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29.06.2016
Politik

Wo hakt es noch?

Die Piratenpartei hat als Mitglied des Rates in ihrer Stadt eine Anfrage zur Vermittlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Gastfamilien gestellt.

Die Piratengruppe im Rat der Stadt Köln hat die Verwaltung um Beantwortung einiger Fragen im Zusammenhang mit dem Gastfamilienprogramm für unbegleitete minderjährige Ausländer gebeten.

Anfrage der Piratengruppe

Gastfamilien-Programm der Stadt Köln: Wo hakt es noch?

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin ...,
sehr geehrter Herr Ausschussvorsitzender ...,

die Antragsteller bitten Sie, folgende Anfrage auf die Tagesordnung der kommenden Sitzung des Jugendhilfeausschusses zu nehmen:

Seit 1. November 2015 vermittelt das Kölner Jugendamt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in Gastfamilien. Die Piraten begrüßen die Unterbringung von Flüchtlingskindern und Jugendlichen in Gastfamilien. Wir sind der Überzeugung, dass das Leben mit "Familienanschluss" insbesondere für junge Geflüchteten gute Möglichkeiten bietet, um in Köln anzukommen. Auch andere Kommunen bieten mittlerweile vergleichbare Projekte an.

Private Unterbringung kann ein guter Weg sein, die Herausforderungen im Bereich der Integration und Flüchtlingsaufnahme zu bewältigen. Man erreicht dabei motivierte, idealistische Ehrenamtler mit hohem Engagement, die den Jugendlichen eine sehr individuelle Förderung geben können. Tatsächlich werden sogar die Kassen entlastet: Die Unterbringung in einer Wohngruppe wird zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro UMF pro Monat, zuzüglich Kosten für Gesundheit/Krankenversicherung, geschätzt, während für eine Unterbringung 12-18 Jähriger Jugendlicher vergleichsweise harmlose 945 Euro an die Pflegefamilie gezahlt werden. Pflegekinder können außerdem in einer gesetzlichen Krankenversicherung der Pflegeeltern kostenlos mitversichert werden, was zu einer besseren oder doch wenigstens gleichwertigen gesundheitlichen Versorgung der Jugendlichen führt, obwohl die Sozialkassen entlastet werden. Das ist eine Situation, die bei guter Vorbereitung, Unterstützung und Kontrolle alle Seiten besser stellen dürfte".

Die in dem Schreiben nun folgenden Fragen der Piratengruppe werden in der Antwort der Stadt Köln noch einmal aufgeführt und daher hier nicht zweimal aufgeführt. Die Verwaltung beantwortet die Fragen wie folgt:

Frage 1:

Wie viele Pflegefamilien haben sich um die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beworben, wie lange dauerte es vom ersten Bewerbungsgespräch beim Amt bis zum Einzug der Pflegekinder, und wie viele Pflegefamilien wurden in Köln abgelehnt? Bitte die Gründe für die jeweilige Ablehnung einzeln aufzählen.

Es haben sich seit Oktober 2015, 75 Gasteltern(-teile) im Pflegekinderdienst der Stadt Köln beworben. 29 Bewerber (-paare) haben wiederum Abstand von ihrer Bewerbung bzw. Aufnahmebereitschaft genommen und stehen nicht mehr zur Verfügung. Der Zeitraum vom ersten Bewerberinformationsgespräch bis zum Einzug des UMA in einer potenziellen Gastfamilie ist als ein individueller Prozess zu betrachten. Inhaltlich wird einerseits die potenzielle Gastfamilie sowie das häusliche Umfeld kennengelernt und beraten, andererseits finden Hilfeplangespräche mit dem unbegleiteten minderjährigen Ausländern, dem pädagogischen Dienst des Jugendamtes sowie mit dem Vormund des Jugendlichen statt. Die Erfahrung bisher hat gezeigt, dass einige Gastfamilien im Vorlauf bis zur Vermittlung noch Renovierungsarbeiten vornehmen und es in Einzelfällen auch dadurch zu Verzögerungen kam.

Das Kennenlernen der potenziellen Gastfamilie, die Überprüfung derselben, das Kennenlernen des UMA, die Abstimmung mit den Hilfesystembeteiligten sowie das Zusammenbringen und die endgültige Vermittlung dauern im Durchschnitt ca. 8-10 Wochen.

Keine der GastfamilienbewerberInnen wurde durch den Pflegekinderdienst abgelehnt. 29 BewerberInnen haben von dieser Hilfeform Abstand genommen. Gründe dafür waren vor allem der Wunsch auf die Vermittlung eines jungen Kindes oder eines Mädchens (Die zu vermittelnden UMAs sind vor allem männliche Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr).

Frage 2:

Bitte erläutern Sie, ob den Jugendlichen bevorzugt Wohngruppen oder bevorzugt Pflegefamilien empfohlen werden, wie für die Unterbringungsform "Pflegefamilie" bei den Jugendlichen geworben wird und wie viele Jugendliche sich, bezogen auf die Gesamtzahl der in Köln lebenden UMF, daraufhin für die Aufnahme in eine Pflegefamilie beworben haben, sowie wie lange die UMF, die inzwischen in Pflegefamilien leben, warten mussten, bis eine für sie passende Pflegefamilie gefunden war. Letzteres bitte einzeln aufschlüsseln.

Die Hilfeplanung für UMA nach ihrer Inobhutnahme geschieht im Zusammenwirken zwischen den Fachkräften des Jugendamtes, dem jeweiligen Jugendlichen, des durch das Familiengericht eingesetzten Vormunds und den Fachkräften der Betreuungsstelle. Im Mittelpunkt der Planung einer Hilfe, steht die individuelle Bedarfslage des jeweiligen Jugendlichen.

Diese ist unter anderem geprägt durch Alter, Entwicklungsstand, Bildungsstand, Sprachkenntnisse sowie Bindung zur Herkunftsfamilie. Demgemäß gibt es keine durch das Jugendamt bevorzugte Hilfeart. Vielmehr ist das fachliche Augenmerk auf die Geeignetheit der Hilfe gerichtet.

Das Ergebnis der individuellen Hilfeplanung führt zu unterschiedlicher Hilfesettings wie die Unterbringung

  • in einer pädagogisch betreuten Wohngruppe (§34 SGB VIII)
  • in einer Gastfamilie (§ 33 SGB VIII)
  • in einem Jugendwohnheim (§ 13.3 SGB VIII)
  • in einer geeigneten Wohnung mit ambulanter pädagogischen Betreuung (§ 35 SGB VIII).

Frage 3:

Inwieweit sind UMF, die keinen Vormund haben, in ihren Aussichten auf Ausbildung, Beschulung, Pflegefamilie, Integration schlechter gestellt als UMF, die einen Vormund haben und wie kann man dafür sorgen, dass möglichst schnell genug Vormünder gefunden und vermittelt werden?

Kinder und Jugendliche werden zu jedem Zeitpunkt gesetzlich vertreten. Auch im Rahmen der Inobhutnahme gibt es eine rechtliche Vertretung durch das Jugendamt. Hier können die notwendigsten Angelegenheiten für die Kinder und Jugendlichen geregelt werden. Nichts desto trotz wird eine Betreuung und Vertretung durch einen Vormund unverzüglich durch das Jugendamt beantragt.

Das Vormundschaftsgesetz benennt verschiedene Typen der Vormundschaft, die alle beim Jugendamt Köln nach Entscheidung durch das Amtsgericht zum Einsatz kommen.

Ehrenamtliche Einzelvormundschaft:

  • Für die Vertretung von UMA werden seit Ende 2015 regelmäßig ehrenamtliche Einzelvormünder eingesetzt. Die Gewinnung, Schulung sowie Beratung und Unterstützung der ehrenamtlichen Vormünder erfolgt in Kooperation mit „Auf Achse Treberhilfe“ und dem „Sozialdienst katholischer Frauen Köln“. Zweimal jährlich erfolgt eine Schulung von ehrenamtlichen Einzelvormündern.

Vereinsvormundschaft:

  • Die in Köln eingesetzten Vereinsvormünder führen Vormundschaften berufsmäßig mit einer Quote von 1:40 (Vormund/Mündel). Die Abrechnung erfolgt über das Familiengericht. Zur Deckung der Overheadkosten wird eine Fallpauschale durch das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Köln gewährt.

Freiberufler (seit Januar 2016):

  • Die freiberuflich tätigen Vormünder sind auch für Städte und Kreise außerhalb von Köln tätig. Diese entscheiden eigenständig, wie viele Vormundschaften sie führen und ob diese nach Umzug der Mündel abgegeben werden. Die Abrechnung der Kosten erfolgt ausschließlich über das Familiengericht. Voraussetzung für die Abrechnung als Berufsvormund ist, dass mindestens 10 Vormundschaften geführt werden.

Amtsvormundschaft:

  • Im Bereich der Amtsvormundschaft ist es in Folge des Flüchtlingsstroms zu einem großen Anstieg der Fallzahl en gekommen. Vor diesem Hintergrund wurden insgesamt sieben Stellen zugesetzt um alle Vormundschaften zu bearbeiten. Mit Besetzung aller Stellen ist nach der Einarbeitung ein Verhältnis von 1:40 (Vormund/Mündel) sichergestellt.

Frage 4:

Städtische Vormünder können oft nicht zeitnah auf die Bedürfnisse ihrer Pfleglinge reagieren. Die ehrenamtlichen Pflegeeltern erleben sich dabei nicht selten als Dienstleister für eigentlich originäre Aufgaben der professionellen Vormünder. Nicht selten verlangt ein Vormund von den Pflegeeltern dann auch noch das Einholen von zahlreichen Einzelvollmachten, nur um fest stehende Notwendigkeiten erledigen zu können wie z.B. die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt, ein Schülerticket der KVB, eine Schulanmeldung (wobei die Schule vom Jugendamt vorgegeben ist), die Eröffnung eines Bankkontos für einen UMF oder eine Anmeldung im Sportverein. Dieses Nachlaufen kann zu einer echten zeitlichen und nervlichen Belastung für die Pflegeeltern und alle anderen Beteiligten werden. Welche standardisierte n Verfahren bzw. Vorlagen könnte die Stadt Köln ihren Vormündern z.B. im Rahmen einer Fortbildung zur Verfügung stellen, damit die ehrenamtlichen Pflegeeltern wenigstens die üblichen vorhersehbaren Aufgaben mit minimiertem Zeitaufwand und somit vorbereite, strukturiert und reibungslos erledigen können?

Entscheidungen des täglichen Lebens sind nicht originäre Aufgabe des Vormundes. Insoweit wird auf die Ausführungen des § 1686 BGB –Entscheidungsbefugnis der Pflegeperson- verwiesen. Demnach ist die Pflegperson berechtigt, selbst in Angelegenheiten des täglichen Lebens Entscheidungen zu treffen. Durch den jeweiligen Vormund werden zur Legitimation gegenüber Dritten, Vollmachten ausgestellt. Diese werden in jedem Einzelfall individuell gefertigt.

Die Jugendverwaltung erkennt an, dass die Gastfamilie gerade in der ersten Phase des Vormundschaftsverhältnisses Unterstützung benötigen. Hierfür erhalten Gastfamilien aktuell 30 Fachleistungsstunden über den „Neukirchner Erziehungsverein“ innerhalb der ersten sechs Wochen pauschal gewährt.

Frage 5:

Ehrenamtlich sich bewerbende Pflegeeltern werden vorab hinsichtlich ihrer Motivation, ihrer Gesundheit, ihrer Lebensverhältnisse, ihrer Finanzen und ihrer sehr persönlichen Lebensgeschichte durchleuchtet. Sie haben nicht selten über 100 Stunden ihrer Zeit für Gespräche mit Amtspersonen, das Ausfüllen von Formularen und für Fortbildungen aufgebracht, bevor sie ihr künftiges Pflegekind kennenlernen dürfen. Nach mehrmonatiger Vorlaufzeit beginnen zunächst die Kennenlern- und Probewohntermine, die sich wieder über Wochen, wenn nicht Monate hinziehen. Die Pflegeeltern empfangen ihre Kinder dabei üblicherweise mit einem bereits eingerichtete Zimmer und einer Grundausstattung für Schule, Sport oder Deutschunterricht und sie gehen dafür finanziell in Vorleistung. Zu erwähnen sind auch die üblichen Lebenshaltungskosten eines Jugendlichen, die durch das Pflegegeld abgedeckt werden, aber erst nach erteilter Einzugserlaubnis vom Amt übernommen werden.

Vor diesem Hintergrund interessiert uns: Wie viel Zeit verging bisher zwischen dem ersten Probewohnen und der ersten Auszahlung von Pflegegeld? Nennen Sie bitte die 3 kürzesten, die 3 längsten und die durchschnittliche Wartezeit, und stellen Sie da, wie die Stadt Köln es zukünftig vermeiden kann, dass ehrenamtliche Pflegeeltern nach langer Bereitschaftszeit ohne Kostenübernahme und dem glücklichen Einzug noch weitere Monate als "Bank" benutzt werden".

Vor dem 01.11.2015 wurden Gastfamilien in geringer Zahl ausschließlich über einen Träger der Jugendhilfe außerhalb der Stadt Köln belegt. Die Prüfung, Schulung und Vermittlung der interessierten Gasteltern in 2015 erforderten neue Verfahren und Abstimmungsprozesse zwischen den unterschiedlichen beteiligten Diensten. Verbunden mit der außerordentlichen Fallbelastung bei unzureichender Personalausstattung, kam es in 2015 in allen Fällen zu verzögerte Sachbearbeitung, die sich auch in verzögerter Anweisung von Pflegegeldern ausdrückte. Diese Situation hat sich 2016 erheblich entspannt, so dass die zeitgerechte Auszahlung der Pflegegelder für Gastfamilien gesichert ist.

Quelle: Freigegebene Ratsinformationen (AN/0785/2016)

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