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10.11.2010
Fachartikel

Leibliche Kinder der Pflegeeltern

Betrachtungen und Überlegungen zu den leiblichen Kindern der Pflegeeltern.

Henrike Hopp

Leibliche Kinder der Pflegeeltern

Zu Beginn ein Auszug aus einer der wenigen Untersuchungen, die sich mit den leiblichen Kindern in Pflegefamilien beschäftigen:

Geschwistersituation in Pflegefamilien – Studie des Deutschen Jugendinstitutes (DJI ) 2007

  • Fallerhebung des DJI 2007: Pflegefamilien (N = 461)
  • In knapp der Hälfte der Pflegefamilien lebten zum Zeitpunkt der Fallerhebung nur Pflegekinder (43% N = 198), davon
  • In 2/3 der Pflegefamilien als Einzelkinder (N = 127)
  • In 1/3 der Pflegefamilien mit weiteren Pflegekindern (N = 71), alles Geschwister der Herkunftsfamilie
  • In mehr als der Hälfte der Pflegefamilien lebten Pflegekinder & leibliche / adoptierte Kinder der Pflegeeltern (57% N = 263), davon
  • 2/3 als einziges Pflegekind (N = 169)
  • 1/4 mit anderen / fremden Pflegekindern (N = 62)
  • 10 % mit Herkunftsgeschwistern (N = 26)
  • 3 % mit Herkunftsgeschwistern & anderen / fremden Pflegekindern (N = 8)
  • leben keine leiblichen / adoptierten Kinder in der Pflegefamilie, dann ist die von den FK wahrgenommene Zugehörigkeit des Pflegekindes zur Pflegefamilie in ca. 90 %der Fälle hoch (>8 auf der 10-stufigen Skala)
  • leben jedoch leibliche / adoptierte Kinder in der Pflegefamilie, dann ist die von den FK wahrgenommene Zugehörigkeit des Pflegekindes zur Pflegefamilie nur in ca. 70 –80 %der Fälle hoch (>8 auf der 10-stufigen Skala)
  • Je vielfältiger die Geschwistersituation in der Pflegefamilie, um so höher sind die Anforderungen an das Pflegekind

Motivation der Eltern zur Aufnahme weiterer Kinder

Was motiviert Eltern, die ja schon die Rolle der Eltern in ihrem Leben erfahren und sich nicht in diese Rolle "hineinsehnen" müssen wie kinderlose Paare, weitere Kinder zu ihren eigenen Kindern in ihre Familie aufzunehmen?

Platz im Haus und im Herzen

Manche Paare wünschen sich eine große Familie mit vielen Kindern. Sie haben die räumlichen Möglichkeiten und können sich das Zusammenleben mit mehreren Kindern gut vorstellen. Es ist für sie auch kein Problem, nicht nur leibliche Kinder groß zu ziehen und so sehen sie es als eine gute Möglichkeit an, Pflegekinder in ihre Familie aufzunehmen.

Eigene Erfahrungen mit Pflegekindern

Einige Pflegeeltern sind mit Pflegegeschwistern aufgewachsen – waren also selbst leibliche Kinder in Pflegefamilien. Oder nahe Verwandte hatten Pflegekinder aufgenommen. Ihre Motivation besteht in den guten Erfahrungen, die sie selbst mit Pflegekindern gemacht haben und dem Wunsch, diese Erfahrungen nun selbst in das Leben mit Pflegekindern als Pflegeeltern einbringen zu wollen.

Berufsmäßiges Handeln zuhause

Pflegepersonen mit professioneller Ausbildung entscheiden sich dafür, Pflegekinder in ihre Familie aufzunehmen und damit zuhause professionelle Arbeit zu leisten, die auch von den finanziellen Bedingungen her als berufliche Arbeit angesehen wird.

Hilfe für einen Freund des eigenen Kindes oder Verwandten

In manchen Jugendamtsbereichen sind bis zu 25 % der Pflegestellen sogenannte "selbst gesuchte" Pflegestellen, die durch die Kinder bzw. Jugendlichen oder deren Eltern eben selbst gesucht wurden. Das können Verwandte sein aber auch Eltern einer Freundin oder Freundes, eine Nachbarin, eine Lehrerin, Kindergärtnerin etc., die sich für diese Aufgabe generell gar nicht interessiert haben, aber durch dieses ihnen am Herzen liegenden speziellen Kind zu Pflegepersonen "gemacht" wurden.

Altruistisches Helfen wollen

Manche Pflegeeltern wollen einfach gutes Tun, wollen Kindern helfen, ihnen eine Familie geben.

Aufwachsen in einer Pflegefamilie hat Auswirkungen auf die leiblichen Kinder

Die Aufnahme eines Pflegekindes mit seinen heute üblichen Schädigungen und eindrucksvollen und nachhaltigen Erfahrungen hat natürlich Auswirkungen auf alle Mitglieder der Pflegefamilie. Dies im besonderen Maße auf die leiblichen Kinder der Pflegeeltern. Je jünger die Kinder bei der Aufnahme eines Pflegekindes sind, umso prägender und geschwisterlicher ist die Verbindung des leiblichen Kindes zum Pflegekind. Ältere Kinder der Pflegeeltern haben oft schon eigene Interessen oder stehen davor, flügge zu werden, so dass die Aufnahme eines Pflegekindes ihr Leben nicht ganz so deutlich beeinflussen wird. Was aber klar ist: auch die großen Kinder werden von der Entscheidung mit betroffen und erleben und sehen ihre Eltern in einer anderen neuen Rolle im Leben.
Wissenschaftliche Untersuchungen
Es gab nur wenige Untersuchungen, die ihre Aufmerksamkeit auch auf die leiblichen Kinder in Pflegefamilien wandten. Die nachfolgenden Untersuchungen ergaben Nachdenkliches:

Poland und Groze (1993) ermittelten:

  • dass nur knapp die Hälfte der befragten Pflegeeltern fand, dass ihre eigenen Kinder der Familienpflege gegenüber positiv eingestellt waren.
  • 57% der Eltern beobachteten positive Auswirkungen auf ihre Kinder
  • 43% der Eltern beobachteten sowohl positive als auch negative Auswirkungen.
  • 13 % der Pflegeeltern vermuteten, dass ihre Kinder die Pflegekinder ablehnten
  • 10 % waren der Meinung, dass ihre Kinder unter der Rückführung eines Pflegekindes leiden könnten
  • 8 % äußerten den Verdacht, dass ihre Kinder von den Pflegekindern misshandelt würden
  • 8 % meinten, dass ihre Kinder von den Pflegekindern schlechte Verhaltensweisen lernen könnten
  • Fast alle Pflegeeltern waren der Meinung, dass ihre leiblichen Kinder wegen der Aufnahme eines Pflegekindes weniger Zeit zu Hause verbrachten.
  • Nur 5% hielten die Familienpflege für eine durchweg positive Erfahrung für ihre leiblichen Kinder.

Kaplan (1988) ermittelte, dass alle Pflegemütter sich bewusst waren, dass es zwischen ihren leiblichen Kindern und den Pflegekindern Eifersucht, Rivalität und Konflikte gab. Aber nur wenige Pflegemütter hatten erkannt, dass vor allem ihre jüngere Kinder Angst davor hatten, so wie die Pflegekinder aufgrund ihrer "Schlechtigkeit" von ihren Eltern verstoßen zu werden. Jüngere Kinder drückten diese negativen Gefühle gegenüber den Pflegekindern eher direkt aus, während ältere leibliche Kinder mehr Empathie und Verständnis für deren Situation zeigten.

Steinhauer und Kollegen (1988) leiteten neu Monate lang eine Gruppe von 8 bis 13 leiblichen Kindern von Pflegeeltern.
Sie erfuhren von den Kindern, dass diese der Meinung waren, dass die Aufnahme eines Pflegekindes ihre Familie stark beeinflusse: "Obwohl alle wussten, dass ihre Eltern sie liebten, fühlten sie doch zeitweise, dass sie gegenüber den Pflegekindern mit ihren vielfachen Problemen den zweiten Platz einnahmen. Dies verletzte sie und machte es ihnen zugleich unmöglich, ihren Eltern verstehen zu geben, wie vernachlässigt und enttäuscht sie sich fühlten. Die meisten waren verärgert, hüteten sich aber, ihre Wut zu zeigen, da ihrer Aussage nach frühere Gefühlsausbrüche oder Klagen ihre Eltern geärgert habe" (S. 513). Die leiblichen Kinder fanden, dass ihre Eltern zu wenig Zeit für sie allein hätten, dass sich ihre Familie fortwährend an kommende und gehende Pflegekinder anpassen müsse, dass diese zu wenig ihre Privatsphäre achten und oft ihre Besitztümer an sich nehmen oder gar zerstören würden. Oft schämten sie sich für deren Verhalten oder wurden in Gewissenskonflikte gestürzt: Sollten sie zum Beispiel Diebstähle melden?

Entscheidung zur Aufnahme von Pflegekindern

Auf die leiblichen Kinder kommt Veränderung und oftmals auch eine Verantwortung zu.

Alle Mitglieder der Familie müssen sich durch die Aufnahme eines Pflegekindes in ihre Familie neu positionieren. Die alten Positionen sowohl zu den Eltern als auch zu Geschwistern werden nicht so bleiben wie sie waren sondern ändern sich. Das neue Pflegekind kommt nicht einfach dazu, sondern es bewirkt, dass alle Mitglieder der Familie sich bewegen müssen.

Die Entscheidung über eine Aufnahme eines Pflegekindes obliegt natürlich den Eltern. Es ist jedoch selbstverständlich, dass die Eltern Entwicklungsstand und Bedürfnisse der eigenen Kinder berücksichtigen müssen und mit den Kindern über ihre Gedanken sprechen. Die Eltern sollten sich ihre Pläne von den Kindern auch "absegnen" lassen. Die Kinder können die Entscheidung nicht treffen, aber sie müssen informiert, gefragt und beachtet werden. Ältere Kinder sollten klar ihre Zustimmung oder Ablehnung kund tun dürfen.

Wir müssen uns klar sein, dass die leiblichen Kinder die Pflegekinder auch auf ihren Schultern tragen.

Was sagen die leiblichen Kinder selbst?

Auf einer englischen Internetseite für das Pflegekinderwesen in England, Wales, Schottland und Irland gibt es eine spezielle Seite für die leiblichen Kinder in den Pflegefamilien. Diese Seite heißt "Söhne und Töchter" und gibt diesen Söhnen und Töchtern Informationen und lässt sie zu Wort kommen. www.fostering.net/sons-and-daughters

Hier gibt es folgende Aussage der Söhne und Töchter zu lesen:

"Ich möchte gern anderen Kindern sagen, dass es eine Gute Sache ist, Pflegekinder auszunehmen, aber du musst wissen, dass du nicht mehr so viel Aufmerksamkeit bekommst, wie du es bisher gewöhnt warst.

Es ist notwendig, dass du gut vorbereitet bist und sprich über alles, was dir mit deiner Familie Sorgen macht. Die Aufnahme eines Pflegekindes kann auch für dich eine riesige Verantwortung bedeuten.

Eine Bitte an die Pflegeeltern:

Sind Sie sicher, dass Ihre Kinder verstehen was Sie tun wollen und dass sie bereit sind ein Kind aufzunehmen?
Es ist schwierig für sie ihr Leben zu teilen und sie brauchen viel Rückhalt. Machen Sie deutlich, dass Sie auch Zeit mit Ihren Kindern verbringen, so dass sie mit allen Problemen zu Ihnen kommen können und Sie nicht anderweitig zu beschäftigt sind".

Ein leiblicher Sohn erzählte mir: " Als meine Eltern mit mir über die Aufnahme von Pflegekindern sprachen sagte ich ihnen: ich habe eine einzige Bedingung dazu, ich muss immer der Älteste bleiben"

Das Leben in einer Pflegefamilie

Hier zuerst einige Erfahrungen von Pflegeeltern zur Reaktion ihrer leiblichen Kinder auf das Leben in einer Pflegefamilie:

1. Unser leiblicher Sohn hängt momentan ganz schön durch. Er bekommt ja nun schon seit drei Jahren mit, wie anstrengend der Kampf um unsere Pflegekind ist.
Auf jeden Fall ist er versetzungsgefährdet und das schlimme ist, dass er uns nicht damit belasten wollte und uns den Brief nicht abgegeben hat, sonder ihn selber unterschreiben wollte. Natürlich kam das raus und er erzählte, dass wir schon genug um die Ohren haben und er uns keine Probleme machen möchte.

2. Patrik, leiblicher Sohn der Pflegeeltern, 4 Jahre alt, kennt nur das Leben in einer Pflegefamilie. Eines Tages fragt er seine Mutter: Wann kommt denn meine Mama mich besuchen?

3. Das Pflegekind erzählt der jungen Tochter der Pflegeeltern ihre Erfahrungen mit dem sexuellen Missbrauch durch ihren Stiefvater. Die ganze Familie ist geschockt und die Pflegeeltern sind sich nicht sicher, wie sie ihrer Tochter nun helfen sollen. Darüber hinaus soll es nun auch noch ein Strafverfahren gegen den Stiefvater geben und sie bzw. die Tochter sollen aussagen.

4. Ein sehr aggressives Pflegekind attackiert den leiblichen Sohn und verletzt ihn. Die Mutter meinte: Ich wusste bei der Aufnahme des Kindes, dass wir Pflegeeltern ein Risiko eingingen, aber ich dachte nie daran, dass ich das Risiko auch für meinen Sohn eingegangen bin.

Veränderung der Kernfamilie durch die Aufnahme eines Pflegekindes

Durch die Aufnahme eines Pflegekindes in die Kernfamilie muss sich die Familie verändern. Sie ist nicht mehr nur noch das was sie war, sondern es ist ihr neues hinzugefügt worden und somit hat sie sich erweitert und bewegt.

Das Pflegekind bringt Neues in die Familie. Dieses Neue kann auch mit erheblichen Risiken gegenüber den leiblichen Kindern verbunden sein. Die Auswirkungen der Erfahrungen von Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch des Pflegekindes veranlasst das Kind zu entsprechendem Verhalten in der Pflegefamilie. Mangelndes Vertrauen, mangelndes Wertgefühl, große Ängste aber auch Strategien des Überlebens zeigen sich nun in der Pflegefamilie. Das leibliche Kind wird hiermit konfrontiert.

Für das leibliche Kind ist es wichtig, dass es mit diesem Verhalten klar kommt, es vielleicht sogar versteht und sich selbst nicht ausgeliefert fühlt. Es muss auf mögliche sexuelle Annäherungen des Pflegekindes klar zurückweisend und sich selbst schützend reagieren können, es muss aggressiven Übergriffen gegenüber gewachsen sein. Es muss die Gewissheit haben, dass Übergriffe des Pflegekindes auf es selbst als auch auf sein Hab und Gut deutlich zurück gewiesen werden und dass es Schutz vor weiteren Übergriffen geben wird.

Bei der Überlegung zur Aufnahme eines Pflegekindes müssen eventuell mögliche Risiken für das leibliche Kind klar von den Vermittlungsstellen und den zukünftigen Pflegeeltern bedacht und beachtet werden. Sexuell missbrauchte Pflegekinder können nur in Pflegefamilien gegeben werden, in denen eigene Kinder schon älter und überlegener sind. Die Aufnahme eines Pflegekindes darf nicht zu einer Bedrohung für die Kernfamilie werden.
Herausforderungen und Probleme eines leiblichen. Kindes ebenso wie die Art und Einschätzung seiner Erfahrungen differiert nach Alter und der Verständnismöglichkeit des Kindes und verändert sich Zeit seines Lebens.

Erfahrungen und Einschätzungen des Kindes teilen sich in vier Lebensbereiche auf:

1. solche, die im Zusammenhang stehen mit Erfahrungen und Beziehungen, die das Kind selbst direkt mit den Pflegekindern gemacht hat

2. solche, die in Zusammenhang mit den eigenen Eltern und der eigenen Familie stehen

3. solche, die in Zusammenhang stehen mit dem Umfeld (Schule, Nachbarn etc.)

4. solche, die im Zusammenhang mit den betreuenden Fachkräften stehen.

Ideen und Erfahrungen erwachsene leibliche Kinder im Rückblick

Bei Interviews mit leiblichen erwachsenen Kindern wurde auch die Frage gestellt, ob sie mehr von dem Kind, das nun in ihre Familie kommt, erfahren hätten, so dass vielleicht manch ungewöhnliches Verhalten erklärbar für sie gewesen sei.

Für jüngere Kinder sei vorheriges Erklären wohl schwer nachvollziehbar. Ältere Kinder wollten und sollten schon mehr erfahren, aber auch hier wollen die leiblichen Kinder eigentlich normal mit dem Pflegekind umgehen – ein großes Fürsorgeverhalten dem Pflegekind gegenüber sei da nicht zu erwarten. Wichtig sei sicherlich ein normales Verhalten von Kindern untereinander.

Aber die Eltern sollten hinschauen und feinfühlig reagieren, wenn das eigene Kind durch das Pflegekind verwirrt oder beunruhigt wird und sich dann als Eltern oder auch als Berater kümmern.

Die vom Kind empfundene Position und Bedeutung in der eigenen Familie darf nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. So möchte das älteste Kind in der Familie weiterhin diese Rolle behalten. Verliert ein Kind seine Position (z.B. wenn es bisher das jüngste Kind war), so ist diesem Kind besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Leibliche Kinder empfinden häufig eine Verletzung der eigenen Sphäre und des eigenen Wertes durch das Leben mit dem Pflegekind und ziehen sich dann zurück.

Pflegekinder sind für ihr Pflegegeschwister nicht nur problematisch gewesen, sondern auch eine Freude. Es war spannend mit ihnen – aber sie waren immer da und es war anstrengend und manchmal haben unsere Eltern eigentlich nur noch sie gesehen und uns sehr wenig.

Gerade wenn man schon größer ist und in der Pubertät will man ja eigentlich darüber hinweg sein, aber trotzdem will man dann seine Eltern haben. Und wenn dann immer andere "bedürftiger" sind ist das schwierig und man fühlt sich nicht mehr angenommen. Dann ist man einerseits sauer und andererseits fühlt man sich dann auch etwas schuldig.

Eigentlich sollen ja die Pflegekinder unser Verhalten übernehmen, aber manchmal war es umgekehrt und wir haben deren Verhalten übernommen. Das hat die Familie dann gar nicht gern gesehen. Meist war das ja nur eine Phase und wir haben es wieder abgelegt.

Ein Pflegekind kann unsere Familie heftig durcheinander wirbeln, so dass wir Kinder sehr intensiv auf starke und gelassene Eltern angewiesen sind. Manche Kinder jedoch bringen unsere Eltern in Verwirrung, spalten unsere Eltern, die sich dann immer wieder zanken und sich nicht einigen können. Wenn die Eltern die Sicherheit verlieren – das ist eigentlich das Schlimmste. Wenn sie nicht mehr miteinander klar sind und nicht mehr wissen, was denn nun für uns alle gut wäre, dann werden auch wir unsicher. Wir haben uns besonders aus diesem Grund hin und wieder auch schon mal gewünscht, dass ein Kind wieder gehen sollte. Unsere Eltern müssen unsere Eltern bleiben.

Manchmal werden ältere oder erwachsene leibliche Kinder zu Erziehungspartnern der Eltern. Das ist o.k., wenn sie das so wollen und wenn dies nicht eine Partnerschaft ist, die entstanden ist, weil die Eltern nicht mehr selbst Herr der Lage sind.

In Gesprächen mit erwachsenen leiblichen Kindern wurde mir deutlich, wie intensiv die leiblichen Kinder durch die Tatsache mit Pflegekindern aufzuwachsen beeindruckt und beeinflusst sind. Sie leben in sehr ausgeprägten Wertvorstellungen ihrer Eltern. Sie "tragen" das Pflegekind in erheblichem Maße sind.

Sie sind oft erster Ansprechpartner, Modell und Vorbild für die Pflegekinder und übernehmen Verantwortung. Sie erleben ihre Eltern in einer Art und Weise, die sie ohne Pflegekinder so nicht erlebt hätten. Sie erleben ihre Eltern in extremen Situationen, sie erleben sie unsicher und sehr gefordert. Sie erleben sie aber auch gelassen, klar und sicher. Sie erleben das Leben in wirklichen Höhen und Tiefen und erfahren, dass äussere Situationen die Wogen ‚hochpuschen’. Besuchskontakte, Gutachtenerstellung, Schulsituationen etc. verunsichern die Eltern, regen sie auf. Mir ist deutlich geworden, dass viele leibliche Kinder das durchaus erkennen und sich sorgen. Die Kinder bekommen die Empfindungen der Eltern mit, wissen aber oft nicht, was sie nun tun sollen und wie und ob sie helfen können. Manche Kinder werden dann aber auch Ansprechpartner für ihre belasteten Eltern und fühlen sich damit oft überfordert.

Die Kinder erkennen, dass ein schwieriges Pflegekind mit seinem Verhalten auch eine große Belastung für die Ehe der Pflegeeltern wird, dass es zu Auseinandersetzungen und Missverständnissen kommt. Das Kind sorgt sich und fühlt sich und seine bisherige Welt bedroht.
Es gab Leute, die das mit den Pflegekindern verstanden oder eben nicht verstanden. Die das nicht verstanden gehörten eben nicht zu unserem Freundeskreis. Die Nachbarn waren meist interessiert. Manche haben meinen Eltern richtig geholfen, so mit Kinderaufpassen etc., andere haben es von Weitem betrachtet. Wir haben als Kinder das einfach so genommen wie es war. Als wir älter waren haben wir mitgekriegt, dass die Leute uns als Pflegefamilie schon bemerkten. Da gab es dann Äußerungen von : ich bewundere Euch, ich könnte das nicht oder wer weiß was. Da wurde uns klar, dass wir als Familie schon auch so gesehen wurden, und etwas anders waren als andere Familien.

Erwachsene leibliche Kinder reagieren nicht einheitlich auf das Leben in einer Pflegefamilie.
Einige sind von der Sinnhaftigkeit der Aufnahme von Pflegekindern so überzeugt, dass sie als Erwachsene ebenfalls ein Pflegekind in ihre Familie aufnehmen.
Andere gehen soweit zu sagen, dass Herausnahme oder Wechsel von Pflegekindern in ihren Familien Beziehungsprobleme bei ihnen ausgelöst haben.

In den Gesprächen wurde deutlich, dass es keine allgemeine Aussage geben kann, sondern dass jedes individuelle Kind in unterschiedlichsten Situationen sehr eigenständig empfindet.
Von Bedeutung ist, die leiblichen Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren, sie weiterhin zu "sehen", mit ihnen im wirklichen Kontakt zu bleiben und sie ernst zu nehmen. Die Kinder tragen die Entscheidung ihrer Eltern mit und tragen das Pflegekind ebenfalls auf ihren Schultern.

Überlegungen der Eltern bei der Aufnahme von Pflegekindern und dem Leben mit Pflegekindern

1. Erwartungen

  • Welche Erwartungen haben die Pflegeeltern an ihr leibliches Kind bei der Aufnahme eines Pflegekindes.
  • Welche Erwartungen haben die Pflegeeltern an die Rolle, die das leibliche Kind nach der Aufnahme übernehmen wird?
  • Welche Position hatte das leibliche Kindes vor der Aufnahme des Pflegekindes und hinterher?

2. Auswirkungen

  • Was – glauben wir - erfahren oder lernen unsere leiblichen Kinder durch ein Pflegekind?
  • Wollen wir das?
  • Können wir für unser Kind Sicherheit, Bindung, Glück erhalten?

3. Die Sorge der Kinder um ihre Eltern

  • Können wir die Sorge unserer Kinder um uns Eltern sehen?
  • Können wir diese Sorge annehmen?
  • Können wir mit unserem Kind darüber sprechen?
  • Was kann uns helfen?

4. Die leiblichen Kinder nicht verlieren – was hilft den Eltern dabei?

  • zeigen, dass sie weiterhin das Wichtigste sind
  • Wissen um ihre Befindlichkeit und ihre Gefühle
  • Hinschauen:
  • nehmen wir Veränderungen am Kind wahr? Spielt es anders als vorher?
  • Bewegt es sich anders? Spricht es weniger, anders ...
  • Klammert es? Weicht es aus? Wird es altklug? Ist es seltener zuhause? ...
  • Miteinander sprechen – sich auch vom Kind hinterfragen lassen
  • Dem Kind jemanden an die Seite geben mit dem es über die Dinge sprechen kann, die es mit seinen Eltern nicht besprechen möchte.

5. Berater

Berater müssen die leiblichen Kinder als einen wesentlichen Bestandteil der Pflegefamilie ansehen lernen. Wenn die Pflegeeltern sehen, dass es ihren Kindern schlecht geht und sie keinen Ausweg sehen, wird das Pflegeverhältnis in Gefahr sein. Es hilft Pflegeeltern wenn sie die Erfahrung machen, dass auch die Berater auf das Wohlbefinden ihrer Kinder Wert legen und sich auch um diese kümmern. Für die leiblichen Kinder können die Berater vertraute Personen werden.

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