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03.11.2022
Fachartikel

Möglichkeit der Antragstellung durch Pflegeeltern

Wenn ein Kind für längere Zeit in eine Pflegefamilie kommt, haben die Pflegeeltern gemäß § 1688 BGB die Alltagssorge und ein Recht auf Antragstellung sozialer Leistungen für ihr Pflegekind. Für Pflegeeltern, deren Pflegekind einen Vormund hat, gilt ab dem 1. Januar 2023 eine andere rechtliche Grundlage.

Rechte der Pflegeeltern (Pflegepersonen) gemäß § 1688 BGB

Wenn Kinder für längere Zeit in Pflegefamilien untergebracht wurden, erhalten die Pflegeeltern gemäß § 1688 BGB die Alltagssorge und Antragsrechte für soziale Leistungen, auf die das Kind einen Anspruch hat.

§ 1688 Entscheidungsbefugnisse der Pflegeperson

(1) Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so ist die Pflegeperson berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten. Sie ist befugt, den Arbeitsverdienst des Kindes zu verwalten sowie Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen und zu verwalten. § 1629 Abs. 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(2) Der Pflegeperson steht eine Person gleich, die im Rahmen der Hilfe nach den §§ 34, 35 und 35a Absatz 2 Nummer 3 und 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch die Erziehung und Betreuung eines Kindes übernommen hat.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Inhaber der elterlichen Sorge etwas anderes erklärt. Das Familiengericht kann die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.

(4) Für eine Person, bei der sich das Kind auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 oder § 1682 aufhält, gelten die Absätze 1 und 3 mit der Maßgabe, dass die genannten Befugnisse nur das Familiengericht einschränken oder ausschließen kann.

 

Entscheidungen im Rahmen der Alltagssorge umfassen solche Entscheidungen, die im Lebensalltag immer wieder vorkommen und sich wiederholen. Die Pflegeeltern sind berechtigt, den Sorgeberechtigten des Kindes in diesen Angelegenheiten zu vertreten. Der Sorgeberechtigte entscheidet in allen Fragen, die grundlegender Natur und für die Zukunft des Kindes von Bedeutung sind - sogenannte Grundentscheidungen. (Hier finden Sie weitere Infos dazu).

Im § 1688 BGB erhalten die Pflegeeltern auch noch das Recht "Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen und zu verwalten". Was bedeutet das?

Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen

Im Sozialrecht sind Pflegekinder "Personen, die mit einem Berechtigten durch ein auf Dauer angelegtes Pflegeverhältnis in häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind" (§56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I). Sie werden im Sozialrecht überwiegend den leiblichen Kindern gleichgestellt.

In der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung werden sie in den Kreis der Familienversicherten (Familienversicherung) einbezogen (§§ 10 SGB V, 25 SGB XI). In der gesetzlichen Unfallversicherung, in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der sozialen Entschädigung erhalten sie Waisenrente.

Während in der Jugendhilfe der Personensorgeberechtigte des Kindes der Leistungsberechtigte ist (also nicht das Kind selbst), ist das Kind eigenständiger Leistungsberechtigter in Versicherungs-, Versorgungs- und sonstigen Sozialleistungen. Der § 1688 BGB gibt den Pflegepersonen das Recht, für das Kind - welches ja aufgrund seiner Minderjährigkeit noch keine eigenständige Anträge stellen kann - entsprechende Anträge zu stellen, den Sorgeberechtigten also in dieser Hinsicht zu vertreten.  

Beispiele: 

  • Leistungen aufgrund eines Pflegegrades in der Sozialen Pflegeversicherung - SGB XI 
  • Leistungen im Rahmen der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - SGB  IX
  • Entschädigungsleistungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung - SGB VII
  • Waisenrente im Rahmen der Gesetzliche Rentenversicherung SGB VI
  • Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung - SGB V

Änderungen dieser Befugnisse durch die Vormundschaftsreform - gültig ab 1. Januar 2023

Das neue Vormundschaftsrecht schränkt für die Pflegeeltern, deren Kinder einen Vormund haben, die Rechte des § 1688 BGB ein. 

Im entsprechenden neuen Paragrafen 1797 BGB heißt es: 

Entscheidungsbefugnis der Pflegeperson

1. Lebt das Mündel für längere Zeit bei der Pflegeperson, ist diese berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden und den Vormund insoweit zu vertreten. § 1629 Abs. 1 S. 4 gilt entsprechen. 

2. Abs. 1 ist auf die Person gemäß § 1796 Abs. 3 entsprechend anzuwenden.

3. Der Vormund kann die Befugnisse nach dem Abs. 1, 2 durch Erklärung gegenüber der Pflegeperson einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Mündels erforderlich ist. 

Erläuterungen zu dem o.a. Paragrafen: 

§ 1629 Abs.1 S. 4: "Bei Gefahr im Verzug ist jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten." 

§ 1796 Abs. 3: " Der Pflegeperson steht eine Person gleich, die - 1. den Mündel a) in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder b) in sonstigen Wohnformen betreut und erzieht oder 2. die intensive sozialpädagogische Betreuung des Mündels übernommen hat.

Dieser Paragraft im aktualisierten Vormundschaftsrecht klammert die in § 1688 BGB benannten finanziellen und antragsrechtlichen Befugnisse für die Pflegeperson aus und macht damit klar, dass solche Dinge nur noch dem Vormund obliegen. Da spezielles Recht immer vorrangig vor allgemeinem Recht geht und das Vormundschaftsrecht im Rahmen des BGB ein spezialisiertes Recht ist, haben Pflegepersonen also in diesem Bereich unterschiedliche Rechte, je nachdem ob ihre Pflegekinder die leiblichen Eltern als Sorgeberechtigte haben oder einen Vormund. 

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