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Leuchtturmprojekt PflegeKinderDienst
Beteiligte:
Themen:
Das Leuchtturm-Projekt PflegeKinderDienst
Ein Leuchtturm für das Pflegekinderwesen? Was erwartet Sie unter diesem Titel?
Im Juli 2009 startete das „Leuchtturmprojekt Pflegekinderdienst“ unter dem Titel: Modellprojekt zur Steigerung der Wirksamkeit der Pflegekinderdienste. Das Ziel war, basierend auf biografischen Interviews mit ehemaligen Pflegekindern und in enger Kooperation mit den fachlich ambitionierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Modellregionen Bornheim, Düsseldorf, Duisburg, und Kamp-Lintfort empirisch gestützte Qualitätsstandards für das Pflegekinderwesen zu erarbeiten. Das Projekt zeichnet sich dabei durch zwei Besonderheiten aus. Zum einen wird die Perspektive und Sichtweise der Pflegekinder betont. Zum anderen werden Handlungsempfehlungen nicht aus einer ausschließlich wissenschaftlichen Perspektive in die Praxis getragen, sondern in enger Kooperation mit der Praxis erarbeitet und als gemeinsames Produkt präsentiert.
Die Arbeit im Projekt erfolgte in drei Phasen
Eine Interviewphase, in der biografische Interviews mit ehemaligen Pflegekindern geführt wurden und die aufwendig analysiert und für den weiteren Gebrauch aufbereitet wurden.
Eine einjährige Werkstattphase als zentrales Element des Projekts. In den verschiedenen Modellregionen wurden im Rahmen mehrerer Werkstatt-Treffen Interviewmaterialien zu unterschiedlichen Themen bearbeitet. Die Auswahl der Themenbereiche erfolgt neben der Fokussierung durch die Pflegekinder auch durch die fachliche Einschätzung der teilnehmenden Modellstandorte.
Und abschließend die Fertigstellung eines Abschlussberichts, der als eine Arbeitshilfe für die praktische Tätigkeit verstanden werden soll.
Zum methodischen Vorgehen
Insgesamt beläuft sich das Datenmaterial der Forschungsgruppe Pflegekinder mittlerweile auf rund 100 solcher biografischen Interviews mit ehemaligen Pflegekindern. 41 dieser Interviews wurden im Rahmen des Leuchtturmprojektes geführt. Den Zugang zu den Gesprächspartnern eröffneten uns in erster Linie die Mitarbeiterinnen aus den Modellregionen.
Die ehemaligen Pflegekinder schilderten retrospektiv ihre gesamte Lebensgeschichte. Dabei lässt man sich als Interviewer zunächst vollständig auf die Lebensgeschichte ein und folgt zunächst der individuellen Rekonstruktionsleistung. Durch weitere Erzählanregungen werden die Interviewpartner zu weiteren Narrationen angeregt. In einem zweiten Interviewteil wurden die Interviewpartner auch nach konkreten Themen, wie etwa dem Beginn und der Beendigung des Pflegeverhältnisses gefragt.
Bei der weiteren Bearbeitung des verschriftlichten Interviewmaterials gehen wir explorativ vor. Damit ist gemeint, dass wir keine zuvor festgelegten Thesen am Material überprüfen, sondern dass wir aus der Analyse der Interviews Thesen erarbeiten und Themenschwerpunkte sichtbar werden, die im Erleben der Pflegekinder eine besondere Bedeutung haben.
Bei der Auswahl zur Analyse der Interviews wurde dann die Idee des ‚theoretical samplings’ genutzt. Das bedeutet, dass zu Beginn möglichst kontrastreiche Interviews ausgewählt und analysiert wurden. Diese ersten Interviews wurden über die Dauer des gesamten Projekts durch weitere Teiltranskripte flankiert, um die Vielfalt und Komplexität des Untersuchungsgestandes zu erweitern.
Ein wichtiges Gütekriterium qualitativer Sozialforschung heißt besteht aus der möglichst komplexen Erfassung und Zusammenschau von sehr aufwendig und differenziert analysierten Einzelfällen. Dies ist ein erheblicher Unterschied zur quantitativen Forschung, die in erster Linie mit Interpretationen anhand möglichst hoher Fallzahlen argumentiert.
Die Interviews wurden je einzeln systematisch bearbeitet und neben anderen Kriterien zunächst vor dem Hintergrund der geschilderten Belastungen und Ressourcen ausgewertet.
Vom Interviewmaterial zu den Qualitätsstandards
Die Entwicklung von fachlichen Standards scheint nur dann sinnvoll, wenn sie das Potential enthalten, bestehende Schwierigkeiten zu verändern und dafür eine breite Akzeptanz bei den verantwortlichen Fachkräften zu finden. Mögliche Barrieren auf dem Weg zu einem Transfer in die Praxis müssen dabei ebenso bedacht werden, wie die notwendige Bereitschaft zu einer tatsächlichen Veränderung. Optionen, bei denen Empfehlungen aus einer ausschließlich wissenschaftlichen Perspektive in die Praxis getragen werden und dabei die Bedürfnisse von Fachkräften der Pflegekinderdienste nicht angemessen berücksichtigt werden, scheinen genauso wenig erfolgversprechend, wie etwa übergeordnete Kommissionen – beispielsweise auf Länderebene – die Vorschläge in die Praxis geben.
Auf welchem Wege können verbindliche Standards also erarbeitet werden?
Das ist eine schwierige Frage, weil es keine verbindlichen Standards für die Entwicklung von Standards gibt. Relativ schnell wird klar, wie es nicht funktionieren kann – zum Beispiel, indem Angehörige anderer Professionen Standards für die professionelle Soziale Arbeit entwickeln.
Der Vorschlag und die Antwort des Leuchtturmprojektes auf die Frage: „Wie entwickelt man Qualitätsstandards?“ lautet folgendermaßen:
Auf der Basis von mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenen Daten werden in einem intensiven Diskurs unter den Fachkräften Vorschläge erarbeitet und nachvollziehbar begründet. Nicht die Hochschule entwickelt oder erlässt Standards, sondern sie beteiligt sich an der Diskussion und dient ihr, indem sie das Datenmaterial vor- und aufbereitet. Die eigentliche Festlegung von Standards leisten die Fachkräfte der beteiligten Pflegekinderdienste. Wissenschaftliche Mitarbeiter dokumentieren die Arbeitsergebnisse und entwickeln – wiederum mit mehreren Rückmeldeschleifen aller Beteiligten – den Text des Abschlussberichtes, der als gemeinsamer Vorschlag an die anderen im Pflegekinderwesen tätigen Fachkräfte gerichtet wird.
Themenfelder, zu denen Qualitätsstandards entwickelt wurden
Im Rahmen dieses Beitrags werden die behandelten Themen bis auf den Punkt Besuchskontakte nur kurz skizziert.
1. Zwischen zwei Familien
Das erste Kapitel des Berichtes befasst sich mit dem vielfältigen Erleben der Pflegekinder, zwei Familien zu haben. Es handelt sich hierbei um ein Thema das in unterschiedlichen Facetten in einem Großteil der Interviews auftaucht. Ein zentraler Kristallisationspunkt ist hier das Erleben von Loyalitätskonflikten. Deutlich wird auch die besondere Bedeutung, wenn der Zugang zur Herkunftsfamilie ebenso wie das Leben in der Pflegefamilie von den beteiligten Akteuren gleichermaßen „erlaubt“ werden.
2. Herkunft und Biografie
Beim Thema Herkunft und Biografie handelt es sich ebenfalls um ein für unsere Interviewpartner wichtiges Thema. Die Frage nach den eigenen Wurzeln bewegt auch wenn es keinen Kontakt zur Herkunftsfamilie gibt und die Unterstützung und Begleitung bei Fragen in diesem Themenfeld sind ein zentraler Punkt professioneller Arbeit.
3. Verwandtenpflege
Hierbei handelt es sich um ein scheinbar häufig unterschätztes und vernachlässigtes Thema. Zentrales Ergebnis des Projektes ist es daher, dass in die Weiterentwicklung konzeptioneller Überlegungen zur Verwandtenpflege dringend investiert werden muss und es für diesen Arbeitsbereich besonders geschulter Fachkräfte bedarf.
4. Pflegekinder und ihre Geschwister
Die leiblichen und sozialen Geschwister der Pflegekinder besitzen sowohl als Verbindung zur Herkunftsfamilie als auch als wichtige Unterstützung innerhalb der Pflegefamilie eine besondere Bedeutung. Die Sorge der Pflegekinder insbesondere um ihre leiblichen Geschwister kann hingegen erhebliche Belastungen auslösen, denen die professionellen Unterstützungssysteme begegnen müssen. Eine Praxis, die nicht im Einzelfall, sondern nach festgelegten Regeln wie: Geschwister müssen bei einer Fremdunterbringung immer getrennt werden werden den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht.
5. Beendigung eines Pflegeverhältnisses und Nachbetreuung
Der Übergang aus der Pflegefamilie, die Gestaltung des Endes und auch Fragen der Nachbetreuung sind Punkte, die in der fachlichen Debatte häufig ausgeklammert werden, obwohl jedes Pflegeverhältnis irgendwann an dieser Stelle ankommt. Daher ist es ein besonderes Anliegen diesen Übergang gesondert zu betrachten und Empfehlungen für die Gestaltung der unterschiedlichen Phasen der Beendigung zu formulieren.
6. Normalitätserleben und Familienbilder von Pflegekindern
Viele der ehemaligen Pflegekinder berichten von ihren Wünschen nach einem ganz normalen Leben und ihren Vorstellungen von einer ganz normalen Familie. Gleichzeitig beschreiben sie aber auch ihre Probleme, diesen Vorstellungen gerecht zu werden oder mit dem Normalitätsverständnis anderer zurecht zu kommen.
7. Wie nehmen Pflegekinder professionelle Dienste wahr?
Für die beteiligten Fachkräfte war diese Frage besonders spannend. Aus den Schilderungen der ehemaligen Pflegekinder lässt sich sehr klar differenzieren, ob sie sich als unbeteiligtes Objekt zwischen den unterschiedlichen Institutionen – mit deren wechselndem Personal – erlebt haben oder ob sie hilfreiche, langfristige und vertrauensvolle Kontakte zu den Menschen aufnehmen konnten, die als Fachkräfte für sie zuständig waren.
Exemplarisch: Das Thema Besuchskontakte
Abschließend wird anhand des Themas Besuchskontakte ausführlich beschrieben, zu welchen Ergebnissen die Untersuchung geführt hat. Hierfür soll zunächst das Erleben der ehemaligen Pflegekinder aufgegriffen werden. Neben ausgewählten möglichen Belastungen werden auch mögliche Ressourcen im Kontext von Besuchskontakten vorgestellt. Dazu dienen Originalzitate der Interviewpartner.
- Mögliche Belastungen:
Einige Pflegekinder beschreiben körperliche und psychische Reaktionen vor, während und nach dem Kontakt beschrieben (Bauchweh, Kopfweh, Schlafstörungen etc.)
Vanessa: Ich hab auch probiert mit ihr Kontakt aufzunehmen. Und danach hab ich gesagt: „Ich will das alles nicht mehr.“ Weil mir das danach jedes Mal weh getan hat. Es hat mich auch immer jedes Mal hart getroffen. Und diese Schmerzen wollte ich einfach nicht mehr haben. Weil da jedes Mal was kaputt gegangen ist und dann kam es wieder hoch.
Es kann eine Belastung sein, wenn die Pflegekinder das Gefühl haben, dass sie keinen Einfluss auf das Stattfinden oder die Gestaltung des Kontakts haben (Beschreibungen von Kontrollverlust, ausgeliefert sein, Fehlender Einflussnahme)
Adem: Also, hätte man mich da besser nachvollziehen können und hätte sagen können: „Okay, das ist wirklich krass da. Er braucht auf jeden Fall auch nicht mehr da irgendwie Kontakt zu haben“. Und da waren auch sämtliche irgendwie Versuche, um mich mit ihr da irgendwie zusammen zu führen. Das war auch einmal irgendwie, das war auch bei einer Psychologin oder so was Ähnlichem, keine Ahnung. Da wurde dann auch so ein Treffen arrangiert oder so was. Ich bin da nur reingegangen, ich hab dann die Augen zugemacht und meinte: „Ich will dich nie wieder sehen“und bin dann raus gerannt so. Dass halt diese jämmerlichen Versuche halt unterlassen werden sollten so.
Eng mit diesen Gefühlen zusammen hängt das Erleben von Schutzlosigkeit während des Kontaktes (sich allein gelassen fühlen oder das Gefühl, die Erwachsenen sind nicht für mich da).
Weiter Belastungsquellen im Kontext von Besuchskontakten können sein:
Eigene Bedürfnisse werden nicht wahrgenommen (Besuchskontakte als Erwachsenenkonstrukt, in dem sich das Kind deplaziert fühlt),
Keine Informationen und Antworten bekommen (Hoffnung im Kontakt Antworten auf Fragen wie „Warum ist meine Situation so?“ o.ä. oder Informationen über die Familie zu bekommen werden enttäuscht),
Unpassendes Verhalten der leiblichen Eltern (zu viel körperliche Nähe).
Nora: Also das erste Treffen lief einfach so ab, dass sie dann kam, mich dann weiß ich nicht wie lange gedrückt hat, wo ich einfach total steif war und gar nichts machen konnte und sie eigentlich gerne in die Ecke geschubst hätte und einfach raus gegangen wäre so. Und da fing es halt an, dass ich, ich hab angefangen zu weinen und hab während des ganzen Treffens auch nicht mehr aufgehört.
Es fällt insgesamt auf, dass viele der Belastungen in Kontaktsituationen auftauchen, die als wenig organisiert oder geplant beschrieben werden.
- Mögliche Ressourcen:
Den Pflegekindern sind Möglichkeiten zur Einflussnahme wichtig, Dazu gehört zum Beispiel, dass die Kinder gefragt werden ob ein Kontakt stattfinden soll, dass eine Ablehnung des Kontaktes ernst genommen wird und dass die Möglichkeit zur Mitgestaltung des Kontaktes sichergestellt wird.
Außerdem ist es hilfreich, wenn die Kontakte berechenbar sind (als solche erwartbar, regelmäßig, normal).
Thomas: Es war normal, dass meine Mama hier immer wieder mal vorbeikam. Ich weiß, dass es eigentlich nicht normal ist mehrere Mütter zu haben, aber für mich war es normal.
Ebenfalls bedeutsam ist eine intensive Begleitung und Unterstützung, die den Pflegekindern die Sicherheit gibt, dass sie nicht allein sind. Hier werden vor allem die Pflegeeltern als Unterstützungsquelle wahrgenommen, die als moralische Unterstützungen beschrieben werden, aber auch Bedeutung haben im Umgang etwa mit Brief- und Telefonkontakt. Fachberater werden z.B. als Ressource wahrgenommen, wenn sie moderierend und strukturierend – etwa im ersten Kontakt – auftreten).
Die Pflegekinder beschrieben als positiv, wenn sie Unterstützung bei der Kontakt(wieder)aufnahme erhielten. Auch alternative Kontaktformen können als Ressource gelten. Obwohl Besuchskontakte auch Belastungspotential enthalten, ist auch das Ausbleiben und das fehlende Wissen um die Herkunftsfamilie eine schwierige Situation. Alternative Kontaktformen wie Briefe oder der Erhalt von Informationen über den Fachberater können hier Ressource sein.
Jenny: Mit neun habe ich dann auch Kontakt zu meiner leiblichen Mutter aufgenommen über Briefe und Telefonate. Ich fand die auch total interessant, wollte die aber nie kennen lernen. Ich wollte die nie sehen, also ein Foto hat mir ausgereicht, Briefe haben mir ausgereicht, die Stimme zu hören hat mir ausgereicht, aber ich wollte diese Person nie sehen.
Lukas: Ich hab halt auch schon mal gesagt so: „Ich wünschte, dass meine Mutter tot wäre.“ Und so. Ja und jetzt ist das komplett anders. Seitdem ich ausgezogen bin auch schon mal ein bisschen vorher so. Ich weiß nicht, ich denke so oft an meine Mutter so. Weil ich höre ja immer von Frau Karla so, ich frage ja immer nach so, die bekommt jetzt Hilfe, dass die es schafft mit ihren Kindern. Die wird ja immer betreut und so. Und ich find das ja toll, dass meine Mutter sich bemüht so. Zeigt mir ja, dass sie auch anders kann.
Als eine letzte mögliche Ressource müssen auch die Räumlichkeiten und Orte aufgegriffen werden, die für den Besuchskontakt zur Verfügung stehen. Die Chance sich an einem neutralen Ort treffen zu können, kann eine erhebliche Ressource sein.
Melanie: Ja bei den Treffen jetzt beim Jugendamt, also ich hab meine Mutter erstmal übers Jugendamt getroffen. Weil ich dachte: „Ist eine Situation: Ist nicht bei mir, ist nicht bei ihr.“ Ist halt, fühlt sich keiner dann so sicher und der andere unsicher. Das ist halt ganz gut dann.
Nach diesem Eindruck, den man anhand der Interviewzitate auch auf eine emotionale Weise gewinnen kann, folgt nun die Entwicklung der Qualitätsstandards mit den beteiligten Fachkräften.
Wenn man die Zitate der ehemaligen Pflegekinder und die weiteren Punkte, die vorgestellt wurden betrachtet, zeigt sich, dass Besuchskontakte alle Pflegekinder in der einen oder anderen, häufig sehr unterschiedlichen Form betreffen. Als Fachkraft muss man daher verstehen, dass es nicht hilfreich ist zu einem pauschalen entweder oder (also einem pro oder contra Besuchskontakte) zu kommen, sondern dass ein Ziel sein muss, die Situation als solche zu entdramatisieren. Es lässt sich auch feststellen, dass sich das Thema innerhalb des Pflegeverhältnisses aber auch innerhalb der Entwicklung des einzelnen Pflegekindes verändern kann. Als grundsätzliches Verständnis gilt es daher festzuhalten, dass sich der Besuchskontakt als veränderbarer Prozess darstellt. Dieser Prozess findet zwischen den unterschiedlichsten Beteiligten statt, für die die Situation eine Belastung sein kann je unorganisierter und unkontrollierter sie ist. Daher gilt es als weitere grundlegende Haltung festzustellen, dass es klarer Rahmenbedingungen und einer verbindlichen Gestaltung der Situation bedarf. Besonders im Fokus müssen hierbei die kindlichen Signale im Bezug auf die Kontakte stehen. Diese gilt es im Laufe des Pflegeverhältnisses immer wieder zu prüfen.
Diese fachlichen Haltungen wurden innerhalb der Diskussionen der beteiligten Fachkräfte als grundlegend für das Verständnis von Besuchskontakten festgehalten. Wenn man diese Sichtweisen nun ernst nimmt, welche konkreten Ziele für die praktische Arbeit müssen dann verfolgt werden? Welche konkreten Standards sind sicherzustellen um eine Arbeit zu gewährleisten, die Belastungen abmildert und Ressourcen zugänglich macht. Wenn man davon ausgeht, dass Besuchskontakte möglichst erwartbar verlaufen und dabei verlässlich und klar sein sollten, so ist es zunächst das Ziel zu klären, ob ein Kontakt aktuell überhaupt möglich ist.
Hierfür gilt es verschiedene Parameter abzufragen, bei deren Beantwortung der zuständige Fachberater eine zentrale Rolle einnehmen sollte:
• In welcher Phase ist das Pflegeverhältnis?
• Wie sieht der aktuelle Belastungsgrad des Kindes aus?
• Wo steht es in seiner Entwicklung und in der Integration in die Pflegefamilie?
Zur Beantwortung dieser Fragen ist es bedeutsam, die Kinder ernst zu nehmen und ihre Reaktionen zu beobachten. Führt die Beantwortung der Fragen dazu, dass derzeit keine Kontakte möglich sind, so sollten alternative Informationskontakte für die leiblichen Eltern möglich sein.
Wird die Entscheidung getroffen, dass Kontakte stattfinden und betrachtet man weiter den Punkt der Verlässlichkeit und Klarheit von Kontakten, so gilt es, diese auch bereits in der Vorbereitung ganz konkret zu berücksichtigen. Für die konkrete Umsetzung bedeutet dies:
• Organisation und Gestaltung obliegt dem Fachberater
• Fachberater bereitet die Herkunftsfamilie vor
• Relevante Themen sind zu berücksichtigen
• Pflegeeltern sind vorzubereiten auf die zweitteilige Aufgabe, dem Pflegekind Schutz zu geben und gleichzeitig die Kontakte konstruktiv zu unterstützen (Gesprächsangebote, Netzwerke etc.)
Nimmt man weiter die Aussagen der Pflegekinder ernst und geht davon aus, dass ein Kontakt dann für alle Beteiligten gut verlaufen kann, wenn er klar einschätzbar ist, ist es unabdingbar, dass der Fachberater vorab die Fragen beantwortet:
• An welchem Ort findet ein Kontakt statt
• Wer nimmt teil?
• Wie sieht die Begleitung aus?
• Welche Regeln haben während des Kontaktes Gültigkeit?
Die Beantwortung dieser Fragen leitet über zur konkreten Kontaktsituation. Unter der Prämisse der Entlastung aller Beteiligten und der Entspannung der Situation, bestand unter allen beteiligten Professionellen Einigkeit darüber, dass zu Beginn eines Pflegeverhältnisses die Treffen an einem gleichbleibenden und neutralen Ort stattfinden sollten, der nicht der Lebensraum des Pflegekindes sein darf, weil er als Schutzraum zu verstehen ist. Denkt man diese Einschätzung weiter, bedeutet dies in der Konsequenz, dass seitens des Pflegekinderdienstes bzw. des Jugendamtes ein entsprechender Raum vorzuhalten ist.
Unter der Prämisse der Entdramatisierung und Entlastung der Beteiligten, bestand unter den Beteiligten ebenfalls Einigkeit darüber, dass ein Besuchskontakt fachlich zu begleiten ist. Ganz konkret bedeutet dies:
• Besuchskontakte müssen an einem neutralen, zu beginn konstanten Ort stattfinden. Seitens des Pflegekinderdienstes muss ein solcher Raum vorgehalten werden.
• Besuchskontakte müssen fachlich so lange begleitet werden, wie es das Pflegekind, die Pflegeeltern, die Herkunftseltern oder der Fachberater für notwendig halten. Die Notwendigkeit der Begleitung sollte im Verlauf des Pflegeverhältnisses immer wieder überprüft werden.
Gleichwohl wurden aus den Aussagen der Pflegekinder und dem fachlichen Diskurs die Haltung abgeleitet, dass der Besuchskontakt etwas Veränderbares ist und prozesshaft verläuft. Diese Haltung führt dazu, dass sich Ort und Form bzw. Intensität der Betreuung verändern können, diese Veränderungen aber mit Bedacht erfolgen sollten.
Wie beschrieben ist es ein zentraler Punkt, dass die kindlichen Signale im Fokus stehen sollten. So sollte etwa der möglichen Belastung durch das Erleben von Unsicherheit oder fehlendem Einfluss durch konkrete Punkte in der Gestaltung der Besuchskontaktsituation entgegengewirkt werden.
Hierzu gehört, dass:
• Begrüßung, Verabschiedung und Verhalten während des Umgangs durch den Fachberater mit allen Beteiligten geklärt werden
• Fachberater übernimmt in den ersten Besuchskontakten eine aktive Rolle, Begrüßung, Moderation des Treffens etc.
• Das Erleben von Sicherheit bedingt aber auch, dass es in der Hand des Fachberaters liegt, dass ein Kontakt möglicherweise aktuell nicht stattfindet. Der Fachberater entscheidet in der konkreten Besuchssituation, wie und ob ein Kontakt beendet werden muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn vorab gemeinsam vereinbarte Regelungen nicht eingehalten werden.
Um dem prozesshaften Charakter der Besuchskontakte gerecht zu werden, gilt es konkret zu berücksichtigen:
• Fachberater steht auch nach Ende Pflegeverhältnisses oder nach Kontaktabbruch als Vermittler zwischen Pflegekind und Herkunftsfamilie zur Verfügung
• Fachberater dient auch als Kontakt zur Herkunftsfamilie, wenn diese den Kontakt nicht halten. Er sollte sie erinnern und so die Wiederaufnahme von Kontakten ermöglichen.
Anhand des Themas Besuchskontakte wurden die Schritte vom Interviewmaterial, über die dort beschriebenen Ressourcen und Belastungen hin zu fachlichen Haltungen, konkreten Zielen für die Praxis und letztlich deren Umsetzung in konkrete Standards dargestellt. Auf diese Weise lässt sich die Entwicklung der gesamten Ergebnisse nachvollziehen. Bei Interesse an einer vertiefenden Darstellung auch der übrigen Projektergebnisse sei auf den Abschlussbericht verwiesen, der unter folgendem Link heruntergeladen werden kann:
www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/service/arbeitshilfen/dokumente_94/hilfen_zur_erziehung_1/beratungsangebote_der_erziehungshilfe/pflegekinderdienst/LeuchtturmProjekte.pdf
von:
Erklärung der „Forschungsgruppe Pflegekinder“ zu den Antworten des Hamburger Senats