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27.05.2009

Vollzeitpflegefamilien mit Zuwanderergeschichte

Zunehmend haben auch Familien von Mitbürgern mit Migrationshintergrund Bedarf an Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege. Um den Kindern dieser Familien ein weiteres Aufwachsen in der ihnen bekannten Kultur zu ermöglichen geht die Stadt Mönchengladbach einen neuen Weg.

Zunehmend haben auch Familien von Mitbürgern mit Migrationshintergrund Bedarf an Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege. Um den Kindern dieser Familien ein weiteres Aufwachsen in der ihnen bekannten Kultur zu ermöglichen geht die Stadt Mönchengladbach einen neuen Weg. Das Jugendamt der Stadt versucht, durch Kontakte zu Institutionen dieser Mitbürger und durch Flyer in unterschiedlichen Sprachen Familien mit Zuwanderergeschichte für die Vollzeitpflege zu interessieren.

Das Jugendamt der Stadt Mönchengladbach bemüht sich seit einiger Zeit Pflegefamilien mit Zuwanderergeschichten zu finden, um entsprechende Kinder dort unterbringen zu können.

Dieser Bericht entstand aus einem Interview von Henrike Hopp mit Monika Ferfers vom Jugendamt Mönchengladbach.

Wenn Sie mit Frau Ferfers in Kontakt treten wollen, dann nutzen Sie bitte unser Kontaktformular, wir werden dann Ihre Mail an Frau Ferfers weiterleiten.

Sinnvoll aus der Sicht des Kindes:

Für Kinder, die in einer fremden Familie untergebracht werden weil sie nicht mehr bei ihren eigenen Eltern leben können ist es sehr hilfreich, wenn sie etwas Vertrautes vorfinden. Dieses Vertraute kann z.B. für farbige Kinder die Hautfarbe sein oder die Nahrung und für andere Kinder die bisher benutzte eigene Sprache.

Aber Vertrautes bzw. Unvertrautes findet sich in allen Lebensbereichen:
Ich denke hier an ein schwarzes Kind, das kein deutsch spricht, nie mit deutschen Lebensmitteln in Berührung gekommen ist und dessen Mutter aus dem afrikanischen Raum nach Deutschland kam. Hier wäre eine afrikanische Familie hilfreich gewesen, da dem Kind dann zumindest das Essen, die Sprache, die Art des Umgangs besser vertraut gewesen wäre.
Aus Mangel an eben dieser Familie kam das Kind in eine deutsche Pflegefamilie. Hier war dem Kind alles fremd. Aus Verzweiflung kochte die Pflegemutter dann Hirse und das Kind freute sich über ihm bekanntes Essen.

Besonders wenn Kinder mittelfristig untergebracht werden, wären natürlich Pflegeformen vor zu ziehen, in denen eine Übersetzung der Kulturen möglich ist. Das Kind sollte nicht genau das Gleiche erleben wie in der Ursprungsfamilie – denn da hat es ja eine Krise gegeben – aber es sollte eine gewissen Ähnlichkeit und Vertrautheit für das Kind sein, damit dann auch die Rückkehr in die Ursprungsfamilie einfacher wird.

Sinnvoll aus der Sicht der Herkunftseltern:

Für die Herkunftseltern ist eine Unterbringung ihres Kindes vertrauenswürdiger, wenn sie mit Erwachsenen zu tun haben, mit denen eine Ähnlichkeit besteht. Diesen Erwachsenen können die Eltern dann eher ihr Kind anvertrauen, als wenn die Pflegefamilie ganz fremden Kulturen entspricht. Eine Ähnlichkeit der Pflegefamilie mit der Kultur der Ursprungsfamilie ermutigt die Ursprungsfamilie auch zur eigenen Veränderung, damit sie das Kind wieder zurück nehmen können. Damit ist sowohl für das Kind als auch für seine Eltern eine solche passende Unterbringung hilfreich.

Sinnvoll aus der Sicht der Pflegefamilie:

Aus der Sicht der Familien mit Zuwanderergeschichte bedeuten unsere Bemühungen um sie als Pflegefamilie auch eine Aufwertung.
Wir lassen sie wissen: Ihr habt mit euren Schätzen und Erfahrungen eine Form von Wert in unserer Gesellschaft die wir auch brauchen.
Diese Pflegefamilien erleben ihre Arbeit als eine Form von Integration. In dem sie sich engagieren nehmen sie an unserer Gesellschaft teil und übernehmen in ihr soziale Verantwortung. Dadurch fühlen sie sich zugehöriger und geachteter.
In Kindergärten gibt es solche Formen des Miteinander schon, aber im privaten Raum sind sie noch seltener.

Werbeaktion

In vielen Ländern, aus denen unsere Zuwandererfamilien kommen, liegen Pflegefamilie und Adoption ganz dicht beieinander und wird kaum differenziert. Daher ist es wichtig, dass es vorrangig erst einmal um klare Informationen geht.

In Veranstaltungen informieren wir zunächst. Dies führt dazu, dass den Personen, die zu Veranstaltungen kommen und die das Thema interessiert erst einmal die Angst genommen wird, dass bei innerfamiliären Schwierigkeiten und Berührungen mit dem Amt ihre eigenen Kinder bedroht sein würden. Da gibt es Familien, die innerfamiliäre Turbulenzen haben und die eine sorgenvolle Haltung der Behörde gegenüber entwickelt haben. Es ist daher ein wichtiger und notwendiger Schritt diesem Personenkreis erst einmal die Angst zu nehmen und deutlich zu machen, dass das Jugendamt keine Kinderklaubehörde ist. Viele dieser Eltern haben Erfahrungen aus ihren Ursprungsländern mit sehr machtvollen Behörden, die angstbesetzt betrachtet werden und von denen man besser Abstand hält.

Die meisten Informationen laufen über Vereine und Gruppierungen, weniger über Einzelinformationen. Hier sind besonders die Informationen für Frauen von besonderer Bedeutung.

Es gibt aber auch Personengruppen, die durchaus Interesse an der Übernahme einer öffentlichen Erziehung haben, weil es neben der gesellschaftlichen Anerkennung auch eine finanzielle Unterstützung gibt. Gerade hier muss sehr sauber informiert werden, was ein Pflegekind bedeutet und dass die Familien dann besonnen die zeitlichen und familiären Rescourcen für sich abschätzen können und müssen. Hier muss klar die Frage „Rechnet sich das ?“ besprochen werden können.
Wir sprechen mit den Bewerbern über die unterschiedlichen Profile und über unterschiedliche Möglichkeiten.

Was in den zukünftigen Pflegefamilien auch noch ein wichtiger Bereich ist, ist die Frage der eigenen Familienstruktur:

  • wer sichert die Erziehung des Kindes,
  • wer macht die Verbindung zum Jugendamt
  • wer macht die Verbindung zu den leiblichen Eltern

Wenn es nicht in allem die gleichen Personen sind, dann muss es eine gute und übereinstimmende Kommunikation in der Familie geben, so dass der „Außenminister“ das vertritt, was der „Innenminister“ tut. Oft sind diese Rollen nach innen und außen aufgeteilt, dass ist dann schon anders als in deutschen Mittelschichtfamilien.

Ich muss mich mit diesen Familiengruppierungen beschäftigen, damit sich in den nächsten Jahren dieser Personenkreis mehr für die Kinder in ihrer Verwandtschaft und Nachbarschaft interessiert. Es wäre gut wenn sie mehr hinsehen und sich dann gegebenenfalls trauen würden, auch mit dem Jugendamt in Kontakt zu treten.
Dies ist das erste Ziel der Werbeaktion, denn die größte Motivation ist ja immer eine eigene Betroffenheit.

Vielleicht wird es gelingen, dass es zu einem späterem Zeitpunkt Familien gibt, die sich so sicher fühlen, dass sie sich dann allgemein um die Aufnahme eines Pflegekindes bewerben werden. Jetzt geht es erst einmal um die Kinder aus der eigenen Verwandtschaft und Bekanntschaft und die Hilfe für diese Kinder.

Bei der allgemeinen Werbung gibt es in unserer Stadt vielleicht 1 % Bewerber mit einem Zuwandererhintergrund. Die Zuwandererfamilien fühlen sich durch die allgemeine Werbung nicht angesprochen. Hier müssen wir besondere Wege gehen.

Über verschiedene Multiplikatoren – Integrationsrat, verschiedene Vereine, und über die Abteilung des Schulamtes, welche für die Integration der Kinder im schulischen Bereich zuständig ist – haben wir für unsere Aufgabe Interessen wecken können. Diese eben genannte Abteilung hat auch die Übersetzung unseres Flyers für die Suche nach entsprechenden Pflegefamilie gemacht. Natürlich nutzen wir auch die bestimmten Treffpunkte und Ansprechpartner, so z.B. das Internationale Frauenfrühstück oder die Immans in den Moscheen. Da hier aber die Familien geschlechtsmäßig getrennt sind und wir demnach immer nur einem aus der Familie berichten, ist es dann auch immer nur einer, der den uns wichtigen Gedanken dann auch in die Familie hineinbringt.

Kontaktaufnahme

Wir müssen je nach Ansprechpartnern unterschiedliche Wege gehen:

  • Zur Information bei einem Frauenfrühstück geht natürlich eine Frau.
  • Zu den Immans muss natürlich ein Mann mitkommen, da kann eine Frau nicht den ersten Kontakt allein machen. In den Moscheen gibt es auch schon Veränderungen z.B. Kinderbetreuung und Sprachkurse für Frauen, aber der Einstieg ist immer über einen Mann.
  • Das Familienzentrum liegt in einem Zuzuggebiet für osteuropäische Familien – hier werden wir über eine Frauengruppierung über das Thema informieren, denn in dieser Gruppe geht es um Kinder und Erziehung.

Wir hatten immer schon eine sensible Gruppe von türkischen Mitbürgern, die wir anfragen konnten, wenn wir in Einzelfällen begrenzt ein Kind in eine türkische Familie geben wollten. Diese Familie konnten wir aber immer erst dann auch auf ihre Geeignetheit hin überprüfen. Jetzt möchten wir unabhängig von einem einzelnen Kind Familien haben, die sich generell für die Aufnahme eines Kindes interessieren und mit denen wir dann schon alle Bewerberaufgaben geklärt haben. Das wäre uns sehr hilfreich und wir könnten in einem sicheren Standard unsere Vermittlungen durchführen.

Bisherige Erfahrungen

Schon zu Beginn einer Unterbringung müssen wir uns eine Grundfrage stellen:
passt die Familie zu unseren „Standards“ oder machen wir Zugeständnisse z.B.

  • in der Raumfrage (Zuwanderer leben meist auf weniger Quadratmetern als deutsche Familien, hier gibt es eine andere Form der Nähe)
  • in der Frage der Berufstätigkeit (oft sind beide Eltern berufstätig und wir müssen überlegen, wie dies mit der Versorgung der eigenen Kinder und evtl. einem Pflegekind ist. Hier spielt natürlich besonders die Frage nach Alter und möglicher Integration eine Rolle)
  • Religion (Offenheit für Anders – zwar Vermittlung der eigenen Religion aber auch Offenheit für andere Religionen einschließlich der Feste und Rituale, wie sie in Kindergarten und Schule vermittelt werden.)

Bisher wurden 10 Pflegekinder bei Verwandten mit Zuwanderergeschichte untergebracht und zwei Pflegekinder bei fremden Pflegefamilien. All diese Familien haben keine christliche Religion, sind meist mit den Pflegekindern verwandt und bestehen oft nur aus Frauen.

Schlusswort

Man muss in der Überprüfung oder Zusammenarbeit mit Pflegefamilien mit Zuwanderergeschichte nichts extrem anders tun als mit allen anderen Pflegefamilien auch, aber man muss genauer beleuchten und bestimmte Werte definieren. Auch in deutschen Familien gibt es keine einheitlichen Werte. Wir haben alleinerziehende Eltern, gleichgeschlechtliche Eltern und unverheiratete Eltern. Wir kennen Familien, die streng religiös oder ohne Religion oder auch in Sekten leben.
Das heißt wir müssen jede Familie auf ihre Besonderheit hin betrachten und Außergewöhnlichkeiten erkennen.
Für unseren Personenkreis müssen wir die Werte der Vermittlungsstelle deutlich darlegen:
z. B.

  • Demokratieverständnis
  • gute Kooperation mit der Behörde
  • mindestens eine Person muss fließend deutsch sprechen
  • der langfristige Lebensmittelpunkt muss in Deutschland sein
  • es muss einen gesicherten Aufenthaltsstatus geben
  • die Familie muss eine Lebensform und eine Erziehung praktizieren, die für das Kind in die deutsche Gesellschaft integrierend wirkt.

Die Arbeit mit diesen Kindern und diesen Pflegefamilien ist eine gute Möglichkeit, die eigene Arbeitsform noch einmal zu reflektieren und die Werte, die wir vertreten noch einmal zu benennen und darzustellen. Wir haben mit unterschiedlichen Kindern zu tun und jetzt öffnet sich der Blick auch noch für andere Familien und Erwachsene. Wir können uns so anderen Personenkreisen öffnen.

Ich trete als deutsche Behörde auf, mit der Wertschätzung für die anderen, aber auch mit der Wertschätzung für uns.

Flyer für die Werbung

Die Stadt Mönchengladbach gibt einen Flyer zur Werbung von Pflegeeltern in 8 verschiedenen Sprachen heraus:

Flyer für Bewerber:

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