Umfang der Heranziehung von Jugendlichen aus ihrem Arbeitseinkommen
Ein Rechtsgutachten des DIJuF zur Heranziehung Jugendlicher zu den Kosten stationärer Leistungen aus ihrem Arbeitsentgelt. Müssen junge Menschen aus Ferien- oder Freizeitjobs von ihrem verdienten Geld an die Jugendhilfe Geld abtreten? Wenn ja, wie viel?
Das Erheben von Gebühren und Beiträgen setzt generell eine gesetzliche Grundlage voraus. Eine solche findet sich bezogen auf die Heranziehung eines Jugendlichen zu den Kosten für stationäre Leistungen in § 94 Abs. 6 S. 1 SGB VIII.
Die KostenbeitragsVerordnung findet gegenüber Jugendlichen, die vollstationär untergebracht sind, keine Anwendung. Nach der Regelung in § 94 Abs. 6 S. 1 SGB VIII haben junge Menschen
bei vollstationären Leistungen nach Abzug der in § 93 Abs. 2 SGB VIII genannten Beträge, also nach Berechnung des sog. bereinigten Einkommens, 75 % ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Die Möglichkeit der gesonderten Berücksichtigung der Abzugsmöglichkeiten nach § 93 Abs. 3 SGB VIII scheidet daneben aus (LPK-SGB VIII/Böttcher, 6. Aufl. 2016, SGB VIII § 94 Rn. 25).
Allerdings sind die in § 93 Abs. 3 SGB VIII genannten Aufwendungen meist als Bedarf iSd § 39 SGB VIII anzuerkennen und entsprechende Geld- oder Sachleistungen zu gewähren sein, etwa im Hinblick auf die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben wie Fahrtkosten in Gestalt einer Monatskarte für den regionalen Verkehrsverbund oder Arbeitskleidung (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 93 Rn. 23; FK-SGB VIII/Schindler, 7. Aufl. 2013, SGB VIII § 94 Rn. 15). Zudem ist der Barbetrag zur persönlichen Verfügung weiterhin als Bestandteil der Leistungen für den Lebensunterhalt nach § 39 SGB VIII zu gewähren (Wiesner/Loos SGB VIII, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 94 Rn. 26).
Nach § 94 Abs. 6 S. 2 SGB VIII kann ein niedrigerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. § 94 Abs. 6 S. 3 SGB VIII konkretisiert diese Tätigkeiten.
Von einer Erhebung kann danach insbesondere (teilweise) abgesehen werden, wenn ...
Von einer Erhebung kann danach insbesondere (teilweise) abgesehen werden, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale und kulturelle Engagement im Vordergrund steht, etwa im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres. Letztlich dient jede Tätigkeit, bei der der junge Mensch Eigenverantwortung übernimmt, soziale Kompetenzen erwirbt oder die zu seiner Verselbstständigung beitragen, dem Zweck der Leistung. Daher kann auch die Tätigkeit als Zeitungsbote zur Finanzierung des Führerscheins privilegiert sein (Wiesner/Loos SGB VIII § 94 Rn. 27).
Eine engere Auslegung des Begriffs der privilegierten Tätigkeit bzw eine engere Ermessensausübung fördert letztlich die Verselbstständigung und das Erlernen eines eigenverantwortlichen Umgangs mit finanziellen Mitteln nicht (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 94 Rn. 25).
Fraglich ist, ob die Regelung nicht letztlich zu einem hohen Verwaltungsaufwand ohne erkennbaren zusätzlichen Nutzen führt (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 94 Rn. 25). In diesem Sinn fordert etwa der Landesheimrat Bayern eine weitergehende pauschale Entlastung junger Menschen in der stationären Jugendhilfe. Nach seiner Auffassung sollte die Heranziehung den Anteil von 50 % des Einkommens keinesfalls überschreiten. Außerdem sollte ein Freibetrag von 250 EUR im Monat im Eigentum und zur freien Verfügung des jungen Menschen verbleiben. www.landesheimrat.bayern.de/themen/kosten/index.php
In den Empfehlungen der Landesjugendämter zur Heranziehung fehlen meistens Ausführungen zur Ermessensausübung. Relativ ausführlich befassen sich die „Empfehlung zur Berechnung von Kostenbeiträgen nach §§ 91 bis 94 SGB VIII und die Überleitung von Ansprüchen nach § 95 SGB VIII“ vom 2.12.2015 des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (Stand: 1.1.2016) unter 94.03.01 mit der Heranziehung.
Diese seien im Folgenden zitiert:
Junge Menschen haben ihr Einkommen nach Bereinigung gemäß § 93 Abs. 2 in Höhe von 75 v. H. als Kostenbeitrag einzusetzen. […] Dies bedeutet, dass nach der vorgeschriebenen Bereinigung des Einkommens ein Pauschalbetrag in Höhe von 25 v. H. des nach § 93 Abs. 2 bereinigten Nettoeinkommens belassen wird.
Stammt das Einkommen junger Menschen aus einer Tätigkeit, die in besonderem Maße dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient, kann von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise abgesehen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Erzielung des Einkommens verbunden ist mit der Übernahme eigener Verantwortung und Verselbständigung, dem Erwerb sozialer Kompetenzen oder insbesondere bei ehrenamtlichem sozialen
oder kulturellen Engagement.
Berufsbedingte Aufwendungen nach § 93 Abs. 3 Nr. 2 sind im Rahmen der Sicherstellung des Lebensunterhaltes des jungen Menschen vom Jugendhilfeträger zu übernehmen (siehe Gesetzesbegründung zur Änderung des § 94 Abs. 6). In Einzelfällen kann es angezeigt sein, aus pädagogischen Gründen einen weiteren Teil aus Erwerbseinkommen/Ausbildungsvergütung zu belassen. Wäre das Ziel der Hilfe durch die Erhebung eines Kostenbeitrags konkret gefährdet, ist im Regelfall von der Erhebung abzusehen.
Nach Auffassung des Instituts legen auch diese Empfehlungen bereits eine Ermessensausübung nahe, bei der dem jungen Menschen mehr als 25 % seines Verdiensts verbleibt.
II. Art und Weise der Heranziehung von Jugendlichen aus ihrem Arbeitseinkommen
Die Heranziehung zu den Kosten hat auch gegenüber einem jungen Menschen durch Erhebung eines Kostenbeitrags zu erfolgen, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird (§ 92 Abs. 2 SGB VIII). Wie jeder Verwaltungsakt ist der Bescheid bekanntzugeben. Die Bekanntgabe hat dabei gegenüber dem/der gesetzlichen Vertreter/in eines minderjährigen jungen Menschen zu erfolgen, da sich die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit nach § 36 SGB I nicht auf die Entgegennahme belastender Verwaltungsakte bezieht (LPK-SGB VIII/
Böttcher SGB VIII § 92 Rn. 11).
Der den jungen Menschen zu den Kosten seiner Unterbringung heranziehende Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat weder gegenüber dem jungen Menschen selbst – wenn dieser überhaupt insoweit als geschäftsfähig anzusehen ist, da sein/e gesetzliche/r Vertreter/in ihn insoweit ermächtigte – noch gegenüber dem/der gesetzlichen Vertreter/in des Jugendlichen einen Anspruch darauf, dass der Jugendliche seinen Arbeitgeber bittet, das Entgelt unmittelbar an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu überweisen. Für ein diesbezügliches Verlangen ist keine Rechtsgrundlage erkennbar.
Quelle: JAmt 2016, 471 bzw. JAmt 2016, 489 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF), Heidelberg, www.dijuf.de.
Das DIJuF hat u.a. auch zu den Paragrafenvorschlägen der SGB VIII-Reform, die die Pflegekinder betreffen, Gegenüberstellungen der aktuellen und der neu geplänten Gesetzeslage erarbeitet.
Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht - DIJuF - veröffentlichte am 15. April eine Stellungnahme zu den Beschlüssen von Gerichten zu der Frage, ob Corona-Maßnahmen in Schulen eine Kindeswohlgefährdung bedeuten würden. Das DIJuF teilt dazu mit: "Corona-Maßnahmen an Schulen beinhalten keine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und befugen Familiengerichte nicht zur Anordnung einer Befreiung gegenüber der Schule nach § 1666 Abs. 4 BGB"
Das DIJuF hat ausführliche kritische Hinweise erarbeitet, die Veränderungen bei Inkrafttreten des Kindeschutzgesetzes nach dem bisheringen Referentenentwurf aufzeigen.
Sowohl nach § 93 SGB VIII als auch nach § 83 SGB XII zählen Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklichen Zweck erbracht werden, nicht zum Einkommen. Der Kinderbonus wird eindeutig aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift erbracht.
Die vorliegende Expertise wurde im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (Koordinierungsstelle des Bundesforums Vormundschaft und Pflegschaft) vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF e. V.) und vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS e. V.) erstellt. Ein Kind hat ein Recht auf Umgang mit seinen Eltern nach § 1684 BGB. Eltern haben nicht nur ein Recht auf Umgang mit ihrem Kind, sondern auch die Pflicht. Bei Kindern unter Vormundschaft stellt sich die Frage, wer in welcher Form für die Planung und Vorbereitung, Gestaltung und ggf. Begleitung des Umgangskontaktes mit den Eltern (oder anderen Angehörigen) oder aber für einen Ausschluss des Umgangs verantwortlich ist, da im Falle von Kindern und Jugendlichen unter Vormundschaft mehrere Institutionen und Fachkräfte in den Hilfeprozess und Hilfeplan involviert sind.
Das DIJuF hat das Arbeitspapier "KJSG: Umsetzungsaufgaben der Jugendämter" erarbeitet. In dem Arbeitspapier fasst das DIJuF die Aufgaben zusammen, die von den Jugendämtern nach dem KJSG in die Praxis umgesetzt werden müssen.
Das SGB VIII hat als Bundesgesetz in einigen seiner Paragrafen "Landesrechtsvorbehalte" vorgeschrieben. Dies bedeutet, dass die jeweiligen Bundesländer explizit benannte Teile eigenständig regeln können.
von:
Umfang der Heranziehung von Jugendlichen aus ihrem Arbeitseinkommen
Themen:
Das Erheben von Gebühren und Beiträgen setzt generell eine gesetzliche Grundlage voraus. Eine solche findet sich bezogen auf die Heranziehung eines Jugendlichen zu den Kosten für stationäre Leistungen in § 94 Abs. 6 S. 1 SGB VIII.
Die KostenbeitragsVerordnung findet gegenüber Jugendlichen, die vollstationär untergebracht sind, keine Anwendung. Nach der Regelung in § 94 Abs. 6 S. 1 SGB VIII haben junge Menschen
bei vollstationären Leistungen nach Abzug der in § 93 Abs. 2 SGB VIII genannten Beträge, also nach Berechnung des sog. bereinigten Einkommens, 75 % ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Die Möglichkeit der gesonderten Berücksichtigung der Abzugsmöglichkeiten nach § 93 Abs. 3 SGB VIII scheidet daneben aus (LPK-SGB VIII/Böttcher, 6. Aufl. 2016, SGB VIII § 94 Rn. 25).
Allerdings sind die in § 93 Abs. 3 SGB VIII genannten Aufwendungen meist als Bedarf iSd § 39 SGB VIII anzuerkennen und entsprechende Geld- oder Sachleistungen zu gewähren sein, etwa im Hinblick auf die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben wie Fahrtkosten in Gestalt einer Monatskarte für den regionalen Verkehrsverbund oder Arbeitskleidung (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 93 Rn. 23; FK-SGB VIII/Schindler, 7. Aufl. 2013, SGB VIII § 94 Rn. 15). Zudem ist der Barbetrag zur persönlichen Verfügung weiterhin als Bestandteil der Leistungen für den Lebensunterhalt nach § 39 SGB VIII zu gewähren (Wiesner/Loos SGB VIII, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 94 Rn. 26).
Nach § 94 Abs. 6 S. 2 SGB VIII kann ein niedrigerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. § 94 Abs. 6 S. 3 SGB VIII konkretisiert diese Tätigkeiten.
Eine engere Auslegung des Begriffs der privilegierten Tätigkeit bzw eine engere Ermessensausübung fördert letztlich die Verselbstständigung und das Erlernen eines eigenverantwortlichen Umgangs mit finanziellen Mitteln nicht (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 94 Rn. 25).
Fraglich ist, ob die Regelung nicht letztlich zu einem hohen Verwaltungsaufwand ohne erkennbaren zusätzlichen Nutzen führt (LPK-SGB VIII/Böttcher SGB VIII § 94 Rn. 25). In diesem Sinn fordert etwa der Landesheimrat Bayern eine weitergehende pauschale Entlastung junger Menschen in der stationären Jugendhilfe. Nach seiner Auffassung sollte die Heranziehung den Anteil von 50 % des Einkommens keinesfalls überschreiten. Außerdem sollte ein Freibetrag von 250 EUR im Monat im Eigentum und zur freien Verfügung des jungen Menschen verbleiben. www.landesheimrat.bayern.de/themen/kosten/index.php
In den Empfehlungen der Landesjugendämter zur Heranziehung fehlen meistens Ausführungen zur Ermessensausübung. Relativ ausführlich befassen sich die „Empfehlung zur Berechnung von Kostenbeiträgen nach §§ 91 bis 94 SGB VIII und die Überleitung von Ansprüchen nach § 95 SGB VIII“ vom 2.12.2015 des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (Stand: 1.1.2016) unter 94.03.01 mit der Heranziehung.
Diese seien im Folgenden zitiert:
Nach Auffassung des Instituts legen auch diese Empfehlungen bereits eine Ermessensausübung nahe, bei der dem jungen Menschen mehr als 25 % seines Verdiensts verbleibt.
II. Art und Weise der Heranziehung von Jugendlichen aus ihrem Arbeitseinkommen
Die Heranziehung zu den Kosten hat auch gegenüber einem jungen Menschen durch Erhebung eines Kostenbeitrags zu erfolgen, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird (§ 92 Abs. 2 SGB VIII). Wie jeder Verwaltungsakt ist der Bescheid bekanntzugeben. Die Bekanntgabe hat dabei gegenüber dem/der gesetzlichen Vertreter/in eines minderjährigen jungen Menschen zu erfolgen, da sich die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit nach § 36 SGB I nicht auf die Entgegennahme belastender Verwaltungsakte bezieht (LPK-SGB VIII/
Böttcher SGB VIII § 92 Rn. 11).
Der den jungen Menschen zu den Kosten seiner Unterbringung heranziehende Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat weder gegenüber dem jungen Menschen selbst – wenn dieser überhaupt insoweit als geschäftsfähig anzusehen ist, da sein/e gesetzliche/r Vertreter/in ihn insoweit ermächtigte – noch gegenüber dem/der gesetzlichen Vertreter/in des Jugendlichen einen Anspruch darauf, dass der Jugendliche seinen Arbeitgeber bittet, das Entgelt unmittelbar an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu überweisen. Für ein diesbezügliches Verlangen ist keine Rechtsgrundlage erkennbar.
Quelle: JAmt 2016, 471 bzw. JAmt 2016, 489 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF), Heidelberg, www.dijuf.de.