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01.01.2012
Gerichtsbeschluss erklärt

Gerichtsurteile zur Religionszugehörigkeit und religiöser Erziehung

Streiten Eltern über die Religionszugehörigkeit ihres Kindes, darf ein Gericht in der Sachfrage keine Entscheidung treffen. Eine Sammlung von Gerichtsurteilen zum Thema.

Themen:

Gehören getrennt lebende Eltern verschiedenen Glaubensrichtungen an und können sie sich nicht darüber verständigen, ob ihr gemeinsames Kind der einen oder anderen Glaubensgemeinschaft angehören soll, darf das Gericht keinem Elternteil in der Sachfrage Recht geben.

Es muss anhand sorgerechtlicher Kriterien entscheiden, welcher Elternteil über die religiöse Erziehung entscheiden darf - so der Nürnberger Fachanwalt für Familienrecht Martin Weispfenning, unter Hinweis auf ein am 12.03.2010 veröffentlichtes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg (13 UF 8/10).

Ein Vater hatte beim Gericht beantragt, ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis für den Kirchenaustritt seines Kindes zu übertragen. Seit der Trennung der Eltern lebt der gemeinsame Sohn bei der Mutter. Der Vater ist Moslem, während die Mutter katholisch ist. Die Eltern haben die gemeinsame elterliche Sorge. Die Mutter ließ den Sohn nach der Trennung katholisch taufen. Der Vater verlangte von ihr die Zustimmung zur Erklärung über den Kirchenaustritt des Kindes gegenüber dem Standesamt. Er meinte, das Kind müsse sich in religiöser Hinsicht frei entwickeln können. Es solle später frei entscheiden können, welcher Religionsgemeinschaft es angehören möchte.

Das Amtsgericht hatte den Antrag des Vaters zurückgewiesen mit der Begründung, die katholische Mutter sei die Hauptbezugsperson des Kindes und durch den Aufenthalt bei ihr vermittele diese dem Kind die Werte ihres katholischen Glaubens.

Die Beschwerde des Vaters beim Oberlandesgericht führte im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung, so Weispfenning.

Der weltanschaulich neutrale Staat könne nicht die Entscheidung über die religiöse Kindererziehung treffen, in dem es einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis hierüber übertrage. Die Vorstellung des Vaters, das Kind im religionsmündigen Alter selber entscheiden zu lassen, stelle ebenso ein Erziehungskonzept dar, wie die Erziehung des Kindes in die eine oder andere Glaubensrichtung. Welches Erziehungskonzept für das Kind das Richtige sei, könne aber nicht durch ein Gericht entschieden werden. Die Entscheidungsbefugnis müsse bei den - gemeinsam sorgeberechtigten - Eltern verbleiben.

Das Gericht muss sich als religiös neutrale staatliche Instanz von der religiösen Fragestellung lösen und nach anderen sorgerechtlichen Kriterien entscheiden, wer über bestimmte Einzelfragen im Zusammenhang mit der religiösen Erziehung entscheiden darf. Maßgeblich sind insoweit Kriterien wie Kontinuität und Einbettung in das soziale Umfeld.

www.dansef.de/index.php/pressemitteilungen/233-streiten-eltern-ueber-die-religionszugehoerigkeit-ihres-kindes-darf-ein-gericht-in-der-sachfrage-keine-entscheidung-treffen

Film «Krabat»: Siebtklässler musste nicht aus religiösen Gründen von Kinobesuch freigestellt werden

Ein Siebtklässler aus Bocholt hätte im Rahmen des Deutschunterrichts am Besuch des Kinofilms «Krabat» teilnehmen müssen, obwohl seine den Zeugen Jehovas angehörenden Eltern den Film für unvereinbar mit ihren religiösen Überzeugungen hielten. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Münster klargestellt. Es habe kein Anspruch der Eltern auf Befreiung ihres Sohnes von der Schulveranstaltung bestanden.

Alle siebten Klassen des Bocholter Gymnasiums, das der Sohn der klagenden Eltern besucht, sahen sich im Rahmen des Deutschunterrichts im Kino den Film «Krabat» an. Zuvor war im Unterricht das gleichnamige Buch von Otfried Preußler besprochen worden. Als die Eltern im Vorfeld von der Veranstaltung erfuhren, teilten sie dem Deutschlehrer ihres Sohnes mit, sie lehnten aus religiösen Gründen die Teilnahme ihres Sohnes ab. Sie wollten sich von bösen Geistermächten fernhalten, auch indem sie keine «mystischen» Filme ansähen. In einem Gespräch mit den Eltern lehnte der Schulleiter die Befreiung von der verbindlichen Schulveranstaltung ab. Am Kinobesuch nahm der Siebtklässler nicht teil. Ein wegen Verletzung der Schulpflicht gegen die Eltern eingeleitetes Bußgeldverfahren wurde schließlich eingestellt.

Die Klage der Eltern, festzustellen, dass die Ablehnung der Befreiung vom Unterricht rechtswidrig war, wies das VG ab. Die Berufung auf einen aus der Glaubensfreiheit resultierenden Gewissenskonflikt, der sich bei der Befassung mit bestimmten Inhalten im Schulunterricht ergebe, stelle grundsätzlich nicht den erforderlichen wichtigen Grund für eine Befreiung dar, stellten die Richter klar. Das gelte zumindest, solange die Stoffvermittlung und sonstige Unterrichtsgestaltung unter Beachtung des staatlichen Neutralitäts- und Toleranzgebotes erfolge.

Zwar sei das Grundrecht der Eltern auf religiöse Kindererziehung verfassungsrechtlich geschützt. Es verleihe diesen aber weder den Anspruch, dass der Schulunterricht nach ihren religiösen Vorstellungen ausgerichtet werde, noch das Recht, ihre Kinder von bestimmten Unterrichtsinhalten fernzuhalten. Ansonsten würde die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Schule beeinträchtigt, betont das VG. Es entstünde ein Widerspruch zur Wertentscheidung der Verfassung für Toleranz als einem tragenden Prinzip der freiheitlichen Demokratie.

Mit der Filmveranstaltung «Krabat» habe sich die Schule im Rahmen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages gehalten, so das Gericht weiter. Das Gymnasium habe auch das ihr als staatlicher Einrichtung obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt und den Eltern Raum zur Vermittlung ihrer individuellen Glaubensüberzeugungen belassen.

Schon der Film an sich, der ein Plädoyer für die Freiheit sei, habe die Schüler in keiner Weise dahingehend beeinflusst, Spiritismus und schwarze Magie zu befürworten. Der Schule sei es um das zeitgeschichtliche Thema der Verführbarkeit des Einzelnen durch totalitäre Versuchungen und um die Stärkung der Fähigkeit der Schüler zu selbstständiger Entscheidung und rational reflektierter Lebensführung gegangen. Die Unterrichtsgestaltung habe – diesem Ziel folgend – der gebotenen Offenheit für unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Auffassungen entsprochen.
Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 12.02.2010, 1 K 528/09

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Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein bußgeldrechtliches Verfahren wegen Verstößen gegen die Schulpflicht, denen religiöse Erwägungen zugrunde liegen.
www.moses-online.de/node/10743

Schulpflicht und die religiöse Kindererziehung

Auch wenn Eltern aus religiösen Gründen die schulischen Lerninhalte ablehnen, können sie die Schulpflicht ihrer Kinder nicht dadurch vermeiden, dass ein Elternteil seinen Wohnsitz ins benachbarte Ausland verlegt, solange der andere Elternteil in Deutschland verbleibt.

In einem jetzt vom Verwaltungsgericht Aachen entschiedenen Fall lehnen die Eltern, Baptisten kasachischer Herkunft, die schulischen Lerninhalte aus religiösen Gründen ab. Sie hatten bereits im Rhein-Sieg-Kreis erfolglos versucht, die Schulpflicht ihrer Kinder zu vermeiden. Nachdem sie mit ihren sieben Kindern nach Euskirchen gezogen waren, wies das zuständige Schulamt die Eltern an, ihre zwei schulpflichtigen Kinder auch dort anzumelden. Die Kläger verwiesen darauf, dass die Mutter mit den beiden schulpflichtigen Kindern nach Belgien gezogen sei, während der Vater mit den fünf jüngeren Kindern weiter in Euskirchen wohne.

Das Verwaltungsgericht akzeptierte dieses “Manöver” jedoch nicht und entschied, dass hier nicht der angebliche Aufenthalt der beiden älteren Kinder in Belgien maßgebend sei. Vielmehr knüpfe die Schulpflicht nach dem Landesschulgesetz an den Wohnsitz an. Kinder hätten ihren Wohnsitz bei den Eltern – und damit auch bei dem weiterhin in Euskirchen lebenden Vater. Folglich durfte das Schulamt für den Kreis Euskirchen tätig werden.
Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 15. April 2011 – 9 K 1917/10