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Verfahrensbeiständin für ein Pflegekind - Teil 4
Themen:
Erweiterung des Auftrages zur Urlaubs- und Feiertagsregelung
Mit Datum 2.10. kommt eine weitere Aufforderung des Gerichtes:
„Die Angelegenheit hat sich offensichtlich positiv entwickelt. Festzulegen ist nur noch die Umgangsregelung, insbesondere hinsichtlich des Urlaubs. Ich mir Sie, mir mitzuteilen, ob Sie deshalb nochmals mit Mira gesprochen haben und wenn ja, welche Wünsche und Vorstellungen das Kind hat.“
Ich antworte dem Richter, dass ich hinsichtlich der Urlaubsregelung noch nicht mit Mira gesprochen habe, dies jedoch in einem vereinbarten Termin bald machen würde.
Viertes Gespräch mit Mira
Am 10.10. sehe ich Mira wieder. Sie ist sehr zufrieden, freut sich, dass alles so gekommen ist, wie sie es sich gewünscht hat. Die Pflegeeltern berichten, dass die Vereinbarungen so ablaufen, wie vorgeschlagen und dass eine freundliche und akzeptierende Haltung zwischen ihnen und der leiblichen Mutter bestehe. Mira wundert sich, warum ich denn noch kommen, da doch alles klar ist. Als ich ihr erkläre, dass der Richter auch die Urlaubsregelung auf sichere Füße stellen möchte, ist sie sofort bereit, mir genaueste Wunschvorstellungen darzulegen. Am Ende des Gespräches frage ich sie, ob ich noch einmal wiederkommen soll, oder ob alles klar ist, so dass ich es direkt dem Richter mitteilen kann. „Genauso will ich es“ sagt sie „und das wird auch klappen, so wie das andere auch.“
Dann hat sie es eilig, will spielen, verabschiedet sich munter von mir und ist verschwunden.
Dritter Bericht an den Richter
Ein paar Tage später geht folgender Bericht an den Richter:
„Nachfolgend möchte ich Ihnen von meinem Gespräch am 10.10. mit Mira und zweitweise der Pflegemutter berichten.
Zuerst fragte ich nach, wie denn die bisherigen Vereinbarungen in der Praxis verlaufen. Die neue Schule gefällt Mira sehr gut. Sie geht gerne hin und fühlt sich dort gut aufgehoben.
Die vereinbarten Besuchskontakte laufen genau so ab, wie Mira es vorgeschlagen hat. Sie ist damit sehr zufrieden. Zurzeit ist sie traurig darüber, dass sich ihr Vater von seiner Freundin getrennt hat, denn die hat Mira ja auch bei ihren Besuchskontakten zum Vater intensiv erlebt und konnte sie gut leiden. Jetzt verbringt sie die meiste Zeit der vereinbarten Besuchskontakte zum Vater bei den Großeltern. Aber auch das ist für sie völlig o.k.
Durch die klaren Vereinbarungen hat sich die Atmosphäre zwischen den Erwachsenen, besonders den Pflegeeltern und der Mutter, eindeutig entspannt. Die Pflegemutter berichtete, dass man jetzt freundlich miteinander umgehen könne. Es ginge jetzt wirklich gut, was von Mira mit ernsthaftem Nicken bestätigt wurde.
Dann besprach ich mit Mira ihre Vorstellung von Urlaubs- und Feiertagsregelungen.
Sie wünscht sich folgendes:
Da das vierte Wochenende Besuchskontakt beim Vater in diesem Jahr genau auf die Weihnachtstage fällt, möchte Mira diesen Besuch ein Wochenende vorher haben. Zu Weihnachten würde sie gerne den zweiten Feiertag von 11 – 18 Uhr bei der Mutter verbringen. (So war es wohl bisher auch immer, und so möchte sie es belassen.) Die gleiche Regelung wäre Ostern möglich.
Die sogenannten kleineren Ferien (Weihnachten, Oster, Herbst) möchte sie gerne zuhause (Pflegefamilie) verbringen. „Die sind nur so kurz, da muss ich die ganze Zeit mit meinen Freunden spielen“ meint sie.
In den Sommerferien möchte sie „natürlich“ wie bisher mit ihren Pflegeeltern Urlaub machen. Sie könnte sich aber vorstellen, fünf Tage – von einem Samstag bis zu einem Mittwoch – mal bei der Mutter zu verbringen. Mehr wäre nicht drin, denn „bei denen dahinten habe ich keine Freunde. Das sind nur Spielkameraden, mit denen ich spiele, aber keine Freunde. Freunde sind, so wo ich immer bin“.
Mira hofft, dass ihre Mutter auch diese Wünsche nachvollziehen kann.
„Was ist, wenn mir die fünf Tage in den Sommerferien zu lang sind und ich meine Freundinnen sehr vermisse?“ fragt sie beim Verabschieden an der Tür. Ihre Pflegemutter antwortet darauf: „Dann überlegen wir mit der Mama, du siehst doch, dass das jetzt gut klappt“. Mira ist beruhigt und mit der Antwort vollauf zufrieden.
Wenn es weiterhin den Erwachsenen um Mira herum gelingt, in Freundlichkeit miteinander umzugehen und Veränderungen und Verschiebungen miteinander zu klären, dann sehe ich für Mira darin die beste Sicherheit und Beruhigung. Sie wird dann nicht in Loyalitätskonflikte kommen müssen und sich weiterhin ernst genommen fühlen.“
Beendigung meiner Tätigkeit als Miras Verfahrenspflegerin
Auch in diesem Fall kann der Richter von einem Beschluss absehen, da sich alle Beteiligten auf die Wünsche des Kindes einigen. Dies erfahre ich anhand eines Schreibens des Jugendamtes, das nochmals alles zusammenfasst und bestätigt. Darüber hinaus gibt es in diesem Schreiben eine Ergänzung dahingehend, dass bei den Wochenendkontakten ein eventuelles fünftes Wochenende im Monat Mira zuhause verbringen wird. Ende Oktober habe ich dem Gericht meine weitere Tätigkeit in Rechnung gestellt.
Entwicklung in den darauffolgenden Monaten
Ich habe für diesen Bericht noch einmal bei den Pflegeeltern nachgefragt. Die Vereinbarungen haben Bestand. Die Stimmung weiterhin positiv. Mira geht sehr selbstbewusst mit den Kontakten um. Sie weist deutlich daraufhin, was sie möchte. „Zumindest bei uns“ sagen die Pflegeeltern. Sie wissen nicht, ob Mira auch der Mutter gegenüber schon den Mut dazu hat. „Wir können aber jetzt gut mit der Mutter reden, die will auch nichts mehr gegen den Willen des Kindes machen. Sie zieht auch nicht mehr an ihr, akzeptiert das Kind. Es fällt ihr manchmal noch schwer zu verstehen, dass Mira lieber bei uns bleiben möchte und dass hier ihr zuhause ist und dass sie die Mutter nur „besuchen“ kommt. Aber wir können wieder darüber reden, so wie wir das früher auch mal konnten. Mira spürt das. Sie ist wirklich gut drauf und ganz schön frech.“
Wir lachen zusammen über den letzten Satz und sind erleichtert und zufrieden.
Rückblick auf diese Tätigkeit
Um das Kind verstehen zu können, um mir „seine“ Sprache übersetzen zu können und so seinen Willen herauszufinden, gab es für mich einige wesentliche Punkte in dieser Verfahrensbeistandschaft.
Lebt ein Kind Jahre in einer Pflegefamilie, so müssen wir davon ausgehen, dass die Pflegefamilie das Zuhause des Kindes ist. Dies gilt umso mehr, je jünger das Kind war, als es in die Pflegefamilie gekommen ist. Mira war ein halbes Jahr alt. Ich bin also davon ausgegangen, dass Miras Pflegeeltern ihre emotionalen/sozialen Eltern sind, also „Mama“ und „Papa“ im Sinne von Zugehörigkeit und innerer Beheimatung.
Auseinandersetzungen um Besuchskontakte und Rückführung zur Herkunftsfamilie können an einem Pflegekind nicht spurlos vorbeigehen. Sie lösen zumindest Irritationen, meist jedoch Trennungs- und Verlustängste aus. Dies war auch bei Mira so.
Pflegekinder haben vor ihrem Aufenthalt in der Pflegefamilie belastende, verwirrende oft traumatisierende Erfahrungen gemacht. Mira hat als Säugling mehrere Pflegefamilien erlebt, dazu die Trennung von Mutter, Vater und Großeltern erfahren – dass heißt, dass sie gerade in dieser Hinsicht besonders sensibel und leibt verletzbar ist.
Der Auftrag an eine Pflegefamilie, den Pflegekind eine neue Lebenschance zu geben, kann dann von den Pflegeeltern nicht erfüllt werden, wenn sie aufgrund unklarer oder strittiger Perspektiven dem Kind keine Sicherheit vermitteln können. Wenn die Grundbedürfnisse nach Kontinuität und Klarheit infrage gestellt werden, erleben auch Erwachsene heftige Gefühlswallungen. Pflegeeltern wollen dies dem Kind gegenüber nicht zeigen bzw. souverän nach außen hin agieren und so entstehen ambivalente Botschaften, die das Kind verwirren. Das erlebte Mira ebenfalls.
Leiblichen Eltern von Pflegekindern gelingt es häufig nicht, ihre Rolle gegenüber dem Kind neu zu definieren. Es ist schwierig für sie, die „Eltern“rolle an die Pflegeeltern abzutreten und ich mit einer Tante-Onkel-Rolle zufrieden zu geben. Sie haben häufig weiterhin „Eltern“Erwartungen an ihr Kind und reagieren mit Verletztheit und Unverständnis auf die Zugehörigkeitsgefühle des Kindes zur Pflegefamilie. Sie „werben“ dann ums Kind, „ziehen“ an ihm, um zu erreichen, dass das Kind sich umpolt. Gerade in Besuchskontakten sind Pflegekinder solchen Situationen ausgesetzt. Mira erging es ebenso.
Solche Situationen führen zu – von Außenstehenden betrachtet – verwirrenden, aber aus der Sicht des Kindes durchaus logischem Verhalten. Es entsteht ein überangepasstes Verhalten des Kindes an den jeweiligen Erwachsenen und dessen Bedürfnissen. Kinder sind der Stärke der Erwachsenen nicht gewachsen und identifizieren sich mit deren Wünschen oder stimmen ihnen einfach nur zu – eben wegen jener Stärke. Sie geraten in Loyalitätskonflikte auch zu ihren eigenen Wünschen. Dies erlebt Mira im Hinblick auf ihre Mutter.
Das Jugendamt hat seinen Auftrag zur Hilfe zur Erziehung vom Sorgeberechtigten erhalten und soll diesen Auftrag zum Wohl des Kindes ausführen. Das Jugendamt kann hier in höchst kontroverse Situationen geraten. So wird es allein dann schon problematisch, wenn das Jugendamt zum Schutz des Kindes Teile des Sorgerechtes übertragen bekommen hat, andere Sorgerechte aber noch bei den Eltern liegen. Das Amt handelt dann einerseits als Pfleger und damit Vertreter für das Kind, andererseits als Dienstleister für die auch sorgeberechtigten Eltern. Die Fachkräfte des Jugendamtes argumentieren dann mit der Orientierung am Kindeswohl, welches von den Eltern jedoch so nicht gesehen werden kann. Die „Macht“ des Amtes z.B. als Aufenthaltsbestimmungspfleger blockiert die Eltern darin, die Orientierung des Amtes am Kindeswohl wahrnehmen zu können. Miras Mutter befand sich in einer solchen Situation.
Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes, der vom Gericht benannt und daher unabhängig vom Jugendamt war, schien der Mutter die Möglichkeit zu geben, die Vorstellungen ihrer Tochter unbefangener zu akzeptieren. Die Vorschläge zu Kontakten und zur Schulfrage, die ich dem Gericht machte, waren die gleichen, die auch das Jugendamt gemacht hatte. Das Jugendamt hatte sie etwas anders formuliert, sich nicht ausführlich auf Miras Willen bezogen – aber das allein kann nicht die vollständige Ablehnung der Mutter verursacht haben. Vielleicht war es gerade die immer wiederkehrende Erklärung des Jugendamtes, dass man hier zum Wohle des Kindes handeln würde, die den Zorn der Mutter und auch der Anwältin heraufbeschwor.
In meiner Unabhängigkeit und klaren Abgrenzung zum Jugendamt hatte ich es da einfacher. Ich fand es als meine wichtigste Aufgabe, den Willen des kund zu tun und diesen Willen für die Beteiligten verstehbar zu machen. Wenn der Wille des Kindes nachvollziehbar und erklärbar ist, dann enthebt er sich dem Vorwurf der Manipulation durch andere und damit der Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Gerade bei einem Pflegekind kann es jedoch manchmal schwer sein, seinen Willen zu erkennen. Die psychologischen Voraussetzungen vieler Pflegekinder sind nicht förderlich dahingehend, dass sie in der Lange sind, wirklich einen eigenen Willen zu haben, zu erkennen und zu äußern. Mira war nicht ein solches Kind. Trotzdem empfand ich es als äußerst hilfreich in meiner „Übersetzer-Tätigkeit“, dass mir die Lebenssituation von Mira als Pflegekind vertraut war und ich daher auf einiges adäquat und damit förderlich im Hinblick auf meinen Auftrag reagieren konnte.