Siegener Erklärung zur Kontinuität in der Biografie von Pflegekindern
Die professionelle Soziale Arbeit kann die Biografie von Pflegekindern stark beeinflussen. Das bringt eine besondere Verantwortung für die Entwicklungschancen der Pflegekinder hervor. An ihrem Wohl müssen sich die Entscheidungen der Sozialen Dienste und der Gerichte messen lassen.
Die professionelle Soziale Arbeit kann die Biografie von Pflegekindern stark beeinflussen. Das bringt eine besondere Verantwortung für die Entwicklungschancen der Pflegekinder hervor. An ihrem Wohl müssen sich die Entscheidungen der Sozialen Dienste und der Gerichte messen lassen.
Die folgenden Feststellungen sollen dazu dienen, diesem Ziel gerecht zu werden.
1. Kontinuität ist kein absolutes Ziel. Es kann gute Gründe für einen Ortswechsel geben. Insbesondere durch Gewalt (einschließlich sexueller Gewalt), massive Vernachlässigung oder ein generell feindseliges Umfeld können die Lebens- und Entwicklungsbedingungen am aktuellen Lebensmittelpunkt so ungünstig sein, dass eine grundlegende Veränderung unverzichtbar ist.
2. Wiederholte Ortswechsel und Beziehungsabbrüche können die Entwicklungsbedingungen der Kinder erheblich verschlechtern. Diskontinuität und - in der Folge - ein fraktionierter Lebenslauf, erschweren die Entwicklung von elementaren Fähigkeiten, belasten die Entwicklung eines positiven Selbstbildes, konfrontieren die Kinder mit Entwicklungsaufgaben und Problemen, die ihre Potenziale binden, und produzieren weitere Ohnmachtserfahrungen.
3. Wenn professionelle Soziale Dienste also Ortswechsel und Beziehungsabbrüche initiieren, fördern oder zulassen, müssen mögliche Belastungen für das Kind mit den Entwicklungschancen im Einzelfall genau abgewogen werden. Das vorrangige Ziel muss die Förderung einer guten Entwicklung und Erziehung der Kinder sein.
4. Eine kontinuitätssichernde Planung ist nur durch eine auf dieses Ziel ausgerichtete Kooperation von Sozialen Diensten und Justiz möglich. Die Soziale Arbeit ist darauf angewiesen, dass die Justiz ihre Bemühungen um Kontinuität und Verlässlichkeit unterstützt. Beide Institutionen sollen – unter Wahrung ihrer jeweiligen Autonomie und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten – eine Praxis entwickeln, die diesem Ziel dient.
Im Detail kann mit folgenden Fragen die Qualität professioneller Sozialer Arbeit überprüft werden:
1. Werden die Risiken und Chancen des Verbleibens im bisherigen Lebens- und Lernfeld realistisch eingeschätzt und angemessen berücksichtigt?
2. Werden die Chancen und die zusätzlichen Belastungen im alternativen Lebens- und Lernfeld realistisch eingeschätzt und angemessen berücksichtigt?
3. Werden beide Einschätzungen angemessen verglichen und die Belastungen im Übergang bei der Entscheidung berücksichtigt?
4. Werden die Kinder ihrem Alter entsprechend an den Entscheidungen beteiligt?
5. Werden Planungen und Aktivitäten entwickelt, die Nachteile und zusätzlichen Belastungen, die aus den Entscheidungen resultieren, zu minimieren?
6. Werden Planungen und Aktivitäten entwickelt, (weitere) Beziehungsabbrüche zu verhindern?
Indikatoren für Fehlentwicklungen sind hingegen:
1. Es bleiben alle Perspektiven völlig offen, das Kind erfährt einen sich ständig verlängernden Zeitraum, in dem unklar ist, wo es seinen Lebensmittelpunkt auf Dauer haben wird.
2. Das Kind muss in einem Spannungsfeld zwischen zwei Familien leben, das es zwingt, ständig mit Loyalitätskonflikten umzugehen. Es gelingt nicht, eine auf Stabilität ausgerichtete Koproduktion aller Bezugspersonen zu entwickeln.
3. Ressourcen für das Kind, seine Eltern oder Pflegeeltern werden erst zur Verfügung gestellt, wenn es eskalierende Entwicklungen gibt.
4. Die Eltern oder Pflegeeltern erhalten nicht die notwendige Unterstützung, sondern werden mit Erwartungen konfrontiert, die sie (zum Teil oder zeitweise) nicht erfüllen können.
5. Die Pflegekinder sind an den Entscheidungen nicht beteiligt: Sie werden nicht gut informiert, haben keine wohlwollenden Gesprächspartner für ihre Fragen und Probleme, ihre Wünsche und Befürchtungen werden nicht gehört und fließen nicht für sie sichtbar in die Entscheidungsprozesse ein.
Eine Soziale Arbeit, die die Qualitätsmerkmale verwirklicht und Fehlentwicklungen vermeidet oder abmildert, ist hervorragend in der Lage, eine gute Entwicklung von Pflegekindern zu fördern und Eltern und Pflegeeltern wirksam zu unterstützen. Hierbei ist sie auf Entscheidungen der Gerichte angewiesen, die dieses Ziel unterstützen.
Informationen zum Abschlussbericht des Praxisforschungsprojektes des Instituts für Vollzeitpflege und Adoption e.V. (iva) und der Forschungsgruppe Pflegekinder der Uni Siegen vom Februar 2015
Der Landschaftsverband Rheinland - Landesjugendamt - stellte Ergebnisse des Leuchtturmprojekts Pflegekinderdienst vor. Ziel des Projektes war es, durch ein Modellprojekt mit der Uni-Siegen Qualitätsstandards für die Pflegekinderdienste zu enttwickeln.
Eine von der ELK - Emmi Lübeskind-Stiftung - ermöglichte Langzeitstudie der Forschungsgruppe Pflegekinder. Was wird aus Kindern, die in Pflegefamilien aufgewachsen sind? Wie wichtig bleibt die Pflegefamilie? Welche Bedeutung kommt der Herkunftsfamilie zu?
Studien-Ergebnisse des Leuchtturmprojekts Pflegekinderdienst finden erstmals Anwendung in der Praxis / LVR-Landesjugendamt und Uni Siegen bilden Fachkräfte fort / Pflegekinderdienste aus 13 Kommunen nehmen teil
Vorstellung des Forschungsprojektes der Uni-Siegen auf einer Fachtagung am 13. und 14. Februar in Köln. Auch für Kinder und Jugendliche mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können, soll die Option der Unterbringung in einer Pflegefamilie bestehen.
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Siegener Erklärung zur Kontinuität in der Biografie von Pflegekindern
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Die professionelle Soziale Arbeit kann die Biografie von Pflegekindern stark beeinflussen. Das bringt eine besondere Verantwortung für die Entwicklungschancen der Pflegekinder hervor. An ihrem Wohl müssen sich die Entscheidungen der Sozialen Dienste und der Gerichte messen lassen.
Die folgenden Feststellungen sollen dazu dienen, diesem Ziel gerecht zu werden.
1. Kontinuität ist kein absolutes Ziel. Es kann gute Gründe für einen Ortswechsel geben. Insbesondere durch Gewalt (einschließlich sexueller Gewalt), massive Vernachlässigung oder ein generell feindseliges Umfeld können die Lebens- und Entwicklungsbedingungen am aktuellen Lebensmittelpunkt so ungünstig sein, dass eine grundlegende Veränderung unverzichtbar ist.
2. Wiederholte Ortswechsel und Beziehungsabbrüche können die Entwicklungsbedingungen der Kinder erheblich verschlechtern. Diskontinuität und - in der Folge - ein fraktionierter Lebenslauf, erschweren die Entwicklung von elementaren Fähigkeiten, belasten die Entwicklung eines positiven Selbstbildes, konfrontieren die Kinder mit Entwicklungsaufgaben und Problemen, die ihre Potenziale binden, und produzieren weitere Ohnmachtserfahrungen.
3. Wenn professionelle Soziale Dienste also Ortswechsel und Beziehungsabbrüche initiieren, fördern oder zulassen, müssen mögliche Belastungen für das Kind mit den Entwicklungschancen im Einzelfall genau abgewogen werden. Das vorrangige Ziel muss die Förderung einer guten Entwicklung und Erziehung der Kinder sein.
4. Eine kontinuitätssichernde Planung ist nur durch eine auf dieses Ziel ausgerichtete Kooperation von Sozialen Diensten und Justiz möglich. Die Soziale Arbeit ist darauf angewiesen, dass die Justiz ihre Bemühungen um Kontinuität und Verlässlichkeit unterstützt. Beide Institutionen sollen – unter Wahrung ihrer jeweiligen Autonomie und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten – eine Praxis entwickeln, die diesem Ziel dient.
Im Detail kann mit folgenden Fragen die Qualität professioneller Sozialer Arbeit überprüft werden:
1. Werden die Risiken und Chancen des Verbleibens im bisherigen Lebens- und Lernfeld realistisch eingeschätzt und angemessen berücksichtigt?
2. Werden die Chancen und die zusätzlichen Belastungen im alternativen Lebens- und Lernfeld realistisch eingeschätzt und angemessen berücksichtigt?
3. Werden beide Einschätzungen angemessen verglichen und die Belastungen im Übergang bei der Entscheidung berücksichtigt?
4. Werden die Kinder ihrem Alter entsprechend an den Entscheidungen beteiligt?
5. Werden Planungen und Aktivitäten entwickelt, die Nachteile und zusätzlichen Belastungen, die aus den Entscheidungen resultieren, zu minimieren?
6. Werden Planungen und Aktivitäten entwickelt, (weitere) Beziehungsabbrüche zu verhindern?
Indikatoren für Fehlentwicklungen sind hingegen:
1. Es bleiben alle Perspektiven völlig offen, das Kind erfährt einen sich ständig verlängernden Zeitraum, in dem unklar ist, wo es seinen Lebensmittelpunkt auf Dauer haben wird.
2. Das Kind muss in einem Spannungsfeld zwischen zwei Familien leben, das es zwingt, ständig mit Loyalitätskonflikten umzugehen. Es gelingt nicht, eine auf Stabilität ausgerichtete Koproduktion aller Bezugspersonen zu entwickeln.
3. Ressourcen für das Kind, seine Eltern oder Pflegeeltern werden erst zur Verfügung gestellt, wenn es eskalierende Entwicklungen gibt.
4. Die Eltern oder Pflegeeltern erhalten nicht die notwendige Unterstützung, sondern werden mit Erwartungen konfrontiert, die sie (zum Teil oder zeitweise) nicht erfüllen können.
5. Die Pflegekinder sind an den Entscheidungen nicht beteiligt: Sie werden nicht gut informiert, haben keine wohlwollenden Gesprächspartner für ihre Fragen und Probleme, ihre Wünsche und Befürchtungen werden nicht gehört und fließen nicht für sie sichtbar in die Entscheidungsprozesse ein.
Eine Soziale Arbeit, die die Qualitätsmerkmale verwirklicht und Fehlentwicklungen vermeidet oder abmildert, ist hervorragend in der Lage, eine gute Entwicklung von Pflegekindern zu fördern und Eltern und Pflegeeltern wirksam zu unterstützen. Hierbei ist sie auf Entscheidungen der Gerichte angewiesen, die dieses Ziel unterstützen.
Quelle: www.uni-siegen.de/pflegekinder-forschung/siegener_erklaerung/index.html?lang=de