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01.12.2011
Stellungnahme

SOS-Kinderdorf-Stellungnahme zu Handlungsfähigkeit bei Jugendhilfeleistungen

Zur Initiative „Wiedergewinnung kommunalpolitischer Handlungsfähigkeit zur Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen“ hat der Vorstandsvorsitzende des SOS-Kinderdorf e.V., Prof. Dr. jur. Johannes Münder, folgende Stellungnahme abgegeben.

Zur Initiative „Wiedergewinnung kommunalpolitischer Handlungsfähigkeit zur Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen“ hat der Vorstandsvorsitzende des SOS-Kinderdorf e.V., Prof. Dr. jur. Johannes Münder, folgende Stellungnahme abgegeben: Der SOS-Kinderdorf e.V. setzt sich für sozial benachteiligte Kinder, Jugendliche und ihre Familien ein. Wir unterstützen junge Menschen darin, sich zu selbstbewussten und solidarisch handelnden Menschen zu entwickeln, so wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das SGB VIII, formuliert. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir besorgt die vom Hamburger Jugendsenat betriebene Debatte um die sogenannte Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung.

Unter der Federführung Hamburgs sollen Änderungsvorschläge für das SGB VIII erarbeitet werden, vordergründig mit dem Ziel, die kommunalpolitische Handlungsfähigkeit bei Jugendhilfeleistungen wiederzugewinnen – tatsächlich aber geht es um Kostenersparnis. Der individuelle Rechtsanspruch leistungsberechtigter Familien auf Hilfen zur Erziehung im SGB VIII sowie die starke Stellung der sogenannten freien Träger in der Kinder- und Jugendhilfe seien Ursachen für den Anstieg der Fallzahlen und Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe.

Ziel des Vorstoßes ist, den individuellen Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe zugunsten einer sogenannten Gewährleistungsverpflichtung der Jugendämter abzuschaffen. Zumindest aber sei der individuelle Anspruch auf Hilfe so weit einzuschränken, dass die Hilfe in der Regel nur als Angebot in Regeleinrichtungen (zum Beispiel Frühe Hilfen, Kindertagesbetreuung, Schulen) zu erbringen ist. In diese Richtung solle – so die Vorstellungen – das SGB VIII geändert werden. Garniert wird das mit dem fachlich positiv besetzten Schlagwort der „Sozialraumorientierung“.

Der SOS-Kinderdorf e.V. tritt energisch für den Erhalt des subjektiven, von den Leistungsberechtigten einklagbaren Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung und für eine bedarfsgerechte Ausgestaltung des Hilfeangebots ein. Der individuelle Anspruch der Sorgeberechtigten ist Dreh- und Angelpunkt der Kinder- und Jugendhilfepolitik und darf nicht durch eine restriktive kommunale Angebotsplanung und -steuerung ersetzt werden.

Gewährleistungspflicht statt Rechtsanspruch wird bei der aktuellen Finanzknappheit der Kommunen dazu führen, dass die Jugendämter ihrer Aufgabenverpflichtung nicht oder nicht ausreichend nachkommen und Infrastrukturentwicklung nach Kassenlage betreiben.

Die Sozialraumorientierung hat dazu beigetragen, die Versäulung von Angeboten in der Kinder- und Jugendhilfe zu überwinden. Sozialräumliche Hilfen sind selbstverständlicher Teil des Jugendhilfespektrums geworden. Sie können jedoch ihrem Wesen nach die Erziehungshilfen nicht ersetzen oder gar deren Abbau legitimieren. Abgesehen davon liegt die rechtliche Problematik von sozialräumlichen Versorgungsverträgen zwischen öffentlichen Trägern und Leistungserbringern nicht allein im SGB VIII, sondern auch im Grundgesetz (Art. 12 GG) begründet, und es würde eine entsprechende Verfassungsänderung erfordern, um diese zu beseitigen.

Der SOS-Kinderdorf e.V. Deutschland wendet sich dagegen, Hilfen zur Erziehung und Sozialraumorientierung aus Kostengründen in ein Rangverhältnis zu setzen oder gegeneinander auszuspielen. Der erzieherische Bedarf und die fachlich geeignete und notwendige Hilfe für das betreffende Kind sind die Grundlage für die Hilfegewährung.

Statt einer Zurücknahme von Rechtsansprüchen brauchen wir mehr Engagement gegen soziale Ausgrenzung und Bildungsbenachteiligung von jungen Menschen. Mit einem fiskalisch motivierten Abbau von Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe lässt sich dieses nicht erreichen.

Quelle: Stellungnahme des SOS-Kinderdorf e.V. Deutschland vom 28.10.2011

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