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Die Geschichte der Pflegekinderhilfe seit 1945

Die dritte Teilveröffentlichung aus der Bachelorarbeit der Autorin. Hierin beschreibt sie die Entwicklung der Pflegekinderhilfe der letzten 75 Jahre sowohl in der DDR, als auch in der Bundesrepublik.

Die Entstehung der Pflegekinderhilfe nach dem zweiten Weltkrieg knüpfte an die letzten Jahre der Weimarer Republik an. Kinder und Jugendliche hatten unter dem Krieg besonders gelitten. Zu unvollständigen Familienverhältnissen oder Verwaisung kamen Hunger und Armut, fehlende Bildungsmöglichkeiten oder Obdachlosigkeit. (vgl. Stolleis, M., 2003 S. 230)

Die Problembereiche der Gesamtbevölkerung lagen in illegalen Bereichen, wie Prostitution, Schwarzmarkt und Schmuggel. Eine weitereHerausforderung waren staatliche Themen, die auf dem Kriegsverschulden Deutschlands beruhten, welche zu einer Staatstrennung von Ost-und Westdeutschland führten. (vgl. Stolleis, M., 2003, S. 214 ff.)

In der Nachkriegszeit der BRD übernahmen karitative Einrichtungen die Wohlfahrtspflege. Aus staatlicher Sicht war die Pflegekinderhilfe eine kostengünstigere Alternative zur Heimunterbringung, da eine Pflegschaft hauptsächlich im Eigeninteresse der Pflegeeltern an Transferleistungen sind Zahlungen ohne Gegenleistung an private Haushalte oder andere Institutionen. (vgl. Huster, E.-U., 2018, S.1271) einem eigenen Kind gesehen wurde (vgl. Blandow, J., 2010, S. 33). Pflegeverhältnisse waren grundsätzlich auf Dauer angelegt, mit nur unumgänglicher Berücksichtigung der Bedürfnisse nach Umgang zwischender Herkunftsfamilie und den Kindern. Die Ergänzung des 1946 entstandenen Kinder-und Jugendhilfegesetz in der jungen BRD erfolgte auf Basis des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922. Es nahm zwar keinen Einzug in das Grundgesetz, wurde jedoch zu einer notdürftigen Rechtsgrundlageund Handlungsfähigkeit für das Jugendamt (vgl. Stolleis, M., 2003, S. 231 ff.).

Mit Einführung der Grundrechte wurden für die Bevölkerung Institutionsgarantien geschaffen, die sich deutlich von den Gesetzen des NS-Regimes unterschieden. Das Kinder-und Jugendhilfegesetz garantierte nach außen hin eine grobe Ordnung. Das Familienrecht wurde im Grundgesetz gestärkt (vgl. Stolleis, M. 2003, S. 231).

Der Schwerpunkt der Hilfen war eng an strenge Moralvorschriften gebunden und diente in erster Linie dem Zweck bessere Eltern für verwahrloste oder in Heimen untergebrachte Kinder zu finden (vgl. Blandow, 2010, S. 31, S. 33). Da die Väter zum Teil kriegsbedingt kein fester Bestandteil der Elternschaft waren oder die Vaterschaft schlecht nachgewiesen werden konnte, konzentrierte sich die Kritik zum größten Teil auf die alleinstehenden Mütter (vgl. Blandow,J., 2011, S. 31, S. 33).

Bis zur größeren Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes in den 1960er und 1970er Jahren versuchte der Gesetzgeber verbesserte Bedingungen für Rechtsgrundlagen der Jugendämter zu schaffen. Es wurden Fördermittel für Ausbildung, Heimunterbringung, Eingliederungshilfe und anderen Bereichen periodisch zur Verfügung gestellt (vgl. Stolleis, M., S. 232 ff.). Der Staat nahm Bereinigungen im Adoptionsrecht vor und widmete sich der Gefahrenabwehr, indem er Gesetze zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und gegen Verbreitung Jugendgefährdender Schriften beschloss (vgl. Stolleis, M., S.232).

Die erste Reform in der Bundesrepublik Deutschland, welche 1962 erlassen wurde, basierte auf vorangegangenen öffentlichen Diskussionen und praktischen Fortschrittsabsichten der Jugendämter. Jedoch wurde der Schwerpunkt eher auf der unausgegorenen Verbesserung verwaltungstechnischer und finanzieller Probleme gesetztals auf der Anwendung pädagogischer Elemente. In den darauffolgendenJahren blieben die öffentlichen Diskussionen und die Kritik an der Gesetzesreform nicht aus. (vgl. Stolleis, M., S.233 ff)

Speziell die Studentenbewegung in den 1970er Jahren brachten hoch angesetzte Hoffnungen, die in die Praxis umgesetzt werden sollten (vgl. Stolleis, M., S. 235). Man forderte erfolgreich einen Paradigmenwechsel in der Kinder-und Jugendhilfe, der speziell Pflegefamilien als überlegende Chance zu Heimen für Kinder machte. Dabei spielten die finanziellen Einsparungen des Staates von Pflegefamilien eine Rolle, aber auch die wissenschaftliche Adaption der Kleinkindforschung wollte berücksichtigt werden (vgl. Blandow, J. 2010, S. 33).

Die 1980er Jahre der BRD brachten gesellschaftliche Veränderung in den Lebensformen und auch in der moralischen Auffassung der individuellen Lebensgestaltung. Familien aus sozial schwächer gestellten Schichten oder in schwierigen familiären Situationen hatten mit einem Mal Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. Die Herkunftsfamilie, welche bislang im Pflegekinderwesen weniger Prioritäten hatte, wurde mit einem Mal als das Mittel zur Verbesserung der Lebensverhältnisse für Kinder in Familienpflege entdeckt (vgl. Blandow, J., 2010, S. 34).

Mit der Einführung des Kinder-und Jugendgesetzes von 1990/1991 existierte nicht nur ein neuer Blick auf die Herkunftsfamilie,sondern auch eine andere Auffassung der Sozialpolitik, die fördernd und fordernd zu gleichen Teilen sein sollte (vgl. Blandow, J., 2010, S. 36, Stolleis, M., 2003, S.236).

„Neue Optionen für die Jugendhilfe mit Konsequenzen auch für den Pflegekinderbereich finden sich insbesondere in den sich entwickelnden Frühen Hilfen, in verstärkten Bemühungen des Kinderschutzes, in Programmen der Elternbildung für mit der Erziehung überforderte Mütter und Väter, in sogenannten Familienaktivierungskonzepten, unterstützten Besuchskontakten von Eltern und gelegentlich schon in Projekten »Aufsuchender Familientherapie«, in denen entweder auf die gezielte Rückführung von Kindern in ihre Herkunftsfamilie hingearbeitet wird, oder die Pflegefamilie familientherapeutisch beraten wird.“ (Blandow, J. 2010, S.36)

Die Entwicklung der Pflegekinderhilfe in der DDR erfolgte parallel zum Geschwisterstaat BRD weniger prioritär. Eine familienersetzende Maßnahme war eine eher nachrangige Hilfe des sozialistischen Staates (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 37). Die in der BRD geführte Bezeichnung des Sorgerechtes, war mit dem in der DDR geführten Begriffs Erziehungsrecht gleichzusetzen (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S.42).

Ungenügende elterliche Erziehungskompetenzen und Fürsorge wurde von anderen staatlichen Trägern ersetzt. Familienergänzende oder Familienunterstützende Leistungen waren wichtiger, um die Bedeutung der sozialistischen Staatsstruktur herauszubilden. In der Jugendhilfeverordnung hatte die örtliche Jugendhilfekommission die Aufgabe bei bekanntwerdendem offenkundigem gänzlichem Versagenvon Elternschaft ein geeignetes Kollektiv zu finden, welches dem „familiengelösten“ Minderjährigen eine neue „soziale Verwurzelung“ ermöglicht (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 37).

Bei der Auswahl an Pflegepersonen wurden vollständige Familien bevorzugt, welche für die Interessen des „Arbeiter-und Bauernstaates“ eintraten und das Kind im ideologischen Sinne der gesellschaftlichen Interessen des sozialistischen Staates erzogen (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 38). Für Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten wurden Heime jedoch als geeigneter angesehenals Privathaushalte.

In den 70er Jahren kam es zu inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem sozialistischen Unterbringungskonzept. Verstärkt sollte die Fremdunterbringung als vorübergehende Maßnahme in einem Zeitraum von 6 –18 Monaten von Pflegern übernommen werden.

Das Alter des Kindes war für die Dauer der Maßnahme entscheidend (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 38). Eine längere Unterbringung von Kindern unter 1,5 Jahren und bis zu 6 Jahren hätte eine zu starke Verwurzelung zufolge gehabt und die Zeitweiligkeit der Hilfe wäre damit aufgehoben worden. Die beauftragten Bürger*innen hatten nicht nur die Aufgabe ein Kind zeitweilig aufzunehmen, sondern auch die Rückkehr zur Herkunftsfamilie vorzubereiten und an einer Verbesserung deren Lebensgestaltung mitzuwirken (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 38).

Die Diskussionen über dieses Konzept gingen jedoch weiter. Man erkannte im sozialistischen Pflegekinderwesen der DDR die Schwierigkeit der Pflegefamilien als auch Herkunftsfamilien in der gegenseitigen Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit im Interesse des Kindes (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 38).

Der Diskussion lag eine klare objektive Sicht auf beide Familien und auch auf dem Kind zugrunde, welche die unterschiedlichen Milieus, die unterschiedlichen Erziehungskompetenzen und auch die starke emotionale Bindung an die Pflegefamilie erkannte (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 39).

Die daraus resultierende Unterbringung und Bevorzugung von Heimerziehung auch für Kleinkinder waren die Folge, um der Komplexität dieser Konflikte nicht nachgehen zu müssen. Dies führte jedoch zu einem erhöhten Anstieg der Gesundheitsfürsorge wegen Entwicklungsverzögerungen. Daraus folgte eine wechselseitige Bevorzugung von Heimerziehung und Familienerziehungsowie das Einsetzen von Familienpatenschaften in der Fremdunterbringung. Die Vorzüge lagen jedoch klar auf der Heimerziehung, da die staatliche Einflussnahme auf die Entwicklung, Prägung und Erziehung der Kinder höher gewertet wurde und die soziale Verwurzelung auf Zeit, Unsicherheitsfaktoren in der Rückführung sowie der schlechte Kontakt zur Herkunftsfamilie von Seiten der Pflegefamilie als nachteilig für die Kinder angesehen wurden (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 38).

Die Gewöhnung des Kindes an die soziale Familie und der immer vorgesehene schmerzliche Verlust dieser wurde im sozialistischen System klar erkannt und als wenig förderlich für das Kind angesehen. Die Hilfestellung der Herkunftsfamilie sollte durch Heimangestellte besser gewährleistet werden. Die nachrangige Fremdunterbringung wurde jedoch als vorbereitungs-und unterstützungswürdig eingestuft, sollte jedoch im Falle einer dauerhaften Unterbringung bevorzugt in der Verwandtenpflege erfolgen (vgl. Ristau-Grzebelko, B., 2010, S. 39 –42).

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In ihrer Bachelorarbeit "Das Konzept der Pflegekinderhilfe in der Bundesrepublik Deutschland - Autonomie und Chancengleichheit von Pflegekindern ein phänomenales Anliegen an den Sozialstaat" beschäftigt sich die Autorin mit der Entwicklung und den Bedingungen der Pflegekinderhilfe, mit besonderem Blick auf die Bedingungen für die Pflegekinder und und deren Pflegeeltern. Mit Erlaubnis der Autorin können wir Teile der Bacherlorarbeit in verschiedenen Abschnitten veröffentlichen.
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Eine zweite Teilveröffentlichung aus der Bachelorarbeit "Das Konzept der Pflegekinderhilfe in der Bundesrepublik Deutschland - Autonomie und Chancengleichheit von Pflegekindern ein phänomenales Anliegen an den Sozialstaat" der Autorin, in der sie sich mit Geschichte, Entwicklung und Bedingungen der Pflegekinderhilfe auseinandersetzt.
Letzte Aktualisierung am: 
20.06.2022