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01.06.2011

Konzept der Trägerkonferenz der Erziehungsstellen im Rheinland

Die Trägerkonferenz ist eine gemeinsame Interessenvertretung der in ihr organisierten freien und öffentlichen Träger der Erziehungsstellen im Rheinland. Diese Konzeption ist Grundlage für die Arbeit der in der Trägerkonferenz zusammengefassten Träger von Erziehungsstellen. Für die Mitglieder der Trägerkonferenz ist die Anerkennung und Umsetzung der vorliegenden Konzeption verbindlich und verpflichtend.

Auszug aus dem Konzept der Trägerkonferenz im Rheinland

1. Einleitung

Die Trägerkonferenz ist eine gemeinsame Interessenvertretung der in ihr organisierten freien und öffentlichen Träger der Erziehungsstellen im Rheinland.
Diese Konzeption ist Grundlage für die Arbeit der in der Trägerkonferenz zusammengefassten Träger von Erziehungsstellen. Für die Mitglieder der Trägerkonferenz ist die Anerkennung und Umsetzung der vorliegenden Konzeption verbindlich und verpflichtend. In schriftlicher Form unterzeichnen die Träger die Einhaltung der Konzeption.
Die vorliegende Konzeption Erziehungsstellen hat sich seit den 70-er Jahren aus den Erfahrungen im Auf- und Ausbau von Erziehungsstellen der freien und öffentlichen Jugendhilfe und eines jahrelangen kontinuierlichen Austausches der Erziehungsstellenberaterinnen 1 im Rheinland entwickelt.
Diese Rahmenkonzeption ersetzt nicht die jeweilig auf eine Institution oder einen Träger zu beschreibende Konzeption. Sie gibt die grundsätzlichen Standards wieder, die von jedem der in der Trägerkonferenz zusammengeschlossenen Träger erfüllt werden müssen.
Zur sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden ausschließlich die weibliche Form verwendet.

2.1 Definition

Erziehungsstellen im Rheinland sind eine Form der Familienpflege nach § 33 Satz 2 SGB VIII für in ihrer Entwicklung besonders beeinträchtigte Kinder und Jugendliche, die in der Regel langfristig außerhalb ihrer Herkunftsfamilie leben müssen und die der Betreuung innerhalb eines dauerhaften familiären Bezugsrahmens bedürfen.
Aufgrund der Geschichte der Erziehungsstellenarbeit im Rheinland arbeiten einige Träger der Vollzeitpflege im Übergang noch nach § 34 SGB VIII.
Diese Modelle werden in den nächsten Jahren in Maßnahmen gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII umgewandelt oder auslaufen.
Die „besondere Entwicklungsbeeinträchtigung“ der Erziehungsstellenkinder erfordert eine besondere und erhöhte Erziehungs- und Betreuungskompetenz auf Seiten der Erziehungsstelle. In ihrer Arbeit werden individuell, intensiv und kontinuierlich durch Erziehungsstellenberaterinnen begleitet.
Erziehungsstellen im Rheinland sind somit keine ausgelagerte Heimgruppe, pädagogische Lebensgemeinschaft oder Kleinstheim, sondern exklusiv eine Differenzierungsform der Hilfen zur Erziehung in einer besonders belastbaren und qualifizierten Pflegefamilie, verfügen über eine pädagogische Ausbildung und arbeiten in professionellem Beratungssetting.

2.2 Zielgruppe

Ausgelöst durch schwierige Bedingungen in der Herkunftsfamilie können viele Kinder traumatisiert, emotional und sozial entwicklungsverzögert sein und Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Sie bedürfen einer intensiven Betreuung im Rahmen eines familiären Systems und professionellen Settings. Darüber hinaus können besondere Erfordernisse, die sich aus der Herkunftsfamilie ergeben, die Unterbringung in einer Erziehungsstelle notwendig machen.
Die Kinder und Jugendlichen leben in der Regel bis zur Verselbstständigung in der Erziehungsstelle. Eine befristete Aufnahme von Kindern und Jugendlichen kann unter bestimmten Vorraussetzungen erfolgen und sollte die Ausnahme bleiben.

3. Vorbereitung und Qualifizierung von Erziehungsstellen im Rheinland

Eine sorgfältige und oft auch sehr langwierige Auswahl und Vorbereitung ist notwendig, weil dadurch eine gezielte Zuordnung von Kindern mit gravierenden Auffälligkeiten möglich ist und Abbrüche eher vermieden werden können. Schon in der Vorbereitungsphase werden potentielle Herausforderungen in die laufende Beratungsarbeit mit einbezogen. Die Vorbereitung von Erziehungsstellen erfolgt durch Einzel-, Paar- und Familiengespräche sowie gegebenenfalls durch Gruppenarbeit in Vorbereitungsseminaren und Fortbildungen.

3.1 Auswahl von Erziehungsstellen

Bei der Auswahl werden in Bewerbergesprächen verschiedene Aspekte überprüft,
unter anderem:

  • Motivation für die Arbeit als Erziehungsstelle
  • pädagogische Ausbildung und Kompetenz
  • persönliche und soziale Qualifikationen der Bewerber
  • Bereitschaft und Fähigkeit zur kontinuierlichen Reflexion der pädagogischen Arbeit und zur kontinuierlichen Zusammenarbeit mit der Erziehungsstellenberaterin
  • materielle Absicherung und ausreichende räumliche Gegebenheiten

Es erfolgt ein individueller Entscheidungs- und Auswahlprozess unter Berücksichtigung der unter Punkt 4 genannten Qualifikationskriterien für Rheinische Erziehungsstellen. Neben der Vorlage der erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse sowie einer gesundheitlichen Unbedenklichkeitserklärung ist es notwendig, das Jugendamt am Wohnsitz der Bewerber über die Absicht der Einrichtung einer Erziehungsstelle zu informieren. Die Entscheidung zur Eignung der Familie findet in einem Gesamtprozess von Information, Diskussion und gegenseitigem Kennen lernen statt. Sie ist immer nur als individuelle Entscheidung möglich, die die Zustimmung aller Beteiligten beinhaltet. Die Beraterin stellt mit dem positiven Abschluss des Auswahlverfahrens die prinzipielle Eignung fest, übernimmt die Vorbereitung und gegebenenfalls die Vermittlung eines Kindes.

3.2 Qualifikation von Erziehungsstellen

Die Erziehungsstellen im Rheinland übernehmen eine außergewöhnlich verantwortungsvolle Aufgabe der öffentlichen Erziehung in ihrem privaten Familiensystem und unterliegen damit besonderen Anforderungen.
Erziehungsstelleneltern/-paare oder Alleinerziehende verfügen über eine pädagogische Ausbildung, die sie im besonderen Maße befähigt, beeinträchtigte Kinder und Jugendliche in ihr familiäres Leben aufzunehmen, sie zu begleiten und zu fördern. Sie sind in der Lage zur Selbstreflexion und bringen Toleranz gegenüber den Herkunftseltern mit.

3.3 Anforderungen an die aufnehmenden Familien, Paare oder Alleinerziehende

Die wichtigsten Kriterien sind:

  • die Einzelperson oder mindestens einer der Partner verfügen über eine pädagogische Ausbildung; Ausnahmen bedürfen einer Begründung
  • Fähigkeit, auf die Problematik der Kinder und Jugendlichen angemessen einzugehen
  • Toleranz gegenüber der Herkunftsfamilie, um den Kindern Loyalitätskonflikte zu ersparen; Kontakte zur Herkunftsfamilie sind entsprechend den Vorgaben des Hilfeplans zu gestalten
  • Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Erziehungsstellenberaterin
  • Reflexion des eigenen Verhaltens und Empfindens
  • Teilnahme an Angeboten zu Weiterbildung und Supervision sowie Gruppenarbeit seitens des Erziehungsstellenträgers
  • Mitarbeit bei der Erstellung und Fortschreibung des Hilfeplans gemäß § 36 SGB VIII und bei der Umsetzung fachlich methodischer Vorgehensweisen

Bei der Bewertung der Erziehungsstelle ist nicht nur die pädagogische Qualifikation von Bedeutung; die Wirksamkeit des gesamten familiären Systems muss in die Überlegungen miteinbezogen werden. Die gesamte Familie muss diese Aufgabe bejahen und mittragen. Geeignete räumliche und zeitliche Ressourcen sowie die notwendige Belastbarkeit und Flexibilität werden für die Aufnahme des Kindes in die Erziehungsstelle vorausgesetzt.

3.4 Vermittlungsprozess

Aufnahmeanfragen für Kinder und Jugendliche erfolgen auf der Grundlage eines Hilfeplanverfahrens nach § 36 SGB VIII. Dabei wird die gesamte Situation des Kindes erfasst. Hierzu zählt die Betrachtung des biographischen Hintergrundes hinsichtlich der Ausgangssituation der Fremdunterbringung, der individuellen Entwicklung des Kindes und der Beziehungen zur Herkunftsfamilie.
Bei Bedarf erfolgt eine psychologische und/oder medizinische Diagnostik.
Die Erziehungsstellenberaterin trifft eine Vorauswahl. Diese steht unter der Fragestellung
der Passung zwischen Kind und Erziehungsstelle, das heißt „Was braucht das Kind?“ und „Was kann die Erziehungsstelle leisten?“. Die konkrete Entscheidung nach eingehender Prüfung treffen dann die Erziehungsstelle und ggf. das Kind gemeinsam mit den Personensorgeberechtigten, der Fallführung und der Erziehungsstellenberaterin.
Die Herkunftsfamilie wird durch die Erziehungsstellenberaterin im Vorfeld des Vermittlungsprozesses mit einbezogen.
Der Vermittlungsprozess erfolgt individuell in mehreren Phasen und zielt darauf ab, die Passung zu überprüfen. Hierzu gehören die Kontaktaufnahme zwischen Kind und Erziehungsstelle, Besuchskontakte ohne und mit Übernachtungen und die Entscheidung über die Aufnahme des Kindes durch alle Beteiligten. Die Erziehungsstellenberaterin sorgt für einen ausreichenden Zeitrahmen und koordiniert den Verlauf der Vermittlung.
Im Fall der Aufnahme werden vertragliche Vereinbarungen zwischen Personensorgeberechtigten, der Erziehungsstelle, dem Jugendamt und dem Träger abgeschlossen.

4. Leistungsmerkmale der Beratung

4.1 Profil der Beratung durch die Erziehungsstellenberaterin

Aufgaben und Leistungen

Das Aufgabenspektrum der Erziehungsstellenberaterinnen umfasst:
a) Auswahl der Erziehungsstellenfamilie und Vermittlung des Kindes oder Jugendlichen

  • Zusammenarbeit mit der fallführenden Stelle im Rahmen des Hilfeplanverfahrens
  • Kontaktherstellung und weitere Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie des Kindes
  • Kooperation mit Schule und mit ambulanten Hilfsdiensten bzw. Therapeuten

b) Prozessbegleitende Beratung der Erziehungsstellenfamilie

  • regelmäßige Beratungsgespräche
  • Hausbesuche
  • Einzel- und Familiengespräche
  • Telefonkontakte
  • Konfliktmanagement

c) Begleitung des jungen Menschen

  • Umgang
  • Biografiearbeit
  • Freizeiten bei Bedarf
  • Gruppenangebote

d) Fallübergreifende Aufgaben

  • Elternarbeitskreise
  • Fortbildungen
  • Werbung von Erziehungsstelleneltern
  • Bewerberarbeit

Die Beratung der Erziehungsstelle ist die zentrale Aufgabe der Erziehungsstellenberaterin und soll das Wohl des Kindes in Zusammenarbeit mit der fallführenden Stelle sichern. Die Frequenz der Beratungsgespräche variiert entsprechend dem Einzelfall von mehreren Kontakten pro Woche bis hin zu monatlichen Besuchen. In der Regel finden wöchentlich telefonische Kontakte und mindestens ein Beratungsgespräch pro Monat statt.
In Krisenzeiten ist die Erziehungsstellenberaterin auch außerhalb der üblichen Bürozeiten von den Erziehungsstellen ansprechbar.

4.2 Berufliche Qualifikation

Die Arbeit mit dem jungen Menschen, mit der Erziehungsstellenfamilie und familienanalogen Systemen, der Herkunftsfamilie sowie die Kooperation mit den verschiedenen Professionen erfordern fundiertes Fachwissen. Die Erziehungsstellenberaterin verfügt über ein abgeschlossenes Studium der (Fach-)Hochschule im Bereich Sozialwesen.
Zusätzlich zur beruflichen Qualifikation ist eine mehrjährige Berufserfahrung mit beraterischen Anteilen erforderlich; ebenso eine Zusatzausbildung oder Weiterbildung, z.B. in systemischer Familienberatung oder Familientherapie.
Zur Eignung der Beraterin gehören weiterhin:

  • Team- und Kooperationsfähigkeit
  • Moderationskenntnisse
  • Kenntnisse zu diagnostischen Verfahren
  • Entscheidungsfähigkeit (z.B. Bewerberauswahl, Matching).

5. Rahmenbedingungen

5.1 Absicherung der Beratungsleistung

5.1.1 Betreuungsschlüssel
Der Betreuungsschlüssel der Erziehungsstellenberater liegt bei 1:10 bis1:12 Kindern.

5.1.2 Anzahl der Erziehungsstellenkinder und Pflegekinder
Von den Rahmenbedingungen können maximal zwei junge Menschen in einer Erziehungsstelle untergebracht werden. Weiterhin lässt die Besonderheit dieser Differenzierungsform der Hilfen zur Erziehung nicht zu, neben der Erziehungsstelle und den möglichen eigenen Kindern zusätzlich noch weitere Pflegekinder von einem anderen Träger aufzunehmen.
Die unterschiedlichen Beratungssysteme und Unterhaltsleistungen erschweren oder blockieren die langfristig angelegte Erziehungsstellenarbeit.

5.1.3 Supervision
Supervision der Erziehungsstellenberaterinnen ist notwendiger Bestandteil der Qualitätssicherung der Beratungsleistung.

5.1.4 Co – Beratung und kollegiale Beratung
Als weitere Option der Qualitätssicherung kann Co – Beratung und kollegiale
Beratung installiert werden.

5.2 Finanzielle Rahmenbedingungen

5.2.1 Aufwendungen für die Erziehungsstelle
Die Erziehungsstelle erhält für das Kind oder den Jugendlichen altersgestaffeltes Pflegegeld (materielle Aufwendungen) für den Lebensunterhalt gem. § 39 (5) SGB VIII. Grundlage ist der jeweilige Erlass des zuständigen Ministeriums NW. Einzelbeihilfen können beim zuständigen Kostenträger beantragt werden.
Für die pädagogische Leistung erhält die Erziehungsstelle eine Aufwandsentschädigung einschließlich eines Alterssicherungsbeitrages entsprechend der Empfehlung des Landesjugendamtes im Rheinland.
Die Familie sollte nicht existenziell von den finanziellen Leistungen aus der Erziehungsstellenarbeit abhängig sein, um somit die Dauer des Pflegeverhältnisses nicht durch wirtschaftliche Kriterien zu bestimmen.

5.2.2 Trägeraufwand
Der Träger erhält für seine Aufwendungen einen Ausgleich für Personal-, Sach- und Verwaltungskosten.
Die Finanzierung der Erziehungsstellenarbeit erfolgt über entsprechende Vereinbarungen.

6. Aufgabe und Beteiligung des LJA

Das Landesjugendamt Rheinland begleitet und unterstützt die Rheinischen Erziehungsstellen durch:

  • Beratung
  • Durchführung und Koordination des Arbeitskreises der *Erziehungsstellenberaterinnen
  • Mitarbeit in Trägerkonferenz und Fachausschusssitzung
  • Fortbildung (regelm. Angebot für Fachkräfte und *Erziehungsstelleneltern)
  • Empfehlungen

Nachwort

Die vorliegende Konzeption wurde von der „Trägerkonferenz der Erziehungsstellen im Rheinland„erarbeitet und wird kontinuierlich weiterentwickelt.
Mit dieser Konzeption werden im Sinne einer transparenten Zusammenarbeit mit den belegenden Jugendämtern einheitliche Kriterien und Qualitätsstandards
im Bereich des Landesjugendamtes Rheinland für die Erziehungsstellen im Rheinland
beschrieben und festgelegt.

Die Gesamtkonzeption können sie hier einsehen.