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Vormundschaft für ein Pflegekind mit Behinderungen
Sorgerecht für ein Pflegekind
Lebt ein Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern, sondern in einer Pflegefamilie, dann teilt sich das Sorgerecht gewissermaßen in zwei wesentliche Bereiche auf:
- jene Entscheidungen, die seltener vorkommen und schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.
- die Entscheidungen, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben
Grundentscheidungen
Die Entscheidungen, die schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben nennen wir ‚Grundentscheidungen‘ des/der Sorgeberechtigten.
Dazu gehören z.B.
- die Entscheidung, wo das Kind lebt,
- Entscheidungen zur Schule und Ausbildung,
- religiöse Entscheidungen,
- Umgangsentscheidungen,
- wesentliche gesundheitliche Entscheidungen (z.B. Operationen, Impfungen, Therapien, bestimmte Medikamente, Zustimmung zu Drogen- oder Aidstest)
- die rechtliche Vertretung des Kindes (z.B. Verträge, Einbürgerung, Ausbürgerung, Kinderausweis, Gerichtsverfahren, Anträge auf öffentliche Leistungen)
Entscheidungen die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben nennen wir ‚Alltagssorge‘. Die Alltagssorge umfasst alle Entscheidungen des täglichen Lebens.
Für Kinder, die nicht bei ihren Eltern oder einem Elternteil aufwachsen, sondern in einer anderen Familie hat der Gesetzgeber im § 1688 BGB die Alltagssorge geklärt.
Dort heißt es in Absatz 1 Satz 1:
(1) Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so ist die Pflegeperson berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten.
Die Alltagssorge der Pflegeeltern
Die Alltagssorge umfasst alle Überlegungen und Entscheidungen, die immer wiederkehrend den Alltag des Kindes und seine Pflegefamilie bestimmen.
Am Beispiel der Schule lässt sich Grundentscheidung und Alltagssorge besonders gut erklären:
Alle Entscheidungen zur Anmeldung und Ummeldung in eine Schule sind Grundentscheidungen, alles Weitere wie Elternpflegeschaft, Zeugnisunterschrift, Entscheidungen zur Klassenfahrt, Arbeitsgemeinschaften etc. fallen unter die Alltagssorge.
Im Rahmen der Gesundheitsfürsorge, die ja häufig ein wichtiges Thema für Pflegekinder mit Behinderungen ist, sind alle Eingriffe in den Körper wie Operationen, Narkosen etc. Grundentscheidungen, ebenso besondere z.B. psychiatrische Medikamente, Therapien etc.
Zum § 1688 BGB gehört jedoch neben der o.a. Erklärung zur Alltagssorge auch Absatz 1 Satz 2 Hier heißt es:
Sie (die Pflegeperson) ist befugt, den Arbeitsverdienst des Kindes zu verwalten – sowie Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs und sonstige Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen und zu verwalten.
Diese Möglichkeit kann besonders von Pflegeeltern behinderter Kinder hilfreich genutzt werden. Es bedeutet, dass Pflegeeltern im Rahmen ihrer Alltagssorge mit Versorgungsämtern, Krankenkassen, Versicherungen etc. zusammenarbeiten und Anträge etc. stellen können z.B. auf Hilfsmittel.
Weiterhin wird im § 1688 auch noch darauf hingewiesen, dass § 1629 BGB „Bei Gefahr im Verzug ist jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten.“ entsprechend auch für Pflegepersonen gilt.
Pflegeeltern dürfen also bei Gefahr im Verzug zum Wohle des Kindes alle Rechtshandlungen vornehmen. Sie müssen dann unverzüglich den Sorgeberechtigten davon unterrichten.
Es ist überhaupt wichtig, dass die Pflegeeltern den Sorgeberechtigten ihres Pflegekindes gut informieren und sich gut mit diesen abstimmen, so dass beide voneinander wissen, wer was beantragt oder in die Wege geleitet hat. Normalerweise laufen solche Informationen in den Hilfeplangesprächen zusammen, wenn nicht eilige Abstimmungen zwischendurch erfolgen müssen.
Freiwillig Übertragung von Teilen des Sorgerechtes auf die Pflegeeltern
Bei Kindern mit Behinderungen ist es sicherlich von großem Vorteil, wenn die Pflegeeltern mehr als nur die Alltagssorge in bestimmten Bereichen haben. Ich denke hier besonders an die Gesundheitsfürsorge. Die Pflegeeltern haben sich spezialisiert auf die Behinderung ihres Pflegekindes. Sie wissen nicht nur, was dieses spezielle Kind braucht sondern auch, was notwendig und wünschenswert für dieses Kind mit dieser Behinderung ist. Die Pflegeeltern sind die Spezialisten für ihr Pflegekind. Es macht daher ganz viel Sinn, wenn diese Pflegeeltern dann auch grundsätzliche Entscheidungen treffen dürfen.
In der Praxis des Pflegekinderwesens erlebe ich daher häufig, dass sorgeberechtigte Eltern freiwillig gemäß § 1630 Abs. 4 Teile ihres Sorgerechtes auf die Pflegeeltern übertragen haben. Das ist dann häufig die Gesundheitsfürsorge, das Recht auf Antragstellung öffentlicher Hilfen, oft auch Ausbildung (Kita, Schule).
Pflegeeltern als Vormund ihrer Pflegekinder mit Behinderungen
Die o.a. Gedanken passen natürlich genauso auf die Frage der Übernahme der Vormundschaft durch die Pflegeeltern. Die Vorrangigkeit der ehrenamtlichen Einzelvormundschaft vor der Amts-, Vereins- und Berufsvormundschaft ermöglicht es den Pflegeeltern, einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht zu stellen. Werden sie – oder sind sie – Vormund ihres Pflegekindes mit Behinderungen, dann können sie für das Kind alle Entscheidungen fällen, es in allen Fragen vertreten, alle Anträge stellen. In manchen Situationen müssen sie dazu vorher mit dem Amtsgericht in Kontakt treten und sich Entscheidungen bewilligen lassen. (Zur näheren Information schauen Sie bitte in das moses-online-Themenheft: Sorgerecht für ein Pflegekind).
Ehrenamtliche Einzelvormundschaft für ein Pflegekind
Natürlich können auch andere geeignete Personen Vormundschaften für ein Kind mit Behinderungen übernehmen. So hatte ich die Vormundschaft für drei Kinder mit Behinderungen, die in Pflegefamilien lebten. Es war mir immer besonders wichtig, hier mit den Pflegeeltern als Experten für ihr Kind und die Behinderung ihres Pflegekindes auf engste Weise zusammen zu arbeiten. Wir haben sowohl Grundlegendes als auch Alltägliches zusammen besprochen und waren ein gutes Team.
An einem Beispiel möchte ich nachfolgend beschreiben, was eine Vormundschaft für ein Pflegekind mit Behinderungen an Arbeit und Entscheidungen bedeuten kann.
Meine Vormundschaft für Lisa
- Anregungen (Vorlagen) für Schreiben an das Gericht,
- Anregungen für Vormundschaftliche Berichte,
- Umgang mit Behörden und Gesundheitseinrichtungen,
- Briefwechsel im Rahmen der Opferentschädigung,
- Detailinformationen zu Vermögensverwaltung und Besuchkontakten.
Ich fuhr mit der Fachkraft in die Pflegefamilie, in der Lisa inzwischen lebte. Ich fand es immer wichtig, dass das Kind oder der Jugendliche, die Pflegeeltern, die Fachkraft und ich eine gute Basis miteinander erkennen konnten, wenn ich Vormund werden sollte.
Lisa war weit ab von ihrer Herkunftsfamilie inkognito in eine Pflegefamilie gebracht worden. Bisher war das Heimatjugendamt Vormund des Kindes gewesen, nun sollte aufgrund des Umzugs des Kindes die Vormundschaft geändert werden. Ich wohnte in der Nähe und nach dem Kennenlernen war ich mit der Übernahme einer ehrenamtlichen Einzelvormundschaft für Lisa einverstanden. Die Fachkraft des Trägers setzte sich dahingehend mit dem bisherigen Vormund in Verbindung.
Nach einigen Wochen wurde ich vom dortigen Familiengericht angefragt, ob ich bereit wäre, die Vormundschaft zu übernehmen.
Meine Antwort an das Gericht:
"In Beantwortung Ihrer Anfrage vom [...] teile ich Ihnen mit, dass ich bereit bin die Vormundschaft für Lisa [...] geb [...] im Rahmen einer ehrenamtlichen Einzelvormundschaft zu übernehmen".
Einige Monate, nachdem Lisa in die Pflegefamilie gekommen war, wurde ich ihr Vormund.
Was war bisher im Leben von Lisa geschehen?
Lisa wurde als jüngstes von drei Kindern geboren.
Das örtliche Jugendamt hatte schon in den zwei Jahren vor ihrer Geburt mehrere Hilfen in der Familie installiert. Nach Lisas Geburt wohnte die Mutter mit ihren Kindern in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Hier gab es jederzeit Ansprechpartner, die Familie wurde mehrere Stunden am Tag betreut. Mit knapp drei Monaten erlitt Lisa einen Beinbruch durch einen Sturz auf dem Arm ihrer Mutter.
Mit vier Monaten wurde Lisa mit schwersten Verletzungen in eine Kinderklinik eingeflogen. Nach Aussagen der Ärzte, die auch klar schriftlich festgehalten wurden, erlitt Lisa durch heftiges, über mehrere Tage erfolgtes Schütteln eine schwere und irreparable Schädigung. Das Kind hatte massive Einblutung im Gehirn und lag nun nach seiner Reanimation im Koma. Sollte Lisa überleben, würde sie für den Rest ihres Lebens stark behindert bleiben. Nur die Mutter und die Betreuerinnen des Mutter-Kind-Heimes hatten Zugang zum Kind.
Am Tag der Aufnahme informierte das Kriseninterventionsteam der Klinik sowohl die örtliche Kriminalpolizei als auch die Rechtsmedizin der naheliegenden Universitätsstadt
Nach dem Geschehen wurden die beiden anderen Kinder in Obhut genommen. Vier Tage später wurde das Jugendamt zum Ergänzungspfleger für Lisa benannt, so dass nun unmittelbar alle Untersuchungen, Gutachten etc. gemacht werden konnten. Später wurde die Vormundschaft auf das Jugendamt übertragen. Inzwischen führte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen „des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen/Verdacht der schweren Körperverletzung durch das Schütteln eines viermonatigen Kindes“ gegen Lisas Mutter.
Mitte des Jahres stellte das Jugendamt als Vormund von Lisa einen Antrag auf Opferentschädigung für Lisa. Darüber hinaus wurde für sie ein Schwerbehindertenausweis mit G und H ausgestellt.
Als Lisa knapp ein Jahr alt war und acht Monate in Kliniken verbracht hatte, wurde sie von ihrer Pflegefamilie aufgenommen. Die Pflegefamilie war aufgrund Ausbildung und Erfahrung besonders geeignet für die Aufnahme und wurde von einem auf die Vermittlung und Beratung von Pflegekindern mit Behinderungen spezialisierten Träger beraten und betreut.
Übernahme der Vormundschaft
Als ich die Vormundschaft übernahm, liefen verschiedene Verfahren:
- Strafverfahren gegen die Mutter wegen schwerer Körperverletzung,
- Anträge beim Jugendamt, Versorgungsämtern und auf Eingliederungshilfen,
- Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz,
- Einbindung des Kindes in eine optimale medizinische Betreuung.
Ich schloss mich dem Strafverfahren gegenüber der Mutter als Nebenklägerin für Lisa an und beauftragte eine Anwältin mit der Vertretung. Einen Monat später wurde die Nebenklage zugelassen und die Rechtsanwältin als Beistand bestellt.
Ende des Jahres wurde die Mutter vom Amtsgericht der schweren Körperverletzung schuldig gesprochen und zu 2 ½ Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ein halbes Jahr später wird die Mutter im Berufungsverfahren vom Landgericht zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Auch hier war ich als Vormund und Nebenklägerin vertreten.
Vormundschaftliche Berichte an Institutionen
1. Bericht an die Rechtspflegerin des Amtsgerichtes ein halbes Jahr nach Übernahme der Vormundschaft
Im Anhang übersende ich Ihnen die Erklärung über Vermögen, Einkommen etc.
Lisa hat keinerlei Vermögen. Sie erhält 430 € Pflegegeld der Pflegestufe 2, welches an die Pflegeeltern geht. Darüber hinaus lebt sie in einer Sonderpflegestelle, die von der Jugendhilfe getragen wird.
Vom Versorgungsamt wurde ein Behindertenausweis 100 % B ausgestellt. Es läuft ein Antrag auf Übernahme in die Eingliederungshilfe und ebenso ein Antrag auf Opferentschädigung. Beide Anträge sind in Bearbeitung der entsprechenden amtlichen Stellen.
Nach der Übersiedlung in die Sonderpflegestelle wurde Lisa beim Sozialpädiatrischen Zentrum in S. wegen neuropädiatrischer Nachsorge nach schwerer traumatischer Hirnschädigung vorgestellt. Das Sozialpädiatrische Zentrum erklärte, dass von einer schweren Behinderung Lisas infolge der Hirnschädigung ausgegangen werden muss.
Es besteht daher eine Anbindung an die Frühförderstelle S., die regelmäßig mit Lisa arbeitet und die Pflegeeltern berät.
Lisa lebt bei Pflegeeltern, die große Erfahrung mit behinderten Kindern haben und souverän und liebevoll mit ihr umgehen. Lisa hat sich dort gut eingelebt und konnte zur Ruhe kommen.
Die Pflegefamilie wird von einem spezialisierten Fachdienst für behinderte Kinder umfassend betreut.
2.Schreiben an das Amtsgericht
a) zur Schweigepflichtsentbindung
Mit GeschäftsNr. [...] bin ich am 02.03[...] vom Amtsgericht G. zur Einzelvormundin für Lisa [...] bestellt worden.
Für das Strafverfahren gegen (Lisas Mutter) [...] zum Nachteil ihrer Tochter Lisa gebe ich hiermit Herrn Dr. G., der Lisa im März [...] untersucht hat, eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht.b) zur Frage von Besuchskontakten.
Lisas Eltern hatten, nachdem Lisa knapp 1 1/2 Jahre in der Pflegefamilie lebte, einen Antrag auf Besuchskontakte beim Amtsgericht gestellt und ich wurde zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Vormundin von Lisa erhielt ich Ihr Schreiben vom [...]Hierzu nehme ich wie folgt Stellung:
Die schwere Behinderung aufgrund der Misshandlung durch die Mutter besteht natürlich weiter fort. So hat Lisa z.B.:
- eine schwere geistige Behinderung,
- schwere körperliche Behinderungen,
- massive Probleme beim Schlucken,
- große Probleme mit dem Sehen – es ist nicht erkennbar, in welchem Umfang sie überhaupt sehen kann,
- große Probleme mit dem Hören – es ist nicht erkennbar, in welchem Umfang sie überhaupt hören kann,
- Sie neigt zu Verkrampfungen, erhöhter Herzfrequenz und epileptischen Anfällen,
- Sie hat den Entwicklungsstand eines 3– bis 4-monatigen Kindes.
Ihre Pflegeeltern erkennt sie. Bei ihnen fühlt sie sich sicher und entspannt. Neue Personen und neue Situationen verwirren sie. Das Gutachten und auch die Erfahrungen mit ihr sagen aus, dass sie bei solchen Gegebenheiten zu erhöhter Krampfbereitschaft neigt. Krämpfe jedoch würden die sehr begrenzten Möglichkeiten von Lisa noch mehr einschränken und das mühsam Erreichte wieder in Frage stellen.
Die von den Eltern angedachten Besuchskontakte würden Lisa massiv verwirren und verunsichern. Die Aufregung könnte zu schweren und nachhaltigen Beeinträchtigungen führen.
Besuchskontakte halte ich daher für unverantwortbar und stark kindeswohlgefährdend.
Aus diesem Grund kann ich Besuchskontakte zu Lisa auf keinen Fall befürworten.
Anhörung
Einige Wochen später gab es eine Anhörung des Amtsgerichtes am Wohnort der Eltern von Lisa. Ich schilderte erneut Lisas Situation und ihren Entwicklungsstand und begründete nochmals mein ablehnendes Schreiben. Daraufhin zogen die Eltern auf Vorschlag des Richters den Antrag auf Besuchskontakte zu Lisa zurück und wir einigten uns darauf, dass ich zweimal jährlich Fotos und einen kurzen Bericht den Eltern über deren Anwalt zukommen lassen würde.
Krankenhausaufenthalt von Lisa
Da Lisa durch eine Magensonde ernährt wurde, hatten sich rund um den Eingang der Sonde in den Bauch Wucherungen ergeben. Diese mussten nun operativ entfernt werden. Dazu wurden Lisa und ihre Pflegemutter ins Krankenhaus eingewiesen. Ich begleitete sie dorthin, um mir zusammen mit der Pflegemutter die Erläuterungen zur Narkose und OP anzuhören und meine Zustimmung zu unterschreiben.
Gesundheitliche Entwicklung von Lisa – jetzt 2 3/4 Jahre alt - Bericht des betreuenden Trägers an das Sozialamt und mich
Lisa wird regelmäßig dem behandelnden Kinderarzt vorgestellt. Sie hat einen kompletten Impfschutz und die Vorsorgeuntersuchungen sind durchgeführt.
Die Pflegeeltern sind im engen Kontakt mit dem Sozialpädiatrischen Zentrum. Dort wird die Versorgung mit den notwendigen Rehahilfsmitteln koordiniert und die Förderung von Lisa durch eine umfassende engmaschige Entwicklungsdiagnostik gesteuert.
Darüber hinaus wird Lisa in Absprachen mit Kinderarzt und Sozialpädiatrischen Zentrum, begleitenden Fachärzten vorgestellt. Sie ist in Behandlung bei einem Kinderorthopäden und ist regelmäßig in der Sehschule der Universitätsklinik. Erste Besuche bei einem Kinderzahnarzt haben stattgefunden.
Wöchentlich erhält Lisa Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie und Frühförderung. Alle Therapeuten legen viel Wert auf Elternarbeit, sodass die Pflegeeltern in die Behandlung mit einbezogen werden und wertvolle Anregungen für die Alltagsbegleitung erhalten, die diese dann auch konsequent im Alltag mit Lisa umsetzen.
Monatlich fahren die Pflegeeltern mit Lisa in eine Klinik für Manuelle Therapie. Konzept dieser Klinik ist vor allem die Förderung der motorischen Entwicklung durch interdisziplinäre neurophysiologische und manualmedizinische Behandlungsmethoden.
Seit der Aufnahme in die Pflegefamilie ist Lisa gesundheitlich deutlich stabiler geworden.
Stationär wurde die Magensonde neu gelegt und Wucherungen entfernt. Darüber hinaus waren keine weiteren Krankenhausaufenthalte nötig.
Lisa ist infektanfällig und leidet vor allem in den Herbst- und Wintermonaten unter häufigen Infekten der Atemwege. Bisher konnten alle Erkrankungen gut im häuslichen Umfeld behandelt werden.
Erfreulich ist auch, dass die Epilepsiemedikamente, die Lisa bekommen hat, deutlich reduziert werden konnten. Die Pflegeeltern haben ein Notfallmedikament, das sie bei einem Krampfanfall sofort einsetzen können. Ansonsten beobachten sie Lisa sehr sorgfältig, um bei einer eventuellen Krampfbereitschaft umgehend Kontakt mit der Kinderklinik aufzunehmen.
Erfreulich ist auch, dass sich der Anfangsverdacht einer Blindheit nicht bestätigt hat.
Eine drohende Operation der Hüfte konnte bisher durch die intensive krankengymnastische Behandlung vermieden werden.
Lisa ist gewachsen und hat zugenommen. Durch die Veränderung der Füttersituation sind die beschriebenen Essstörungen nicht mehr aufgetreten. Lisa wird nach wie vor sondiert, bekommt allerdings auch immer wieder Nahrung oral angeboten.
Ein Schwerpunkt der begleitenden Krankengymnastik und der Ergotherapie ist die Anbahnung des Schluckreflexes, die Förderung der Mundmotorik und die Sensibilisierung der Geschmacksnerven. Dadurch soll langfristig erreicht werden, dass Lisa lernt Nahrung und Getränke über den Mund aufzunehmen.
Angeleitet durch die Physiotherapeutin bieten die Pflegeeltern Lisa bei jeder Mahlzeit, bevor sie sondiert wird, Nahrung mit dem Löffel und der Trinkflasche an. Dies ist sehr zeitaufwendig, weil Lisa nur sehr kleine Mengen schluckt und den größten Teil wieder ausspuckt, sodass sie danach gewaschen und umgezogen werden muss.
Berichterstattung
Etwa zur gleichen Zeit bekam ich eine Aufforderung des Amtsgerichtes zur Berichtserstattung, den ich nachfolgend beantwortete:
Ich habe Ihre Aufforderung zum Bericht für Lisa bekommen und sende Ihnen den ausgefüllten Fragebogen anliegend zurück.
Bitte beachten Sie, dass Lisa in einer Pflegefamilie lebt und dort inkognito untergebracht wurde. Bitte geben sie die Adresse daher nicht weiter. Danke.
Lisa ist geistig und körperlich schwerstbehindert. Sie und die Pflegeeltern werden von einem speziellen Fachdienst für Kinder mit Behinderungen, betreut.
Ich habe im April diesen Jahres als Nebenklägerin an dem Gerichtsverfahren des Landgerichtes Heidelberg (Strafverfahren) teilgenommen und im September am Verfahren des Familiengerichtes G. zur Klärung von Besuchskontakten.
Ich bin in regelmäßigem Kontakt mit Lisa, der Pflegefamilie und dem betreuenden Fachdienst.
Das vom damaligen Amtsvormund eingeleitete Verfahren zur Opferentschädigung läuft noch und ist noch nicht entschieden. Zurzeit ist das Versorgungsamt S. für die Leistungen für Lisa zuständig. Auch mit der dortigen Sachbearbeiterin bin ich in Kontakt.
Opferentschädigungsverfahren
Schreiben an das Versorgungsamt welches noch Informationen zum laufenden Antrag auf Opferentschädigung haben wollte:
Anliegend überreiche ich Ihnen die gewünschten Erklärungen.
Die Ärzte und Krankenhäuser sind in diesem Schreiben unten aufgeführt. Ich denke, dass dies übersichtlicher ist. Mit meiner Unterschrift auf dem Bogen ist die Befreiung von der Schweigepflicht für diese Ärzte und Einrichtungen gemeint.
Beantwortung Frage 1 Ihres Anschreibens:
Aufenthaltsort von Lisa:
Lisa lebt bei den Pflegeeltern S. [...]
Ich bitte nochmals darum, diese Adresse nicht weiter zu geben, da das Kind inkognito in der Pflegefamilie untergebracht wurde. Eine eventuelle Weitergabe ist nur mit meiner Genehmigung möglich.Beantwortung Frage 2 Ihres Anschreibens:
Lisa ist seit 12.10.[...] in der Familienversicherung der Pflegeeltern S. [Adresse der Versicherung...] versichert.
Davor war sie bei der [Adresse der Versicherung...] versichert.Beantwortung Frage 3 Ihres Anschreibens:
Kinderarzt: Dr. [..., Adresse]
Augenarzt und Sehschule: Dr. [..., Adresse]
SPZ Sozial-Pädiatrisches Zentrum: [..., Adresse]
Orthopädie Dr. med. [..., Adresse]
Reha-Klinik [..., Adresse der Klinik und des behandelnden Artzes]
Sondenversorgung: Kinderkrankenhaus [..., Adresse]
Wochenend-Notdienst: Kreiskrankenhaus [..., Adresse]
Frühförder- und Beratungsstelle: Lebenshilfe [..., Adresse]
Verwaltung des Vermögens
Lisa hatte aufgrund ihrer schweren Behinderung Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Die Bearbeitung des Antrages durch das Versorgungsamt umfasste letztendlich eine sehr lange Zeitspanne. Das Amt wusste von dem Strafverfahren gegen die Mutter und wartete auf das Urteil. Erst durch eine Nachfrage von mir nach dem Bearbeitungsstand des Antrages erfuhr das Versorgungsamt von der Verurteilung. Meine Erklärung, dass bei einem so klaren Sachstand und dem schriftlichen Bericht des Krankenhauses über die Misshandlung die Verurteilung der Mutter für die Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes überhaupt keine Rolle spiele, wurde zwar akzeptiert – aber man wolle doch sicher gehen.
Dann dauerte es wiederum, bis die Eltern alle Formulare ausgefüllt hatten, um eine Ausgleichsrente berechnen zu können. Dann mussten noch alle Ärzte und ärztliche Einrichtungen angefragt werden, die von mir im o.a. Schreiben angegeben worden waren. Dann kam der vorläufige Bescheid.
Lisa wurde eine hohe Nachzahlung überwiesen und ein monatlicher Betrag zur Versorgung festgelegt. Der monatliche Betrag setzte sich zusammen aus der Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage, Pauschbetrag für Kleider- und Wäscheverschleiß und der Pflegezulage. Die Lisa ebenfalls zustehende Ausgleichsrente wurde als Leistung zum Unterhalt teilweise mit anderen Unterhaltsleistungen im Rahmen der Vollzeitpflege verrechnet.
Da das Versorgungsamt gut drei Jahre bis zum Erlass des Bescheides brauchte, gab es einerseits Verrechnungen an das bis dahin leistende Sozialamt und die schon erwähnte hohe Nachzahlung auf das Konto von Lisa.
Für Lisa und ihren Rolli musste ein großes Auto angeschafft werden und es waren Veränderungen im Haus der Pflegeeltern notwendig. Ich bat die Pflegeeltern um entsprechende Kostenvoranschläge und machte dann einen Termin beim zuständigen Rechtspfleger. Meine Erfahrungen der bisherigen Vormundschaften hatten gezeigt, dass eine gute Zusammenarbeit und Absprache mit den Rechtspflegern eine aus meiner Sicht notwendige und sehr hilfreiche Förderung meiner Pläne waren.
Die Rechtspfleger erläuterten mir immer wieder, dass sie mir die Ausgaben ja gar nicht genehmigen müssten - aber immerhin müssen sie diese ja hinterher im Rahmen meiner Berichte akzeptieren und da wollte ich doch vorher schon alles richtig machen. Ich erlebte immer interessierte Rechtspfleger, die die Zusammenarbeit begrüßten, sich selbst informierten und den Pflegeeltern und mir den Rücken stärkten. So finanzierte ich mit Lisas Nachzahlung das Auto und notwendige Hausveränderungen, denn dies war wirklich eine Lebenserleichterung für sie. In meinen Berichten legte ich dann dem Rechtspfleger nochmals die Rechnungen und Überweisungen vor, die er dann auf Grund der gemeinsamen Überlegungen „abhaken“ konnte.
Besuche bei Lisa und ihrer Pflegefamilie
Regelmäßig besuchte ich Lisa in ihrer Pflegefamilie, ging mit in den Kindergarten, lernte die Integrationshelferin und die Familienunterstützerin kennen. Die Pflegeeltern und ich informierten uns über alles und besprachen zukünftige Entscheidungen. Da Lisa keine Leistungen durch die Jugendhilfe bekam gab es keine Hilfeplangespräche. Eigentlich gab es gar nichts Behördliches in dieser Form, außer den Berichten des Trägers und meinen jährlichen Berichten an das Amtsgericht.
Neuer Antrag auf Besuchskontakte
Als Lisa vier Jahre alt war, stellten die Eltern einen erneuten Antrag auf Besuchskontakte. Ich erhielt wiederum eine Aufforderung zur Stellungnahme.
Das Gericht fragte natürlich auch beim zuständigen Jugendamt nach. Dieses setzte sich mit dem betreuenden Träger in Verbindung. Die Stellungnahme des Jugendamtes an das Gericht ergab, dass das Amt und der Träger sich unter bestimmte Voraussetzungen Kontakte vorstellen könnten, die vom Träger organisiert und durchgeführt werden sollten.
Ich bekam diesen Bericht und zögerte. Ich kenne natürlich die rechtliche Grundlage zum Umgangsrecht – Recht des Kindes, Recht und Pflicht der Eltern – aber ich hatte immer noch ein mulmiges Gefühl. Der Vorschlag an das Gericht durch Jugendamt und Träger war jedoch so ausgefeilt und überzeugend, dass das Gericht in der Verantwortung und fachlichen Leitung des Trägers einen Kontakt zuließ. Der Träger hatte die Details mit den Beteiligten zu vereinbaren und den Kontakt zu begleiten. So lud der Träger zu einem gemeinsamen Gespräch in seine Geschäftsstelle ein. Es kamen die leiblichen Eltern, ein Vertreter des die Eltern betreuenden Vereins, die Pflegeeltern und ich als Vormund.
Die Fachkraft des Spezialdienstes leitete das Gespräch und hatte noch eine Kollegin an ihrer Seite. Als die Pflegeeltern schilderten, wie denn so der detaillierte Tagesablauf mit Lisa war, welcher pflegerische Aufwand unumgänglich war, welche Fahrten, Absprachen und Zusammenarbeit mit Kindergarten, Ärzten und Institutionen notwendig waren, wurde die umfassende Behinderung von Lisa und die Aufgabe der Pflegeeltern sehr deutlich. Ihr Können, ihr Wissen, ihre Fürsorglichkeit und ihre große Zuneigung zu Lisa füllte geradezu den Raum. Es war sehr berührend und wohl auch das erste Mal, dass sich sowohl Lisas leibliche Eltern als auch deren beeindruckter Begleiter Lisa und ihr Leben realistischer vorstellen konnten. Dem bis ins Detail präzisen Vorschlag des Trägers zu einem möglichen Kontakt wurde dann von allen Beteiligten zugestimmt. Die Pflegeeltern sollten mit Lisa den Zoo besuchen, die leiblichen Eltern mit der Fachkraft des Trägers ebenfalls. Es war nicht an ein Zusammentreffen gedacht, sondern die Eltern sollten die Möglichkeit haben, einen Blick auf Lisa werfen zu können – nicht mehr und nicht weniger. Es lief ab wie vereinbart und in den nächsten Jahren ebenso. Bisher hat es drei Treffen dieser Art gegeben – jeweils einmal jährlich. Für Lisa waren dies einfach Zoobesuche, bei denen es ihr gut ging.
Mein Umzug
Als mein Umzug nach Berlin immer näher kam, vereinbarten die Pflegeeltern und ich einen Termin mit dem Rechtspfleger, um ihm davon zu berichten und ihm einen Vorschlag zu unterbreiten:
Ich wollte gern die Pflegeeltern als Vormund für Lisa eingesetzt haben und die Pflegeeltern wollten weiterhin mich als Vermögenspfleger behalten. Der Rechtspfleger fand diese Vorschläge gut. Einige Wochen später wurden die Pflegeeltern zum Vormund/Pfleger für den Bereich der kompletten Personensorge und ich für den Bereich der Vermögenssorge bestellt. Zur Verwaltung des Vermögens ist eine räumliche Entfernung nicht hinderlich.
Zur Zeit
Die Pflegeeltern und ich sprechen uns immer noch ab und berichten uns gegenseitig. Wenn ich wieder in die ehemaligen Gefilde fahre, versuche ich einen Besuch bei Lisa einzuplanen und bin immer wieder beeindruckt, wie sie sich entwickelt und wie gut es ist, dass sie dort lebt wo sie lebt.
Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe zur sog. 'grossen Lösung'