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Wechsel der Amtsvormundschaft beim Zuständigkeitswechsel des Jugendamtes
Tenor des Beschlusses
Das OLG Dresden hatte zu prüfen, ob ein Verbleib einer Amtsvormundschaft in einem nun nicht mehr zuständigen Jugendamt aus Kindeswohlgründen möglich ist oder wie weit die Vorschrift des § 87 c SGB VIII – örtliche Zuständigkeit – bindend ist. Der letzte Satz des Beschlusses macht die Meinung des OLG klar: „In Anbetracht der Gesamtumstände bleibt es daher auch hier bei dem von der überwiegenden Meinung aufgestellten Grundsatz, dass es dem Wohl eines Kindes in der Regel am besten entspricht wenn die Vormundschaft von dem Jugendamt geführt wird, in dessen Bezirk das Kind auf Dauer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“
Zusammenfassung des Beschlusses:
Das Mündel einer Vormündin des Jugendamtes Leipzig lebte einige Jahre in einer Pflegefamilie, bis es im August 2016 in eine Wohngruppe einer sozialpädagogischen therapeutischen Jugendhilfeeinrichtung überwechselte. Durch diesen Wechsel blieb das Jugendamt Leipzig - als Wohnort der Pflegeeltern - nicht mehr zuständig, sondern die Zuständigkeit wechselte auf den Salzlandkreis als Wohnort der Eltern des Kindes.
Die Vormündin des Jugendamtes Leipzig bat daraufhin beim Familiengericht um die Genehmigung, die Mündelkontakte auf alle zwei Monate zu reduzieren.
Anfang 2018 beantragte das Jugendamt der Stadt Leipzig die Entlassung des Jugendamtes im Hinblick auf den Aufenthaltswechsel und dem Mangel eines geeigneten Einzelvormundes die Übertragung der Vormundschaft auf das zuständige Jugendamt Bernburg.
Die Vormündin tritt diesem Antrag entgegen und gibt an, dass sie die Abgabe der Vormundschaft an ein anderes Jugendamt nicht als kindeswohldienlich ansehe.
Im April 2018 wird daraufhin der Antrag von der Rechtspflegerin auf Wechsel des Vormunds zurückgewiesen. Inzwischen hatte sich der Salzlandkreis grundsätzlich zur Übernahme der Vormundschaft bereitgefunden.
Auszüge aus dem Beschluss:
Zur Begründung führt sie (die Rechtspflegerin) aus, es sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, um zu ergründen, ob es dem Kindeswohl entspreche, einen Wechsel in der Vormundschaft zu veranlassen. Dies sei hier zu verneinen. ... habe vor dem Amtsgericht Bernburg deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er auf keinen Fall einen anderen Vormund bekommen möchte. Auch die Wohnbereichsleiterin habe eingeschätzt, dass ein Wechsel in der Person des Vormundes nicht kindeswohldienlich sei. Perspektivisch seien auch wieder Umgänge zur Herkunftsfamilie angedacht, so dass der Kontakt nach Leipzig gehalten werden müsse. Aufgrund des engen und innigen Verhältnisses zwischen ... und Frau ... sei der Antrag auf Wechsel der Vormundschaft abzulehnen.[ ….]
Die Frage, ob bei einem Aufenthaltswechsel des Mündels, der zur örtlichen Unzuständigkeit des bisherigen Jugendamts gemäß § SGB_VIII § 87 c Abs. SGB_VIII § 87C Absatz 3 SGB VIII führt, ein Ermessensspielraum des Amtsgerichts besteht, das mit einem Entlassungsantrag des bisherigen örtlichen Jugendamts befasst ist, ist umstritten:
Nach der bislang überwiegenden Meinung prüft das Familiengericht in einem solchen Fall nach §§ BGB § 1887, BGB § 1889 BGB unter Kindeswohlaspekten und nicht unter strenger Bindung an die Zuständigkeitsregelung des § SGB_VIII § 87 c Abs. SGB_VIII § 87C Absatz 3 Satz 3 SGB VIII, ob es den bisherigen Amtsvormund entlässt und ein anderes, ortsnäheres Jugendamt zum Vormund bestellt.
Nach anderer Auffassung besteht kein Ermessen in diesen Fällen, sondern das Familiengericht sei von vornherein an die örtliche Zuständigkeit gemäß § SGB_VIII § 87 c Abs. SGB_VIII § 87C Absatz 3 SGB VIII gebunden, da die Bestimmungen des SGB VIII – dies folge aus § SGB_VIII § 56 Abs. SGB_VIII § 56 Absatz 1 SGB VIII – als lex specialis dem BGB vorgingen.
Letztlich bedarf die Frage vorliegend indes keiner Entscheidung des Senats, da hier ein Abweichen von der Zuständigkeitsregelung des § SGB_VIII § 87 c Abs. SGB_VIII § 87C Absatz 3 SGB VIII nicht aus Gründen des Kindeswohls veranlasst ist:
Zwar haben die Ermittlungen des Amtsgerichts ergeben, dass ... zu Frau ... eine enge Bindung entwickelt hat und es aus seiner Sicht sowie aus Sicht alter Beteiligten daher grundsätzlich zu befürworten wäre, dass sie die Aufgaben der Vormundschaft fortführt. Auf der anderen Seite ist die Führung der Vormundschaft von Leipzig aus mit dem Hindernis der weiten räumlichen Entfernung belastet, weshalb Frau ... bereits um eine Reduzierung der persönlichen Besuche bei ... – auf alle 2 Monate – gebeten hat. Ein Mitarbeiter des ortsnäheren Jugendamtes könnte dagegen ... öfter besuchen und wäre auch im Eilfall schneller persönlich anwesend. Die Bestellung des ortsnahen Jugendamtes als Vormund würde zudem dem erklärten Ziel der Amtsvormundschaft entsprechen, ... möge lernen, sein Lebensumfeld im ... als dauerhaften Lebensmittelpunkt anzunehmen und zu akzeptieren. Frau ... stellt für ... ein Bindeglied zu Leipzig dar, zu seinem früheren Leben und der Pflegefamilie. Aus der objektiven Sicht des Kindes, das im ... einen Neuanfang starten soll, entspricht es seinem Wohl vor diesem Hintergrund objektiv besser, einen Vormund zu erhalten, dessen Person nicht mit der Vergangenheit verknüpft ist. Es sind schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ... aufgrund einer persönlichen Disposition einen Wechsel der Vormundschaft psychisch nicht zumutbar verkraften könnte und es daher geboten sein könnte, von der gemäß § SGB_VII § 87 c SGB VII grundsätzlich gebotenen Entlassung des Jugendamts Leipzig abzusehen. Mit dem Umzug nach ... hat man ... vielmehr bereits in ein komplett neues Lebensumfeld entlassen und mit dieser Entscheidung gezeigt, dass aus Sicht des Vormunds Vertrauen darin besteht, dass ... diesen Wechsel, der seine gesamten Lebensumstände betrifft, bewältigen kann. Vor diesem Hintergrund ist es ihm auch zuzutrauen, dass er einen Wechsel in der Person des Vormunds, auch wenn dies anfangs möglicherweise schwierig ist, verkraften wird, zumal seine engsten Bezugspersonen, seine Betreuer und Erzieher, sich ohnehin in seinem neuen Umfeld befinden, zu denen er alltäglich Kontakt hat und die mit ihm seinen Alltag leben. Letztlich muss bei der zu treffenden Abwägung auch in den Blick genommen werden, dass ... einen rechtlich gesicherten Anspruch darauf, dass Frau ... weiterhin die Aufgaben der Vormundschaft ausübt, selbst dann nicht hat, wenn das Jugendamt Leipzig weiterhin Vormund bliebe: Denn die Übertragungsentscheidung nach § SGB_VIII § 55 Abs. SGB_VIII § 55 Absatz 2 SGB VIII steht als behördeninterner Verwaltungsakt im behördlichen Ermessen. Sie kann so theoretisch auch gegen den Willen des Mündels erfolgen (vgl. Staudinger/Veit, BGB, 2014, § 1791 b Rdn. 18). Nach Aktenlage hat hier auch bereits ein solcher Wechsel der zuständigen Mitarbeiterin stattgefunden: Den Bericht vom 10.05.2013 hat noch Frau ... als zuständige Mitarbeiterin nach § SGB_VIII § 55 SGB VIII unterzeichnet. Frau ... trat gegenüber dem Amtsgericht erstmals mit Bericht vom 20.06.2014 (Bl. 30 ff. d.A.) in Erscheinung.
In Anbetracht der Gesamtumstände bleibt es daher auch hier bei dem von der überwiegenden Meinung aufgestellten Grundsatz, dass es dem Wohl eines Kindes in der Regel am besten entspricht wenn die Vormundschaft von dem Jugendamt geführt wird, in dessen Bezirk das Kind auf Dauer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Die rechtliche Grundlage
Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163)
§ 87c Örtliche Zuständigkeit für die Beistandschaft, die Amtspflegschaft, die Amtsvormundschaft und die Bescheinigung nach § 58a
(1) Für die Vormundschaft nach § 1791c des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wurde die Vaterschaft nach § 1592 Nummer 1 oder 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch Anfechtung beseitigt, so ist der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter zu dem Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Entscheidung rechtskräftig wird. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt der Mutter nicht festzustellen, so richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach ihrem tatsächlichen Aufenthalt.
(2) Sobald die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich eines anderen Jugendamts nimmt, hat das die Amtsvormundschaft führende Jugendamt bei dem Jugendamt des anderen Bereichs die Weiterführung der Amtsvormundschaft zu beantragen; der Antrag kann auch von dem anderen Jugendamt, von jedem Elternteil und von jedem, der ein berechtigtes Interesse des Kindes oder des Jugendlichen geltend macht, bei dem die Amtsvormundschaft führenden Jugendamt gestellt werden. Die Vormundschaft geht mit der Erklärung des anderen Jugendamts auf dieses über. Das abgebende Jugendamt hat den Übergang dem Familiengericht und jedem Elternteil unverzüglich mitzuteilen. Gegen die Ablehnung des Antrags kann das Familiengericht angerufen werden.
(3) Für die Pflegschaft oder Vormundschaft, die durch Bestellung des Familiengerichts eintritt, ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich das Kind oder der Jugendliche seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat das Kind oder der Jugendliche keinen gewöhnlichen Aufenthalt, so richtet sich die Zuständigkeit nach seinem tatsächlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Bestellung. Sobald das Kind oder der Jugendliche seinen gewöhnlichen Aufenthalt wechselt oder im Fall des Satzes 2 das Wohl des Kindes oder Jugendlichen es erfordert, hat das Jugendamt beim Familiengericht einen Antrag auf Entlassung zu stellen. Die Sätze 1 bis 3 gelten für die Gegenvormundschaft des Jugendamts entsprechend.
(4) Für die Vormundschaft, die im Rahmen des Verfahrens zur Annahme als Kind eintritt, ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich die annehmende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(5) Für die Beratung und Unterstützung nach § 52a sowie für die Beistandschaft gilt Absatz 1 Satz 1 und 3 entsprechend. Sobald der allein sorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich eines anderen Jugendamts nimmt, hat das die Beistandschaft führende Jugendamt bei dem Jugendamt des anderen Bereichs die Weiterführung der Beistandschaft zu beantragen; Absatz 2 Satz 2 und § 86c gelten entsprechend.
(6) Für die Erteilung der Bescheinigung nach § 58a Absatz 2 gilt Absatz 1 entsprechend. Die Mitteilungen nach § 1626d Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Mitteilungen nach § 155a Absatz 3 Satz 3 und Absatz 5 Satz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie die Mitteilungen nach § 50 Absatz 3 sind an das für den Geburtsort des Kindes oder des Jugendlichen zuständige Jugendamt zu richten; § 88 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Das nach Satz 2 zuständige Jugendamt teilt auf Ersuchen dem nach Satz 1 zuständigen Jugendamt mit, ob Eintragungen im Sorgeregister vorliegen.