Sie sind hier
Hilfe für junge Volljährige in einer Vollzeitpflege über das 21.Lebensjahr hinaus
Themen:
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Kläger wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. aus C. bewilligt.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
GründeDie Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache begründet.
Die Klage bietet die nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist davon auszugehen, dass sich der Ausgang des Klageverfahrens, mit dem der Kläger vom Beklagten die Weitergewährung von Hilfe für einen jungen Volljährigen nach § 41 Abs. 1 SGB VIII in der Ausgestaltung als Vollzeitpflege gem. § 41 Abs. 2 i. V. m. § 33 SGB VIII über das 21. Lebensjahr hinaus erstrebt, zumindest als offen darstellt.
Die Hilfe nach § 41 SGB VIII setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
vgl. Urteil vom 23. September 1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325 = FEVS 51, 337,
nicht voraus, dass Aussicht besteht, dass der junge Volljährige bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres seine Verselbständigung erreichen wird. Vielmehr genügt es, wenn die Hilfe eine erkennbare Verbesserung der Persönlichkeitsentwicklung und Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung erwarten lässt. Eine Prognose dahin, dass die Befähigung zu eigenverantwortlicher Lebensführung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder bis zu einem begrenzten Zeitpunkt darüber hinaus überhaupt erreicht wird, verlangt § 41 SGB VIII nicht. Zwar ist es Aufgabe und Zielrichtung der Hilfe für junge Volljährige, deren Persönlichkeitsentwicklung und Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensführung zu fördern, und es soll die Hilfe solange wie notwendig, aber in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt werden. Doch ist weder dem Wortlaut noch der Systematik oder dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu entnehmen, dass ein Anspruch auf Hilfe nur gegeben ist, wenn Aussicht besteht, dass mit der Hilfe eine Verselbständigung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder bis zu einem begrenzten Zeitpunkt darüber hinaus überhaupt erreicht werden kann. Da die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden soll, ist der Abschluss einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bzw. die Verselbständigung mit der Befähigung zu eigenverantwortlicher Lebensführung bis zu den genannten Zeitpunkten lediglich das - soweit möglich - anzustrebende Optimum. Nach § 41 SGB VIII soll dem jungen Volljährigen Hilfe "für die Persönlichkeitsentwicklung" und "zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung" gewährt werden. Sie ist also nicht notwendig auf einen bestimmten Entwicklungsabschluss gerichtet, sondern auch schon auf einen Fortschritt im Entwicklungsprozess bezogen.
Vgl. zu dem Vorstehenden auch: OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2007 - 12 A 2742/07 -.
Dass in diesem Sinne die begehrte Hilfe aufgrund der individuellen Situation des Klägers notwendig ist, um einen Fortschritt im Entwicklungsprozess des Klägers auch über das 21. Lebensjahr hinaus zu bewirken, kann auf der Grundlage der im Klageverfahren zu berücksichtigenden Stellungnahme der Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung F. U. vom 26. Mai 2008 nicht ausgeschlossen werden. Danach besteht die begründete Erwartung, dass der Kläger "innerhalb der BBB-Massnahme weiterhin Vertrauen in sich selbst und zu seiner Umgebung findet, seine Sozialkompetenz erweitert, seine manuellen und kognitiven Fähigkeiten weiter ausbaut, um am Ende der Bildungsmaßnahme angstfreier und selbstbewusster in einen Werkstattbereich von Q. wechseln zu können", wobei die Realisierung dieses
- auch über den 3. April 2008 hinauswirkenden - dokumentierten Entwicklungspotentials "nur in enger Zusammenarbeit zwischen dem vertrauten Pflegeelternhaus und den Mitarbeitenden des Berufsbildungsbereichs möglich" sei. Dass die Betreuung in einer Pflegefamilie, aus deren sicheren Schutz heraus der Kläger seine ersten Schritte zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Berufsbildungsmaßnahme gemacht hat, wesentliche Grundlage für die sich laut Bericht vom 26. Mai 2008 abzeichnende positive Persönlichkeitsentwicklung gewesen ist, liegt angesichts seiner - im Protokoll des Hilfeplangespräches vom 9. Mai 2007 und in der Vorlage zur kollegialen Beratungskonferenz vom 12. März 2008 zum Ausdruck kommenden - Angst vor Veränderungen und insbesondere einem Verlust der Pflegefamilie als Ort, der ihm Sicherheit gibt, auch nicht fern.
Wenn demgegenüber in einem zeitlich früheren Protokoll der kollegialen Beratungskonferenz vom 12. März 2008 als Ergebnis festgehalten wird, dass bei E. eindeutig eine geistige Behinderung vorliege und "somit" keine Weiterentwicklung in Richtung Verselbständigung sichtbar sei, kennzeichnet dies lediglich die letztlich ungeklärte und damit offene Sachverhaltsfrage. Dass bisher keine fachärztliche Stellungnahme dazu eingeholt worden ist, ob aus damaliger Sicht die Chance auf eine spürbare Zunahme seiner Selbständigkeit bestanden hat, darf nicht zu Lasten des Klägers gehen.
Dass sich aus der Stellungnahme aus den von C2. B. C3. vom 26. Mai 2008 nicht ergibt, dass der Kläger für die dort zum Ausdruck gekommenen Verselbständigungsschritte gerade auf die jugendhilferechtliche Hilfe für junge Volljährige in Form der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII angewiesen ist, steht der Annahme, dass ein Anspruch auf eine derartige Hilfe für einen jungen Volljährigen nach § 41 SGB VIII in Betracht kommt, nicht entgegen. Die Hilfe muss - wie bereits dargelegt - zur Förderung des Entwicklungsprozesses aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig, aber auch - wiederum bezogen auf den Hilfszweck - geeignet sein. Sie muss aber lediglich geeignet sein, die Förderungsentwicklung und Fähigkeit eigenverantwortlicher Lebensführung zu fördern.
So auch Bay. VGH, Urteil vom 24. Mai 2006 - 12 B 04.1227 -, Juris; OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 1997 - 16 B 3118/96 -, FEVS 47, 505.
Eignung und Notwendigkeit können - wie ebenfalls bereits oben ausgeführt - nicht ausgeschlossen werden und bleiben einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Bei dieser Ausgangslage scheidet ein Anspruch des Klägers auf Hilfe für einen jungen Volljährigen nach § 41 Abs. 1 SGB VIII in Form der Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII auch nicht mit hinreichender Sicherheit von vornherein nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII aus. Nach dieser Vorschrift gehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Es spricht viel dafür, dass nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nur ein Vorrang im Hinblick auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilferecht besteht, während andere Leistungen der Jugendhilfe dadurch nicht ausgeschlossen werden.
Vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. Oktober 1997 - 12 L 549/97 -, FEVS 48, 281; siehe zum Verhältnis von § 33 SGB VIII zur Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilferecht auch: Bay. VGH, Beschluss vom 24. Mai 1993 - 12 CE 93.703 -, FEVS 44, 258 (262).
Die Konkurrenzregel setzt nämlich grundsätzlich eine doppelte Leistungspflicht voraus, wobei die Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sein müssen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999
- 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325.
Schon die notwendige Deckungsgleichheit zwischen der vom Sozialhilfeträger Landschaftsverband X. als Eingliederungsmaßnahme nach § 53 SGB XII angebotenen Familienpflege und der - aus dem Katalog der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII stammenden Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII - lässt sich hier nicht ohne weiteres feststellen.
Zudem versteht der Landschaftsverband X. die Familienpflege nach Maßgabe seiner Richtlinien für die Familienpflege erwachsener behinderter Menschen in der Fassung vom 20. April 2005 als Hilfe auf freiwilliger Basis, auf die kein Anspruch besteht und die den Leistungen der Jugendhilfe nach § 41 SGB VIII vorgehen, so dass auch insoweit das nach § 10 Abs. 4 SGB VIII erforderliche Konkurrenzverhältnis ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären ist.
Im Übrigen hätte ein Nachrang der Jugendhilfe nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfesuchenden und dem Jugendhilfeträger. Denn ein Nachrang der Jugendhilfe bewirkt auf der Ebene der Verpflichtungen zum Hilfesuchenden keine Freistellung des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers und damit auch keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers; vielmehr ist der Vorrang nur für die Kostenerstattung zwischen dem Jugendhilfeträger und dem Sozialhilfeträger von Bedeutung.
Vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 2007
- 4 LB 90/07 -, EuG 2008, 119.
Der Kläger hat mit seiner zu den Akten gereichten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen in einer den Anforderungen des § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 und 4 ZPO genügenden Weise dargelegt, dass er nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung ganz, zum Teil oder in Raten aufzubringen.
Die Beiordnung des Rechtsanwalts beruht auf § 166 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 188 Satz 2 Halbsatz 1, 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gem. §152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar