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Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken
Bericht der Enquete-Kommission der Bürgerschaft Hamburg vom Januar 2019
Wie kam es zur Berufung der Enquete-Kommission?
Aufgrund der Todesfälle von Kindern in Hamburg, die zu großer Betroffenheit geführt hatten, stellte die überwiegend Mehrheit der politischen Parteien in der Bürgerschaft Hamburg im September 2016 folgenden Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission:
Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission
Der Tod des Kindes Tayler sowie weitere Fallbearbeitungen sowohl durch Ämter als auch Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer beziehungsweise Träger und Einrichtungen zeigen Defizite bei der Einhaltung der zahl- und umfangreichen Standards und Vorschriften. Defizite und Entwicklungsbedarf gibt es auch in Bezug auf Aus-und Fortbildung sowie auf Anforderungen an beziehungsweise Ausübung von Leitungsfunktionen.
Die Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe findet in einem komplexen Kooperationsgefüge statt. Das Kindeswohl als handlungsleitende Maxime im Blick zu behalten ist wesentlich und gleichzeitig eine Herausforderung. Damit dies den Akteurinnen und Akteuren dauerhaft gemeinsam gelingen kann, soll die Etablierung eines konstruktiven und auf Weiterentwicklung fokussierten Umgangs mit – bei einem so komplexen System manchmal leider unvermeidlichen – Fehlern in den Blick genommen werden.
Besonderes Augenmerk soll auf die Interaktion zwischen den verschiedenen beteiligten Akteurinnen und Akteuren gelegt werden. Die Minderjährigen sind darauf angewiesen, dass die zu ihrem Schutz berufenen Institutionen ihr Kindeswohl als Kooperationsaufgabe proaktiv begreifen. Insbesondere Rückführungsprozesse in der Praxis und die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften und Regeln sollen überprüft werden.
Zudem soll die Verzahnung an den Schnittstellen der Systeme untersucht sowie die Frage multiprofessioneller Teams und des Bedarfs spezieller Fachkenntnisse geklärt werden. Weitere Punkte sind die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen und die Elternarbeit als auch die Übersichtlichkeit von Regelwerken in der Praxis. Auch das Verhältnis zwischen den bezirklichen Jugendämtern und zur Sozialbehörde (BASFI) sowie die Anforderungen an juristische Prozesse für ein effektives Kinder- und Jugendhilfewesen sollen untersucht werden.
Für die Pflegekinderhilfe soll es in der Untersuchung um die Beratung und Auswahl von Pflegeeltern gemäß der Vorgaben der Fachanweisung Pflegekinderdienste, die Ausstattung der Pflegestellen und um Fragen der Perspektivklärung in Obhut genommener Kinder gehen. Weitere Punkte sind hier die Unterstützung von Kindern mit Behinderungen und der gesetzliche Anspruch auf Leistungen bei entsprechenden Mehrbedarfen.
Die Einrichtung dieser Enquete-Kommission erfolgt in Erweiterung der Arbeit und in Würdigung der Beschlüsse beziehungsweise Empfehlungen des Sonderausschusses „Chantal“ und des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) „Yagmur“. Ziel dieser Enquete-Kommission ist es, entsprechende Empfehlungen zu erarbeiten, die der Stärkung des Schutzes und der Rechte von Kindern und Jugendlichen dienen.Die Bürgerschaft möge beschließen:
I. Gemäß Artikel 27 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg in Verbindung mit § 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft wird eine Enquete-Kommission mit folgendem Titel eingesetzt:
„Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken: Überprüfung, Weiterentwicklung, Umsetzung und Einhaltung gesetzlicher Grundlagen, fachlicher Standards und Regeln in der Kinder- und Jugendhilfe – Verbesserung der Interaktion der verschiedenen Systeme und Akteure“II. Auftrag der Enquete-Kommission ist die Erarbeitung von Empfehlungen zu folgenden Fragen und Themen:
1. Wie kann die Einhaltung und Umsetzung von Standards und Vorschriften in der Kinder- und Jugendhilfe – sowohl bei Ämtern als auch Auftragnehmerinnen und Auftragnehmern beziehungsweise Trägern und Einrichtungen – gesichert werden? Wie können diese gegebenenfalls überprüft und weiterentwickelt werden?
2. Sind die Verantwortlichkeiten für sämtliche Prozessschritte in der Arbeit des ASD, auch in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, eindeutig und klar geklärt? Wie kann eine Atmosphäre geschaffen werden, in der diese Zuständigkeiten nachhaltig erkannt und wahrgenommen werden?
3. Welche Voraussetzungen braucht es, um eine gute Verzahnung an den Schnittstellen der Systeme (Kita, GBS, HzE, OKJA und SHA) in der Alltagspraxis zu gewährleisten?
4. Wie kann eine „Fehlerkultur“ der Akteurinnen und Akteure etabliert werden, die einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess dient?
5. Welche speziellen Fachkenntnisse benötigt der ASD? Werden diesbezüglich multiprofessionelle Teams benötigt?
6. Wie können welche Aus- und Fortbildungen – insbesondere bezüglich Curricula und praktischen Erfahrungen – für die Anwendung zum Kinderschutz noch gestärkt und entwickelt werden? Welche veränderten Anforderungen an die Fachlichkeit gibt es?
7. Welche Anforderungen an Leitungsfunktionen und ihre Besetzung beziehungsweise Auswahlverfahren ergeben sich aus den Punkten Einhaltung von Standards und Vorschriften sowie der Etablierung einer förderlichen „Fehlerkultur“?
8. Kann die Jugendhilfeinspektion der Einhaltung von Standards und Regeln sowie der Etablierung einer förderlichen „Fehlerkultur“ dienlich sein und welche Veränderungen sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sind gegebenenfalls hierzu notwendig?
9. Welche fachlichen und pädagogischen Zielkonflikte führen zu Kommunikationsbarrieren der Akteure (ASD, freie Träger, Eltern et cetera)? Wie kann Elternarbeit in den Erziehungshilfen verbessert und intensiviert werden? Dient das Konzept Eingangsmanagement/Fallmanagement/Netzwerkmanagement dem Fallverstehen im ASD und dem Beziehungs-und Vertrauensaufbau zu den Familien?
10. Wie kann sichergestellt werden, dass das betroffene Kind beziehungsweise sein Wohl zu jeder Zeit der Mittelpunkt der Fallbearbeitung sind? Ist das derzeitige System an den Rechten und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert? Welche bestehenden oder zu schaffenden Richtlinien und Arbeitsweisen fördern diese Sichtweise, welche laufen ihr entgegen? Welche Beteiligungsrechte gibt es für Kinder und Jugendliche bei Inobhutnahmen und der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung, wie werden diese bewertet und welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten?
11. Das Verhältnis zwischen den bezirklichen Jugendämtern und Chancen möglicher vertiefter Kooperation sowie das Verhältnis zwischen Sozialbehörde und bezirklichen Jugendämtern bei der Einhaltung von Standards und Vorschriften.
12. Welche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit an den Schnittstellen gibt es? Sind diese aus Sicht der Praxis sinnvoll und praktikabel? Wenn nein, welche Alternativen gibt es?
13. Welche Anforderungen an juristische Prozesse stellt ein effektives Kinder-und Jugendhilfewesen? Liegen sämtliche Voraussetzungen und Ressourcen vor, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
14. Rückführungsprozesse in der Praxis und die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften und Regeln und mögliche gesetzliche Regelungsbedarfe – welche Rückführungskonzepte und -instrumente sind notwendig, um im Sinne des Kindeswohls bei Rückführungsentscheidungen das Kindesinteresse stärker in den Mittelpunkt zu stellen?
15. Übersichtlichkeit sowie Anwendbarkeit von Regelwerken in der Praxis – Überprüfung der Verfahren zur Implementierung von Fachvorgaben und Regelungen mit dem Ziel einer besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung. Und wie steht es bezüglich dieser Aspekte und Zielsetzungen um die erforderliche technische Ausstattung und um Sachressourcen?Zum Bereich der Pflegekinderhilfe stellen sich – darüber hinaus – folgende Fragen:
16. Welche Abläufe und Abwägungen gibt es bei der Auswahl von Pflegeeltern, wie werden diese bewertet und welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten?
Wie kann sichergestellt werden, dass Pflegestellen kontinuierlich und umfassend entsprechend der Vorgaben aus der Fachanweisung Pflegekinderdienste beraten werden?
17. Wie kann der gesetzliche Anspruch auf Leistungen bei einem Mehrbedarf aufgrund besonderer Beeinträchtigungen der Kinder und Jugendlichen einheitlich umgesetzt
18. Wie kann sichergestellt werden, dass Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien eine den fachlichen Standards angemessene Unterstützung bekommen?
19. Welche Ausstattung von Pflegestellen ist erforderlich, um die Zahl der Pflegestellen, und hier insbesondere der Bereitschaftspflegestellen, in Hamburg zu erhöhen?
20. Wie kann die Perspektivklärung in Obhut genommener Kinder beschleunigt werden?III. Die Enquete-Kommission wird gebeten, das Ergebnis ihrer Beratung der Bürgerschaft bis zum 31.10.2018 schriftlich vorzulegen.
IV. Die Enquete-Kommission besteht aus: neun Sachverständigen (4:1:1:1:1:1) sowie neun Abgeordneten (4:1:1:1:1:1).
V. Gemäß Artikel 27 Absatz 3 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg wird der Enquete-Kommission ein Arbeitsstab zur Verfügung gestellt.
Diesem Antrag wurde von der Bürgerschaft vollinhaltich entsprochen und eine Enquete-Kommission beschlossen.
Mitglieder der Enquete-Kommission waren:
1. Mitglieder aus der Bürgerschaft Hamburg
SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Ksenija Milda Bekeris, Barbara Duden, Hildegard Jürgens, Uwe Lohmann
- Stellvertretende Mitglieder: Hendrikje Blandow-Schlegel, Sören Schumacher, Dr. Tim Stoberock
CDU-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Philipp Heißner, Stellvertretendes Mitglied: Dennis Gladiator
GRÜNE-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Anna Gallina (Schriftführung), Stellvertretendes Mitglied: Mareike Engels
DIE LINKE-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Sabine Boeddinghaus, Stellvertretendes Mitglied: Mehmet Yildiz
FDP-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Daniel Oetzel, Stellvertretendes Mitglied: Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein
AfD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg
- Harald Feineis.
2. Sachverständige Mitglieder
- Prof. Dr. Christian Schrapper (Vorsitz), Henriette Katzenstein, Prof. Dr. Fabian Kessl, Dr. Heinz Kindler, Prof. Dr. Thomas Möbius, Prof. Dr. Ludwig Salgo, Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl, Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner
Arbeit der Enquete-Kommission
Die Enquete-Kommission gab sich eine Geschäftsordnung und begann mit ihrer Arbeit.
Den Umfang dieser Arbeit kann man sich vorstellen, wenn wir die Dankesworte des Vorsitzenden der Enquete-Kommission in seinem Abschlussbericht lesen:
Mein Dank gilt allen Mitgliedern der Enquete-Kommission, den Abgeordneten der Bürgerschaft ebenso wie den acht berufenen Expertinnen und Experten. In 26 teilweise langen und immer öffentlichen Sitzungstagen sowie nicht wenigen Treffen zur Vor-und Nachbereitung haben wir immer wieder auch miteinander darum gerungen und uns herausgefordert, den gestellten Auftrag fundiert zu bearbeiten. Aber anders wäre es auch nicht gelungen und der gemeinsame Wille, zu einem guten Ergebnis zu kommen, hat bis zum erfolgreichen Abschluss getragen. Dafür nochmals meinen Dank und meine Anerkennung, das war nicht selbstverständlich.
Anerkennung und Respekt ebenfalls für den Arbeitsstab und seine Leistungen, von den Vorbereitungen und Protokollen aller Sitzungen über zahlreiche Vermerke und Ausarbeitungen zu wichtigen Themen bis zur Vorbereitung und Redaktion des Abschlussberichtes in unzähligen Varianten und Änderungen. Hierfür meinen herzlichen Dank, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und besonders dem Leiter des Arbeitsstabes.
Mein Dank gilt dann natürlich allen, die sich als Auskunftspersonen und als Expertinnen und Experten den Fragen der Kommission gestellt haben. Besonders danken will ich hier den Eltern und Kindern, die in den Beteiligungswerkstätten geforscht und ihre Befunde so engagiert der Kommission vorgestellt haben. Und besonders danken will ich auch den Fachkräften aus den ASD-Abteilungen sowie bei den freien Trägern, die sich an den Online-Befragungen beteiligt haben sowie den Mitgliedern der Landesarbeitsgemeinschaft ASD für ihren mutigen Auftritt.
Und als letztes, aber nicht zuletzt, danken will ich ausdrücklich der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Bürgerschaftskanzlei für die Unterstützung und Versorgung einer anspruchsvollen Kommission.
Ergebnisse der Arbeit der Kommission
In seinem Vorwort fasst der Vorsitzende fünf zentralen Botschaften als die Ergebnisse der Enquete-Kommission zusammenfassen:
1. Nur wenn Fachkräfte „gut“ arbeiten können, gelingt Kinderschutz qualifiziert und zuverlässig!
Kinderschutz ist immer eine Anstrengung von Menschen mit und für Menschen und so muss auf allen Seiten die Anstrengung und Leistung der Menschen in den Mittelpunkt gerückt werden: der Kinder und ihrer Eltern ebenso wie der Fachkräfte in den vielen Institutionen und Organisationen. Dabei ist „gut arbeiten“ im doppelten Wortsinne gemeint: gut, oder wie es im Norden heißt, auskömmlich ausgestattet und ausgerüstet, mit qualifizierten Fachkräften, den erforderlichen Arbeitsmitteln und dem gebotenen Respekt für diese immer sehr belastende und verantwortungsvolle Arbeit. „Gut arbeiten“ ebenso im Sinne von qualifiziert und kompetent, auf der Grundlage fundierter Kenntnisse über gelingendes und gesundes Aufwachsen ebenso wie über Gefährdungen und über Hilfe und Unterstützung, die ankommt, sowie die dafür notwendigen Instrumente und Arbeitsweisen. Bedingungen, gut arbeiten zu können, müssen vom Hamburger Senat geschaffen werden, aber nicht nur das: Verantwortliche und Leitungskräfte müssen sich auch immer wieder dafür interessieren, wie die Fachkräfte diese Bedingungen bewerten und wie gut sie tatsächlich damit arbeiten können – kein leichtes Unterfangen.
2. Kinder vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen ist deutlich mehr als „Gefahrenabwehr“.
Ein Kinderschutz, der die Rechte von Kindern achtet und stärkt, sucht zuerst nach Entlastung und Unterstützung, damit Belastung und Überforderung Kinder gar nicht erst in Gefahr bringen. Von den frühen Hilfen rund um die Geburt über Kindertagesbetreuung, Familienberatung und Jugendarbeit, den Leistungen derGesundheitsversorgung und der Schulen bis zu den vielfältigen Angeboten von Sport und Kultur gilt es hierfür ein breites und tragfähiges Netz zu spannen – auch dies eine anspruchsvolle Aufgabe. Allerdings: Auch wenn das Bestmögliche getan wird, damit alle Kinder einer Stadt die Chance haben, gesund und gut gefördert aufzuwachsen, braucht es spezifische, auf besondere Gefährdungen gerichtete Aufmerksamkeit und Hilfekonzepte.3. Kinderschutz ist vor allem professionelle Beratungs- und Beziehungsarbeit, nicht nur, aber besonders in Krisen und Notsituationen.
Wenn es gelingt, Eltern auch in Krisen und Not so zu erreichen, dass sie die Türen für Unterstützung öffnen können – in der Erwartung, respektvoll gesehen und glaubhaft entlastet zu werden – kann der Schutz ihrer Kinder zuverlässig gelingen. Gelingt dies nicht, muss ebenso entschieden Zugang zu Kindern eingefordert und ihr Schutz durchgesetzt werden – aber auch dann mit Respekt. Diese Herausforderung in jedem einzelnen Fall angemessen einzuschätzen und gestalten zu können, erfordert Fachkräfte, die wissen was sie tun, die professionell arbeiten: also basiert auf wissenschaftlich begründetem Wissen Anwendungs- und ntscheidungskompetenz
für den Einzelfall in Anspruch nehmen, dazu intensiv reflektierte und begründete Handlungsmethoden nutzen, „nach den Regeln der Kunst“ selbstreflexiv arbeiten und sich fachlicher und wissenschaftlicher Überprüfung sowie politischer Kontrolle selbstbewusst stellen.4. Kinderschutz zu organisieren ist eine Herausforderung zwischen den drei Polen Ressourcen, Regeln und Reflexion.
Damit Wirkungen der Organisationsgestaltung und -steuerung produktiv werden können, müssen immer alle drei Faktoren Beachtung finden. Denn wenn nur eine wegfällt – zu wenige oder nicht angemessen eingesetzte Ressourcen, insbesondere qualifiziertes Personal, keine verbindlich orientierenden Regeln oder ein Regelwerk, das dem Arbeitsfeld nicht gerecht wird, zu wenig oder nur unverbindliche fachliche Reflexion und Weiterentwicklung – können die anderen Faktoren diesen Mangel nicht kompensieren.
Alle drei Faktoren und ihre Wechselwirkungen müssen beachtet werden, um Strukturen und Konzepte der Organisation des Kinderschutzes so zu gestalten, dass eine professionelle sozialpädagogische Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert wird.5. Anerkennung und Respekt von Politik und Zivilgesellschaft sind ebenso unverzichtbar wie kritische Berichterstattung und öffentliche Diskussion.
Fachkräfte im Kinderschutz übernehmen große Verantwortung für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Und sie tragen diese Verantwortung unter denkbar schwierigen Voraussetzungen: Schon der (grund-)gesetzliche Rahmen erfordert immer wieder kenntnisreiche Auslegung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten; was Kinder gefährden kann, ist oft weder leicht zu erkennen noch eindeutig zu bewerten und nicht zuletzt sind viele Akteurinnen und Akteure zu beteiligen und wirken einflussreich mit. Kontinuierliche Achtsamkeit ist gefordert, schon eine fehlende oder missverstandene Information kann verheerende Folgen haben. Berufsgruppen mit vergleichbar anspruchsvollen Aufgaben bekommen dafür zu Recht viel Anerkennung und Respekt, müssen sich dafür aber auch immer wieder kritischer öffentlicher Debatte stellen. Genau dies muss auch für die Fachkräfte und ihre Organisationen im Kinderschutz gelten: Anerkennung und Respekt für die Leistungen, kritische Berichterstattung über Erfolge ebenso wie über Probleme und Fehler. Nur dann werden sich auch genügend Menschen finden, die diese Arbeit tun wollen.
Im Bericht wird sehr ausführlich beschrieben auf welche Weise die Kommission ihre Erkenntnisse gewinnt und ihre Schlüsse daraus zieht.
Zu den einzelnen, schon im Antrag genannten Schwerpunkten, werden dann Empfehlungen zugeordnet. Als Beispiel möchte ich die Empfehlungen zur Pflegekinderhilfe vorstellen:
2. Pflegefamilien – auch hier das Kind in den Mittelpunkt:
16.1 Welche Abläufe und Abwägungen gibt es bei der Auswahl von Pflegeeltern?
16.2 Wie werden diese bewertet und welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten?
16.3 Wie kann sichergestellt werden, dass Pflegestellen kontinuierlich und umfassend entsprechend der Vorgaben aus der Fachanweisung Pflegekinderdienste beraten werden?
17 Wie kann der gesetzliche Anspruch auf Leistungen bei einem Mehrbedarf aufgrund besonderer Beeinträchtigungen der Kinder und Jugendlichen einheitlich umgesetzt werden?
18 Wie kann sichergestellt werden, dass Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien eine den fachlichen Standards angemessene Unterstützung bekommen?
19 Welche Ausstattung von Pflegestellen ist erforderlich, um die Zahl der Pflegestellen, und hier insbesondere der Bereitschaftspflegestellen, in Hamburg zu erhöhen?
14.1 Rückführungsprozesse in der Praxis und die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften und Regeln und mögliche gesetzliche Regelungsbedarfe 14.2 welche Rückführungskonzepte und ‐instrumente sind notwendig, um im Sinne des Kindeswohls bei Rückführungsentscheidungen das Kindesinteresse stärker in den Mittelpunkt zu stellen?
Siebzig Empfehlungen der Kommission bedeuten einen riesigen Auftragskatalog an alle Beteiligten der Jugendhilfe. Nicht alle waren mit diesen Empfehlungen glücklich. Manchen gingen sie zu weit, anderen nicht weit genug. Sicherlich wird es bei der Umsetzung in die Praxis noch Probleme, Verzögerungen und Konflikte geben aber es ist aus meiner Sicht deutlich geworden, dass dies ein großer Schritt war in der Betrachtung EINER besonderen Sichtweise: der Sichtweise auf das Kind, seinem Wohl und seinen Rechten. Vielleicht hilft uns diese ganze aufwändige Aktion dabei, das Kind besser sehen zu können und zu dürfen, ohne dabei die Eltern (oder Pflegeeltern) außeracht zu lassen.
von:
PFAD-Stellungnahme zum Bundeskinderschutzgesetz