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Aus der Praxis

Kinder im Exil

In der Stadt Bremen werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge seit 2010 in Pflegefamilien vermittelt. Dies geschieht im Rahmen der heilpädagogischen Vollzeitpflege nach §§ 33 und 42 SGB VIII und auf der Grundlage einer fachlichen Konzeption für das Leistungsangebot „Kinder im Exil“. Aus dem Jahresbericht 2015 von PIB zur Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (Kinder im Exil).

In der Stadt Bremen werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge seit 2010 in Pflegefamilien vermittelt. Dies geschieht im Rahmen der heilpädagogischen Vollzeitpflege nach §§ 33 und 42 SGB VIII und auf der Grundlage einer fachlichen Konzeption für das Leistungsangebot „Kinder im Exil“. Analog zu anderen Pflegeformen in der Vollzeitpflege gewährleistet PiB die Suche nach geeigneten Familien mit anschließender Eignungsfeststellung, die Anbahnung des Pflegeverhältnisses mit anschließender Vermittlung und die Beratung und Begleitung von Pflegestellen für die zumeist jugendlichen Flüchtlinge. Ergänzend zu dieser fachlichen Beratungsarbeit für Pflegefamilien werden die Jugendlichen auch in Einzelgesprächen beraten und nehmen in der Regel an einem Gruppenangebot teil.

Da es sich überwiegend um Jugendliche handelt, die im Durchschnitt 16 Jahre alt sind, wurde die Ansprache in den Flyern und Anzeigen angepasst: „Nach der Flucht – Jugendliche suchen einen sicheren Ort“. Damit wird interessierten Pflegeeltern deutlich gemacht, dass sie keine jüngeren Kinder aufnehmen werden.

Trends und Entwicklungen

Die Arbeit der Abteilung „Kinder im Exil“ zog auch im Jahr 2015 bundesweites Medieninteresse auf sich. Gründe hierfür waren die Vielzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland, allein in Bremen wurden 2015 rund 2.600 unbegleitete junge Flüchtlinge aufgenommen.

Das Model der Vermittlung von jugendlichen Flüchtlingen in Pflegefamilien hat Vorbildcharakter für andere Kommunen und Bundesländer. Zudem wurden unsere Erfahrungen, sowie die in den letzten Jahren erworbenen Arbeitsgrundlagen zur Vermittlung der Jugendlichen nach der Flucht mit großem Interesse angefragt, weil andere Jugendämter das Model in ihr Angebot aufnehmen möchten. Zu den Interessenten gehören freie Träger und Jugendämter aus allen Bundesländern.

Durch dieses große Interesse bleibt die Familienpflege für jugendliche Flüchtlinge weiter im öffentlichen Bewusstsein und hilft uns, neue Pflegefamilien zu akquirieren.

Das Angebot wird nicht mehr überwiegend für Jungen aus dem afrikanischen Raum angefragt. In der zweiten Jahreshälfte kamen zunehmend Anfragen für Jungen aus Syrien und Afghanistan. Anfragen für Mädchen sind nach wie vor selten.

Durch die vergleichsweise kurzen Verweildauern von zwei bis drei Jahren und positive Erfahrungen von Pflegefamilien gelingt es immer wieder, eine Pflegefamilie mehrfach zu belegen. Dadurch hat sich über die Jahre ein Grundstamm erfahrener Familien entwickelt.

Das Schulungs- und Fortbildungsangebot für Pflegeeltern wurde gemeinsam mit der Pflegeelternschule an die spezifischen Themen dieser Pflegeform angepasst.

Der Arbeitsbereich im Überblick

Die Anbahnung und Vermittlung neuer Pflegeverhältnisse, eine intensive Begleitung der bestehenden Pflegeverhältnisse sowie die Begleitung der Verselbstständigungen von Jugendlichen bestimmten den Großteil der Arbeit.

Die im Vorjahr erarbeiteten Vorgehensweisen und Strukturen haben sich im Jahresverlauf bewährt und zu einer gut abgestimmten Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen im Rahmen der Vermittlungsprozesse geführt. Um einschätzen zu können, ob und welche Pflegefamilie für einen Jugendlichen die richtige Betreuungsform darstellt, haben wir die Verfahren weiter verbessert und den Standards der Abteilung Vollzeitpflege angepasst.

Im Jahr 2015 hat es weitere fünfzehn Vermittlungen in stabile Pflegeverhältnisse gegeben. Diese jungen Flüchtlinge lebten zuvor in unterschiedlichen Unterbringungsformen bei verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen. Sechs jugendliche Flüchtlinge verließen die Pflegefamilien während des Berichtsjahres in die Verselbstständigung.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit blieb zudem die Suche nach neuen Pflegefamilien, da der Bedarf an dieser Familienunterbringung nach wie vor hoch ist. Die Beratungsfachkraft beteiligte sich deshalb an verschiedenen fachspezifischen öffentlichen Veranstaltungen und regelmäßigen Erstinformationsveranstaltungen bei PiB. Es konnten Pflegeverhältnisse im sozialen Netz der Jugendlichen vermittelt werden, indem Mentoren/Mentorinnen oder Einzelvormünder sich dazu entschlossen haben, den ihnen anvertrauten Jugendlichen bei sich aufzunehmen.

Die Jugendlichen entscheiden sich überwiegend für das Leben in einer Bremer Familie in der Annahme, dass eine deutsche Familie bei der Integration und der Ausbildung besser behilflich sein könne. Immer wieder betont wurde von den Jugendlichen, dass sie die deutsche Sprache in einer Familie viel besser lernen können.

Die durchschnittliche Verweildauer der Jugendlichen in Pflegefamilien liegt aktuell bei rund drei Jahren, das Vermittlungsalter bei 16 Jahren. Die Vielfalt der Religionen und Kulturen wird in den Pflegeverhältnissen berücksichtigt. Von den 28 jugendlichen Flüchtlingen, die am Jahresende in Bremer Pflegefamilien lebten, befanden sich drei in der Berufsausbildung und 25 bewältigten ihre Schul- und Berufsausbildung in Regel- oder Berufsfachschulen. Unter 16-Jährige ohne Sprachvorkenntnisse besuchten die Sprach-Vorklassen an den zuständigen Oberschulen der Stadtteile Bremens. Jugendliche über 16 Jahre besuchten die Sprach-Vorklassen der ABS in Walle oder Kattenturm. Diese Vorklassen dauern in der Regel zwei Jahre, bis die Grundlagen zur Regelbeschulung vorhanden sind.

Aufgrund der sich vergrößernden Vermittlungsnachfrage wurde der weitere personelle Ausbau der Abteilung geplant und umgesetzt.

Beratung und Qualifizierung

Der Vermittlung geht eine Grundqualifizierung der Pflegefamilie durch die Pflegeelternschule voraus. Endes des Jahres fand zum ersten Mal eine speziell für den Bereich „Kinder im Exil“ entwickelte Grundqualifizierung statt. In besonderen Fällen findet die Qualifizierung auch während des bereits laufenden Vermittlungsprozesses statt. Dies ist möglich, wenn es sich um Familien aus dem Umfeld des Jugendlichen handelt. Um neue Pflegefamilien angemessen zu unterstützen, fanden intensive regelmäßige Einzelberatungen statt. Diese wurden durch thematische Fortbildungen der Pflegeelternschule ergänzt.

Einmal monatlich treffen sich die Pflegepersonen in einer beratenden Supervisionsgruppe. Wichtige Themen waren dabei Rechtsfragen zum Aufenthaltsstatus, die daraus resultierenden Unwägbarkeiten für Jugendliche und Pflegefamilien sowie seelische Belastungen aufgrund von Erlebnissen vor oder während der Flucht. Immer wieder geht es in den Gruppen auch um Konflikte, die zum Teil aus der Unkenntnis hiesiger Gebräuche und Regelungen entstehen. Das kann der Umgang mit Geld, aber ebenso gut die Selbstfindungsprozesse Jugendlicher oder die Unkenntnis über Entscheidungsprozesse und -träger im Jugendhilfeprozess sein.

Das monatliche PiB-Gruppenangebot für junge Flüchtlinge musste im Berichtsjahr aufgrund personeller Engpässe eingeschränkt werden. Die Veranstaltungsreihe soll im kommenden Jahr wieder aufgenommen werden und ein regelmäßiger Bestandteil der Arbeit mit den jungen Menschen in Pflegefamilien werden. Dazu gehört der Kontakt zu Jugendlichen aus anderen Pflegefamilien, um den kulturellen Austausch untereinander zu fördern. Individuelle Beratungskontakte zu den Jugendlichen fanden regelmäßig statt.

Partner und Kooperationen

Die Anpassungen an Schnittstellen der Zusammenarbeit mit dem Casemanagement des Amtes für Soziale Dienste erbrachten verbesserte Vermittlungsabläufe in dem sich sehr dynamisch entwickelnden Bereich der Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge. Dazu gehört die eindeutige Klarstellung, dass als erste Kontaktpersonen für die betroffenen Jugendlichen das Casemanagement sowie die Vormünder über die Familienunterbringung (§ 33 SGB VIII) eines jugendlichen Flüchtlings entscheiden.

Damit eine passende Pflegefamilie für einen Jugendlichen gefunden werden kann, ist es erforderlich, sich ein umfassendes Bild von den Bedarfen des Jugendlichen zu machen. Dabei war, neben dem persönlichen Gespräch mit dem Jugendlichen, die Zusammenarbeit mit den zuvor betreuenden Einrichtungen ein wichtiger Bestandteil.

Die Begleitgruppe für die minderjährigen Flüchtlinge des Amtes für soziale Dienste tagt monatlich. Daran nehmen Vertreter und Vertreterinnen des Amtes, der Träger, die Casemanager, die Amtsvormünder sowie geladene Gäste teil.

Insgesamt sind Verzögerungen von Pflegegeldzahlungen durch die wirtschaftliche Jugendhilfe eine Belastung für die Pflegefamilien, da die Aufnahme der Jugendlichen mit Kosten einhergeht, die nur bis zu einem bestimmten Grad vorverauslagt werden können. Konflikte, die aus solchen Lagen entstanden, führten auch dieses Jahr wieder zu einem deutlich erhöhten Beratungs- und Verwaltungsaufwand.

Ausblick

Mit einer gezielten Akquise-Strategie werden weitere Familien, Paare oder Einzelpersonen gesucht, die einem jungen geflüchteten Menschen für eine Zeit lang ein sicheres Zuhause geben wollen.

Die Gruppenangebote für junge Flüchtlinge werden weiter angeboten und zur Förderung des kulturellen Austauschs gemeinsame Angebote für junge Flüchtlinge und Jugendliche aus anderen Pflegefamilien entwickelt.

Die Anfragesituation steigt weiter an und wird in der Zukunft auch jüngere Flüchtlinge betreffen. Diese neuen Anforderungen müssen konzeptionell verankert werden.

Der Bereich Kinder im Exil wird weiter wachsen; die erhöhte Nachfrage nach passenden Pflegefamilien für Jugendliche nach der Flucht erfordert auch 2016 eine personelle Aufstockung.

Auszug aus dem Jahresbericht 2015 von PIP – Pflegekinder in Bremen gGmbh

Hier können Sie den Jahresbericht komplett lesen:

Letzte Aktualisierung am: 
29.06.2016