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Wissen um das Kind
In der Vorbereitungszeit werden Bewerber darüber informiert, aus welchen Gründen Kinder nicht mehr in ihren leiblichen Familie leben können, sondern in Pflegefamilien untergebracht werden. Es wird auch darüber gesprochen, wie die Vorgeschichte des Kindes sich nun in der Pflegefamilie ausdrückt und wie das Kind auf die Veränderung in seinem Leben reagiert.
Genauso wichtig wie dieses allgemeine Wissen über Pflegekinder, ist das spezielle Wissen über das Pflegekind, was in die Pflegefamilie vermittelt werden soll. Erst dieses Wissen um die Vorgeschichte dieses Kindes gibt den Pflegeelternbewerbern die Möglichkeit zu entscheiden, ob dieses Kind und sie zusammen leben können.
Trotzdem gibt es Wissenswertes über die Empfindungen und das Verhalten von Pflegekindern allgemein, welches den Pflegeeltern das Verständnis für ihr Pflegekind erleichtern hilft.
Der lange Schatten der Vergangenheit
Die Erfahrungen der Vergangenheit beeinflussen lange das Befinden und die Entwicklung des Kindes.
Meine bisherigen Erfahrungen prägen mich und mein Bild von der Welt.
Wir alle werden durch das, was in unserer Natur liegt, verbunden mit dem, was wir bisher erlebt haben zu dem Menschen, der wir sind. Manche Menschen haben einen starken inneren Kern, der sie vieles ertragen lässt und andere Menschen zerbrechen an weit weniger Schlimmen. Natürlich geht es auch den Pflegekindern so. Während manche noch erstaunlich robust sind für das, was hinter ihnen liegt sind, andere verletzt, verwirrt und beeinträchtigt.
Die Kinder, die neu in Pflege-/Adoptivfamilien vermittelt werden haben meist eine schwierige Vorgeschichte, die dazu führt, dass sie allem misstrauen.
Sie haben erfahren, dass die Welt nicht verlässlich ist, dass das Leben bedroht wird, dass Hilfe kaum zu erwarten ist, das man auf sich allein gestellt ist. Es gilt eigentlich nur, das ‚hier und jetzt’ zu überleben und zu bewerkstelligen. Das Leben ist ein Kampf.
Solche Erfahrungen prägen auch Art und Umfang der Hirnreifung des Kindes. Ebenso führen traumatische Situationen zu vermehrter Ausschüttung von Stresshormonen, die wiederum das kindliche Gehirn auf ständige Alarmbereitschaft polen. Das fehlende Vertrauen zeigt sich durch permanente Anspannung (stark angespannter Körper). Ein "sich fallen lassen" ist nicht
möglich.
Die besondere Prägung vernachlässigter Kinder besteht darin, dass sie die Eltern nicht als versorgende und verlässliche Eltern erlebt. Es gab nichts regelmäßig, ausreichend, man konnte sich auf nichts wirklich verlassen. Um zu überleben, mussten die Kinder die Kontrolle bekommen und erhalten und sich Überlebensstrategien ausdenken z.b. Essenbeschaffen . Kleinere Kinder wurden von größeren Geschwistern versorgt. Aus der Erfahrung der Kinder heißt es: Eltern können das nicht, Eltern kriegen nichts geregelt.
Mit diesem Bild von Eltern kommen die Kinder zu Ihnen und übertragen dieses Bild erst einmal auf Sie. Das Kind muss alles unter Kontrolle haben und sieht sich nicht in der Lage, den Erwachsenen die Bewältigung des Alltages überlassen zu können. Die Kinder haben das Gefühl NIE genug zu bekommen.
Kinder mit Gewalterfahrung durch ihre Eltern erlebten, dass diese Eltern uneinschätzbar sind, mal liebevoll, mal bedrohlich und gefährlich. Kinder sind diesen Eltern hilflos ausgeliefert. Auch Gewalt gegen andere (z.B. gegen die Mutter) erleben sie als traumatisierend, weil sie hilflos sind. Hilflosigkeit ist ein wesentliches Merkmal von traumatischen Erfahrungen.
Wenn Kinder Trennungen erleben erfahren sie auch hier Unzuverlässigkeit, Verlassenheit, sich nicht verlassen können.
Sexueller Missbrauch bedeutet Übergriffigkeit, Grenzverletzungen; das Kind ist ein Objekt der Befriedigung ohne Berücksichtigung seiner selbst. Oft ist der sexuelle Missbrauch mit einem Schweigegebot belegt welches zu Sprachproblemen und Wahrnehmungsstörungen führen kann. Viele dieser Kinder lernen, dass sie Aufmerksamkeit nur über sexuelles Verhalten bekommen – also benehmen sie sich so und glauben, dass dies Normalität sei.
Diese Erfahrungen drücken sich natürlich auch im Verhalten der Kinder aus, wenn sie schon bei Ihnen leben.
Der Wechsel des Kindes von der Herkunftsfamilie, Bereitschaftspflege oder Heim in die Pflegefamilie wechselt nur den Wohnort aus, es verändert nicht das Kind. Das Kind bleibt erst mal das Kind mit seinen bisherigen Erfahrungen und den sich daraus entwickelten Vorstellungen und Überlebensstrategien.
Beispiele:
Ein älteres Kind kommt in eine Pflegefamilie und die Pflegemutter steht morgens immer auf. Das Kind empfindet dies erst einmal als Kontrollmaßnahme, bis es durch ein Gespräch mit der Pflegemutter versteht, dass diese mit aufsteht, damit es morgens nicht allein ist. Allein sein war es aber gewöhnt und war vom Donner gerührt, als es begriff, dass die Mutter nur wegen ihm aufstand. "Sie stand einfach mit mir auf, so wichtig war ich ihr".
"Pflegeeltern nehmen einen eineinhalb-jährigen auf. Sie freuten sich auf die Versorgung eines kleines abhängigen Kindes und erlebten ein selbständiges kleines Wesen. Der Kleine versuchte alles selbst zu erledigen, ans Essen zu kommen, Tropfen aus dem Wasserhahn aufzufangen, irgendwo sich zum schlafen zu legen etc. und begriff überhaupt nicht, was die Pflegeeltern eigentlich mit ihrer Fürsorglichkeit wollten”.