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04.04.2017
Interview

Interview mit einer Pflegemutter

Interview mit einer Pflegemutter, die mehrere Pflegekinder - mal kürzer, mal länger- aufgenommen hat.

Katharina Nachtsheim aus dem Blog Stadt Land Mama schrieb zum Einstieg in das Interview:

"Gabriele kommentierte neulich etwas auf unserer Seite und schrieb dabei von ihrer Großfamilie. Wir waren beeindruckt und baten die Mama von sechs leiblichen Kindern und drei Pflegekindern sofort um ein Interview. Wir freuen uns, dass wir eine Leserin mit so einem großen Herz haben, die so vielen Kindern für unterscheidlich lange Zeit Sicherheit und Zuneigung schenkte. DANKE für Deinen Einsatz und für dieses Interview, liebe Gabriele!"

Wir von Moses Online schließen uns diesem Dank an und freuen uns, dass wir dieses Interview veröffentlichen dürfen.

Interview

Liebe Gabriele, Du hast 6 leibliche Kinder und 3 Pflegekinder - kannst Du mal aufzählen, wie alt alle sind und wie sie heißen?

Meine leiblichen Kinder sind Georg (26), Carola (24, ihr Sohn ist fast 2, er wurde an meinem 46. Geburtstag geboren), Matthias (20), Sebastian (18, Matthias und Sebastian leben beide bei ihrem Papa, da Sebastian in der Nähe eine Lehrstelle als Zimmerer hat und Matthias dort auf die FOS geht), Magdalena (14) und unser Johannes (11).
Dazu gibt es noch zwei Stiefkinder, die Zwillinge Thomas und Patrick (15 Jahre alt), die an den Wochenenden und in den Ferien gerne bei uns sind.
Unsere Pflegekinder sind: ein 14-jähriges Mädchen (sie kam im Januar 2014 mit 2 Geschwistern im Alter von 9 und 5 zu uns. Die Geschwister sind inzwischen wieder zu Hause und T. geht Ende Juli zu ihrer Oma) Dann ein achtjähriger Junge ( er kam kurz vor seinem 5 Geburtstag zu uns). Und unsere jüngste Maus ist 3 (sie kam mit 2 Monaten direkt aus der Klinik zu uns, und darf nach langen Bangen bei uns bleiben).

Hast Du schon immer von einer großen Familie geträumt?

Meine Schwester ist 15 Jahre älter als ich und ich habe mir immer Geschwister gewünscht, weil ich ja eigentlich als Einzelkind aufgewachsen bin. Soviele Kinder wie es jetzt sind, wollte ich eigentlich nicht - aber ich möchte keines meiner Kinder oder meiner Pflegekinder missen.

Wie kam es dazu, dass Ihr das erste Pflegekind aufgenommen habt? War das eine spontane Entscheidung oder habt Ihr Euch das länger überlegt? Und wieviele Kinder hattest Du damals schon?

Das ist eine längere Geschichte: Meine zwei Großen sind von meinem 1. Ehemann, die Jüngeren aus meiner 2. Ehe. Diese ging 2007 in die Brüche und ich war plötzlich alleinerziehende Mutter von 5 Kindern (mein Großer lebte damals schon bei seinem Vater).
Ich lebte drei Monate bei meinen Eltern, dann fand ich endlich ein passendes Haus für uns.
2008 lernte ich meinen dritten Ehemann Reiner kennen und der hatte die Zwillinge als Pflegekinder. Reiner selbst wurde mit 3,5 Jahren nach dem Tod seiner Mutter ein Pflegekind. Ihm ging es nicht gut in dieser Familie, seine Motivation war es, dass andere Kinder es besser haben als er.
Ich bin ein sehr positiver Mensch und sagte: „Ich habe meine Kinder gut im Griff, warum soll ich nicht auch anderen Kindern ein Zuhause bieten?“ Also sind wir zum Jugendamt, haben den Antrag gestellt, Vorbereitungskurse besucht und nach 1,5 Jahren kamen die ersten Kinder zu uns.
Aber es war nicht so leicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Pflegekinder sind anders - sie haben ja eine Vorgeschichte, die meist nicht besonders schön ist. Oft wissen weder wir noch das Jugendamt wirklich, was diese Kinder durchgemacht haben.

Aus welchen Situationen heraus sind Deine Pflegekinder zu Dir gekommen?

Das erste Kind war 4 Jahre alt und hochbegabt. Die Mutter hatte gesundheitliche Probleme und musste ins Krankenhaus, der Vater war nicht erreichbar. Also rief das Jugendamt bei uns an, brachte den kleinen Mann und wir hatten ein Wochenende mit ihm. Am Montag wurde er vom Vater und der Oma bei uns abgeholt.

Dann kam ein kleiner 4-jähriger zu uns, der sehr gut erzogen war und mich fragte: “Hast Du ein Bett frei, in dem ich schlafen kann?“ Er durfte ein halbes Jahr bei uns bleiben, mit allen Höhen und Tiefen. Denn der psychische Druck der Herkunftsfamilie ist für Pflegekinder meist sehr hoch. Die Großeltern haben den Kleinen bei uns abgeholt und obwohl beide sehr gebildet waren, kam von ihnen weder ein „auf Wiedersehen“ noch ein „Danke“ zum Abschied.

Den nächsten Jungen durften wir Anfang Januar auf der Polizeistation abholen, seine Mama hatte eine Haft zunächst nicht angetreten, worauf der der Mutter-Kind-Platz nun belegt war. Der Junge war 14 Monate alt und sehr lieb. Leider wachte er jede Nacht um 2 Uhr auf und schlief nicht mehr ein. Nach 14 Tagen durfte er zu seiner Mama in die JVA - und diese Mama hat mir sogar einen ganz lieben Brief geschrieben und sich bei mir bedankt.

Drei Tage nach dem dieser Kleine ging, zog der Junge, der heute noch bei uns ist, ein. Er war damals fast 5 und bei ihm war von Anfang an klar, dass er bleiben soll, bis er erwachsen ist. Wir waren seine zweite Pflegefamilie, in der ersten hat es einfach nicht funktioniert.
Und noch im selben Jahr im Sommer kam unsere kleine Maus zu uns. Wir hatten acht Tage, um uns auf sie vorzubereiten, dann haben wir sie in der Klinik abgeholt.

Anfang Januar 2014 kam ein Anruf vom Jugendamt, wie viele Kinder wir noch unterbringen könnten, es gäbe da drei Geschwister. Ich dachte sofort, dass man Geschwister nicht trennen darf und sagte: „Wir nehmen alle.“ Eineinhalb Stunden später holte ich die Kinder (12, 9, 5 Jahre) ab. Der Grund der Inobhutnahme war Überforderung und Alkoholismus der Eltern.

Welche Rechte und Pflichten hast Du als Pflegemutter? Und wie lange werden die Kinder bei Dir bleiben?

Ich habe ziemlich wenig Rechte. Meine Pflicht ist es, mein Bestes zu geben. Und wenn möglich, mir den leiblichen Eltern zusammenzuarbeiten. Die Realität ist: Egal, wie lange ein Kind in einer Pflegefamilie lebt, es kann immer wieder zu einer Rückführung zu den leiblichen Eltern kommen, wenn das Gericht das möchte.

Wie hast Du Deinen leiblichen Kindern erklärt, dass Ihr noch Pflegekinder aufnehmt?

Unsere Kinder fanden es eigentlich von Anfang an toll, dass wir noch Kinder dazu bekommen. Eins mehr oder weniger fällt bei 6 Kindern ja nicht mehr auf. Unsere Mädels wollten anfangs nur ein Mädchen, inzwischen sind ihnen Jungs wieder lieber, die seien nicht so zickig.

Gab es Eifersüchteleien und wie hat Du denen entgegen gewirkt?

Eifersucht gab es natürlich auch, aber die ließ sich klären, indem wir erklärt haben, dass sie Kinder es bisher nicht so schön hatten bei ihren Eltern und deshalb mehr Aufmerksamkeit benötigen.

Ganz praktisch: Wie lebt so eine große Familie? Auf dem Land? In einem Haus? Und kannst Du sagen, welche Lebensmittelmengen Ihr so verbraucht?

Wir leben in einer Doppelhaushälfte mit 5 Zimmern und 147 qm, in einem kleinen Ortsteil einer 5.600 Einwohnergemeinde im Chiemgau.

Der Lebensmittelverbrauch ist jetzt nicht mehr so groß, seit unsere 18- und 20-Jährigen ausgezogen sind. Nudeln koche ich so ca. 700 g/ Mahlzeit, Schweinebraten ca. 1800 g, und beim Brot ist es immer ein 1 kg Laib. An Weihnachten feiern wir mit Oma und Opa, da sitzen dann schnell mal so 16 Personen am Tisch.

Wie sind die Reaktionen Eures Umfeldes auf die vielen Kinder?

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Erst mal haben alle Angst, wenn wir mit unserem Wohnwagen auf den Campingplatz fahren, und es steigen 6 Kinder aus. Doch nach ein paar Tagen heißt es dann meist: „Oh, Ihr seit ja gar nicht so laut, die Kinder hört man ja fast nicht.“ Oder es kommt der Spruch: „Habt ihr keinen Fernseher?“
Negative Kommentare kommen eher selten, eher: „Hut ab! Ich würde das nicht schaffen, mir reicht das eine Kind schon.“ Da lächle ich nur und sage, dass ab dem 3. Kind leichter wird.

Was glaubst Du ist das Wichtigste, was man Kindern mitgeben kann?

Dass sie lernen auf eigenen Beinen zu stehen, Rücksicht auf andere nehmen und Respekt haben.

Hast Du eigentlich auch noch Zeit für Dich? Was machst Du dann?

Ja, ich habe noch Zeit für mich - zwar nicht viel, aber es reicht. Am Abend, wenn alle im Bett sind, lese ich gerne ein Buch, Vormittags, wenn alle außer Haus sind, gehe ich mit den Hunden spazieren. Ab und zu schaffe ich es ins Fitnessstudio. Und letztes Jahr waren mein Mann und ich ein Wochenende alleine in Wien, haben dort ein Andreas Gabalier Konzert besucht – das war Kraft pur für mich!

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