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Eine Sorgerechtsübertragung bedeutet kein Anrecht auf Leistungen
Themen:
Vorgeschichte
Nachdem eine Großmutter ihre drei Enkelkinder bei sich aufnehmen wollte, stimmte das Familiengericht der Übertragung des kompletten Sorgerechts im Rahmen der freiwilligigen Übertragung auf die Großmutter als Pflegerin zu.
Als die Kinder kurze Zeit später dauerhaft bei der Großmutter lebten, stellte diese beim Jugendamt unter Hinweis auf § 39 SGB VIII Anträge auf "Pflegegeldleistungen" und Beihilfen mit der Begründung, dass das Jugendamt nun, nachdem das Familiengericht der Sorgerechtsübertragung zugestimmt habe, für alle anfallenden Kosten in der Pflegestelle verantwortlich sei. Das Jugendamt überprüfte die Anträge und teilte der Großmutter mit, dass Sie sich an das Sozialamt wenden solle, da sie ausschließlich finanzielle Unterstützung wünsche und eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ablehne. Außerdem läge ein Antrag nach § 33 SGB VIII auf Vollzeitpflege bislang nicht vor. Ein finanzieller Anspruch auf Pflegegeldleistungen, die mit einer Familienpflegschaft nach § 1630 Abs. 3 BGB begründet würde, bestehe nicht, da die Zustimmung einer Familienpflegschaft nicht gleichzusetzen sei mit einer Überprüfung und Geeignetheit als Vollzeitpflegestelle.
Die Großmutter stellte daraufhin einen Antrag nach § 33 - Vollzeitpflege- und die Bearbeitung durch den Pflegekinderdienst begann.
Einschalten des Verwaltungsgerichts
Zwei Monate später klagte die Großmutter vor dem Verwaltungsgericht auf Gewährung von Pflegegeld im Rahmen einer einstweiligen Anordnung.
Zwei Wochen später kam es zu einem Überprüfungsgespräch der Pflegekinderdienstes. In diesem Gespräch wurde die Großmutter umfassend über alle Modalitäten der Überprüfung und der rechtlichen Voraussetzungen des § 33 informiert und es wurden weitere Gespräche angekündigt.
Die Großmutter wollte jedoch erst einmal auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes warten. Dies entschied einige Wochen später, dass Hilfe zu Erziehung zu gewähren sei und das Jugendamt die Gewährung des Pflegegeldes zu bescheiden habe. Unter anderem hieß es in der Begründung, dass die Überprüfung der Klägerin und deren Lebensgefährten einer rechtlichen Grundlage entbehre, denn als Großmutter ihrer drei Enkelkinder bedürfe die Klägerin nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB VIII keiner Erlaubnis zur Vollzeitpflege.
Überprüfung des Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht
Das Jugendamt ging gegen diesen Beschluss in Berufung und der Senat ließ "wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils" die Berufung zu.
Das Oberverwaltungsgericht hob den Beschluss des Verwaltungsgerichtes auf.
Einige Auszüge aus der Begründung der Entscheidung:
Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 39 SGB VIII kann nicht isoliert geltend gemacht werden. Wird Hilfe zur Erziehung unter anderem in Form der Vollzeitpflege (§§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII) gewährt, so ist gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Er umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Das sogenannte „Pflegegeld“ nach § 39 SGB VIII stellt damit lediglich einen Annex-Anspruch aus den vorgenannten Hilfegewährungen dar.
Die Hilfe durch die Klägerin als Pflegeperson war nicht geeignet im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, den bestehenden erzieherischen Bedarf im Hinblick auf die Entwicklung der Kinder zu decken, da seitens der Klägerin jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung keine ausreichende Bereitschaft vorlag, die Vollzeitpflege der Kinder nach § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Beklagten entsprechend einem Hilfeplan zu leisten. Denn sie verweigerte gegenüber dem Jugendamt die Vorlage von Auskünften und Unterlagen, welche zur Prüfung ihrer persönlichen Eignung erforderlich waren.
Die Geeignetheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zur Erziehung - hier der in Rede stehenden Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) - zu überprüfen. Dabei könne die Vollzeitpflege durch Großeltern nur dann ein geeignetes Mittel zum Ausgleich eines Erziehungsdefizits sein, wenn die Großeltern ihrerseits als Pflegepersonen geeignet seien. Zur Geeignetheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehöre also auch, dass die Pflegepersonen zum einen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleisten könnten und sich zum anderen auf die Kooperation mit dem Jugendamt einließen und gegebenenfalls zur Annahme unterstützender Leistungen bereit seien. Dies folge auch ausdrücklich aus § 27 Abs. 2a HS 2 SGB VIII, wonach die Person geeignet und bereit sein muss, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu decken. Großeltern bedürften zwar keiner Pflegeerlaubnis (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), ihre persönliche Eignung sei jedoch anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII („Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist. § 72a Absatz 1 und 5 gilt entsprechend.“) und damit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet sei.
Dem Jugendamt steht dabei hinsichtlich der Frage nach der Geeignetheit von Pflegepersonen i. S. d. §§ 27, 33 SGB VIII ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist, weil es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung mehrerer Fachkräfte handelt, welcher nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthält, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss.
Das OVG erläuterte weiterhin, dass das Jugendamt im Rahmen der Prüfung der persönlichen Eignung der Klägerin befugt war, Auskünfte und Unterlagen von der Großmutter zu verlangen. Das Gericht machte auch deutlich, dass die Entscheidung des Familiengerichts, der Klägerin die elterliche Sorge für ihre minderjährigen Enkelkinder nach § 1630 Abs. 3 BGB zu übertragen, hinsichtlich ihrer persönlichen Eignung keine Bindungswirkung im Verfahren nach § 27 SGB VIII entfalte.
von:
Deutscher Verein: Geplantes Vormundschaftsrecht nicht praxisnah