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08.04.2016
Gerichtsbeschluss erklärt

Entscheidungen über Impfungen fallen nicht unter die Alltagssorge

Das OLG Frankfurt erläutert in einem Beschluss vom September 2015, dass aufgrund möglicher Auswirkungen die Entscheidungen zu Impfungen nicht ein Teil der alltäglichen Sorge sondern von grundlegender Bedeutung für das Kind sind. Mit Beschluss vom 07.03.2016 - Aktenzeichen 4 UF 686/15 vertritt das OLG Jena die gleiche Meinung.

Die Sorgeberechtigten haben alle Entscheidungen für das Kind zu fällen. Lebt das Kind mit allen Sorgeberechtigten in einem Haushalt, dann können diese Sorgeberechtigten alle Fragen für das Kind gemeinsam entscheiden. Lebt das Kind von getrennt lebenden sorgeberechtigten Eltern jedoch nur bei einem Elternteil, dann teilt sich die Sorge um das Kind auf. Während der Elternteil, bei dem das Kind lebt, alle Entscheidungen treffen kann, die zur Bewältigung des alltäglichen Lebens gehören (Alltagssorge), müssen weiterhin beide Sorgeberechtigte die Entscheidungen treffen, die für das Kind von grundlegender Bedeutung sind.

Dazu heißt es im § 1687 BGB in der Regelung für sorgeberechtigte Eltern, die getrennt leben:

Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.

Darüber hinaus leben Kinder sorgeberechtigter Personen auch in anderen Familien oder in Heimen und Wohngruppen. Auch hier musste der Gesetzgeber eine Regelung treffen, die diesen Personen die alltägliche Sorge um das Kind ermöglichen.

So heißt es im § 1688 BGB:

Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so ist die Pflegeperson berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten.

Angelegenheiten des täglichen Lebens sind – wie schon oben erwähnt - in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Neben diesen Angelegenheiten gibt es Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. Diese sogenannten Grundentscheidungen obliegen ausschließlich dem/den Sorgeberechtigten.

Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für das Kind (Grundentscheidungen) sind zum Beispiel:
Aufenthaltsort des Kindes, medizinische Eingriffe, juristische Vertretung des Kindes, Anmeldung Kita und Schule, religiöse Entscheidungen, Namensänderung, Einbürgerung etc.

Alltägliche Entscheidungen sind z.B. :
Alle Folgerungen für den Alltag aus den o.a. Grundentscheidungen, eben die normale Bewältigung des Alltages.

Entscheidungen zu Impfungen

Manche Entscheidungen werden in der Praxis der Pflegekinderhilfe unterschiedlich bewertet. Dies gilt besonders für die Frage der Impfungen. Da Impfungen immer in Zusammenhang stehen mit ärztlicher Beratung, werden oft die „normalen“ Impfungen als eine Alltagsentscheidung angesehen. Da Impfungen jedoch einen Eingriff in den Körper bedeuten und es auch zu Impfschäden kommen kann, war es mir immer wichtig, Pflegeeltern zu ermuntern, hier Entscheidungen des Sorgeberechtigten einzufordern und sich mit diesen im Rahmen von Hilfeplangesprächen über Impfungen zu einigen.

Nun hat das OLG Frankfurt einen Beschluss zur Frage der Impfungen gefasst. Darin vertritt das OLG die Meinung, dass die Entscheidungen zu Impfungen keine Regelung des Alltags bedeuten. Mit Beschluss vom 07.03.2016 - Aktenzeichen 4 UF 686/15 vertritt das OLG Jena die gleiche Meinung.

Manche Entscheidungen werden in der Praxis der Pflegekinderhilfe unterschiedlich bewertet. Dies gilt besonders für die Frage der Impfungen. Da Impfungen immer in Zusammenhang stehen mit ärztlicher Beratung, werden oft die „normalen“ Impfungen als eine Alltagsentscheidung angesehen. Da Impfungen jedoch einen Eingriff in den Körper bedeuten und es auch zu Impfschäden kommen kann, war es mir immer wichtig, Pflegeeltern zu ermuntern, hier Entscheidungen des Sorgeberechtigten einzufordern und sich mit diesen im Rahmen von Hilfeplangesprächen über Impfungen zu einigen.

Nun hat das OLG Frankfurt einen Beschluss zur Frage der Impfungen gefasst. Darin vertritt das OLG die Meinung, dass die Entscheidungen zu Impfungen keine Regelung des Alltags bedeuten.

Beschluss des OLG Frankfurt vom 4.9.2015 - AZ UF 150/15

Das Gericht erläutert seine Entscheidung wie folgt:

Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ein Kind geimpft werden soll, betrifft keine Angelegenheit des täglichen Lebens sondern eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, weil sie mit der Gefahr von Risiken und Komplikationen verbunden ist.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des Amtsgerichts, dass es sich bei dieser Frage um eine Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens i. S. v. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB handelt. Die Regelung des Ob und des Wie der Impfung betrifft eine Frage von erheblicher Bedeutung für beide Kinder, weil sie mit der Gefahr von gesundheitlichen Risiken und Komplikationen verbunden ist Werden Impfungen durchgeführt, kann es im Einzelfall zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen bei dem Impfling kommen, unterbleiben sie, besteht die Gefahr der Ansteckung mit der Krankheit, vor der die Vakzination Schutz gewähren soll. Darüber hinaus können sich weitere Folgen ergeben: So gilt bei Verdacht auf eine Masern-, Diphterie- oder Keuchhusten-Erkrankung nach § 34 Infektionsschutzgesetz ein Besuchsverbot in Kindergemeinschaftseinrichtungen (Schulen und Kindergärten). Auch nicht oder nicht ausreichend geimpfte Personen, die im selben Haushalt wie eine erkrankte oder krankheitsverdächtige Person wohnen, sind für einen Zeitraum von 14 Tagen nach dem Kontakt zu dem Erkrankten vom Besuch der Einrichtungen ausgeschlossen. Gerade die in letzter Zeit zu beobachtenden Folgen der Nichtimpfung, darunter das endemische Auftreten von Masern in Berlin seit Oktober 2014 mit weit über tausend Betroffenen, verbunden mit Schulschließungen und mindestens einem Todesfall sowie einem Schulverbot für nicht geimpfte Kinder, oder zuletzt in Marburg im Mai 2015, das zu einem vorübergehenden Betretungsverbot des Schulgebäudes für nicht geimpfte Schüler geführt hat, verdeutlichen die erhebliche praktische Relevanz der Impfentscheidung der Sorgeberechtigten nicht nur für die Gesundheit, sondern mittelbar auch für die schulische Erziehung der betroffenen Kinder.

Weiterhin macht das Gericht klar, dass es nicht möglich sein kann, dass die Zustimmung zur Impfung eine Angelegenheit des täglichen Lebens sei und die Ablehnung eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Eine derart unterschiedliche Betrachtung eines rechtlichen Vorganges komme nicht in Betracht.

Obwohl es bei der Entscheidung nicht um ein Pflegekind ging, lassen sich die Grundgedanken selbstverständlich auch auf die Alltagssorge der Pflegeeltern gemäß § 1688 SGB übertragen. Auch hier geht es um die Frage, ob die zu klärende Entscheidung von erheblicher Bedeutung für das Kind und damit eine Grundentscheidung ist, oder ob es eine Angelegenheiten des täglichen Lebens ist, die in der Regel häufig vorkommt und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat. Hierzu erläutert das OLG präzise, dass eine Impfentscheidung von erheblicher Bedeutung für das Kind ist, weil sie mit der Gefahr von gesundheitlichen Risiken und Komplikationen verbunden ist und somit nur vom Sorgeberechtigten getroffen werden kann.

Rechtsgrundlagen

BGB § 1687 Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben

(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. § 1629 Abs. 1 Satz 4 und § 1684 Abs. 2 Satz 1 gelten entsprechend.
(2) Das Familiengericht kann die Befugnisse nach Absatz 1 Satz 2 und 4 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.

BGB § 1688 Entscheidungsbefugnisse der Pflegeperson

(1) Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so ist die Pflegeperson berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten. Sie ist befugt, den Arbeitsverdienst des Kindes zu verwalten sowie Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen und zu verwalten. § 1629 Abs. 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(2) Der Pflegeperson steht eine Person gleich, die im Rahmen der Hilfe nach den §§ 34, 35 und 35a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch die Erziehung und Betreuung eines Kindes übernommen hat.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Inhaber der elterlichen Sorge etwas anderes erklärt. Das Familiengericht kann die Befugnisse nach den Absätzen 1 und 2 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
(4) Für eine Person, bei der sich das Kind auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 oder § 1682 aufhält, gelten die Absätze 1 und 3 mit der Maßgabe, dass die genannten Befugnisse nur das Familiengericht einschränken oder ausschließen kann.

Komplettes Gerichtsurteil