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Verfassungsbeschwerde wegen Sorgerechtsübertragung und Herausgabe des Sohnes
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Der Beschwerdeführer ist der leibliche Vater eines im August 2011 geborenen Sohnes. Die Trennung von der Mutter erfolgte bereits vor der Geburt des Kindes. Bislang hat er mit seinem Sohn nicht zusammengelebt und hatte auch nie das Sorgerecht für diesen inne. Die Mutter des Kindes heiratete einen anderen Mann und als diese Ehe scheiterte, blieb der Junge bei seinem Stiefvater. Seit Jahren lebt er nun mit ihm und dessen neuer Ehefrau als Pflegeeltern in derenHaushalt. Das Sorgerecht des Kindes liegt beim Jugendamt.
In mehreren Verfahren beantragte der leibliche Vater die Übertragung der Vormundschaft auf ihn, damit er das Kind aus der Pflegefamilie heraus zu sich holen konnte. Die Gerichte sahen keine Voraussetzung für eine Änderung der momentanen Lebenssituation des Kindes. Vor allem die Grundsätze der Kontinuität und Stabilität sprächen für einen Verbleib des Sohnes im Haushalt der Pflegeeltern. Zwar attestiere das Sachverständigengutachten sowohl den Pflegeeltern als auch dem Beschwerdeführer die Fähigkeit zu grundlegender Versorgung und Förderung des Sohnes. Allerdings sei der Wechsel in den Haushalt des Beschwerdeführers wegen dessen deutlich eingeschränkten emotionalen Kompetenzen (u.a. dem Vorrang der eigenen Bedürfnisse, der erheblichen Bindungsintoleranz und der Instrumentalisierung des Kindes) mit einem signifikanten Risiko für die Bindungen und die weitere sozio-emotionale Entwicklung des Sohnes verbunden.
Das Oberlandgericht konnte sich dieser Meinung anschließen und sah darüberhinaus keine erneute Veranlassung, das Kind selbst noch einmal anzuhören, da schon die ersten Anhörung für den Jungen belastend gewesen war.
In der Verfassungsbeschwerde erläuterte der Beschwerdeführer, dass diese gerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht würden. Besonders der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Kind aus dem Haushalt von Pflegeeltern zu seinen leiblichen Eltern wechseln könnte. Eine Zusammenführung des Beschwerdeführers mit seinem Sohn entspreche dem Kindeswohl.
Die Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht begründete wie folgt:
Begehren Eltern die Rückführung ihres in einer Pflegefamilie lebenden Kindes, müssen bei der Kindeswohlprüfung die Tragweite der Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung berücksichtigt werden, die negativen Folgen einer Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Beziehungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu bedenken und das Kind aus seiner Pflegefamilie lediglich herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von den bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar sind. [....]
llerdings folgt aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dass Pflegeverhältnisse nicht in einer Weise verfestigt werden dürfen, die in nahezu jedem Fall zu einem dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie führte. Da eine Rückkehr zu den Eltern auch nach längerer Fremdunterbringung ‒ soweit Kindeswohlbelange nicht entgegenstehen ‒ möglich bleiben muss, dürfen die mit einem Wechsel der Hauptbezugspersonen immer verbundenen Belastungen eine Rückführung nicht automatisch dauerhaft ausschließen.
Das Bundesverfassungsgericht stellte auch die Nichtanhörung des Jungen durch das Oberlandgericht infrage und verweist dabei auf die gegenüber dem früheren Recht strengeren Anforderungen an den Verzicht auf eine mündliche Anhörung der Verfahrensbeteiligten und insbesondere eine Kindesanhörung seit dem 1. Juli 2021.