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Zwei Dienste - eine Aufgabe: Perspektive Pflegekinderdienst
Themen:
Fachtag für Fachkräfte im Allgemeinen Sozialen Dienst und im Adoption-Pflegekinderdienst des Landkreises Lippe im Oktober 2015.
Referentinnen:
Henrike Hopp - Perspektive Pflegekinderdienst (PKD)
Andrea Dittmann - Perspektive Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)
In der Jugendhilfe gibt es immer ein auf und ab verschiedenster Theorien und Vorstellungen. So sollte vor vielen Jahren die Idee der Allzuständigkeit EINES Dienstes im Gemeinwesen einer Stadt bürgernah umgesetzt werden. Einige Gemeinden lösten daraufhin ihre Pflegekinderdienste auf und übergaben deren Aufgabe auf den Allgemeinen Sozialen Dienst (Bezirksdienst). Nach etwa fünf Jahren kam eine Rückbesinnung. Pflegekinderdienste wurden wieder eingerichtet; meistens innerhalb der Jugendämter selbst, öfter aber auch ausgegliedert auf freie Träger.
Innerhalb der Jugendämter werden die Pflegekinderdienste unterschiedlich strukturiert. Manche werden wie Beratungsstellen innerhalb des Jugendamtes angesehen, andere sind spezielle Fachabteilungen, die dem Allgemeinen Sozialen Dienst angegliedert sind. Hier hat der ASD die Fallverantwortung und die Hilfeplanführung. Andere PKD erhalten die Fallverantwortung nach der Vermittlung des Pflegekindes mit der Perspektive Dauerhaftigkeit– oder nach zwei Jahren, oder zu anderen Zeitpunkten.
Für mich waren die unterschiedlichen Möglichkeit besonders dann interessant, wenn ich von Jugendämtern dazu eingeladen worden war, an der Erarbeitung eines Konzeptes mit zu wirken. Manchmal war es ein Konzept des Pflegekinderdienstes dieser Kommune und ich saß mit den Mitarbeitern des PKD zusammen. Manchmal war es ein Konzept zur Vollzeitpflege des Jugendamtes der Stadt. Hier saßen dann der PKD, der ASD, freien Träger und sogar Pflegeelternvereine am Tisch. Wenn alle beteiligten Dienste involviert waren, wurde ein gemeinsames von allen getragenes Konzept dieser Kommune entwickelt. Diese Konzepte waren meist umfangreicher und präziser, die Erarbeitung dauerte aber länger. War nur der Pflegekinderdienst am Konzept beteiligt, wurde es ein Konzept eines Dienstes des Amtes durch eben diesen Dienst.
Es gibt keine bundesweiten Standards für Pflegekinderdienste. Es gibt Wünsche dazu und auch gute Vorschläge, aber keine Bestimmungen der Übernahme. Jede Kommune macht es so, wie sie es für richtig hält. Das beginnt bei der als notwendig erachteten Fallzahl, bei der Anzahl jährlicher Hilfeplangespräche und Besuche in der Pflegefamilie, beim Umfang von Vorbereitung, Fortbildung, Gruppen, Supervision etc. für Pflegeeltern, der Organisation und Begleitung von Besuchskontakten und der Zusammenarbeit mit den Herkunftseltern.
Arbeit und Perspektive der Pflegekinderdienste entwickelt sich aus den entsprechenden Paragrafen des SGB VIII
§ 33 Vollzeitpflege
Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.
§ 36 Mitwirkung, Hilfeplan
(1) Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind die in Satz 1 genannten Personen bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen. [...]
(2) Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen. Erscheinen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung erforderlich, so sollen auch die für die Eingliederung zuständigen Stellen beteiligt werden.
(3) Erscheinen Hilfen nach § 35a erforderlich, so soll bei der Aufstellung und Änderung des Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe die Person, die eine Stellungnahme nach § 35a Absatz 1a abgegeben hat, beteiligt werden. [...]
§ 37 Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie
(1) Bei Hilfen nach §§ 32 bis 34 und § 35a Absatz 2 Nummer 3 und 4 soll darauf hingewirkt werden, dass die Pflegeperson oder die in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und die Eltern zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zusammenarbeiten. Durch Beratung und Unterstützung sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums so weit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.
(2) Die Pflegeperson hat vor der Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen und während der Dauer des Pflegeverhältnisses Anspruch auf Beratung und Unterstützung; dies gilt auch in den Fällen, in denen für das Kind oder den Jugendlichen weder Hilfe zur Erziehung noch Eingliederungshilfe gewährt wird oder die Pflegeperson nicht der Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 bedarf. Lebt das Kind oder der Jugendliche bei einer Pflegeperson außerhalb des Bereichs des zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, so sind ortsnahe Beratung und Unterstützung sicherzustellen. Der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat die aufgewendeten Kosten einschließlich der Verwaltungskosten auch in den Fällen zu erstatten, in denen die Beratung und Unterstützung im Wege der Amtshilfe geleistet wird. § 23 Absatz 4 Satz 3 gilt entsprechend.
(2a) Die Art und Weise der Zusammenarbeit sowie die damit im Einzelfall verbundenen Ziele sind im Hilfeplan zu dokumentieren. Bei Hilfen nach den §§ 33, 35a Absatz 2 Nummer 3 und § 41 zählen dazu auch der vereinbarte Umfang der Beratung der Pflegeperson sowie die Höhe der laufenden Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen. Eine Abweichung von den dort getroffenen Feststellungen ist nur bei einer Änderung des Hilfebedarfs und entsprechender Änderung des Hilfeplans zulässig.
(3) Das Jugendamt soll den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend an Ort und Stelle überprüfen, ob die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Erziehung gewährleistet. Die Pflegeperson hat das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen betreffen."
In diesen Paragrafen wird also deutlich die Inhaltlichkeit des Pflegekinderwesens beschrieben:
- Finden und Bereithalten geeigneter Pflegepersonen
- Beratung des Personensorgeberechtigten und Kind bei Beginn der Hilfe
- Prüfen ob eine Annahme als Kind in Betracht kommen
- Gemeinsames Arbeiten am Hilfeplanprozess
- Förderung der Zusammenarbeit von Pflegeeltern und Herkunftseltern
- Beratung und Unterstützung der Herkunftseltern zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen in einem für das Kind vertretbaren Zeitraum (Prognose ASD)
- Entscheidung über eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive
- Anspruch der Pflegeperson auf Beratung und Unterstützung
- Dokumentation von Zielen, Zusammenarbeit und Leistungen im Hilfeplan
Die Aufgabe der Pflegekinderdienste (PKD)
Nach der Übernahme des Pflegekindes in seinen Aufgabenbereich soll und möchte die Beraterin des PKD die wichtigste Kontaktperson für das Pflegekind und seine Pflegefamilie sein. Es ist für das Kind notwendig, dass es in seinem Leben nun Klarheit und Sicherheit erfährt. Es ist notwendig, dass es sich sicher fühlen darf und sich verlassen kann. Es ist notwendig, dass das Kind erlebt, dass es ‚der Mittelpunkt der Welt‘ ist und seine Entwicklung, sein Wille und seine Vorstellungen Bedeutung haben. Deshalb will der Pflegekinderdienst Klarheit und Sicherheit für das Pflegeverhältnis erreichen. Die Klarheit der Perspektive und die Sicherheit der Unterbringung sind tragende Pfeiler, die die positive Entwicklung des Kindes in seiner Pflegefamilie ermöglichen und stützen sollen.
Wir alle wissen, dass die Erfüllung dieser Aufgabe dem Pflegekinderdienst nur möglich ist, wenn er dabei vorbereitend, begleitend und kooperativ mit anderen Beteiligten gemeinsam tätig wird.
Zur Erarbeitung eines Konzeptes haben Mitarbeiterinnen eines PKD und ich einmal sehr genau die Tätigkeiten in einem PKD aufgeschrieben:
- Werbung (Akquise) von neuen Pflegepersonen
- Öffentlichkeitsarbeit
- Überprüfung der Pflegepersonenbewerber
- Beteiligung an der Schulung bzw. Qualifizierung von Pflegepersonen
- Vermittlung von Pflegekindern an geeignete Pflegepersonen
- Beratung, Begleitung und Kontrolle
- Beratung und Begleitung des Pflegekindes
- Beratung und Begleitung der Pflegepersonen
- Beratung und Begleitung der Herkunftsfamilien
- Kontrolle und Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII
- Beteiligung in familienrechtlichen Verfahren im Zusammenhang mit der Vollzeitpflege
- Förderung einer Vernetzung von Pflegepersonen und Pflegekinder in der Stadt
- Beratung und Begleitung von Pflegepersonengruppen
- Beratung und Begleitung von Pflegekindergruppen
- Niederschwellige Angebote
- Prüfung und Erteilung von Pflegerlaubnissen nach § 44 SGB VIII
Kooperationen, Schnittstellenmanagement und Zuständigkeiten:
- mit dem Allgemeinen-Sozialdienst
- Verbindliche Teilnahme am ASD-Fallteam
- Zuständigkeiten und Fallführung
- Wechsel der Hilfeart
- mit der gemeinsamen Adoptionsvermittlungsstelle der Jugendämter des Kreises
- mit den Bereitschaftspflegestellen
- mit Sozialen Diensten /Pflegekinderdiensten aus anderen Kommunen
- mit den Amtsvormündern/Vormündern der Pflegekinder
- mit der wirtschaftlichen Jugendhilfe Stadt und aus anderen Kommunen
- mit anderen relevante Institutionen, Trägern, Personen
Es zeigt sich also, dass die Aufgabe des PKD weit über die reine Beratung und Begleitung der Pflegefamilie hinausgeht. Die Rolle des PKD ist natürlich in Bewegung und muss sich den Veränderungen im Pflegekinderwesen anpassen. Solche Veränderungen entstehen aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen oder fachlicher Entwicklungen.
- Informationspflicht gegenüber den Beteiligten
- Zusammenarbeit mit dem Vormund
- Besuchskontakte - Planung und Begleitung
- Beendigung der Vollzeitpflege als Hilfe zur Erziehung
- Zusätzliche Hilfen
- weitere ...
Klärung von Arbeitsbereichen und Haltungen des Jugendamtes in der Pflegekinderhilfe
1. Informationspflicht gegenüber den Beteiligten
- gegenüber dem Pflegekind
- gegenüber den Pflegeeltern – zum Beispiel -
- Rahmenbedingungen von Pflegeelternsein und Pflegekindschaft generell (also Vorbereitung, Fortbildung, Gruppen),
- als auch bezogen auf das individuelle Kind, seine Lebensgeschichte und die Geschichte seiner Familie.
- Rechtssituation der Pflegeeltern
- Finanzielle Ansprüche – Pflegegeld, erhöhtes Pflegegeld, Beihilfen, staatliche Ansprüche
- gegenüber den Herkunftseltern
- gegenüber dem Vormund / der Vormundin
- gegenüber anderen datenschutzrechtlichen Personen oder Institutionen.
Sowohl nach außen als auch innerhalb amtlichen Tuns muss die Pflegefamilie als private Familie dabei in ihrer Privatheit geschützt und beachtet werden.
2. Zusammenarbeit mit dem Vormund
Ich denke hier besonders an die Veränderung des Vormundschaftswesens – sowohl das, was schon geändert wurde, als auch das, was noch geplant ist. Es ist erklärtes Ziel des Gesetzgebers, den Vormund in seiner direkten Verantwortung für sein Mündel zu stärken. Der Vormund soll eine überaus wichtige und ‚direkt menschliche‘ Person für das Mündel sein und werden. Schon die letzten Änderungen im Vormundschaftsrecht machten dies deutlich.
Jetzt soll der Vormund monatlich sein Mündel in der Pflegefamilie besuchen. Auch wenn er es nur seltener besuchen würde, passieren diese Besuche wahrscheinlich öfter, als die Besuche des Pflegekinderdienstes. Kommen sich hier nun mehrere wichtige Menschen für Pflegekind und Pflegefamilie in die Quere? Wer ist hier für was zuständig? Wie wird die gegenseitige Arbeit gesehen und eingeschätzt? Wie wird sie dem Pflegekind und der Pflegefamilie vermittelt?
Der PKD und der Vormund sollten hier gemeinsam mit den Pflegeeltern - evtl. auch dem Pflegekind – überlegen, wie die unterschiedlichen Aufgaben in ein positives Gemeinsames fließen können. Aus meiner Sicht macht es Sinn, wenn der PKD hier den ersten Ball spielt.
Pflegeeltern als Vormund:
Pflegeeltern können sich als ehrenamtliche Einzelvormünder für ihr Pflegekind beim Familiengericht zur Verfügung stellen. Die Rechtspflegerin wird dann – nach Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes – verantwortlich entscheiden, ob die Änderung der Vormundschaft gut für das Kind ist. Die ehrenamtliche Einzelvormundschaft ist vorrangig vor allen anderen Vormundsarten. Die Rechtspflegerin muss diese Vorrangigkeit im Auge behalten. Aus meiner Sicht ist es daher rechtlich nicht möglich, dass einige Jugendämter grundsätzlich eine Vormundschaft von Pflegeeltern ablehnen. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Pflegeeltern, die die Vormundschaft für ihr Pflegekind ausüben.
3.Besuchskontakte – Planung und Begleitung
Besuchskontakte sind wichtige Bestandteil der Arbeit mit dem Pflegekind und ihre Durchführung erfordert ein starkes Einfühlungsvermögen aller Beteiligten. Die Kontakte werden von den Pflegekindern in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen nicht immer auf die gleiche Weise akzeptiert, so dass Art und Umfang der Kontakte veränderbar sein müssen. Besuchskontakte können den Kindern helfen, die Trennung von den leiblichen Eltern zu verarbeiten. Darüber hinaus geben sie dem Pflegekind Sicherheit und Kontinuität in der Wahrnehmung der eigenen Biografie.
Aus diesen Gründen ist die Planung und mögliche Begleitung der Besuchskontakte aus meiner Sicht eine Aufgabe des PKD, denn die Aufgabe des PKD liegt überwiegend in der Betrachtung des Kindes. Die Fachkraft muss wissen, wie es dem Kind geht in der Pflegefamilie und wie die Situationen seines Lebens vom ihm verkraftet und gemanagt werden.
Besuchskontakte sind eine bedeutsame Situation für ein Pflegekind, aber auch für die Herkunftseltern und die Pflegeeltern. Für mich ist es daher unabdingbar, dass sich der PKD über die Besuchskontakte durch eigenes Erleben ein realistisches Bild machen kann. Darüber hinaus fördert eine solche Gemeinsamkeit das erwünschte Vertrauen zum PKD.
4. Beendigung der Vollzeitpflege als Hilfe zur Erziehung – oder: was ist die Pflegefamilie für das Pflegekind?
Immer wieder erleben wir in der Pflegekinderhilfe die Beendigung von Pflegeverhältnissen, weil die Pflegeeltern sich der Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlen. Dies geschieht besonders in der Pubertät der Pflegekinder – häufig nach vielen Jahren des Zusammenlebens in der Pflegefamilie. Die Alltagsbewältigung in der Familie wird so unübersichtlich und anstrengend, dass Pflegeeltern und Jugendliche besondere Hilfen brauchen. Manchmal kann hier nur noch geholfen werden, in dem das Pflegeverhältnis „abgebrochen“ und der Jugendliche in eine Wohngruppe oder Betreutes Wohnen überwechseln wird. Von allen Beteiligten wird dies als ein Scheitern empfunden – oder sehen wir es als Scheitern, weil es nicht das angestrebte Ziel – Volljährigkeit und Verselbständigung – erreicht hat?
Wie oft habe ich in solchen Situationen erlebt, dass der Alltag nicht mehr funktionierte, aber Zuneigung und Zugehörigkeitsgefühle zueinander noch bestanden. Die Beteiligten kamen nicht mehr aus dem Dilemma herauskamen, weil sie keine Wege wussten und sich oft nicht trauten, dies mitzuteilen. Herausnahme, Herausgehen und Abbruch hing wie ein Damoklesschwert über der Familie, obwohl man sich doch weiterhin als Familie verstand.
In jeder leiblichen Familie wird Internat, Wohngruppe oder betreutes Wohnen nicht als Ende angesehen, sondern als eine zeitlich notwendige Lösung einer Familienkrise – ohne die Zugehörigkeit der Familie in Frage zu stellen. Pflegekinder sind nach 10, 12 oder 14 Jahren wirklich Mitglieder der Pflegefamilie geworden. Nun ist die Familie in der Krise – und muss nicht nur eine Trennung befürchten, sondern auch ein infrage stellen ihrer Zusammengehörigkeit. Ist es nicht wirklich notwendig, in dieser Krise der Familie stützend zur Seite zu stehen, mit allen möglichen Hilfen, wenn nötig auch mit Internat oder Wohngruppen? Können wir Elternschaft und Kindschaft im Rahmen einer Pflegefamilie nicht mehr anerkennen, wenn es im Alltag kracht? Was bedeutet die Pflegefamilie für das Jugendamt? Eine sichere Basis für das Kind, ein umfassendes Netzwerk von tragenden Beziehungen – oder ‚nur‘ eine Jugendhilfemaßnahme?
Solche Überlegungen passen natürlich auch auf die eventuell mögliche Weiterführung der Vollzeitpflege für einen jungen Volljährigen. Wir wissen, dass viele Pflegekinder in ihrer emotionalen Entwicklung Zeit für Nachreifung brauchen. Daher möchten junge Erwachsene noch häufig weiterhin in ihrer Pflegefamilie leben, denn das ist ihre Familie geworden. Was macht es so schwer, das zu verstehen? Hilfe für junge Volljährige kann ja auch die Weiterführung der Vollzeitpflege bedeuten. Es kommt dabei ausschließlich darauf an, wo der junge Mensch steht und was seine Vorstellungen von sich und seinem zukünftigen Weg sind. Die Weiterführung nach § 41 SGB VIII ist dann eine Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenständigen Lebensführung des jungen Erwachsenen.
Aus meiner Sicht lässt sich die Beendigung der Vollzeitpflege nicht von ihrem Anfang trennen. Warum haben wir das Kind damals in diese Pflegefamilie gegeben? Was wollten wir eigentlich damit erreichen? Suchten wir nicht für das Kind eine Familie, weil wir ihm Bindung, Nähe, Zugehörigkeitsgefühle, Normalität, verlässliche Elternpersonen wünschten? Haben wir nicht viele Jahre die Pflegeeltern darin unterstützt, dies ihrem Pflegekind zu ermöglichen? Waren wir nicht erleichtert, wenn sich zeigte, dass das Kind Schritte in die Geborgenheit und das Wir-Gefühl gehen konnte? Natürlich konnten wir auch sehen, wie schwierig einigen Kindern dieser Weg fiel. Wir erlebten auch, dass manche Vermittlungen nicht passten. Wir wissen ebenfalls, dass nur ein Teil der Pflegekinder in der Pflegefamilie die Volljährigkeit erreicht. Aber wenn dies gelingt, dann - finde ich - sollte die Jugendhilfe dies würdigen und die Familie in ihrem gemeinsamen Weg weiter unterstützen.
5. Zusätzliche Hilfen
In der Frage der möglichen zusätzlichen Hilfen - trotz oder gerade wegen der Unterbringung in einer Pflegefamilie – gibt es völlig unterschiedliche Sichtweisen und Herangehensweisen in den Jugendämtern. Während eine Vielzahl von Jugendämtern zusätzliche Hilfen leisten, lehnen andere Jugendämter dies strikt ab, mit der Erklärung, es können nicht mehrere Hilfen gleichzeitig geleistet werden. Ohne zusätzliche Hilfen fühlen sich Pflegefamilien oft allein auf sich gestellt. Hierdurch können sie Überforderung bis hin zur Verzweiflung erleben. Zusätzliche Hilfen entlasten Pflegeeltern, machen sie sicherer und ruhiger und stabilisieren ein Pflegeverhältnis.
6. Team
Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass sich die Personen um das Pflegekind herum als ein Team verstehen, welches das Ziel hat, dem Kind ein sicheres Leben mit Bindungsmöglichkeiten, Förderung und Entwicklung zu ermöglichen. Dazu muss sich das Team auch als Team verstehen. Es muss mögliche Differenzen aufarbeiten und zu gemeinsamen Entscheidungen für das Kind kommen. Dies führt dann zur Klarheit der Perspektive und Sicherheit der Unterbringung
Zukünftige große Aufgaben in der Pflegekinderhilfe (PKD mit anderen)
Verwandtenpflege (Verwandten- und Netzwerkpflege)
Früher galt die Unterbringung eines Kindes bei Verwandten als eine Form der Hilfe, die die Familie des Kindes sich gegenseitig leistete. Heute gibt es hohe Prozentzahlen von Verwandtenpflegen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung § 27 SGB VIII. Die Rechtslage wurde geklärt und verändert und das Bundesverfassungsgericht hat die Großeltern als „andere Familie“ im Sinne des Gesetzestextes beschrieben.
Die Verwandtenpflege bedeutet für Berater und Betreuer ein sehr intensives Arbeitsfeld. Hier wurden schon eigene Konzepte erarbeitet, die als Voraussetzung gelungener Verwandtenpflege eine Verringerung der Fallzahlen für den einzelnen Berater beinhalten.
Die Verwandtenpflege führt uns unweigerlich zu einer der Kernfrage in der Pflegekinderhilfe: „Wie halten wir es mit den Herkunftseltern?“
Zusammenarbeit/Begleitung der Herkunftsfamilie
Wir wissen alle, dass die Begleitung der Herkunftsfamilie notwendig ist. Wir wissen, dass dies auch wirklich wichtig ist – aber wir wissen offensichtlich kaum, wie es zu machen wäre.
Die Art und Weise, wie die leiblichen Eltern die Unterbringung ihres Kindes in einer Pflegefamilie verkraften, beeinflusst die Atmosphäre dieser Hilfe in hohem Maße – und damit auch den PKD und den ASD.
Ich möchte hier gar nicht ausdrücklich auf die rechtliche Position der leiblichen Eltern hinweisen, seien sie nun noch sorgeberechtigt oder nicht. Das spielt oft in der Art und Weise ihrer Reaktion auf die Unterbringung keine Rolle. Sie kennen alle die ewig auftrumpfenden Eltern, die sich an keine Vereinbarungen halten, mit Anwalt aufkreuzen, vor der Schule der Kinder stehen etc. Sie rauben uns den Schlaf – aber wir sehen und hören sie natürlich sehr deutlich. Sie kennen diese verschiedenen Abstufungen von „total auftrumpfen“ bis „in den Erdboden verschwinden“. „Herkunftseltern sind so lange im Fokus solange sie trommeln“ sagte mal eine Jugendamtsmitarbeiterin und fügte hinzu:„Auch wenn die leiblichen Eltern der Unterbringung des Kindes zugestimmt haben, so haben sie es doch meist unter dem Druck der Situation gemacht und selten aus Einsicht.“
Lesen Sie in unserem Abonnement über ein besonderes Konzept, in dem auch die Beratung und Begleitung leiblicher Eltern beschrieben wird.
Dies kann dann zu der Meinung führen, dass die Dienste eben parteiisch sind: ASD pro Herkunftseltern, PKD pro Pflegeeltern. Wenn dem so ist: Wen hat das Pflegekind?
Herkunftseltern und deren mögliche Rückführungsgedanken oder aufflammenden Besuchskontaktdiskussionen können stressen und verunsichern. Wir möchten das Pflegekind schützen.
Was möchte das Kind?
Das Kind möchte auch geschützt sein. Das Kind möchte auch in Sicherheit in der Familie leben, in die es sich eingebunden hat. Das Pflegekind möchte auch zugehörig sein dürfen zur Pflegefamilie. Aber das Kind möchte auch wissen, warum es hier und nicht dort lebt. Es will von seinen leiblichen Eltern wissen. Sie kennen. Viele Pflegekinder machen sich Sorgen um ihre Eltern. Möchten wissen, wie es ihnen geht. Erst recht, wenn sie früher die versorgenden Kinder waren und sich natürlich jetzt fragen, wie es denn ohne sie mit den Eltern weitergehen soll.
Kinder, die schon älter in die Pflegefamilie gekommen sind, kennen ihre Eltern und schätzen sie auch ein, und manchmal wundern sie sich darüber, was wir so von den Eltern erwarten. Viele wissen, dass Mutter oder Vater manches nicht geregelt bekommen. Ein Pflegekind schlug daher eine aus seiner Sicht logische Lösung vor: „Die können doch auch zu uns ziehen, dann würden wir zusammenwohnen und Mama und Papa (Pflegeeltern) würden das bestimmt schaffen“.
Im Konzept der Stadt Düsseldorf zur Vollzeitpflege fand ich inhaltlich auch die Beratung und Begleitung leiblicher Eltern beschrieben:
- Beratung zu allen Themen, die sich um die Trennung vom Kind bewegen
- Die Entwicklungsschere in der Beziehung zwischen Eltern und Kind sowie die Beziehungswünsche der Eltern zu ihrem Kind werden thematisiert
- Trauer und Verantwortung um den Verlust einer Beziehung sind immer zu bearbeitende Themen.
- Oft wird biografisch mit den Eltern gearbeitet, damit die bestehende Situation verstanden wird.
- Eltern, die ihr Kind verlassen und ihre Kontakte nicht einhalten, werden gesucht.
Das Ziel in der Beratung der leiblichen Eltern liegt darin, dass es ihnen mal möglich sein wird, ihrem Kind die Erlaubnis zu geben, in der Pflegefamilie zu leben. Die Entwicklung der Bindung des Kindes zu seinen Pflegeeltern und das Leben des Kindes ist ein wichtiges Thema, ebenso dass sie für sich einen Weg finden, weiterhin am Kind interessiert zu sein auch wenn es nicht bei ihnen lebt.
Wie und durch wen kann diese Beratung der leiblichen Eltern erfolgen?
Zeitlich befristete Vollzeitpflege
Die zeitlich befristete Vollzeitpflege – also die Aufnahme eines Kindes in eine Pflegefamilie mit dem klaren Ziel der Rückführung zur Herkunftsfamilie nach einem vereinbarten Zeitpunkt wird zwar gesetzlich - sowohl im § 33 als auch im § 37 SGB VIII - erwähnt, hat aber in der Praxis bisher kaum eine Bedeutung. Es gibt nur einige wenige Träger, die sich damit beschäftigen. Der besondere Unterschied zur Dauerpflege liegt hier in der Erhaltung der Herkunftseltern als Eltern für das Kind und der Rolle der Pflegepersonen als Begleiter und Unterstützer.
Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge
Die weitaus überwiegende Mehrheit der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge sind männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 17. Jahren. Auch hier werden keine Eltern gesucht, sondern ebenfalls Begleiter und Unterstützer, die den Jugendlichen den Weg in Deutschland ebnen sollen.
Beratung von Pflegepersonen, die keine Hilfe zur Erziehung bekommen
Paragraf 37 Abs. 2 SGB VIII weist klar darauf hin, dass nicht nur Pflegepersonen einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung haben, die ein Pflegekind im Rahmen von Hilfe zur Erziehung (§ 27 und § 33 SGB VIII) aufgenommen haben, sondern dass jede Pflegeperson diesen Anspruch hat.
Die Pflegeperson hat vor der Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen und während der Dauer des Pflegeverhältnisses Anspruch auf Beratung und Unterstützung; dies gilt auch in den Fällen, in denen für das Kind oder den Jugendlichen weder Hilfe zur Erziehung noch Eingliederungshilfe gewährt wird oder die Pflegeperson nicht der Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 bedarf. Lebt das Kind oder der Jugendliche bei einer Pflegeperson außerhalb des Bereichs des zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, so sind ortsnahe Beratung und Unterstützung sicherzustellen.
Auf diesen Beratungsanspruch verweist auch das Gutachten des Deutschen Vereins vom 18. Dezember 2013 „Betreuung von Kindern mit Behinderung in Pflegefamilien: Zur örtlichen
Zuständigkeit bei Erteilung der Pflegeerlaubnis nach § 54 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 44 SGB VIII sowie zur örtlichen Zuständigkeit und Kostenträgerschaft für die Beratung und Unterstützung der Pflegepersonen“
In diesem Gutachten geht es besonders um die Frage von Beratung für Pflegeeltern, die Kinder mit Behinderungen aufgenommen haben. Häufig sind diese Familien von der Jugendhilfe in die Eingliederungshilfe „aussortiert“ worden. Die Sozialhilfe sieht sich weit überwiegend nicht in der Lage, eine fachliche Beratung für Pflegepersonen zu leisten. Hier haben die Pflegepersonen weiterhin einen einklagbaren Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt.
Junge Volljährige
Internationale und deutsche Studien weisen darauf hin, dass junge Volljährige, die bisher in der Jugendhilfe lebten, weiterhin einen hohen Bedarf an Unterstützung haben.
Die AGJ – Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – hat im September 2014 das Diskussionspapier „Junge Volljährige nach der stationären Hilfe zur Erziehung. Leaving Care als eine dringende fach- und sozialpolitische Herausforderung in Deutschland“ veröffentlicht. Darin heißt es:
Durchschnittlich verlassen junge Männer und Frauen in Deutschland ihr Elternhaus mit 24 oder 25 Jahren. So wohnten 29 Prozent der 25-Jährigen (20 Prozent der jungen Frauen und 37 Prozent der jungen Männer) im Jahr 2009 noch im Haushalt der Eltern.
Dagegen müssen junge Menschen, die in einem Heim, einer Wohngruppe oder Pflegefamilie aufgewachsen sind, den Übergang in die Selbständigkeit bereits in der Regel mit 18 Jahren bewältigen.
Im Gegensatz zu Kindern, die in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen, verfügen viele dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen jedoch über weniger stabile private Netzwerke und geringere materielle Ressourcen. Care Leaver haben deshalb einen erhöhten Unterstützungsbedarf, sind anfälliger für Wohnungslosigkeit, unterliegen einem erhöhten Armutsrisiko und weisen beim Aufbau von Sozialbeziehungen meist größere Schwierigkeiten auf als Gleichaltrige jenseits der Fremdunterbringung.
Junge Menschen mit Fremderziehungserfahrungen sind dabei überproportional von Bildungsbenachteiligung betroffen; knapp ein Drittel der jungen Erwachsenen besuchen zum Zeitpunkt der Beendigung der Hilfe weder eine Schule, noch eine Ausbildung oder erhalten eine Maßnahme der Berufsförderung. Diese Befunde verweisen auf einen jugend- und schulpolitischen Handlungsbedarf.
Zur Gewährung der Hilfe gem. § 41 SGB VIII schreibt die AGJ:
Ist die Verselbständigung noch nicht erreicht, besteht also im Regelfall ein Rechtsanspruch auf Hilfe; wird die Leistung durch den Jugendhilfeträger trotz Vorliegen der Voraussetzungen
nicht erbracht, so ist dieser nachweispflichtig, dass eine Ausnahmesituation vorliegt.
Der Rechtsanspruch auf Hilfe für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII wird in der Praxis noch viel zu wenig beachtet. Hier haben sich insbesondere die Universität Hildesheim, die IGFH und die Betroffenenvereinigung der Care Leaver die Aufgabe gestellt, diesen Anspruch öffentlicher zu machen und zu verdeutlichen.
Für das volljährig werdende Pflegekind ist es von großer Bedeutung, dass die Frage der Weiterführung der Jugendhilfe nicht erst kurz vor dem 18. Geburtstag gestellt wird, sondern zumindest schon ein Jahr vorher im Rahmen der Hilfeplanung als notwendige weitere Unterstützung angepeilt wird. So können alle Beteiligten zusammen mit PKD und ASD Übergänge in die Hilfe für junge Volljährige schaffen, ohne dass es zu Brüchen oder Verunsicherungen kommt.
Auf der folgenden Seite lesen Sie den zweiten Teil - Die Perspektive des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD)
Offener Brief der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) Mittelhessen