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14.08.2019
Gerichtsbeschluss erklärt
vom: 
26.03.2019

Vollständiger Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien verstößt gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG

Wegweisender Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zur Stiefkindadoption.

Nach derzeitiger Rechtslage ist eine zur gemeinsamen Elternschaft führende Stiefkindadoption durch den nicht-leiblichen Elternteil nur möglich, wenn dieser mit dem rechtlichen Elternteil verheiratet ist. In nichtehelichen Stiefkindfamilien ist die Adoption durch den Stiefelternteil alleine zwar möglich, als Folge verlören die adoptierten Kinder dann aber die Rechtsbeziehungen zum bisherigen rechtlichen Elternteil (§ 1754 Abs. 1 und Abs. 2 und § 1755 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB). Dies liegt regelhaft nicht im Interesse der Beteiligten. Faktisch wird daher durch das geltende Recht die Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hatte nun zu entscheiden, ob dieser (faktisch) vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien verfassungsgemäß ist. Das zuständige Amtsgericht hatte den Annahmeantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Die Beschwerde zum Oberlandesgericht und die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof blieben erfolglos.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beschwerdeführerin ist die leibliche Mutter von zwei anzunehmenden Kindern. Der mit der Mutter verheiratete leibliche Vater der beiden Kinder verstarb. Seit nunmehr zwölf Jahren leben die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Sie heirateten nicht, weil die Beschwerdeführerin eine Witwenrente bezieht, die sie als einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage betrachtet und die sie durch die Wiederverheiratung verlöre. Die beiden haben inzwischen auch einen gemeinsamen Sohn und wollten durch eine Annahme durch den Stiefvater die rechtliche Gleichstellung aller drei in der Familie lebenden Kinder erreichen.

Nur kurz werden im Folgenden die wesentlichsten Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts benannt, welche zur Entscheidung beitrugen, dass die gegenwärtige Rechtslage verfassungswidrig ist.

Die derzeitige Rechtslage führt zu einer Ungleichbehandlung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien gegenüber Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien. Ihnen ist im Gegensatz zu Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien jegliche Möglichkeit verwehrt, vom Stiefelternteil unter Aufrechterhaltung des Verwandtschaftsverhältnisses zum rechtlichen Elternteil adoptiert und damit zugleich gemeinschaftliches Kind beider Elternteile zu werden, mit denen es in nichtehelicher Stiefkindfamilie zusammenlebt. Diese Benachteiligung ist nicht gerechtfertigt. Sie bedürfte einer Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Die Benachteiligung bedarf einer strengen Überprüfung, weil die Adoption wesentliche Grundrechte des Kindes für die Persönlichkeitsentfaltung, nämlich das Recht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte familiäre Zusammenleben des Kindes mit seinen Eltern betrifft. Der Ausschluss dieser Rechte ist zum Nachteil des Kindes. Darüber hinaus ist das nach derzeitiger Rechtslage maßgebliche Differenzierungskriterium, nämlich die Ehe zwischen Elternteil und Stiefelternteil, durch die Kinder weder beinflussbar noch ist den Kindern der Eheverzicht der Eltern zuzurechnen.

Die Benachteiligung der betroffenen Stiefkinder ist jedenfalls unverhältnismäßig im engeren Sinne. Generelle Bedenken gegen die Stiefkindadoption können die Benachteiligung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien nicht rechtfertigen, weil sie keine spezifischen Probleme der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien betreffen, sondern für eheliche und nichteheliche Stiefkindfamilien gleichermaßen gelten. Legitim ist zwar der mit dem Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien verfolgte Zweck, die Stiefkindadoption nur in Stabilität versprechenden Lebensgemeinschaften zuzulassen. So lässt sich das Kind zwar von mit der Adoption verbundenen Nachteilen schützen, jedoch ist der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien kein angemessenes Mittel zur Erreichung des vom Gesetzgeber intendierten Zwecks.

Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien können Nachteile dadurch entstehen, dass ihnen die Adoption auch dann verwehrt bleibt, wenn die Beziehung der Eltern stabil ist und die Adoption insgesamt ihrem Wohl diente. Der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lässt sich auch wirksam mit einer auf konkrete Stabilitätsprognosen abstellenden Adoptionsregelung sichern. Der Gesetzgeber kann an nichteheliche Lebensgemeinschaften dieselben Stabilitätserwartungen stellen wie an Ehen. Die nichteheliche Familie hat sich inzwischen als weitere Familienform neben der ehelichen Familie etabliert. Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Paarbeziehung innerhalb einer nichtehelichen Stiefkindfamilie typischerweise instabil wäre. Die derzeitige Rechtslage benachteiligt Stiefkindfamilien, die länger Bestand haben, in denen ein tragfähiges Eltern-Kind-Verhältnis entstand und die Annahme des Kindes durch den Stiefelternteil dem Kindeswohl dienlich wäre. Die Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt, da sich für die Kinder alleine anhand des Familienstands ihrer Eltern entscheidet, ob sie ihren sozialen Elternteil auch als rechtlichen Elternteil bekommen können oder nicht. Es ist durchaus möglich, die Kindeswohldienlichkeit einer Annahme auch in einer solchen Konstellation im Einzelfall zu prüfen und dabei statt dem Ehekriterium auch alternative Stabilitätskriterien wie etwa die bisherige Beziehungsdauer zu verwenden.

Die unterschiedliche Behandlung von Stiefkindern in ehelichen und nichtehelichen Familien ist im Ergebnis auch nicht durch die in Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten der Ehe enthaltene Wertentscheidung gerechtfertigt.

Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis 31. März 2020 eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen.

Quelle: Newsletter Juli 2019 des KVJS

Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 26. März 2019
  • Der Ausschluss der Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien verstößt gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.
  • Gegen die Stiefkindadoption vorgebrachte allgemeine Bedenken rechtfertigen nicht, sie nur in nichtehelichen Familien auszuschließen.
  • Es ist ein legitimes gesetzliches Ziel, eine Stiefkindadoption nur dann zuzulassen, wenn die Beziehung zwischen Elternteil und Stiefelternteil Bestand verspricht (vgl. auch Art. 7 Abs. 2 Satz 2 des Europäischen Übereinkommens vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert), BGBl II 2015 S. 2 <6>).
  • Der Gesetzgeber darf im Adoptionsrecht die Ehelichkeit der Elternbeziehung als positiven Stabilitätsindikator verwenden. Der Ausschluss der Adoption von Stiefkindern in allen nichtehelichen Familien ist hingegen nicht zu rechtfertigen. Der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lässt sich auf andere Weise hinreichend wirksam sichern.
  • Auch jenseits der Regelung von Vorgängen der Massenverwaltung kommen gesetzliche Typisierungen in Betracht, etwa wenn eine Regelung über ungewisse Umstände oder Geschehnisse zu treffen ist, die sich selbst bei detaillierter Einzelfallbetrachtung nicht mit Sicherheit bestimmen lassen. Die damit verbundene Ungleichbehandlung ist jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.