastungshilfen rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden.
Die Verpflichtung zur Überprüfung der Gewährleistung des Kindeswohls in der Pflegefamilie ist Restbestand der „Pflegekinderaufsicht“ im Jugendamt (§§ 37 Abs. 3, 44 SGB VIII). Die Fachaufsicht kann nicht an einen freien Träger delegiert werden, sondern verbleibt beim öffentlichen Träger der Jugendhilfe.
Jede Kontrolle kann vor diesem Hintergrund nur mit dem Schutz anderer Grundrechte, hier dem Recht der Kinder auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt werden und muss verhältnismäßig sein (vgl. Frankfurter Kommentar 2013 § 37 SGB VIII Rn 38 ff.).
Überprüfungen sind auf die Fälle zu beschränken, in denen gewichtige Anhaltspunkte Anlass hierzu geben. Eine erste Einschätzung zu einer Kinderschutzmeldung sollte von der für die Pflegefamilie zuständigen Fachberatung unter Hinzuziehung einer zweiten Fachkraft vorgenommen werden. Erfahrungsgemäß können Hinweise, im Kontakt mit der Pflegefamilie, nachvollzogen und schnell geklärt werden. Ein unangemeldeter Hausbesuch sollte in keinem Fall zum Standardprogramm des Dienstes gehören.
Meldungen zum Kinderschutz in Pflegefamilien sollten immer gemeinsam mit der Fachberatung, die die Pflegefamilie begleitet und mit dem Pflegekind vertraut ist, und der Fallführung im Jugendamt beraten und eingeschätzt werden.
Kann nach gemeinsamer Einschätzung eine Kindeswohlgefährdung in der Pflegefamilie nicht sicher ausgeschlossen werden, sollten dann alle Schritte zur weiteren Prüfung vor Ort in der Pflegefamilie und zur Entwicklung eines Hilfe- und Schutzkonzeptes dem Standardverfahren zum § 8 a SGB VIII folgen.
9. Gelingende Balance zwischen öffentlichem und privatem Leben in der Pflegefamilie
Die Pflegekinderhilfe ist eine wirksame und im Verhältnis zu Hilfen in Einrichtungen kostengünstige Hilfe. Die Betreuung durch Pflegeeltern verbessert nachweislich die Entwicklungsprognosen für Pflegekinder schon nach kurzer Zeit und ermöglicht bei auf Dauer angelegter Vollzeitpflege die soziale Integration des Kindes in die Pflegefamilie.
Belastungen der Pflegekinder sind auch Belastungen für die Pflegeeltern. Nicht jedes Kind passt in jede Pflegefamilie. Übergänge sind professionell zu begleiten und auszugestalten.
Pflegeeltern müssen wissen, was sie mittragen können. Pflegefamilien benötigen eine gute Vorbereitung und Begleitung, Pflegekinder, leibliche Eltern und Geschwister auch.
Pflegeeltern und Pflegekinder sind zufrieden, wenn sie die Herausforderungen im Alltag bewältigen können, ohne dass die Pflegefamilie die innere Balance verliert.
Pflegekinder brauchen Perspektivenklarheit und Kontinuität, Pflegeeltern und Eltern auch.
Die alltägliche Balance in der Pflegefamilie zwischen öffentlichem und privatem Leben gelingt, wenn die Vollzeitpflege für das Pflegekind durch einen leistungsfähigen Pflegekinderdienst begleitet wird.
10. Qualitative Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe
Die Herausforderungen zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe sind vielfältig.
Die Jugendhilfe sollte die enorme Bedeutung und die großen Ressourcen der Pflegekinderhilfe in den verschieden Angebotsformen anerkennen und die Hilfe mit den erforderlichen Qualitätsstands ausstatten und ausbauen.
Die aufgabengerechte Begleitung der Pflegefamilie beinhaltet auch, Standards zur Intensität und Häufigkeit der Beratungskontakte zu vereinbaren und den Betreuungsschlüssel pro Fachkraft entsprechend anzupassen.
Während die Hilfe in Einrichtungen gesetzlich genauestens geregelt ist, liegt die Ausgestaltung der Pflegekinderhilfe in der Verantwortung der örtlichen Jugendämter. Dies führte bundesweit zu einer höchst unterschiedlichen Ausdifferenzierung der Vollzeitpflege. Inzwischen hat sich in Fachkreisen die Forderung zum Betreuungsschlüssel von maximal 1:35 (Fachkraft / Pflegekinder) ohne Fallführung 1:25 Fälle mit Fallführung durchgesetzt.
Das neue Kinderschutzgesetz bietet die Chance einer bundesweiten Vereinheitlichung der Bedingungen für die Pflegekinderhilfe. § 79 a SGB VIII verpflichtet den öffentlichen Träger zur Qualitätsentwicklung für die Gewährung und Erbringung von Leistungen.
Der Ausbau der Pflegekinderhilfe gelingt, wenn das private Leben in der Pflegefamilie durch einen leistungsstarken Pflegekinderdienst ein Unterstützungsnetzwerk zur Verfügung gestellt bekommt, das die Autonomie privaten Lebens in der Pflegefamilie anerkennt und schützt.
Die Fachberatung sollte dabei die Moderation und „Pufferfunktion“ mit dem beteiligten professionellen Helfersystem übernehmen, um Herausforderungen und Krisen im Hilfeverlauf „familienverträglich“ bewältigen zu können.
Juni 2013
Der Autor ["Andreas Sahnen] ist Sachgebietsleiter Pflegekinderdienst - Kinderhilfezentrum im Jugendamt - der Stadt Düsseldorf
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Aufwachsen in der Familie – Auszüge aus einer Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter