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11.09.2018

Kultursensible Vermittlung

Vorstellung eines Konzeptes des LWL-Kinderheim Hamm zur Vermittlung von Pflegekindern ein neues kultursensibles Zuhause in einer Pflegefamilie mit Migrationshintergrund.
Mehmet und Sophia fanden ein neues kultursensibles Zuhause in einer Pflegefamilie mit Migrationshintergrund

Im § 20.3 der UN-Kinderrechtskonvention heißt es: "Zur Betreuung von Kindern außerhalb der Familie ist „die erwünschte Kontinuität in der Erziehung des Kindes sowie die ethnische, kulturelle und sprachliche Herkunft des Kindes […] gebührend zu berücksichtigen.“

Sophia und Mehmet ist dies durch eine kultursensible Vermittlung in Pflegefamilien mit Migrationshintergrund ermöglicht worden.

Mehmet hat im Alter von einem Jahr und Sophia mit fast drei Jahren in einer WPF-Pflegefamilie ein neues Zuhause gefunden.

Mehmet ist das fünfte Kind von sechs Geschwistern einer Herkunftsfamilie, deren Kinder alle in Obhut genommen werden mussten. Der Wunsch seiner Eltern nach einem gemeinsamen Familienleben konnte nicht verwirklicht werden.

Die Pflegeeltern haben ihn in ihre Familie mit offenen Armen und Herzen aufgenommen.

Er hat nun die Möglichkeit in Geborgenheit, Sicherheit und Kontinuität aufzuwachsen.

Sophia ist das sechste Kind von insgesamt sieben Geschwistern, von denen die drei Jüngsten in Pflegefamilien leben. Sophia ist das Einzige der drei Pflegekinder, das mit ihren Herkunftseltern in ihrer Muttersprache sprechen kann. Dies ermöglichen ihre Pflegeeltern.

Sie schaffen die Rahmenbedingung für eine andere Art und Qualität der Begegnung und Kommunikation bei den häufig und regelmäßig stattfindenden Besuchskontakten - sowohl zwischen Kind und Eltern, als auch zwischen den beiden Elternpaaren.

Zitat der Herkunftsmutter: „Sophia ist das einzige meiner Kinder, das mich versteht und mit dem ich in meiner Sprache reden kann.“

Kultursensibel

Für Mehmet und Sophia sind Pflegefamilien gefunden worden, in denen die erwünschte Kontinuität in der Erziehung des Kindes sowie die ethnische, kulturelle und sprachliche Herkunft des Kindes gebührend berücksichtigt werden.

Durch die kultursensible Vermittlung wird den Pflegekindern ermöglicht, ihre Muttersprache weiterhin zu lernen und zu sprechen. Dadurch sind sie in der Lage, mit ihrer Herkunftsfamilie und in deren Herkunftsland in einer gemeinsamen Sprache zu kommunizieren

Nicht nur von Geburt an, sondern weitaus früher, haben Mehmet und Sophia ihre Umwelt wahrgenommen und werden diese in einem ähnlichen kulturellen Umfeld eher als vertraut empfinden. Später führt die Erinnerung an die Wahrnehmung durch die vakogischen Sinneskanäle dazu, dass die beiden als Pflegekinder ihr Umfeld als vertrauter und gewohnt empfinden und sich besser auf die veränderte Situation einlassen können.

Mehmet und Sophia können in ihrem neuen Zuhause ihre vertrauten vakogischen und vorgeburtlichen Erfahrungen wiederfinden und somit in Kontinuität und Stabilität leben. Dies trägt unter anderem zu einer ganzheitlichen Förderung bei und wirkt sich positiv auf die kindliche Entwicklung aus.

Weiterhin haben Mehmet und Sophia das Recht auf die Wahrung ihrer kulturellen Identität.

Die Sensibilität der Pflegefamilie für den kulturellen, sozialen und religiösen Hintergrund des Kindes ist durchaus förderlich. Die Erziehungshaltung in der Kultur der Herkunftsfamilie - und mithin die des Herkunftslandes – wird weiter gelebt und kann Kinder in ihrem Selbstwertgefühl stärken,

da sie hierdurch eine Erfahrung von Kongruenz, Authentizität und Kontinuität machen.

Die Pflegefamilie erhält vertraute Rituale und Traditionen und unterstützt somit die Erhaltung kultureller Werte. Toleranz und Anerkennung für die Herkunft des Kindes stellen eine unentbehrliche Voraussetzung für ein gelingendes Pflegeverhältnis dar.

Das Verständnis und die Einsicht in die entsprechenden Familientraditionen auf Seiten der Pflegeeltern sind hierbei essentiell.

Kulturnahe Vermittlungen können eine Biografiearbeit ermöglichen, die die Menschenbilder der eigenen Kultur berücksichtigt und die Beantwortung der Frage „Woher komme ich?“ erleichtern mag. Mehmet und Sophia leben nicht nur in einer sogenannten Kernfamilie, sondern sie erleben einen Familienverbund, der ihnen - auch perspektivisch - ein intensives und sicherheitsgebendes Eingebundensein anbietet. Für ihre Biografiearbeit haben sie Menschen an ihrer Seite, die ihre Wurzeln und Herkunft in Bezug auf Traditionen und Gebräuche teilen und ihnen dabei Unterstützung und Verständnis bieten.

Mehmet und Sophia haben ein ähnliches Äußeres wie ihre Pflegeeltern, das heißt, sie sind nicht auf den ersten Blick als Pflegekinder erkennbar. Dies schützt sie und ihre Pflegefamilie in ihrer Familienintimität und stärkt möglicherweise auch ihre Identifikation mit einem Leben in einer Pflegefamilie.

Mehmet und Sophia wird ein Aufwachsen in Bi-Kulturalität und Bi-Lingualität geboten.

Darauf können sie ein Leben lang zurückgreifen. Es kann sie in ihrer Identitätsbildung im Hinblick auf ihre Herkunft und ihre Wurzeln unterstützen und stärken.

Auf all dies haben sie einen Rechtsanspruch.

Pflegeeltern mit Migrationshintergrund

Mehmet und Sophia leben in Pflegefamilien mit sogenanntem Migrationshintergrund.

Diese leben in zweiter Generation in Deutschland. Sie sind hier zur Schule gegangen, haben ihre Ausbildungen absolviert oder studiert und arbeiten seit langer Zeit in Deutschland, welches sie als ihren Lebensmittelpunkt ansehen.

Sie haben hier ihre Familie gegründet und nehmen am gesellschaftlichen Leben mit Rechten und Pflichten teil. Ihre Erziehungserfahrungen kommen aus ihrer eigenen (Migrations-)biografie und diese fließen geprägt von ihrem hiesigen Lebensstil und Wertesystem in ihre Erziehungspraxis selbstverständlich mit ein. Hierbei spielen ein ausgeprägter Familiensinn und der Zusammenhalt als Familie eine große Rolle.

Dies kann Sicherheit und mit einhergehend ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln und gerade für Pflegekinder mit ihren bisherigen Erfahrungen förderlich sein.

Eine dieser Pflegefamilien ist Mitbegründer eines interkulturellen Kindergartens, in dem sie auch schon ein Platz für ihr zukünftiges Pflegekind (reserviert) haben. Zudem spielt die Pflegemutter mit einer Leier in der Waldorfschule ihrer Tochter nicht nur an Weihnachten Lieder - ganz selbstverständlich gemeinsam mit anderen Frauen, die kein Kopftuch tragen.

Auch für die Herkunftsfamilie kann eine kulturnahe Vermittlung chancenreich sein.

Die Pflegeeltern treffen vermutlich bei der Herkunftsfamilie auf eine höhere Akzeptanz und verfügen meist über ähnliche spezifische kulturelle und religiöse Kenntnisse.

Die Ressourcen einer Pflegefamilie aus einem ähnlichen Kulturkreis bestehen unter anderem aus dem Angebot einer bi-kulturellen und bi-lingualen Erziehung. Sie lebt sowohl die eigenen Traditionen und Bräuche als auch die ihrer Umwelt und Nachbarschaft.

Sie haben zumeist leibliche Kinder, die die Muttersprache aber auch die deutsche Sprache perfekt beherrschen.

In der Pflegefamilie wird die Erziehungshaltung aus der Kultur der Herkunftsfamilie beziehungsweise die des Herkunftslandes weitergelebt. Die Berücksichtigung und Erhaltung kultureller Rituale und Werte durch die Pflegeeltern, stärkt die Kinder in ihrem Selbstwertgefühl.

Dies gilt insbesondere für die Entwicklung von Familienbildern und fördert das Entstehen einer kulturellen Zugehörigkeit, die für die Identitätsentwicklung eines Kindes förderlich sein kann.

Diese Rahmenbedingungen hierfür werden sie auch einem Pflegekind zur Verfügung stellen können.

Für die Herkunftsfamilie kann die Unterbringung eines Kindes in einer Familie mit zumindest ähnlichem kulturellen bzw. religiösen Hintergründen die Akzeptanz der Fremdunterbringung fördern und zusätzlich mögliche Ängste bezüglich einer Entfremdung des Kindes von seiner Familie gegebenenfalls verringern.

Kulturelle und religiöse Werte beziehungsweise Weltanschauungen, Rituale und Feiertage werden bei einer kulturnahen Vermittlung beachtet.

Hierbei ist ein weiterer zentraler Bestandteil die Muttersprache. Die Herkunftseltern haben die Gewissheit, dass ihr Kind in seiner Pflegefamilie auch mit der Muttersprache aufwächst.

Dies alles wirkt auf die Akzeptanz seitens des Herkunftssystems ein und ist förderlich und unterstützend in der Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Vorbereitung von Pflegeeltern mit Migrationshintergrund

Zur Förderung der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Pflegefamilien, tut die Pflegekinderhilfe Gut daran, mehr Pflegeeltern mit Migrationshintergrund für sich zu gewinnen. Mehrsprachige Informationsmaterialien, Fachberater mit interkulturellem Wissen und interkultureller Kompetenz und die Zusammenarbeit mit unabhängigen Migrantenorganisationen helfen dabei, diese wertvolle Ressource zu erschließen.

Für Pflegeelternbewerber gelten feste Regularien, welche transparent kommuniziert werden.

Diese sollten Bewerber mit Migrationshintergrund nicht benachteiligen. Demnach darf beispielsweise das Tragen eines Kopftuchs kein Ausschlusskriterium für potentielle Pflegemütter sein. Gute Deutschkenntnisse hingegen sind eine unerlässliche Voraussetzung, da die Beratung der Pflegefamilie und auch sämtliche Fachgespräche mit beteiligten Institutionen auf Deutsch geführt werden.

LWL Heilpädagogisches Kinderheim Hamm

Der Pflegekinderdienst des Heilpädagogischen Kinderheims Hamm ist an vier Standorten in Westfalen-Lippe vertreten: Lüdinghausen, Selm, Ahlen und Herne und bietet den Jugendämtern verschiedene Vollzeitpflegemodelle gemäß §§ 33 und 42 SGB VIII an.

Eines der Angebote ist die Unterbringung von Pflegekindern in multikulturellen Pflegefamilien nach dem Konzept der Westfälischen Pflegefamilien.

Als Einrichtung in der Pflegekinderhilfe möchten wir für Kinder mit Migrationshintergrund eine Vermittlung in kulturnahe Pflegefamilien anbieten.

Hierbei sind wir weiterhin auf der Suche nach interessierten Jugendämtern, Pflegekinderdiensten und Vormündern, die für diesen Ansatz offen sind und die obigen Überlegungen befürworten können. Unsere Bewerberfamilien werden durch unseren Beratungsfachdienst auf ihre Aufgabe als Pflegefamilie gemäß WPF-Standard vorbereitet.

Weiterhin sind wir auf der Suche nach Pflegefamilien für eine kultursensible Vermittlung, die Kindern wie Mehmet und Sophia ein neues Zuhause geben möchten – (auch gerne als Bereitschaftsfamilie.)

Ansprechpartnerinnen:

Christiane Lotto

Pflegekinderdienst, Fachbereichsleitung
Lisenkamp 27, 59071 Hamm
Telefon: 02591/ 89 25 403
Mail. christiane.lotto@lwl.org

Gisela Akturan

Fachberatung Pflegekinderdienst
Vinckestr. 1, 44623 Herne
Tel: 02323/14779-34
Mail: gisela.akturan@lwl.or

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Wir haben vor kurzem ein Pflegekind aufgenommen und das trotz meiner Schwangerschaft. Die Anbahnung lief gut und schon nach vier Wochen zog das 3,5 jährige Mädchen bei uns ein. Leider läuft es im Alltag nun nach zwei Wochen gar nicht mehr. Sie schlägt und tritt mich. Ich bin total verunsichert und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Habe Angst um unser Baby und wie es nach der Geburt werden soll. Kann ich das Kind wieder abgeben? (Auszug aus der Frage)