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08.06.2022
Politik

Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten – Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe

Die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) hat im Mai die Berliner Erklärung verabschiedet. Die Erklärung geht auf die besondere Krisensituation der Kinder und Jugendlichen ein, die durch die Sorge vor der Klimakrise, die massiven Einschränkungen durch die Pandemie und nun durch die allgemeine Verunsicherung durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine besonders belastet sind. Kinder und Jugendliche müssen deshalb in vielfältiger Weise gestärkt werden, so der Beschluss der JFMK und des Bundesfamilienministeriums.

Beschluss:

Die Jugend- und Familienministerkonferenz fasst folgenden Beschluss:

Zum guten Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehört es, gute Perspektiven zu haben und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Deutschland bietet für junge Menschen in hohem Maße positive Rahmenbedingungen und Perspektiven des Aufwachsens, die beispielsweise durch breite Möglichkeiten der Bildung und Teilhabe geprägt werden. Dem stehen heute jedoch mehr als in den zurückliegenden Jahrzehnten Erfahrungen krisenhafter Entwicklungen gegenüber. Viele junge Menschen erleben die Gegenwart als eine durch Krisen geprägte Zeit. Zukunftsängste und Gefährdungen der psychischen Gesundheit in der jungen Generation nehmen zu.

Auslöser ist zum einem der Klima-Wandel. Die damit verbundenen Folgen stellen eine starke Bedrohung dar und werden von vielen Kindern und Jugendlichen auch so wahrgenommen – zumal künftige Generationen davon besonders betroffen seien werden. Hinzu kommt die COVID -19-Pandemie, die Kinder und Jugendliche in ihrem täglichen Leben in den vergangenen beiden Jahren beschränkt hat und in der Folge in ihrer Entwicklung beeinträchtigen kann. Einschränkungen bei der Kinderbetreuung, Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen sowie die Aussetzung von Freizeit- und Sportmöglichkeiten führten zu psychischen und körperlichen Belastungen. Kinder und Jugendliche konnten darüber hinaus den Eindruck gewinnen, dass ihre Anliegen und ihre Rechte zu wenig berücksichtigt worden sind, wenn es um konkrete Entscheidungen zum Infektionsschutz ging. Und mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat das Aufwachsen in einem friedlichen Europa seine Selbstverständlichkeit für junge Menschen verloren. Die einen sind unmittelbar betroffen – durch Lebensgefahr und Angst im Krieg, aber auch in Situationen auf und nach der Flucht – , die anderen kommen mittelbar damit in Berührung durch beängstigende Berichterstattung oder bei der Begegnung mit Gleichaltrigen, die Traumatisches erlebt haben.

Angesichts der sich heute in hoher Geschwindigkeit wandelnden äußeren Bedingungen des Lebens und Aufwachsens, zu denen auch die aus diesen Krisen resultierenden Belastungen, Ängste und Gefährdungen gehören, müssen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in vielfältiger Weise gestärkt werden. Sie brauchen Halt und ihrer jeweiligen Situation und ihrem Alter angemessene Unterstützung.

Neben der Familie und den Institutionen des Bildungswesens kommt dabei aus Sicht der Jugend- und Familienministerkonferenz und der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch der Kinder- und Jugendhilfe eine wichtige Rolle zu. Sie hält ein Netz aus Angeboten und Leistungen für alle Altersgruppen und unterschiedliche Lebenswelten bereit, u. a. in den Frühen Hilfen, in der Kindertagesbetreuung, in der Familienförderung, in den außerschulischen Bildungsangeboten, in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Jugend- und Schulsozialarbeit oder den Hilfen zur Erziehung. Geleitet wird sie dabei von den Kinderrechten und dem Anspruch, mit ihren vielfältigen Angeboten alle jungen Menschen in ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Sie trägt dazu bei, Benachteiligungen abzubauen und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Die Stärke der Kinderund Jugendhilfe liegt sowohl in der Vielfalt ihrer Angebote begründet als auch darin, dass sie gesellschaftliche Vielfalt anerkennt und fördert. Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein wichtiges Sozialisationsfeld und bietet Zukunftsorientierung.

Die Kinder- und Jugendhilfe kann junge Menschen auch im Umgang mit Krisen und Druck unterstützen. Sie kann Resilienz und die Fähigkeit zur aktiven Zukunftsgestaltung stärken und sie ermöglicht Partizipation. Die Kinder- und Jugendhilfe erfüllt ihren „Einmischungsanspruch“ und leistet einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Jenseits von Krisen bietet die Kinder- und Jugendhilfe Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Freizeitgestaltung und zum gelingenden Aufwachsen, in dem Kinder und Jugendliche sich selbst erleben und verwirklichen können.

Hierbei kommt den Fachkräften bei öffentlichen und freien Trägern eine Schlüsselfunktion zu: Sie gestalten Angebote passgenau, leben Werte und Haltung vor, sind für die Kinder und Jugendlichen da und stellen sie in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Dafür sprechen ihnen die JFMK und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ihren besonderen Dank und ihre hohe Anerkennung aus – umso mehr, da sie insbesondere seit Beginn der Covid-19- Pandemie unter erschwerten Bedingungen arbeiten.

Damit die Kinder- und Jugendhilfe ihrer wichtigen Verantwortung zur Begleitung der Kinder und Jugendlichen weiterhin nachkommen kann, muss die Vielfalt der Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten und auch bedarfsgerecht ausgebaut und gestärkt werden. Dies erfordert gemeinsame Anstrengungen aller Akteure. Bund und Länder sind sich ihrer Verantwortung bewusst und werden gemeinsam mit den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe dafür Sorge tragen, dass auch weiterhin die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Bund wird sich im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeiten weiterhin an der Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe beteiligen. Bund und Länder sind sich einig, dass gemeinsam ergriffene Maßnahmen unbürokratisch umgesetzt werden sollen.

Die Jugend- und Familienministerkonferenz bekräftigt ihren Beschluss vom 06.05.2021 und hält daran fest, dass aufgrund der aktuellen Situation in stärkerem Umfang Beratungs- und Betreuungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe sowie Freizeitangebote benötigt werden. Die psychosozialen Folgen der genannten Krisen bei Kindern, Jugendlichen und Familien müssen langfristig berücksichtigt werden.

Das Aktionsprogramm der Bundesregierung „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ sowie die ergänzenden Programme der Länder leisten hierzu einen sehr wichtigen Beitrag. Die JFMK und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begrüßen daher, dass sich ein Zukunftspaket für Bewegung, Kultur und Gesundheit anschließen soll. Ein Nachfolgeprogramm des Bundes zum Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ bzw. dessen Fortsetzung wäre aus jugendpolitischer wie aus familienpolitischer Sicht zu begrüßen.

Die JFMK und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend streben zudem eine (Neu-)Auflage und Reaktivierung von Bundesprogrammen an, um die Kinderbetreuung bei der Aufnahme und Integration ukrainischer Kinder und deren Familien zu unterstützen. Programme mit Brückenangeboten oder zum Beispiel Integrationskursbegleitende Kinderbetreuung können bis zur Aufnahme in institutionelle Kindertagesbetreuung unterstützen.

Um Kindern unabhängig von ihrem Lebensort und ihrer Herkunft von Anfang an gleichwertige Entwicklungs- und Bildungschancen zu ermöglichen, braucht es Angebote der Kindertagesbetreuung in ausreichendem Umfang und von hoher Qualität. Diese muss für alle Kinder gleichermaßen zugänglich sein. Das ist auch für die Integration geflüchteter Familien und Kinder von großer Bedeutung.

Die für Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzen sich daher für eine Fortsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes, mindestens eine Verstetigung der hierfür vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel sowie eine Fortsetzung des Bundesprogrammes „Sprach-Kitas“ ein. Der Bund unterstützt die Länder bei der Weiterentwicklung der Qualität und der Verbesserung der Teilhabe in der Kindertagesbetreuung bislang von 2019 bis 2022 mit rund 5,5 Mrd. Euro. Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ trägt maßgeblich zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen aller Kinder bei, denn insbesondere die frühkindliche sprachliche Bildung ist eine Grundlage für eine erfolgreiche Bildungsbiographie.

Um die Jugendarbeit und Jugendpolitik europaweit zu stärken, begrüßen und unterstützen die JFMK sowie die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausdrücklich die Ausrufung des Europäischen Jahrs der Jugend 2022 und die damit verbundenen Aktivitäten.

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