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„Erweiterter Förderbedarf“ in den Ausführungsvorschriften des Landes Berlin zur Vollzeitpflege
Gültig in:
Themen:
Hierzu heißt es in den Ausführungsvorschriften:
Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf des Kindes/Jugendlichen ist dann gegeben, wenn besondere, über den allgemeinen Erziehungshilfebedarf hinausgehende Anforderungen auf Grund erheblicher Erziehungsschwierigkeiten und Entwicklungsbeeinträchtigungen, ggf. in Zusammenhang mit einer Behinderung, vorliegen. An die Erziehungsleistungen der Erziehungspersonen können auf Grund dieses Förderbedarfes auch erweiterte Anforderungen gestellt werden.
Um den Förderbedarf messen zu können, hat das Land Berlin einen Leitfaden erarbeitet, der Beeinträchtigungen des Kindes aufzeigt, die einen erweiterten Förderbedarf rechtfertigen.
Leitfaden zur Ermittlung eines erweiterten Förderbedarfs bei Vollzeitpflege
1. Schwere Verhaltens- und/oder emotionale Störungen
Die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen u. a., zum Beispiel:
Bindungsstörungen, Emotionale Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, Hyperkinetische Störungen, Depressionen
Beschreibung der Auffälligkeiten und Besonderheiten im pädagogischen Alltag
- ausgeprägte Störung der Kontaktfähigkeit und der Fähigkeit zu dauerhaften Bindungen bei gleichzeitigem Kontakthunger (Distanzlosigkeit)
- massive Verhaltensprobleme mit aggressiven und gewalttätigen Durchbrüchen
- starke Verführbarkeit in der Gruppe (z. B. zu delinquentem Verhalten)
- Mangelnde Impulskontrolle, geringe Frustrationstoleranz, permanente Konflikte im Alltag durch aggressives, ausagierendes Verhalten, extreme Stimmungsschwankungen
- selbstschädigendes Verhalten (Suizidversuche, Drogen- Alkoholmissbrauch
- geringe Einsichtsfähigkeit, Entziehen durch Weglaufen
- erhebliche Entwicklungsdefizite (Sprache, Motorik)
- Aufmerksamkeitsstörung mit extremer Unruhe
- massive Trennungsangst (Schulphobie) in Kombination mit zahlreichen somatischen Symptomen
- extreme Ängste, (z. B. vor bestimmten Situationen)
- andauernde gedrückte Stimmung i. V. mit stark verminderter Konzentrationsfähigkeit, beeinträchtigtem Selbstwertgefühl, starken Schuldgefühlen, Schlaf- und Appetitstörungen
- Extreme Antriebslosigkeit und starkes Rückzugs-/Ruhe-/Schlafbedürfnis
- Starke Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Realitätsprüfung
Erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung/Erziehungsperson
- Empathiefähigkeit - das Kind so akzeptieren wie es ist, Vertrauen zu ihm entwickeln
- Besondere Belastbarkeit (emotionale und psychische Stabilität, Ausgeglichenheit, sicher im Umgang mit Nähe und Distanz)
- Erhöhte Reflexionsfähigkeit (eigene Leistungsgrenzen erkennen, Hilfe/ Entlastung annehmen können)
Soziale Kompetenzen:
- Kooperations- und Lernbereitschaft (Kommunikations- Kritikfähigkeit, Flexibilität)
- Strukturiertheit (innere und äußere Arbeitsorganisation, Vorsorge treffen)
2. Schwere Psychosomatische Störungen
Die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen u. a., zum Beispiel:
Allergische Reaktionen, z. B. schwere Neurodermitis, Schweres Asthma, Essstörungen (Anorexie/ Bulimie), Einkoten
Beschreibung der Auffälligkeiten und Besonderheiten im pädagogischen Alltag
- Starke Hautreaktionen in psychischen Belastungssituationen oder auf bestimmte Außenreize/Nahrungsmittel mit unstillbarem Juckreiz/starkem Brennen, dadurch bedingt beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit, unruhiges, nervöses, gestresstes Verhalten (gestörter Nachtschlaf)
- Beeinträchtigtes Selbstwertgefühl und Kontaktfreude zu anderen Kindern
- Schweres Atmen mit Atemnot bei Anstrengungen, geringe Belastbarkeit
- heftige Hustenanfälle in psychischen Belastungssituationen mit Erstickungsangst
- anhaltende Nahrungsverweigerung oder Essanfälle i. V. mit Erbrechen mit schweren gesundheitlichen Schäden (Lebensgefahr)
- Extreme Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts und zwanghaftes Befassen mit Nahrungsmitteln (z. B. im Denken, Reden, ständiges Kochen)
- wiederholtes willkürliches oder unwillkürliches Einkoten in psychischen Belastungssituationen
3. Globale Entwicklungsstörungen
Die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen u. a., zum Beispiel:
frühkindlicher Autismus, Alkohol-Embryopathie, schwere soziale Deprivation
Beschreibung der Auffälligkeiten und Besonderheiten im pädagogischen Alltag
- Störung der Kommunikation
- stereotype Verhaltensmuster und Interessen/Aktivitäten
- Störung der Empathiefähigkeit
- verzögerte oder keine Sprachentwicklung
- verzögerte/gestörte Entwicklung der Motorik und Wahrnehmung
Bei behinderten oder chronisch kranken Kindern kommen je nach Einzelfall folgende Anforderungen an die Pflegeperson hinzu:
- Erfahrungen im Umgang mit behinderten Menschen
- Bereitschaft zur Übernahme von behinderungsadäquater Versorgung/Pflege
- Mitwirkung bei der therapeutischen und medizinischen Versorgung
- Kenntnisse spezifischer Hilfeformen und Therapien (z. B. bei Autisten: Gestützte Kommunikation)
- Fähigkeit, zusätzlich notwendige Hilfen für das Kind realistisch einzuschätzen und auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen.
- Annahme von Entlastung
4. Schwere körperliche (Sinnes-) und/oder geistige Behinderungen
Die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen u. a., zum Beispiel:
schwere spastische Behinderungen (Tetraspastik), Blindheit, Gehörlosigkeit
Geistige Behinderungen z. B. Down Syndrom, genetisch bedingte Behinderung (z. B. Rett-Syndrom, fragiles X-Syndrom)
Beschreibung der Auffälligkeiten und Besonderheiten im pädagogischen Alltag
- schwere Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, dauerhafte Abhängigkeit von Hilfsmitteln (Rollstuhl etc.) und der Unterstützung bei allen Alltagsverrichtungen
- Schwere Sinnesbehinderung, allgemeiner Entwicklungsrückstand insbesondere der Bewegungsentwicklung (gestörte Körperkoordination)
- eingeschränkte oder keine selbständige Fortbewegung (begrenzte Raumorientierung/ Desorientierung)
- starke körperliche und psychische Zustände mit stereotypem Verhalten
- Abhängigkeit von Begleitung im Alltag
- Schwere Sinnesbehinderung mit gravierenden Auswirkungen auf die Lernfähigkeit, insbesondere die Sprachentwicklung (innere Sprachstruktur) und Kommunikationsfähigkeit
- Extrem erschwerte Kommunikationsbedingungen (mit Hörenden), häufig mit Auswirkungen auf das Verhalten (z. B. Wutanfälle, extremes Misstrauen)
- Gefahr der Isolation/Ausschluss aus dem sozialen Umfeld (der Hörenden)
- Schwere Intelligenzminderung mit Auswirkungen auf die Lernfähigkeit (kein Erwerb von Lese/Schreib/Rechenkenntnissen), die Sprache (Kommunikation), Motorik und das Sozialverhalten; ständige Begleitung/ Beaufsichtigung im Alltag notwendig
Erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung/Erziehungsperson
- Haltung/Einstellung, dass Menschen mit Behinderungen vollständige und gleichwertige Menschen sind
- Akzeptanz der Behinderung und der dauerhaften Abhängigkeit von Hilfe/ Unterstützung
- Bereitschaft, mit der Behinderung zu leben nicht gegen sie (Unterstützung von Kompetenzen statt Training von Defiziten)
- Bereitschaft, auch in der Öffentlichkeit zu dem Kind mit seiner Behinderung zu stehen
- Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit spezialisierten Beratungsstellen (z. B. Frühförderstelle für Blinde)
- Pflege und Instandhaltung von Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl, Stehbrett, Hörgerät)
- Bereitschaft, Hilfsmittel/Fördermaterial für den Alltagsgebrauch selbst zu entwickeln und herzustellen
- Bereitschaft, das Kind zu alterstypischen (Freizeit) Veranstaltungen zu begleiten
- Bereitschaft, das Recht des Kindes auf Normalität und Integration zu vertreten und ggf. durchzusetzen
- Kenntnisse der Rechtsansprüche und der Angebote für behinderte Kinder in Berlin
5. Schwere chronische und/oder progredient verlaufende Erkrankung
Die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen u. a., zum Beispiel:
HIV positiv, infektiöse Leberentzündung (Hepatitis A), Muskelschwund (Muskeldystrophie)
Stoffwechselerkrankung, schwere rheumatische Erkrankung (Polyarthritis), Krebserkrankung
Beschreibung der Auffälligkeiten und Besonderheiten im pädagogischen Alltag
- Besondere psychische Belastung durch das Wissen um die eigene chronische oder unheilbare (tödliche) Erkrankung und die ständige Konfrontation mit der Krankheit (Pflege/Arztbesuche)
- Auswirkungen auf das Verhalten (Wut, Trauer, Resignation)
- eingeschränkter oder kein Besuch von Kita/Schule und sonstigen alterstypischen Einrichtungen
- eingeschränkter oder keine Kontaktmöglichkeiten zu gesunden Gleichaltrigen, daher Gefahr der Isolation, des Rückzuges, der Vereinsamung
Erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung/Erziehungsperson
- Akzeptanz einer dauerhaften/u. U. wachsenden Pflegebedürftigkeit des Kindes
- Bereitschaft, sich mit dem Thema Tod und dem evt. Verlust des Kindes auseinanderzusetzen
- Bereitschaft, das Kind auch bei längeren Krankenhausaufenthalten/ Kur/in der Sterbephase zu begleiten
Hier können Sie die kompletten Ausführungsvorschriften einsehen