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Wissen um meine Herkunft

Wir Menschen wollen es wissen – wollen wissen, was mit uns warum passierte. Unser Leben ist in uns, wir tragen es in uns – aber oft „wissen“ wir es nicht bewusst und deutlich. Dann werden Gefühle und Handlungen bestimmt durch etwas, was wir uns nicht erklären, vielleicht erahnen aber oft angstvoll nicht zubilligen können.

Die Familie von der ich abstamme ist wichtig. Für manche Kinder und auch Erwachsene so bestimmend, dass sie von den Gedanken an diese Familie fast überwältigt werden und wie in einen Sog geraten. Ich denke dabei besonders an einen jungen Mann, der von einem Fernsehteam auf seiner Suche nach seiner leiblichen Familie begleitet wurde. Er fuhr in sein Ursprungsland Indien und versuchte dort, trotz minimalstem Wissen über seine Herkunft und seine Adoptionsvermittlung seine Mutter zu finden. Es gelang ihm nicht – und er kam zurück nach Deutschland, besessen davon, wieder los zu ziehen und andere Wege auszuprobieren. Er konnte an nichts anderes mehr denken – war total befangen in seiner Suche.

Wir Menschen wollen es wissen – wollen wissen, was mit uns warum passierte. Unser Leben ist in uns, wir tragen es in uns – aber oft „wissen“ wir es nicht bewusst und deutlich. Dann werden Gefühle und Handlungen bestimmt durch etwas, was wir uns nicht erklären, vielleicht erahnen aber oft angstvoll nicht zubilligen können.

Das Wissen um unsere Herkunft setzt wesentliche Puzzlestücke unserer Persönlichkeit zusammen. Angenommene Kinder bestehen nicht nur aus Herkunft und bestehen nicht nur aus der neuen Familie. Ihre Persönlichkeit, ihre Identität setzt sich aus beidem zusammen und wird ebenso ergänzt durch ihre Lebenserfahrungen.

Die Selbsthilfegruppen der erwachsenen Adoptierten nannten sich zu Beginn „Wurzel und Flügel“ und oft wurde dieser Name so interpretiert, dass die Wurzel die Herkunft und die Flügel die Adoptiv- oder Pflegefamilie war.
Ich konnte diese Interpretation so nie nachvollziehen – denn wie deutlich können wir erkennen, dass sich angenommene Kinder bei einer vollen Integration in ihre neue Familien auch deren Werte, Überzeugungen, familiäre Eigenarten und Sichtweisen zu eigen machen. Diese werden - wie das, was sie von ihrer Herkunftsfamilie mitbekommen haben- Wurzeln ihres Lebensbaums. Ein dürftiger Baum wird nach der Umpflanzung neue Wurzeln treiben – es kommen neue Wurzeln zu den alten, beide gedeihen und ernähren ihn und treiben ihn zu umfassender Blüte.

In jedem Vorbereitungsseminar für Adoptiveltern und Pflegeeltern werden diese Gedanken den Bewerbern ans Herz gelegt. Für viele dieser Eltern werden sie selbstverständliche Denk- und Handlungsmuster. Jedoch nicht für alle. Auch heute noch ziehen Adoptiveltern nach vollzogener Adoption an einen anderen Wohnort um dort als „richtige“ Familie neu anfangen zu können.

In früheren Jahren war das Verschweigen der Adoption üblich. Viele adoptierte Kinder fanden selbst heraus, dass sie adoptiert waren oder man informierte sie so nebenbei - gezwungenermaßen, damit sie es nicht von anderen erfahren. Meist waren die Kinder dann schon älter oder sogar schon erwachsen. Manche erfuhren es, wenn sie ihre Abstammungsurkunde brauchten. Für die meisten dieser Adoptierten bedeutete dies ein großer Schock – nicht weil sie adoptiert waren, sondern weil sie es nicht gewusst haben. Sie fühlten sich verraten, betrogen, nicht ernst genommen. Gleichzeitig waren sie erleichtert – denn hatten sie nicht immer gemerkt, dass irgendetwas anders war?

Manche der Adoptierten gingen auf Suche, viele jedoch zögerten, glaubten ihre Adoptiveltern zu verletzen und zu kränken wenn sie es täten und warteten daher oft bis zu deren Tod. Manche trauten sich auch dann nicht, glaubten so klar zu kommen und trugen die nicht begonnene Suchen und das Nichtwissen wie einen Stein in sich.

Letzte Aktualisierung am: 
11.03.2009

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